Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH: Zumutbare Mitwirkung des Haftenden an der Sachaufklärung
Leitsatz (NV)
Dem Geschäftsführer einer GmbH ist es trotz der grundsätzlich für das FA und das FG bestehenden Pflicht zur Sachaufklärungspflicht zuzumuten, die zur Beurteilung einer Minderung der Haftungssumme für USt- und KSt-Schulden einer GmbH aufgrund der Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Gläubigerbefriedigung notwendigen Unterlagen bei der Bank, dem Steuerberater oder aus den (ehemaligen) Geschäftsräumen der von ihm (früher) vertretenen GmbH zu beschaffen und diese auszuwerten.
Normenkette
AO 1977 § 34 Abs. 1, § 69; FGO § 142; ZPO § 114
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren gegen die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für Umsatzsteuer, eine Körperschaftsteuervorauszahlung und steuerliche Nebenleistungen aus 1992 bis 1993 einer GmbH.
Der Antragsteller war alleiniger Gesellschafter/Geschäftsführer einer GmbH, die dem Beklagten (Finanzamt ―FA―) Umsatzsteuer für die Monate Dezember 1992, Februar bis Juni 1993 und August/ September 1993 sowie eine Körperschaftsteuervorauszahlung für das vierte Kalendervierteljahr 1993 zzgl. Nebenleistungen hierzu schuldete.
Im Juli 1993 hatte das FA vier in den Geschäftsräumen der GmbH befindliche Kfz gepfändet. Nach einem vergeblichen Versuch, die Kfz abzuholen, hat das FA im Jahre 1994 die Pfandfreigabe erklärt, weil der Vermieter wegen der seit April 1992 auf inzwischen ca. 100 000 DM angelaufenen Mietschulden ein Vermieterpfandrecht geltend gemacht hatte. Der Vermieter versteigerte die Kfz und behielt den Erlös.
Der am 22. November 1993 gestellte Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens führte am 18. Januar 1994 zu einem allgemeinen Verfügungsverbot und am 11. April 1994 zur Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse.
Mit Haftungsbescheid vom 24. März 1994 nahm das FA den Antragsteller für die im Bescheid näher bezeichnete rückständige Umsatzsteuer, Körperschaftsteuervorauszahlung IV/1993, sowie die hierzu angefallenen Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge aufgrund der §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung. In der Einspruchsentscheidung wurde die Haftungssumme wegen zwischenzeitlich erfolgter Gutbuchungen für die GmbH von 122 351,19 DM auf 70 501,89 DM herabgesetzt. Gegen den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung hat der Antragsteller Klage erhoben und gleichzeitig die Gewährung von PKH beantragt.
Die PKH wurde dem Antragsteller durch Beschluss des Finanzgerichts (FG) verwehrt, weil dem Klageverfahren die hinreichende Aussicht auf Erfolg fehle. Der Haftungsbescheid sei nicht nichtig, denn der Haftungsanspruch sei durch die Angabe der Steuerschulden und Nebenleistungen nach Art, Höhe und Erhebungszeitraum im Haftungsbescheid sowie in der Einspruchsentscheidung hinreichend bestimmt. Die Einspruchsentscheidung enthalte auch den Grund für die Minderung der Haftungssumme im Einspruchsverfahren. Der Haftungsbescheid sei auch nicht rechtswidrig. Der Antragsteller habe schuldhaft die ihm nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 obliegende Pflicht verletzt, die ihm bekannten Umsatzsteuern und die Körperschaftsteuervorauszahlung für IV/1993 zu entrichten. Er habe trotz Aufforderung zur Mitwirkung Gründe, die zu einer Haftungsminderung hätten führen können, nicht hinreichend glaubhaft gemacht; nämlich dass und in welchem Umfang die GmbH sich in Zahlungsschwierigkeiten befunden und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er die Grundsätze der anteiligen Tilgung beachtet habe. Unterlagen hierzu habe der Antragsteller nicht vorgelegt, so dass das FA nicht in der Lage gewesen sei, selbst diesbezügliche Feststellungen zu treffen. Das gelte auch für das gerichtliche Verfahren. Der Einwand des Antragstellers, er könne die erforderlichen Unterlagen nicht vorlegen, weil sie sich nicht in seinem Besitz befänden, greife nicht durch, weil der Antragsteller spätestens nach Beendigung der Tätigkeit des Sequesters in der Lage gewesen wäre, sich diese Unterlagen zu verschaffen und zumindest durch deren Vorlage seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen.
Das FA treffe auch nicht deshalb, weil es die gepfändeten Kfz nicht rechtzeitig abgeholt und verwertet habe, ein mitwirkendes Verschulden an dem Steuerausfall. Die Kfz hätten sich im Zeitpunkt der Pfändung zwar in Gewahrsam der GmbH befunden, so dass sie zulässig gepfändet werden konnten (§ 808 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―). Bei der Verwertung hätte dem Antragsteller jedoch ein Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung zugestanden, da er als Eigentümer der Fahrzeuge hinsichtlich des Erlöses bevorrechtigt gewesen wäre.
Die Inanspruchnahme für die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer sei gemäß § 69 Satz 2 AO 1977 gerechtfertigt; deren Berechnung bis zum 30. Dezember 1993 ―d.h. bis zum Eintritt des allgemeinen Verfügungsverbotes― sei nicht zu beanstanden.
Die hilfsweise vom Kläger erklärte Aufrechnung mit einem vermeintlichen Schadensersatzanspruch gegen das FA wegen der angeblich schuldhaft nicht durchgeführten Verwertung der Fahrzeuge könne schon deshalb keinen Erfolg haben, weil erst während des Klageverfahrens gegen den Haftungsbescheid erbrachte Tilgungsleistungen auf die Haftungsschuld die Wirksamkeit des Haftungsbescheides nicht berührten und weil eine Aufrechnung gegenüber Steueransprüchen nach § 226 Abs. 3 AO 1977 nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen zulässig sei.
Mit der gegen den Beschluss des FG erhobenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Gewährung von PKH für das Klageverfahren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― (BGBl I 2000, 1757) i.V.m. §§ 128 Abs. 1 und 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F. zulässig, aber unbegründet.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet ―wie das FG zutreffend erkannt hat― keine Aussicht auf Erfolg (§ 142 FGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO). Der Haftungsbescheid erweist sich bei der in diesem Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig. Der Senat hält die Ausführungen des FG dazu, dass der Haftungsbescheid weder nichtig noch aus formellen Gründen rechtswidrig ist, ebenso wie zur Frage der schuldhaften Pflichtverletzung im Hinblick auf die Nichtzahlung der fällig gewordenen Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer für den Vorauszahlungszeitraum IV/1993 sowie der hierzu entstandenen Nebenleistungen für zutreffend und nimmt auf sie Bezug (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Auch die Ausführungen des FG zur Frage einer möglichen Minderung der Haftungssumme aus Gründen der Illiquidität der GmbH zu den Fälligkeitszeitpunkten der geschuldeten Umsatzsteuer/Körperschaftsteuervorauszahlung insofern, als der Antragsteller den Grundsatz der anteiligen Gläubigerbefriedigung während des Haftungszeitraumes beachtet hat, sind nicht zu beanstanden. Denn der Antragsteller wäre trotz der grundsätzlich für das FA und das FG bestehenden Pflicht zur Sachaufklärung hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zu den Fälligkeitszeitpunkten verpflichtet gewesen, im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht, die geforderten Daten zur Mittelverwendung während des Haftungzeitraumes, dem Bestand an Eigen- und Fremdkapital der GmbH, sowie zu Art und Umfang der Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge, insbesondere insoweit als die Zahlungen zur Gläubigerbefriedigung gedient haben, beizubringen. Dass dem Antragsteller diese Mitwirkung entgegen seiner Behauptung auch nicht gänzlich unmöglich gewesen sein kann, ergibt sich aus der Mitteilung des Sequesters, der überhaupt keine Konten und Buchführungsunterlagen der GmbH an sich genommen und bereits am 28. Februar 1994 die Schlüssel für sämtliche von der GmbH gemieteten Geschäftsräume an den Antragsteller zurückgegeben hat, sowie einem Schreiben des Steuerberaters G, wonach dieser die Kontenbücher der GmbH für die Jahre 1991, 1992 und 1993 von der den Antragsteller zuvor beratenden Steuerberatungskanzlei erhalten habe. Diesen Widerspruch zu der Behauptung des Antragstellers, er wisse nicht, wo sich die Unterlagen befunden hätten und befänden und er hätte keinerlei Zugriff darauf, aufzuklären, ist nicht Aufgabe des hier zu beurteilenden summarischen Verfahrens, in dem eine Entscheidung anhand der präsenten Beweismittel nach Aktenlage zu treffen und die Erhebung eines Zeugenbeweises grundsätzlich nicht durchzuführen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Juli 1999 VII B 60/99, BFH/NV 2000, 56). Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grunde dem Antragsteller die Bankauszüge betreffend die Konten der GmbH, aus denen sich die Zahlungseingänge und die Zahlungsausgänge ersehen ließen, nicht zugänglich gewesen sein sollten. Eine andere Beurteilung lassen auch die vorgelegten "Sofortbilder" nicht zu, aus denen sich weder der Tag der Aufnahme noch die Art der Unterlagen ergibt. Gleiches gilt für den mit Schriftsatz vom 3. Mai 2001 geltend gemachten Einwand, der Vermieter hätte sofort nach Auszug das Betreten der Räume verhindert. Zum einen wäre erst noch aufzuklären, ob und dass es dem Antragsteller verwehrt war, wenigstens die Geschäftsunterlagen, die ja für den Vermieter wertlos waren, mitzunehmen und aus welchem Grund der Antragsteller dies unterlassen hat; zum anderen kann der Antragsteller sich ―will er eine anteilige Haftung erreichen― nicht nur darauf berufen, er habe keinen Zugriff auf die Geschäftsunterlagen ohne wenigstens zu versuchen, bei der Bank oder dem Steuerberater die noch vorhandenen Unterlagen anzufordern und diese auszuwerten.
Wenn auch eine gewisse Vermutung dafür besteht, dass die GmbH sich schon vor der Erteilung des allgemeinen Verfügungsverbotes vom 18. Januar 1994 in Liquiditätsschwierigkeiten befunden und nicht nur die Verbindlichkeiten gegenüber dem FA , sondern auch gegenüber anderen Gläubigern nur mehr teilweise erfüllt hat, so reicht dies ohne jeden Anhaltspunkt durch entsprechende Auskünfte seitens des Antragstellers oder durch Vorlage der angeforderten Unterlagen zu den Geldbewegungen der GmbH während des Haftungszeitraumes nicht aus, um im hier zu beurteilenden summarischen Verfahren konkret von einer Minderung der Haftungssumme bezüglich der Umsatzsteuer-, Körperschaftsteuervorauszahlungs- und Nebenleistungsansprüche des FA nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. August 1994 VII R 134/92, BFH/NV 1995, 570) und damit von einer ―gegebenenfalls auf einer Schätzung beruhenden, prozentual bezifferbaren― Erfolgsaussicht der Klage auszugehen.
Die Aufrechnung mit einem ―nicht einmal genau bezifferten― angeblichen Schadensersatzanspruch des Antragstellers scheitert, wie das FG insoweit zutreffend ausgeführt hat, bereits an § 226 Abs. 3 AO 1977.
Bezüglich der Einwendungen des Antragstellers zur Pflicht zur Sachaufklärung und zum Nachweis durch das FA bzw. FG, sowie zum Mitverschulden des FA hinsichtlich des Steuerausfalls verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom heutigen Tage über die Beschwerde wegen Gewährung von PKH für das gegen den Haftungsbescheid wegen rückständiger Lohnsteuer angestrengte Klageverfahren VII B 252/00, NV.
Aus den vorgenannten Gründen ist der Senat der Auffassung, dass auch das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren nicht geeignet ist, den Senat von den Erfolgsaussichten der Klageführung zu überzeugen, wenn der Antragsteller die geforderte Mitwirkung wie bisher unterlässt.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dahin stehen, ob die Voraussetzung wirtschaftlichen Unvermögens des Antragstellers zur Zahlung der Kosten der Prozessführung (noch) vorliegt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 8. Mai 1996 V B 32/95, BFH/NV 1996, 941).
Fundstellen