Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung von Urteilstatbestand und -begründung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Antrag auf Berichtigung des Tatbestands eines BFH-Urteils ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig und der Antrag, die Urteilsbegründung entsprechend zu ändern bzw. zu ergänzen, unstatthaft.
2. Gemäß § 108 Abs. 2 FGO wirken bei der Entscheidung über einen Berichtigungsantrag (§ 108 Abs. 1 FGO) nur diejenigen Richter mit, die bei der zugrunde liegenden Entscheidung mitgewirkt haben. Nach Ausscheiden eines Richters aus dem Senat sind nur noch die verbliebenen (hier: vier) Bundesrichter zur Mitwirkung berufen.
Normenkette
FGO § 108
Tatbestand
Nach Zustellung des Senatsurteils vom 8. Juni 2000 IV R 63/99 (BFH/NV 2000, 1341) am 17. August 2000 teilten die Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Kläger) dem Senat mit, dass die in dem Urteil vom 8. Juni 2000 IV R 63/99 enthaltene Feststellung nicht korrekt sei, der Kläger habe 14 Mandanten zurückbehalten, die er in die Praxis B überführt habe. Er habe stattdessen nur 2 Mandate zur weiteren Betreuung "übernommen", die restlichen 12 Mandanten hätten "sich vermutlich dort einen anderen Steuerberater gesucht". Das vom Senat nicht weiter beachtete Schreiben vom 22. August 2000 ist mit einem Betreff "Richtigstellung" versehen.
Mit weiterem Schreiben vom 15. Oktober 2002 baten die Kläger, "die Richtigstellung vom 22. August 2000 in eine Tatbestandsberichtigung gemäß § 108 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO umzudeuten".
Entscheidungsgründe
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Selbst wenn der Senat die "Richtigstellung" der Kläger in ihrem Schreiben vom 22. August 2000, ihrer Bitte vom 15. Oktober 2002 folgend, in einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung umdeuten wollte, wäre das Begehren schon mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig.
a) Auch für einen Antrag nach § 108 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das Rechtsschutzinteresse erforderlich (s. etwa Senatsbeschluss vom 17. Juni 1994 IV B 33/94, BFH/NV 1995, 228, m.w.N.). Die Tatbestandsberichtigung gemäß § 108 FGO ist vom Gesetzgeber nur mit Rücksicht auf die urkundliche Beweiskraft des Tatbestands (§§ 105, 118 Abs. 2 FGO) zugelassen worden; damit soll verhindert werden, dass ein unrichtig beurkundeter Prozessstoff Grundlage für die Entscheidung des Revisionsgerichts wird (vgl. Senatsbeschluss vom 24. August 1967 IV 410/61, BFHE 89, 565, BStBl III 1967, 730). Ist die Entscheidung aber unanfechtbar und auch sonst nicht mehr abänderbar, so entfällt auch der Zweck der Tatbestandsberichtigung. So liegt es aber im Streitfall, in dem das Urteil vom 8. Juni 2000 mit Rechtsmitteln nicht mehr angreifbar ist. Die Voraussetzungen einer Nichtigkeits- oder Restitutionsklage (§ 134 FGO, §§ 578 ff. der Zivilprozessordnung ―ZPO―) sind weder vorgetragen noch erkennbar.
b) Zudem hat die Wiedergabe des Sachverhalts in einer Revisionsentscheidung nicht die urkundliche Beweiskraft, wie dies beim Tatbestand eines finanzgerichtlichen Urteils der Fall ist. Weicht sie vom Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils ab, so ist diese Abweichung für die Entscheidung, deren alleinige Grundlage der sachliche Inhalt des Tatbestands des finanzgerichtlichen Urteils bildet, nicht maßgeblich (vgl. Beschluss des Reichsgerichts vom 8. Oktober 1912 VII 123/12, RGZ 80, 172; Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 11. Februar 1965 IV 102/64 U, BFHE 82, 62, BStBl III 1965, 268; vgl. auch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 12. März 1987 8 B 103/86, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 119 der Verwaltungsgerichtsordnung Nr. 4).
c) Im übrigen wäre das Änderungsbegehren auch nicht statthaft, weil es auf eine Korrektur der Urteilsgründe gerichtet ist. Das Gesetz sieht eine Änderung oder Ergänzung der Urteilsbegründung nicht vor (BFH-Beschluss vom 22. September 1992 VIII R 9/87, BFH/NV 1993, 184). Die von den Klägern gerügte Passage befindet sich in den Entscheidungsgründen des Senatsurteils in BFH/NV 2000, 1341. Im Tatbestand dieses Urteils ist nur die von den Klägern nicht beanstandete Feststellung enthalten, wonach der Kläger im August 1990 einen Mandantenstamm von 62 Mandanten unter Zurückbehaltung von 14 Mandanten an eine Kollegin veräußert hatte.
2. Nach § 108 Abs. 2 FGO ergeht die Entscheidung durch unanfechtbaren Beschluss, an dem nur die Richter mitwirken, die beim Urteil mitgewirkt haben. Der am Urteil in BFH/NV 2000, 1341 beteiligte Vorsitzende Richter A gehört dem Senat nicht mehr an. Er scheidet daher als verhinderter Richter aus, ohne dass eine Vertretung stattfindet (BFH-Beschluss vom 14. Mai 1996 VII B 257/95, BFH/NV 1996, 904).
Wann ein Richter verhindert ist, an der Entscheidung über einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung teilzunehmen, ist im Gesetz nicht geregelt. Während das zivilprozessuale Schrifttum den Senatswechsel wie bei einer Verhinderung an der Unterschriftsleistung nach § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO überwiegend nicht als einen Fall der Verhinderung i.S. des § 320 Abs. 4 Satz 3 ZPO (gleichlautend zu § 108 Abs. 2 Satz 3 FGO) ansieht (s. nur Musielak in Münchener Kommentar, Zivilprozessordnung, 2. Aufl., § 315 Rdnr. 6; Stein-Jonas/Leipold, Zivilprozessordnung, 21. Aufl., § 315 Rdnr. 6 f.; Wieczorek, Zivilprozessordnung, 2. Aufl., § 315 Anm. A II a 1; a.A. Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 23. Aufl., § 320 Rn. 12), ist diese Frage in der Rechtsprechung umstritten. So sieht das Arbeitsgericht Hanau im Kammerwechsel des Vorsitzenden eine Verhinderung, die sogar dazu führt, dass der Tatbestandsberichtigungsantrag von den verbleibenden ehrenamtlichen Richtern zu bescheiden ist (Beschluss vom 20. Juli 1995 3 Ca 412/94, Betriebs-Berater ―BB― 1996, 539), während das Hessische FG die Mitwirkung eines Berufsrichters trotz Senatswechsels gefordert hat (Beschluss vom 28. Juli 1988 X 446-448/82, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1989, 29). Schließlich hat der Bundesgerichtshof (BGH) ganz allgemein in der Versetzung eines Richters einen Verhinderungsgrund i.S. von § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO gesehen (Beschluss vom 2. April 1981 III ZB 1/81, Versicherungsrecht ―VersR― 1981, 552) und das BVerwG entschieden, dass nach Ausscheiden des Vorsitzenden Richters aus einem Senat des Gerichts nur noch die verbliebenen (in diesem Fall zwei) Bundesrichter zur Mitwirkung an einer Entscheidung über einen Berichtigungsantrag (§ 119 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung) berufen sind (Beschluss vom 11. Oktober 1993 2 B 32/93, juris).
Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles hält der Senat eine Mitwirkung des ausgeschiedenen Vorsitzenden an der Entscheidung über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung mehr als zwei Jahre nach dem beanstandeten Urteil nicht für geboten. Denn der Antrag auf Tatbestandsberichtigung ist unzulässig, so dass es auf die Erinnerung der an dem Urteilsverfahren beteiligten Richter nicht ankommt, die allein für die Mitwirkung an einer Entscheidung gemäß § 108 FGO maßgebend ist (vgl. BFH-Beschluss vom 17. August 1989 VII B 70/89, BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899).
3. Die Kostenfreiheit der Entscheidung ergibt sich aus ihrer Zugehörigkeit zu dem abgeschlossenen Revisionsverfahren (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 1995, 228).
Fundstellen
Haufe-Index 966947 |
BFH/NV 2003, 1384 |
BStBl II 2003, 809 |
BFHE 1974, 216 |
BFHE 2004, 216 |
BFHE 202, 216 |
BB 2003, 1886 |
DStR 2003, 1482 |
DStRE 2003, 1128 |
HFR 2003, 1067 |