BMF, Schreiben v. 11.1.2002, IV A 4 - S 0550 - 1/02, BStBl I 2002, 132
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die Entscheidung über einen Antrag auf außergerichtliche Schuldenbereinigung (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 lnsO) Folgendes:
1. Anwendungsbereich
Natürliche Personen, die keine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben, können das Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 ff. InsO beantragen. Personen, die eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt haben, gehören dazu, wenn ihre Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen sie keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Überschaubar sind Vermögensverhältnisse, wenn der Schuldner zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wird, weniger als 20 Gläubiger hat. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen sind nicht nur die Ansprüche der ehemaligen Arbeitnehmer selbst, sondern auch die Forderungen von Sozialversicherungsträgern und Finanzämtern (z.B. Lohnsteuerforderungen). Zu den Verbindlichkeiten, die einer Schuldenbereinigung nach den Regelungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens zugänglich sind, gehören auch Haftungsschulden des Schuldners. Der Schuldner ist jedoch verpflichtet, zuvor in Verhandlungen mit seinen Gläubigern eine außergerichtliche Schuldenbereinigung zu versuchen. Der Versuch gilt als gescheitert, wenn ein Gläubiger die Zwangsvollstreckung betreibt, nachdem die Verhandlungen über eine außergerichtliche Schuldenbereinigung aufgenommen wurden.
2. Berücksichtigung von Ansprüchen gegen Dritte bzw. von Pfandrechten
Durch einen Antrag auf das außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren werden Ansprüche von Dritten noch nicht berührt. Erst durch die Zustimmung aller Gläubiger zu einem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan werden Ansprüche gegen Dritte berührt, deren Schuld von der des Schuldners abhängt (z.B. Bürgen, Haftungsschuldner). Sonstige Ansprüche gegen Dritte werden nicht berührt. Unberührt bleiben Pfandrechte und Sicherheiten, die zugunsten eines Gläubigers bestehen (vgl. § 313 Abs. 3 InsO). Falls Pfandrechte bzw. Sicherheiten zugunsten des Finanzamts bestehen bzw. Dritte noch in Anspruch genommen werden können, ist das FA berechtigt, die entsprechenden Rechte geltend zu machen (vgl. auch § 191 Abs. 5 Nr. 2 AO). Auch die Anfechtung von Rechtshandlungen nach dem Anfechtungsgesetz in der Fassung des Artikels 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994, BGBl I S. 2911 ff. ist weiterhin zulässig. Es ist aber auch zulässig, Regelungen über die vorstehenden Rechte in das Schuldenbereinigungsverfahren aufzunehmen.
3. Rechtsgrundlagen für einen Verzicht
Die außergerichtliche Schuldenbereinigung erfolgt im Wege von freigestalteten Verhandlungen zwischen dem Schuldner und den Gläubigern auf der Grundlage eines vom Schuldner vorzulegenden Planes. Als Rechtsgrundlage für einen Verzicht auf Abgabenforderungen kann jedoch nur das Abgabenrecht unter Einbeziehung der Zielsetzung der Insolvenzordnung herangezogen werden. Die Frage, ob das FA einem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan zustimmen kann, ist deshalb nach den gesetzlichen Bestimmungen über die abweichende Festsetzung § 163 AO) und dem Erlass § 227 AO) zu beurteilen. Zu den Gesichtspunkten, die in die Ermessenserwägungen einzubeziehen sind, gehört im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren zusätzlich die Zielsetzung der Insolvenzordnung, redlichen Schuldnern nach einer gewissen Wohlverhaltensphase und unter Einbeziehung sämtlicher Gläubiger eine Schuldenbereinigung als Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Sachliche Billigkeitsgründe werden vom außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren nicht berührt und sind daher vorab zu berücksichtigen. Da nach den Intentionen des Gesetzgebers für einen Verzicht nur persönliche Billigkeitsgründe in Betracht kommen, setzt eine Maßnahme nach §§ 163, 227 AO voraus, dass der Schuldner erlassbedürftig und -würdig ist. Die Auslegung des Begriffs „persönliche Unbilligkeit” hat sich hierbei an der Zielsetzung der Insolvenzordnung zu orientieren. Wegen der angestrebten Schuldenbereinigung unter Beteiligung sämtlicher Gläubiger ist bei der Anwendung der §§ 163, 227 AO im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren zu beachten, dass der Begriff „persönliche Unbilligkeit” in diesem Verfahren anders als in anderen Billigkeitsverfahren definiert ist, in denen ausschließlich das FA und der Schuldner beteiligt sind. Das bedeutet, dass die Rechtsprechung zu §§ 163, 227 AO insoweit nicht mehr uneingeschränkt angewendet werden kann.
Bei der Entscheidung über einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan ist insbesondere zu beachten, dass im gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren die Zustimmung eines Gläubigers durch Beschluss des Insolvenzgerichts ersetzt werden kann, wenn dieser im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern angemessen berücksichtigt wird un...