Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die für die Beteiligung eines stillen Gesellschafters an einer Personengesellschaft geltende Begrenzung seines Gewinnanteils auf einen Vomhundertsatz seiner Einlage (vgl. BFH-Urteil vom 14. Februar 1973 I R 131/70, BFHE 108, 527, BStBl II 1973, 395) auch dann anzuwenden ist, wenn unter dem Gesichtspunkt der verdeckten Gewinnausschüttung die Angemessenheit des Gewinnanteils eines stillen Gesellschafters einer GmbH, der zugleich an deren Stammkapital beteiligt ist, zu prüfen ist.
Normenkette
EStG § 12; KStG § 6 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 1. (Antragstellerin) – eine GmbH – betreibt einen Bagger- und Raupen-Reparaturbetrieb. An ihrem Stammkapital in Höhe von 20 000 DM waren im Streitjahr 1969 ihr Geschäftsführer W zu 90 v. H. und eine weitere – inzwischen verstorbene – Gesellschafterin zu 10 v. H. beteiligt. Durch Vertrag vom 26. August 1968 beteiligte sich W außerdem als stiller Gesellschafter an der GmbH mit einer Einlage von 40 000 DM und einer Gewinnbeteiligung von 40 v. H. des Steuerbilanzgewinns. Die Einlage wurde vereinbarungsgemäß aus Gewinnausschüttungen an den Gesellschafter-Geschäftsführer erbracht.
Bei ihrer Gewinnermittlung 1969 setzte die Antragstellerin einen Steuerbilanzgewinn (nach Abzug der persönlichen Steuern) von 24 541 DM an. Als Gewinnanteil des stillen Gesellschafters war ein Betrag von 47 197 DM abgesetzt. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer zu 2. (das Finanzamt – FA –) sah bei der Veranlagung (Körperschaftsteuerbescheid vom 23. September 1971) nur einen Betrag von 34 969 DM als angemessen an. In dem darüber hinausgehenden Betrag von 12 228 DM erblickte das FA eine verdeckte Gewinnausschüttung. Es beriet sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Juli 1969 I R 188/67 (BFHE 96, 397, BStBl II 1969, 690), vertrat die Auffassung, daß bei der Ermittlung des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters vom erklärten Steuerbilanzgewinn auszugeben sei und gelangte zu folgender Berechnung:
Erklärter Steuerbilanzgewinn |
24 540 DM |
% |
Mehrrückstellung an Körperschaftsteuer und Ergänzungsabgabe aufgrund der verdeckten Gewinnausschüttung |
6 171 DM |
+ |
stille Beteiligung lt. Verlust- und Gewinnrechnung |
47 197DM |
|
verteilbarer Gewinn |
65 566 DM. |
Vorweganteil der Antragstellerin (20 v. H.) |
13 113DM |
nach Kapitalanteilen aufzuteilender Gewinn |
52 453 DM |
davon erhalten |
a) |
die Antragstellerin ⅓ |
17 484 DM |
b) |
der stille Gesellschafter ⅔ |
34 969 DM. |
In der Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 1972 verböserte das FA den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid in der Weise, daß nunmehr nur noch ein Betrag von 8 000 DM (= 20 v. H. der Einlage) als angemessener Gewinnanteil des stillen Gesellschafters anerkannt wurde. Die Körperschaftsteuer 1969 erhöhte sich dadurch auf 45 300 DM, die Ergänzungsabgabe auf 1 359 DM.
Hiergegen erhob die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) Klage, über die noch nicht entschieden ist. Sie trug zur Begründung im wesentlichen vor: Die starre Verzinsung einer stillen Beteiligung widerspreche der Rechtsprechung des BFH, wie sie im Urteil I R 188/67 und im Beschluß vom 26. Mai 1971 IV R 11/70 (BFHE 102, 279, BStBl II 1971, 557) zum Ausdruck komme. Die zwischen ihr und dem Gesellschafter-Geschäftsführer vereinbarte Gewinnverteilung müsse als angemessen betrachtet werden, weil sie auch unter Fremden denkbar sei. Auch habe das FA der Berechnung des Gewinnanteils einen falschen Ausgangswert zugrunde gelegt. Allein richtiger Ausgangspunkt sei der Betrag, der der Besteuerung unterworfen werde, denn es sei nicht einzusehen, daß der stille Gesellschafter die Körperschaftsteuer der Unternehmung mittragen müsse.
Das FA setzte – nach Widerruf einer früheren, weitergehenden Aussetzungsanordnung – die Vollziehung des angefochtenen Bescheids hinsichtlich eines Teilbetrags der streitigen Summe in Höhe von 1 960 DM Körperschaftsteuer und 60 DM Ergänzungsabgabe aus. Zur Begründung berief sich das FA auf das inzwischen ergangene BFH-Urteil vom 14. Februar 1973 I R 131/70 (BFHE 108, 527, BStBl II 1973, 395). Danach sei eine Rendite von 25 v. H. (höchstens 30 v. H.) der Kapitaleinlage als angemessener Gewinnanteil zu betrachten. Die Beschwerde an die Oberfinanzdirektion (OFD) hatte keinen Erfolg. Klage gegen die Beschwerdeentscheidung wurde nicht erhoben.
Dagegen wandte sich die Antragstellerin nunmehr mit einem Aussetzungsantrag an das FG. Dieses hielt in Höhe von weiteren 11 250 DM Körperschaftsteuer und weiteren 337 DM Ergänzungsabgabe den Antrag für begründet und setzte die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheids vom 23. September 1971 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 1972 in Höhe von insgesamt 13 210 DM Körperschaftsteuer und 397 DM Ergänzungsabgabe aus. Das FG legte dabei den Körperschaftsteuerbescheid 1969 vom 23. September 1971 zugrunde. Die Grundsätze des BFH-Urteils I R 131/70, die für die Beteiligung an Familiengesellschaften entwickelt worden seien, seien bei der Beurteilung, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Gesellschafter vorliege, nicht anzuwenden. Die Entscheidung beziehe sich nicht auf eine stille Gesellschaft mit Verlustbeteiligung. Außerdem habe der BFH in der Entscheidung I R 131/70 ausdrücklich am Urteil I R 188/67 festgehalten.
Mit ihrer Beschwerde beantragt die Antragstellerin, den Körperschaftsteuerbescheid vom 23. September 1971 in voller Höhe der streitigen Beträge auszusetzen, da das FG bei der Berechnung des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters von der falschen Annahme ausgegangen sei, Ausgangsbetrag für die Errechnung des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters sei der Steuerbilanzgewinn nach Abzug der persönlichen Steuerbelastung. Sie nahm auf das BFH-Urteil vom 14. August 1974 I R 35/74 (BFHE 113, 298, BStBl II 1974, 774) Bezug.
Das FA beantragt mit seiner Beschwerde, den Beschluß des FG aufzuheben, hilfsweise, die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheids 1969 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 1972 in Höhe von 5 270 DM Körperschaftsteuer und 159 DM Ergänzungsabgabe bis einen Monat nach der Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen. Es hält nach wie vor daran fest, daß die vom BFH für die Beteiligung an Familiengesellschaften aufgestellten Grundsätze auch für den vorliegenden Fall Anwendung linden müßten. Den Hilfsantrag stützt das FA darauf, daß mindestens ein Vorabgewinn der Antragstellerin von 50 v. H. anzusetzen sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist in vollem Umfang begründet, die des FA dagegen – sowohl hinsichtlich des Haupt- wie des Hilfsantrags – aus den gleichen Erwägungen unbegründet.
1. Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 FGO sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182).
2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheids und der Einspruchsentscheidung ergeben sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.
a) Das FG hat die Frage aufgeworfen, ob die Grundsätze, die nach der Rechtsprechung des BFH für die Beteiligung an Familienpersonengesellschaften gelten (vgl. vor allem BFH-Beschluß vom 29. Mai 1972 GrS 4/71, BFHE 106, 504, BStBl II 1973, 5; BFH-Urteile I R 131/70 und vom 29. März 1973 IV R 56/70, BFHE 109, 328, BStBl II 1973, 650) und die Angemessenheit der Gewinnverteilungsabrede auf einen bestimmten Vomhundertsatz des Werts der Einlage begrenzen, auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden seien. Die Vorinstanz hat dies – im Ergebnis zu Recht – als ernstlich zweifelhaft angesehen. Rechtsgrundlage für die Rechtsprechung des BFH zur Beteiligung an Familiengesellschaften ist insbesondere § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Demgegenüber ist bei der Prüfung des Vorliegens einer verdeckten Gewinnausschüttung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 KStG) im Streitfall darauf abzustellen, ob die Antragstellerin ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zugewendet hat, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter „unter sonst gleichen Umständen” nicht gewährt hätte (vgl. BFH-Urteil I R 188/67; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats). Was unter „sonst gleichen Umständen” zu verstehen ist, kann nicht verallgemeinernd, sondern nur nach den jeweiligen Verhältnissen des einzelnen Falles bestimmt werden. Es ist mindestens ernstlich zweifelhaft, ob sich die Rechtsprechung des BFH zur Beteiligung an Familiengesellschaften, die die Angemessenheit einer Beteiligung auf einen bestimmten Hundertsatz des Werts der Einlage begrenzt und damit einer typisierenden Betrachtung folgt, mit der bei der Prüfung einer verdeckten Gewinnausschüttung gebotenen Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles verträgt. Der Senat braucht dies im Aussetzungsverfahren nicht abschließend zu entscheiden.
b) Andererseits hat die Vorinstanz die im Körperschaftsteuerbescheid vom FA vertretene Rechtsauffassung insofern gebilligt, als sie als Ausgangsgröße für die Berechnung des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters den Steuerbilanzgewinn nach Abzug der erforderlichen Rückstellungen für die persönlichen Steuern der Antragstellerin angesehen hat. Diese Annahme des FG ist ernstlich zweifelhaft. Die Antragstellerin verweist zu Recht auf das Urteil des erkennenden Senats I R 35/74. Ist für die Berechnung des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft die Maßgeblichkeit der Steuerbilanz vereinbart, so bedarf es der Auslegung im Einzelfall, ob damit die Steuerbilanz der Kapitalgesellschaft vor oder nach Abzug der Körperschaftsteuer und der Vermögensteuer gemeint ist. Dabei kommt der ständigen Übung der Vertragsparteien eine entscheidende Bedeutung zu.
Im Streitfall hat die Antragstellerin von Anfang an vorgetragen, daß unter Steuerbilanzgewinn die Rechnungsgröße vor Abzug der persönlichen Steuerbelastung gemeint gewesen sei und daß die Beteiligten die Berechnung des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters auch danach gehandhabt hätten. Dieses Vorbringen erhält Gewicht durch einen Aktenvermerk des FA vom 6. Januar 1972 (Körperschaftsteuerakten Bd. II Bl. 21/71), nach dem der Gewinnanteil des stillen Gesellschafters in Höhe von 47 197 DM auf der Grundlage eines „steuerpflichtigen Gewinns bei zu versteuerndem Einkommen lt. Erklärung” von 53 262 DM berechnet worden sei. Diese Berechnung würde die Rechtsauffassung der Antragstellerin bestätigen.
c) Der Senat verkennt nicht, daß es andererseits erheblichen Bedenken begegnen muß, wenn im Streitfall der Gewinnanteil des stillen Gesellschafters im Streitjahr mehr als 100 v, H. seiner Einlage betragen hat. Möglicherweise wird daher im Hauptverfahren vor allem zu prüfen sein, ob der Gewinnanteil des stillen Gesellschafters im Hinblick auf Kapitaleinsatz, Arbeitseinsatz und Risikobereitschaft der Antragstellerin einerseits und des stillen Gesellschafters andererseits ausgewogen ist. Die hierfür in Betracht kommenden Umstände kann der Senat jedoch im Aussetzungsverfahren auch nicht überschlägig beurteilen. Er hält daher ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Körperschaftsteuerbescheids im gesamten Umfang, in dem dieser angefochten wurde, für begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 514569 |
BFHE 1976, 348 |