Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei ,,Büroversehen"
Leitsatz (NV)
1. Der Verfahrensbevollmächtigte braucht sog. ,,Büroversehen" nicht als eigenes Verschulden zu vertreten, wenn er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge trägt.
2. Die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen kann einem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen werden.
Normenkette
FGO § 56
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen Umsatzsteuer 1983 abgewiesen. Das FG ließ die Revision nicht zu. Es wies in der Rechtsmittelbelehrung seines Urteils darauf hin, daß die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die nachträgliche Zulassung schriftlich beim FG einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen sei.
Mit Senatsbeschluß vom 22.Januar 1991 wurde die Revision zugelassen. Der Beschluß ist dem Verfahrensbevollmächtigten am 19. Februar 1991 zugestellt worden.
Die Revisionsschrift vom 29. Mai 1991 ging dem FG am selben Tag zu. Die Klägerin beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Zur Begründung bringt der Verfahrensbevollmächtigte vor: Die Revisionsfrist sei durch ein Versehen seines Büropersonals nicht in das Fristenkontrollbuch eingetragen worden, das er mehrmals jährlich überprüfe. Er habe in der fraglichen Zeit unter erheblichem Termindruck gestanden. Die Büroorganisation sei bei ihm so gestaltet, daß nach dem Posteingang die Steuerbescheide, Einspruchsentscheidungen, Klagefristen etc. von seiner Angestellten Z in das Fristenbuch eingetragen und dem Sachbearbeiter zugeleitet würden. Dieser habe die Bescheide etc. unverzüglich zu prüfen und an die Mandanten weiterzuleiten bzw. Einspruch oder Klage einzulegen. Nach der Prüfung würden die Fristen unter der Rubrik erledigt am . . . durch . . . ausgetragen. Die Einhaltung der Fristen werde von seiner Angestellten Z überwacht. Diese sei eine überaus umsichtige Fachkraft, die bei ihm gelernt und die Prüfung mit gut absolviert habe. Sie könne sich die unterlassene Eintragung in das Fristenbuch nur so erklären, daß der Senatsbeschluß über die Zulassung der Revision, weil dieser keine Rechtsmittelbelehrung enthalte, zur anderen laufenden Post gelegt worden sei. Zur einmaligen Fehlleistung seiner Angstellten möge beigetragen haben, daß unter erheblichem Termindruck seinerzeit in der Praxis ein angespanntes, hektisches Arbeitsklima geherrscht habe. Auf die Versäumung der Frist sei er erst durch ein Schreiben des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) vom 13. Mai 1991, ihm zugegangen am 16. Mai 1991, aufmerksam geworden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
1. Die Frist von einem Monat für die Einlegung der Revision begann nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision am 19. Februar 1991 und endete mit Ablauf des 19. März 1991 (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, 1. Alternative des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Dem Beginn der Monatsfrist stand nicht entgegen, daß der Beschluß über die Zulassung der Revision nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war. Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils des FG genügte auch für den Fall der Revisionszulassung durch den Bundesfinanzhof - BFH - (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1969 VI R 125/68, BFHE 97, 103, BStBl II 1970, 7 zur abhelfenden Revisionszulassung durch das FG).
2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist ist nicht zu entsprechen. Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dabei ist das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten dem Kläger zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, müssen innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) mitgeteilt werden. Erforderlich ist eine vollständige Darstellung der Ereignisse, die zu der Fristversäumnis geführt haben (BFH-Beschlüsse vom 2. Juni 1989 X R 5/85, BFH/NV 1990, 117; vom 22.November 1991 IX B 44/90, BFH/NV 1992, 329).
Die Klägerin trägt nicht schlüssig vor, daß die Revisionsfrist schuldlos versäumt worden sei. Es ist zwar anerkannt, daß den Prozeßbevollmächtigten keine Schuld trifft, wenn eine Fristversäumnis auf einem sog. ,,Büroversehen" beruht; ferner, daß ein Rechtsanwalt oder Steuerberater mechanische Tätigkeiten untergeordneter Art wie das Eintragen von Fristen in das Fristenkontrollbuch und die Überwachung der Fristen einer zuverlässigen Bürokraft überlassen darf und daß der Berater ein Versehen der Bürokraft bei der Eintragung von Fristen oder bei der Fristenkontrolle nicht als eigenes Verschulden zu vertreten braucht. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß der Prozeßbevollmächtigte alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und daß er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge trägt (BFH-Beschlüsse vom 30. Juni 1967 VI R 248/66, BFHE 89, 330, BStBl III 1967, 613; vom 13. November 1989 III B 107/88, BFH/NV 1990, 649, m.w.N.).
Die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen kann ebenfalls einem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen werden. Hierzu zählt auch die Revisionsfrist, selbst wenn sie mit der Zustellung des die Revision zulassenden Beschlusses beginnt; Voraussetzung ist aber, daß Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen in der Kanzlei häufig vorkommen (BFH-Beschluß vom 16. Mai 1990 IV R 29/90, BFH/NV 1991, 174).
Soweit der Prozeßbevollmächtigte vorträgt, Grund für das ,,Versehen" sei es gewesen, daß der Nichtzulassungsbeschluß des Senats keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, zeigt dies, daß die Angestellte über die Bedeutung des Zulassungsbeschlusses für den Beginn der Revisionsfrist nicht (ausreichend) belehrt war. Wenn es sich um eine im Büro des Bevollmächtigten geläufige Frist handeln würde, hätte die ständig mit der Berechnung und Eintragung von Fristen in das Fristenbuch befaßte Angestellte Z bei ordnungsgemäßer Belehrung entsprechende Kenntnisse haben müssen oder zumindest gewußt, daß entsprechende Angaben in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils des FG zu finden seien.
Auch die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgebrachte Arbeitsüberlastung kann dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Der Prozeßbevollmächtigte hat nicht dargelegt, welche Vorkehrungen er getroffen hatte, um sicherzustellen, daß trotz der großen Arbeitsbelastung die laufenden Fristen eingehalten werden (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 117).
Fundstellen