Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts möchte die Ansicht vertreten, daß die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung für alle Arbeiten gelten, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch wenn diese Arbeiten nicht gefahrgeneigt sind.
2. Diese Rechtsauffassung weicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Es soll deshalb eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Rechtsprechungseinheitsgesetz herbeigeführt werden.
Orientierungssatz
Das Verfahren beim Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes wird unter dem Aktenzeichen GmS-OGB 1/93 geführt.
Verfahrensgang
Nachgehend
Gründe
A. Im Ausgangsverfahren streiten die Parteien über die Haftung des Beklagten für von ihm im Arbeitsverhältnis verursachte Schäden.
Die Klägerin, die ein Bauunternehmen betreibt, hatte auf einem Hausgrundstück eine Grundstückseinfriedung zu erstellen. Der Beklagte war ihr Polier auf dieser Baustelle. Zum Ausbau des Fundaments mußten mit einem Bagger Gräben ausgehoben werden, die 80 cm tief und 16 cm breit waren. Der Beklagte wurde von dem Geschäftsführer der Klägerin im Beisein eines weiteren Mitarbeiters in die Baustelle eingewiesen. Der Baggerführer beschädigte beim Aushub die Gasleitung. Durch den Schaltfunken eines elektrischen Geräts explodierte das in die Kellerräume des Hauses ausgeströmte Gas. An dem Haus entstand ein Schaden von 244.263,― DM. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung des durch ihre Betriebshaftpflichtversicherung nicht gedeckten Schadens.
Die Klägerin hat vorgetragen, dem Beklagten sei gezeigt worden, wo die von der Hauptgasleitung abzweigende Leitung zum Heizungskeller des Hauses verlegt war. Der Hausanschluß sei im Plan eingezeichnet gewesen. Außerdem habe der Straßenaufbruch erkennen lassen, an welcher Stelle der Hausanschluß verlief. Der Beklagte sei darauf hingewiesen worden, daß im Bereich des Hausanschlusses der Aushub nur von Hand erfolgen dürfe. Gleichwohl habe er nicht nur versäumt, den Baggerführer entsprechend anzuweisen, sondern diesem außerdem gesagt, er brauche nicht aufzupassen, weil dort keine Leitungen verlegt seien.
Die Klägerin hat beantragt,
I.1. den Beklagten zu verurteilen, an sie
80.000,― DM nebst 9,25 % Zinsen seit
26. Oktober 1983 zu zahlen,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, an sie
80.000,― DM in monatlichen Raten von
2.800,― DM beginnend mit dem 1. Januar 1984
zu zahlen, und zwar nebst 9,25 % Zinsen ab
Fälligkeit der Raten,
2. festzustellen, daß der Beklagte auch für den
weiteren Schaden haftet,
II. hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin
von sämtlichen Schadenersatzansprüchen im
Zusammenhang mit der Gasexplosion am
13. April 1981 freizustellen, und zwar ins-
besondere von den Schadenersatzansprüchen
der Bayerischen Versicherungskammer, Landes-
brandversicherungsanstalt in München.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat u.a. vorgetragen, er habe nicht grob fahrlässig gehandelt.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Beklagten sei jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Deshalb entfalle seine Haftung. Abweichend von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gelte dies auch bei nicht gefahrgeneigter Arbeit, die hier gegeben sei.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts möchte in Abweichung von der Ansicht des Großen Senats die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung bei gefahrgeneigter Arbeit auch für Schäden anwenden, die bei Verrichtung nicht gefahrgeneigter Arbeiten eintreten, wenn die Arbeiten durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund des Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Er hat deshalb den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Entscheidung über diese Rechtsfrage gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 ArbGG angerufen.
B. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts will der Rechtsansicht des Achten Senats dahin zustimmen, daß die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung nicht die Gefahrgeneigtheit der Arbeit voraussetzt; die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung soll vielmehr in allen Fällen gelten, in denen ein Arbeitnehmer bei betrieblich veranlaßten Arbeiten Schäden verursacht.
I.1. Das Bundesarbeitsgericht geht seit der Entscheidung seines Großen Senats vom 25. September 1957 (BAGE 5, 1 ff. = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO) davon aus, daß der Arbeitnehmer für Schäden, die er bei der Verrichtung gefahrgeneigter Arbeit fahrlässig verursacht hat, dem Arbeitgeber nur nach folgenden Grundsätzen haftet: Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden allein zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist, wobei die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind (vgl. statt aller: BAGE 7, 290 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAG Urteil vom 29. Juni 1964 - 1 AZR 434/63 - AP Nr. 33 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Diese im Wege der Rechtsfortbildung entwickelten haftungserleichternden Grundsätze gelten jedoch nach der bisherigen Rechtsprechung nur beim Vorliegen gefahrgeneigter Arbeit. Der Große Senat hält es für geboten, die Beschränkung der Haftungserleichterung auf Fälle gefahrgeneigter Arbeit aufzugeben, weil sonst nach §§ 276, 249 BGB Arbeitnehmer, die keine gefahrgeneigte Tätigkeit ausüben, bei Verletzung arbeitsvertraglicher Sorgfalts- und Obhutspflichten, die zu Schäden beim Arbeitgeber führen, grundsätzlich den gesamten Schaden tragen müßten. Einem Arbeitnehmer ein solches Haftungsrisiko aufzubürden ist im Hinblick auf die mögliche und auch vorliegend gegebene Schadenshöhe, deren Ausgleich zu schweren Eingriffen in die Lebensführung führen kann, nicht gerechtfertigt und widerspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. auch BVerfGE 81, 242).
2. Der Große Senat ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG, § 45 Abs. 2 ArbGG befugt, das Arbeitnehmerhaftungsrecht über die bisherige Rechtsprechung hinaus im Wege weiterer Rechtsfortbildung den tatsächlichen betrieblichen Gegebenheiten anzupassen (vgl. zuletzt BVerfGE 84, 212, 227).
a) Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten keine geschlossene Regelung des Arbeitsvertragsrechts (BAG GS BAGE 48, 122, 136 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, zu C I 2 b der Gründe). Schon bei Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde hinsichtlich der Arbeitnehmerhaftung von einer Gesetzeslücke ausgegangen. In den Materialien wurde "baldtunlichst" eine spezialgesetzliche Regelung für Arbeitsverträge "einschließlich der schadenersatzrechtlichen Fragen" gefordert (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, S. 1328, 1333 u. 1340). Darüber hinaus ist der Arbeitnehmer seit der Zeit des Inkrafttretens des BGB Haftungsrisiken in zunehmendem Maße ausgesetzt. Hielten sich früher die von Arbeitnehmern verursachten Schäden noch in Grenzen, so kann inzwischen der Schaden wegen des erheblich höheren Wertes der vom Arbeitgeber eingesetzten Betriebsmittel für den Arbeitnehmer zu unzumutbaren Haftungssummen führen. Insoweit besteht wegen der von Anfang an vorhandenen Regelungslücke im BGB eine offensichtliche Fehlentwicklung, die nicht hinzunehmen ist. Nicht nur durch die Eigenart der Arbeit, sondern auch durch die Erhöhung des Wertes der Betriebsmittel ist der Arbeitnehmer in der heutigen Arbeitswelt einem sehr viel höheren, teilweise existenzbedrohenden Schadensrisiko ausgesetzt.
b) Bisher ist es trotz verschiedener Planungen weder zu einer gesetzlichen Regelung der Arbeitnehmerhaftung gekommen, noch ist diese Frage zur Zeit Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens. Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerhaftung, eingebracht von Abgeordneten der Fraktion der SPD (BT-Drucks. 11/5086 vom 21. August 1989), galt am Ende der Wahlperiode des 11. Deutschen Bundestages als erledigt (vgl. § 125 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung vom 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2442). Art. 30 Abs. 1 Nr. 1 des Einigungsvertrags, der es als Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers bezeichnet, das Arbeitsvertragsrecht "möglichst bald einheitlich neu zu kodifizieren", läßt in Bezug auf die Arbeitnehmerhaftung keinen Plan des Gesetzgebers zur Neuregelung erkennen. Eine Anfrage des Vorsitzenden des Großen Senats vom 29. Januar 1992 an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, ob in absehbarer Zeit mit einer Initiative zur Regelung des Arbeitnehmerhaftungsrechts zu rechnen sei, blieb unbeantwortet.
II. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts ist der Auffassung, daß bei allen im Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer verursachten Schäden, die bei betrieblich veranlaßten Tätigkeiten entstehen, eine Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung geboten ist. Diese Auffassung wird - mit unterschiedlicher Begründung - auch im Schrifttum nahezu übereinstimmend vertreten (vgl. Gamillscheg/Hanau, Die Haftung des Arbeitnehmers, 2. Aufl. 1974, S. 121, 122; Brox, Anm. zu AP Nr. 82 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; Mayer-Maly, Festschrift für Hilger/Stumpf, S. 467 ff.; Kohte, BB 1983, 1603, 1608; Naendrup, JuS 1984, 336, 339; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 402 ff., 408; Reinhardt, Die dogmatische Begründung der Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers, 1977, S. 210; Gick, JuS 1980, 393, 401; Otto, Gutachten zum 56. Deutschen Juristentag, Berlin 1986, S. E 52 ff.; von Hoyningen-Huene, BB 1989, 1889, 1894 f.; aus den Stellungnahmen zum Vorlagebeschluß des Achten Senats: Arens, BB 1990, 67 ff.; Brox, SAE 1990, 100 ff.; Biebrach-Nagel, ZTR 1990, 234, 236; Löwisch, EWiR 1990, 31 f.; Rieble, Anm. zu BAG EzA § 611 BGB Gefahrgeneigte Arbeit Nr. 23; Slapnicar/Reuter, AuR 1992, 33 ff.; Schalt, MDR 1992, 12, 15; Wohlgemuth, DB 1991, 910).
1. Gemäß § 254 BGB hängt die Verpflichtung zum Schadenersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.
ber den Wortlaut des § 254 BGB hinaus, daß der Geschädigte bei der Entstehung des Schadens selbst mitgewirkt hat, wird diese Vorschrift auch dann angewandt, wenn der Geschädigte für den entstandenen Schaden aufgrund einer von ihm zu vertretenden Sach- oder Betriebsgefahr mitverantwortlich ist, wenn er also bei der Entstehung des Schadens in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. Dabei ist anerkannt, daß sich eine nach Abwägung der Umstände im Einzelfall abgestimmte Schadensteilung zwischen der vollen Haftung des Schädigers und seiner vollen Entlastung bewegen kann (vgl. BGHZ 52, 166, 168; 63, 189, 194).
2. Diese Rechtsgrundsätze gelten auch im Arbeitsverhältnis bei der Arbeitnehmerhaftung. Das Bundesarbeitsgericht geht - allerdings unter der weiteren Voraussetzung des Vorliegens einer gefahrgeneigten Tätigkeit - in ständiger Rechtsprechung (vgl. BAG GS Beschluß vom 25. September 1957, aaO; BAG Urteile vom 28. April 1970 - 1 AZR 146/69 -; 7. Juli 1970 - 1 AZR 505/69 -; 3. November 1970 - 1 AZR 228/70 - AP Nr. 55, 58 und 61 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAGE 33, 108 und 59, 203 = AP Nr. 6 und 7 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers; zuletzt BAGE 57, 47 und 63, 127 = AP Nr. 92 und 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) davon aus, daß auf seiten des Arbeitgebers das Betriebsrisiko zu berücksichtigen ist. Der Arbeitgeber kann Schäden, die das Betriebsrisiko mit sich bringt, nicht ohne weiteres auf den Arbeitnehmer abwälzen, weil er ihn mit der Verrichtung einer im Interesse des Betriebs zu leistenden Arbeit beauftragt hat. Da der Arbeitgeber die Erfolge des betrieblichen Geschehens für sich in Anspruch nimmt, muß er für die mit dem betrieblichen Geschehen verbundenen Risiken einstehen. Das Betriebsrisiko weist auf die Gefährlichkeit z.B. der Produktionsanlagen, der Produktion selbst oder der hergestellten Produkte hin und erfaßt damit nur einen Teilbereich betrieblicher Schadensquellen.
3. Darüber hinaus ergibt sich der Zurechnungs- und damit Haftungs- bzw. Mithaftungsgrund des Arbeitgebers im Rahmen des § 254 BGB aus seiner tatsächlichen Organisations- und Personalhoheit und der rechtlichen Gestaltung der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers, die es rechtfertigen, dem Arbeitgeber auch das Organisationsrisiko als Element des allgemeinen Unternehmensrisikos aufzubürden. Der Arbeitgeber stellt den Betrieb mit der von ihm vorgegebenen Organisation zur Verfügung. Damit kann er den Arbeitsprozeß organisatorisch und technisch steuern. In diesen Betrieb wird der Arbeitnehmer eingegliedert, um allein oder zusammen mit den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Der Arbeitgeber kann den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs eigenverantwortlich bestimmen, die Betriebsorganisation nach seinen Plänen und Bedürfnissen gestalten und auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers einwirken. Mit der Eingliederung in die Betriebsorganisation und die faktischen Gegebenheiten des Arbeitsprozesses (z. B. der Art der vorhandenen, oft besonders wertvollen technischen Anlagen, der Ausgestaltung der Arbeitsorganisation und des Produktionsverfahrens mit qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Arbeitsprodukte) wird die Berufsausübung des Arbeitnehmers gesteuert. Der Arbeitnehmer kann diesen vorgegebenen Arbeitsbedingungen weder tatsächlich noch rechtlich ausweichen. Aufgrund des Weisungsrechts bestimmt der Arbeitgeber die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung in gegenständlicher Hinsicht. Er kann maßgeblich auf die Modalitäten der Arbeitsleistung (z. B. durch organisatorische oder technische Maßnahmen) Einfluß nehmen. Auch die zeitliche Komponente der Arbeitsleistung kann er im Rahmen der zulässigen Höchstgrenzen maßgebend gestalten. Schließlich kann er auch den Ort der Arbeitsleistung nach Maßgabe der arbeitsvertraglichen Regelung festlegen. Damit bestimmt die vom Arbeitgeber gesetzte Organisation des Betriebs das Haftungsrisiko für den Arbeitnehmer. Kraft seiner Organisationsgewalt kann der Arbeitgeber Bedingungen für Schadensrisiken schaffen, beibehalten oder verändern, z. B. Gefahrenmomenten entgegenwirken durch Veränderung des Arbeitsablaufs, bessere Überwachung, Sicherheitsvorkehrungen oder sonstige plankonforme Risikoabsicherung, wie den Abschluß einer Versicherung.
Bei einer solchen vom Arbeitgeber geschaffenen Risikolage muß er sich selbst Schadensrisiken im Rahmen des § 254 BGB zurechnen lassen und kann sie nicht oder nicht allein seinem Arbeitnehmer aufbürden, auch wenn diesen ein Verschulden an der Schadensverursachung trifft.
III. Der Schutzumfang der Regelung des § 254 BGB im Arbeitsverhältnis wird auch durch verfassungsrechtliche Gewährleistungen aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG beeinflußt.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts, also auch für das Zivilrecht gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung und Rechtsprechung gibt. Keine bürgerlichrechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu den Prinzipien stehen, die in den Grundrechten zum Ausdruck kommen. Das gilt vor allem für diejenigen Vorschriften des Privatrechts, die zwingendes Recht enthalten und damit der Privatautonomie Schranken setzen (BVerfGE 7, 198, 205 f.; 35, 79, 114; 39, 1 ff.; 81, 242, 254).
2. Die gesetzliche Regelung des § 254 BGB gibt allerdings keinen Hinweis darauf, daß sie in die Grundrechte von Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG eingreift oder den Grundrechtsschutz sichert. Jedoch kann der Schutzumfang, den diese Grundrechte sichern wollen, auch durch Vorschriften berührt werden, die mit der Ausübung eines Berufs in innerem Zusammenhang stehen und eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen (vgl. BVerfGE 13, 181, 185 f.; 37, 121, 131; 38, 61, 79; 50, 290, 361 ff.; 52, 42, 54). Diese Voraussetzungen liegen hier deshalb vor, weil je nach rechtlicher Ausgestaltung des Arbeitnehmerhaftungsrechts in die wirtschaftliche Handlungs- und Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers, die Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers sowie die Berufsausübung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer tendenziell eingegriffen wird. Haftet der Arbeitnehmer für von ihm zu vertretende Schäden, so wirkt sich dies auf die Entfaltung seiner Persönlichkeit aus und berührt seine Berufsausübung. Haftet der Arbeitgeber ganz oder teilweise, so greift dies in seine wirtschaftliche Handlungs- und Betätigungsfreiheit und die Berufsausübung ein.
3. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinn (vgl. BVerfGE 6, 32 f.). Sie umfaßt einmal die Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung als Arbeitgeber und gibt damit zugleich einen angemessenen Spielraum zur Entfaltung der Unternehmerinitiative (BVerfGE 65, 196, 210; 73, 261, 270), zum anderen schützt dieses Grundrecht das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 65, 1) und damit die Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, die gerade im Hinblick auf die moderne Entwicklung im Arbeitsleben und die damit verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit an Bedeutung gewinnt. Die berufliche Tätigkeit, für die Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG den erforderlichen Freiraum sowohl für den Arbeitgeber wie den Arbeitnehmer gewährleistet, dient nicht nur der persönlichen Entfaltung des arbeitenden Menschen in der Gesellschaft, sondern gewährleistet den auf die Verwertung ihrer Arbeitskraft angewiesenen Bürgern die Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu schaffen (vgl. BVerfGE 50, 290, 362; 81, 242, 254). Im Rahmen des Arbeitsrechts geschieht dies typischerweise durch Verträge, in denen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer wechselseitig in ihrer beruflichen Handlungsfreiheit beschränken, und zwar im Austausch ausbedungener Gegenleistung. Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG schützt damit sowohl die Berufsausübung des Arbeitgebers wie auch diejenige des Arbeitnehmers hinsichtlich der freien Entfaltung der individuellen Erwerbs- und Leistungsfähigkeit (BVerfGE 84, 133, 157).
4. Ausgehend von dieser verfassungsrechtlichen Grundlage stellt eine unbeschränkte Schadenshaftung des Arbeitnehmers einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Arbeitnehmers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und in sein Recht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) dar.
a) Die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, die Berufsausübung zu gewährleisten, stellt einen wesentlichen Teil der Verwirklichung des Persönlichkeitsrechts dar (vgl. BVerfGE 30, 292, 334) und bewirkt in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG die Sicherung des allgemeinen Lebensbedarfs und des Existenzminimums (vgl. BVerfGE 82, 60, 85) als Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein. Aufgrund der Wertordnung dieser grundrechtlichen Schutzgüter ist eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Berufsausübung dann anzunehmen, wenn es im Arbeitsverhältnis durch allgemeine betrieblich bedingte Schadensrisiken zu unzumutbaren finanziellen Belastungen oder gar zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers kommen kann. Dies ist im Arbeitsverhältnis der Fall, wenn der Arbeitnehmer für jeden auch nur leicht fahrlässig verursachten Schaden unbeschränkt haften müßte. Der Arbeitnehmer ist durch die Organisation der Arbeit sowohl hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Gestaltung der Tätigkeit als auch durch die Eingliederung in die Betriebsorganisation Risiken ausgesetzt, denen er nicht ausweichen kann. Diese vom Arbeitgeber geschaffenen Bedingungen und der Wert der vom Arbeitgeber eingesetzten Betriebsmittel bestimmen Maß und Umfang der Haftungsrisiken des Arbeitnehmers (vgl. dazu oben II 3). Bei einer solchen weitgehenden Fremdbestimmtheit der Arbeit sind grundrechtliche Schutzgüter des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wenn das Arbeitseinkommen in einem erheblichen Mißverhältnis zur Höhe des zu ersetzenden Schadens steht oder wenn die Ersatzpflicht des Arbeitnehmers zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führt. Eine solche übermäßige und damit unverhältnismäßige finanzielle Belastung des Arbeitnehmers stellt eine nicht hinzunehmende Störung des Äquivalenzverhältnisses zwischen Arbeitsentgelt und zu ersetzendem Schaden dar. Sie zwingt den Arbeitnehmer und seine Familie, auf längere oder gar unabsehbare Zeit mit dem durch die Pfändungsfreigrenze bestimmten Existenzminimum zu leben, was in letzter Konsequenz dazu führen kann, daß dem Arbeitnehmer jeder Anreiz für eine weitere Berufsausübung genommen wird, weil sie ihm nutzlos erscheint.
b) Demgegenüber werden Grundrechtspositionen des Arbeitgebers durch die Aufbürdung von Haftungsrisiken in dem hier in Rede stehenden Umfang nicht unangemessen berührt. Der Arbeitgeber muß sich Beschränkungen seiner grundrechtlich geschützten wirtschaftlichen Handlungs- und Betätigungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und seiner Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) gefallen lassen, weil er die Arbeits- und Betriebsbedingungen selbst eigenverantwortlich setzt und dadurch Schadensrisiken des Arbeitnehmers mitzuverantworten hat (vgl. II 3 der Gründe). Unter diesen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen fehlt es am Kräftegleichgewicht der Arbeitsvertragsparteien, so daß durch die Regelung des § 254 BGB ein sachgerechter Ausgleich der Interessen durch Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung des Arbeitgebers zu gewähren ist.
Die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter des Betriebs muß gegenüber der Erwerbs- und Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers zurücktreten, wenn dies zur existentiellen Sicherung des Arbeitnehmers erforderlich ist. Daher ist die Zurechnung der durch den Arbeitgeber eigenverantwortlich geschaffenen Risikolage als eine sozialadäquate Ausgestaltung der wirtschaftlichen Handlungs- und Betätigungsfreiheit und der Berufsausübung des Arbeitgebers anzusehen.
c) Eine solche Zurechnung ist im Hinblick auf die zugunsten des Arbeitgebers in Frage stehenden verfassungsrechtlichen Rechtspositionen nicht unzumutbar. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Arbeitgeber der Schaden zugerechnet wird, richtet sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalles hinsichtlich Schadensanlaß und Schadensfolgen.
Darüber hinaus sind im Rahmen des § 254 BGB bei Abwägung der Umstände des Einzelfalls die von der Rechtsprechung bisher genannten Gesichtspunkte (vgl. BAGE 5, 1, 7 = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO, zu III 1 der Gründe; BAGE 57, 47, 54 = AP Nr. 92 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu III 2 b dd der Gründe) zu berücksichtigen, soweit sie aus dem Arbeitsverhältnis begründet sind. Dazu gehören zum Beispiel die Gefahrgeneigtheit der Tätigkeit, ein vom Arbeitgeber einkalkulierbares und durch Versicherung deckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, die Höhe des Arbeitsentgelts, persönliche Umstände des Arbeitnehmers, wie etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse sowie das bisherige arbeitsvertragliche Verhalten des Arbeitnehmers.
5. Um den Arbeitgeber nicht mit dem allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers zu belasten, muß die Tätigkeit, die zu dem Schaden geführt hat, aufgrund des Arbeitsverhältnisses betrieblich veranlaßt sein. Betrieblich veranlaßt sind dabei solche Tätigkeiten des Arbeitnehmers, die ihm für den Betrieb übertragen worden sind oder die er im Interesse des Betriebs ausführt, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen und in diesem Sinne betrieblich veranlaßt sind (vgl. BAGE 19, 41 = AP Nr. 1 zu § 637 RVO; BAG Urteil vom 14. März 1974 - 2 AZR 155/73 - AP Nr. 8 zu § 637 RVO; BGH Urteil vom 2. März 1971 - VI ZR 146/69 - AP Nr. 6 zu § 637 RVO).
IV. Mit dieser Rechtsauffassung weicht der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, nach der die gefahrgeneigte Tätigkeit konstitutive Voraussetzung für die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung ist.
1. Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 10. Januar 1955 (- III ZR 153/53 - AP Nr. 1 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers = BGHZ 16, 111) erstmals eine Haftungsminderung für den Arbeitnehmer bei gefahrgeneigter Arbeit anerkannt. Im Urteil vom 1. April 1958 (- VI ZR 60/57 - BGHZ 27, 62, 65) hat sich der Bundesgerichtshof den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts im Beschluß vom 25. September 1957 (BAGE 5, 1) aufgestellten Grundsätzen zur Haftungsbeschränkung bei gefahrgeneigter Arbeit angeschlossen. In der Folgezeit hat der Bundesgerichtshof an diesen Grundsätzen festgehalten (vgl. BGH Urteile vom 12. Mai 1959 - VI ZR 55/58 - NJW 1959, 2205; vom 7. Oktober 1969 - VI ZR 223/67 - LM Nr. 29 zu § 611 BGB; vom 8. Dezember 1971 - IV ZR 102/70 - NJW 1972, 440; vom 24. November 1975 - II ZR 53/74 - BGHZ 66, 1).
2. Damit sind die Voraussetzungen für eine Divergenz im Sinne von § 2 Abs. 1 RsprEinhG gegeben. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts weicht mit der aufgezeigten Rechtsauffassung in derselben Rechtsfrage von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, so daß die Sache dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung vorzulegen war.
Dr. Kissel Dr. Thomas Dr. Jobs
Hillebrecht Dr. Seidensticker Michels-Holl
Dr. Freitag Dörner Griebeling
Bundesrichter Dr. Etzel
ist an das Landesarbeitsgericht
Chemnitz abgeordnet und an der
Unterschrift gehindert.
Dr. Kissel Gnade Mager
Kehrmann Dr. Giese Weinmann
Dr. Wohlgemuth
Fundstellen
BAGE 70, 337-347 (LT1-2) |
BB 1993, 1009-1012 (LT1-2) |
DB 1993, 939-941 (LT1-2) |
EBE/BAG 1993, 74-76 (LT1-2) |
BetrR 1994, 47-49 (ST1) |
NZA 1993, 547-550 (LT1-2) |
SAE 1994, 89-93 (LT1-2) |
ZIP 1993, 699 |
AP § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (LT1-2), Nr 102 |
AR-Blattei, ES 870 Nr 127 (LT1-2) |
ArbuR 1993, 260-262 (LT1-2) |
EzA § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung, Nr 58 (LT1-2) |