Leitsatz (amtlich)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der an einen Minderjährigen selbst gerichtete und diesem selbst zugestellte Grunderwerbsteuerbescheid wirksam ist, wenn er über diesen seinem gesetzlichen Vertreter zugegangen ist.
2. Der Aussetzung der Vollziehung steht nicht entgegen, daß nach wiederholter Anforderung der Steuer ein Dritter den angeforderten Betrag bezahlt hat.
Normenkette
AO § 91 Abs. 1 S. 2, § 102; VwZG § 7 Abs. 1, § 9; FGO § 69 Abs. 3
Tatbestand
Dem damals noch nicht ganz achtzehnjährigen Bf. ist am 28. Oktober 1966 "im Wege vorweggenommener Erbfolge" der Hof seines Onkels übertragen worden. Dieser behielt sich und seiner Frau bis zum Tode des Letztlebenden den Nießbrauch vor. Der Bf. übernahm eine mit rund 20 000 DM valutierte Grundschuld von 30 000 DM.
Das FA hat den Bf. aus dem Kapitalwert des Nießbrauchs und dem Valutawert der Grundschuld zur Grunderwerbsteuer herangezogen. Der Bescheid ist auf den Bf. selbst ohne Hinweis auf dessen Minderjährigkeit und seine gesetzliche Vertretung gestellt und an diesen am 7. April 1967 zur Post gegeben worden. Am 26. April 1967 ging beim FA ein Schriftsatz des beurkundenden Notars, des nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten des Bf. ein, in dem dieser Steuerfreiheit auf Grund des § 3 Nr. 2 GrEStG beanspruchte, wobei er davon ausging, daß ein Bescheid noch nicht ergangen sei. Am 2. Mai 1967 bat der Steuerbevollmächtigte des Bf., die Grunderwerbsteuer bis zur Entscheidung des durch den vorbezeichneten Rechtsanwalt und Notar eingelegten einspruchs auszusetzen. Im Schreiben vom 8. Juni 1967 erklärte das FA den Einspruch als rechtzeitig. Am 15. Juni 1967 widersprach der Prozeßbevollmächtigte dem dort geäußerten Standpunkt des FA und erbat rechtsmittelfähigen Bescheid, damit die Sache in der nächsten Instanz behandelt werden könne. Durch Entscheidung vom 10. August 1967 hat das FG den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Die Einspruchsentscheidung ist am 14. August 1967 zur Post gegeben worden. Am 14. September 1967 hat der Prozeßbevollmächtigte namens des Bf. ohne Angabe einer gesetzlichen Vertretung Klage erhoben. In dieser und im folgenden vertritt er weiterhin den Standpunkt, das Erwerbsgeschäft sei als vorweggenommene Erbfolge im Sinne der Höfeordnung von der Grunderwerbsteuer ausgenommen; überdies beanstandet er den Ansatz des Nießbrauchs. Die vorgelegte Vollmacht ist von dem minderjährigen Bf. ausgestellt; mit dieser Vollmacht erklärten sich seine Eltern anschließend einverstanden.
In der Klageschrift hat der Bf. beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides auszusetzen. Das FG hat den Antrag zurückgewiesen. Sein Beschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten am 23. Oktober 1967 zugestellt worden. Am 2. November 1967 hat er Beschwerde eingelegt. Das FG hat ihr nicht abgeholfen.
Zwischenzeitlich hatte das FA unter Bezugnahme auf den eben erwähnten Beschluß an den Bf. geschrieben:
"Ich bitte, die Grunderwerbsteuer nunmehr bis zum 3. November 1967 an meine Finanzkasse unter Angabe der Sollbuchnummer zu zahlen. Wenn Sie die Steuer nicht bis zu dem genannten Termin zahlen, ist für jeden angefangenen Monat ein Säumniszuschlag von 1 v. H. des rückständigen Steuerberags verwirkt. Wenn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden müssen, entstehen dafür außerdem Kosten."
Daraufhin zahlte der Veräußerer am 3. November den angeforderten Betrag, angeblich ohne Wissen des Bf.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde des nunmehr von seinen Eltern gesetzlich vertretenen Antragstellers ist begründet, wenn auch aus anderen als den angegebenen rechtlichen Erwägungen.
1. Der Bf. war im Zeitpunkt des Erwerbs minderjährig (§ 2 BGB) und demzufolge nur beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB). Weder der Erwerb selbst noch die darauf gegründete Besteuerung gehört zu den Geschäften, für die der Bf. als unbeschränkt geschäftsfähig gelten könnte (§§ 112, 113 BGB) oder für die er sonst nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedurfte (§§ 107, 110 BGB). Der Steuerbescheid hätte somit nicht unmittelbar an den minderjährigen Bf. gerichtet werden dürfen (§ 102 AO), sondern hätte auf den Bf., gesetzlich vertreten durch seine - namentlich zu bezeichnenden (vgl. § 7 Abs. 4 VwZG, auch Abschn. 9 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Verwaltungszustellungsgesetz - AVVwZG -) - Eltern (§ 1626 BGB), gestellt (§ 102 AO) und diesen zugestellt werden müssen (§ 7 Abs. 1 VwZG).
Durch die vereinfachte (§ 17 VwZG) Zustellung (§ 211 Abs. 3 AO) an den minderjährigen Bf. selbst ist der Steuerbescheid zwar existent und damit anfechtbar geworden (§§ 231, 236 Abs. 1 AO, § 40 Abs. 1 FGO), ohne daß dadurch die Klage auf Feststellung einer etwaigen Nichtigkeit dieses Bescheides ausgeschlossen würde (§ 41 Abs. 2 Satz 2 FGO). Es ist aber ernstlich zweifelhaft (vgl. Beschlüsse des BFH III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447 [449 f.], BStBl III 1967, 182; III B 21/66 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 92 [98], BStBl III 1967, 533; II B 17/67 vom 24. Oktober 1967, BFH 90, 532), ob der Steuerbescheid durch diese Zustellung oder infolge späterer Ereignisse dem Bf. gegenüber wirksam geworden ist (§ 91 Abs. 1 Satz 1 AO).
Dabei handelt es sich nicht so sehr um einen Fehler der Zustellung; denn der Bescheid wäre auch bei förmlicher Zustellung an den minderjährigen Bf. selbst zugestellt worden, nachdem er an diesen gerichtet war (vgl. Abschnitt 9 Abs. 1 Satz 2 AVVwZG). Der Fehler liegt vielmehr im Bescheide selbst (vgl. in anderem Zusammenhang Barske, Anmerkung in Wetter-Barke, Leitsatzkartei zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, Reichsabgabenordnung, § 91, Rechtsspruch 16), weil dieser das Vertretungsverhältnis nicht ausweist und sich unzulässigerweise (§ 102 AO) an den minderjährigen Bf. selbst wendet. Somit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes; dessen Vollziehung war daher auszusetzen (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Absatz 2 Satz 2 FGO). Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid infolge dieses Mangels als nichtig erscheint. Denn er ist zumindest dem Scheine nach eine geeignete Vollziehungsgrundlage.
Daß die Zustellung an einen beschränkt Geschäftsfähigen - zumindest im Umfange seiner Beschränkung - materiell schlechthin unwirksam ist, wird in Abschn. 9 Abs. 2 AVVwZG ohne weiteres angenommen. Fraglich könnte sein, ob der Mangel nach § 9 Abs. 1 VwZG oder nach § 131 BGB geheilt werden kann. Dazu ist hier nicht abschließend Stellung zu nehmen (vgl. Beschluß des BFH VI B 53/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 537, BStBl III 1967, 469). Denn zumindest sprechen ernstliche Gründe dafür, daß der Mangel unheilbar ist.
Gemäß § 9 Abs. 1 VwZG gilt ein Schriftstück, das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Verletzt ist hier § 7 Abs. 1 VwZG, wonach bei beschränkt Geschäftsfähigen an deren gesetzlichen vertreter zuzustellen ist (eine Vorschrift, die § 171 Abs. 1 ZPO nachgebildet ist, bei dem sich die Zuordnung zu den Zustellungsvorschriften aber daraus erklärt, daß abweichend von § 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für die Klage die Bezeichnung der gesetzlichen Vertreter nicht gefordert ist; § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), darüber hinaus aber auch § 102 AO, zufolge dessen der gesetzliche Vertreter nicht nur Empfänger, sondern auch Adressat des Steuerbescheids hätte sein müssen. Der entscheidende Fehler liegt also - wie bereits zuvor ausgeführt worden ist - nicht in der Zustellung, sondern bereits im Inhalt des Steuerbescheids. Es muß ernstlich zweifelhaft erscheinen, ob § 9 Abs. 1 VwZG, der allein die Heilung von Zustellungsmängeln betrifft und nicht nur für den Bereich der Abgabenordnung gilt, auch die Heilung von Fehlern des formellen Steuerrechts zuläßt.
Dazu kommt, daß nach der Rechtsprechung in Erweiterung des § 9 Abs. 2 VwZG die Vorschrift des § 9 Abs. 1 VwZG auch dann nicht anzuwenden ist, wenn - wie hier - mit der Zustellung der Lauf einer Einspruchsfrist beginnt (Urteile des BFH II 239/53 U vom 11. August 1954, BFH 59, 305, BStBl III 1954, 327; II 127/60 vom 11. Juli 1962, HFR 1962, 351; V 156/64 U vom 22. April 1965, BFH 82, 615 [618], BStBl III 1965, 468). Doch befassen sich diese Entscheidungen nicht mit der Wirksamkeit des Steuerbescheids, sondern mit der Wirksamkeit der Zustellung und der daran anschließenden Frage, ob und wann die Einspruchsfrist in Lauf gesetzt worden ist.
Nicht minder problematisch erscheint es, anzunehmen, der Steuerbescheid wäre gemäß § 131 BGB jedenfalls in dem Zeitpunkt wirksam geworden, in dem er dem gesetzlichen Vertreter des Bf. tatsächlich zugegangen ist. § 102 AO nimmt auf das bürgerliche Recht nur hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit von Privatpersonen, der Vertretung und der Vollmacht Bezug, nicht aber hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Wirksamkeit der Bescheide und ihrer Zustellung. § 131 BGB gehört aber - nicht nur äußerlich, sondern auch im sachlichen Zusammenhang - nicht zu den Vorschriften des Ersten Titels des Dritten Abschnittes des Ersten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Geschäftsfähigkeit, sondern zu dessen Zweiten Titel über die - privatrechtlichen - Willenserklärungen. Die Wirksamkeit öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen ist jedoch nach öffentlichem Recht zu beurteilen (woraus z. B. folgt, daß die Vorschrift des § 119 BGB über die Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums für das öffentliche Recht nicht gilt). Die AO enthält zumindest keine ausdrückliche Vorschrift über die Heilung eines derartigen Mangels.
Zu beachten ist dabei, daß in § 91 Abs. 1 Satz 1 AO der Begriff des Zugehens behördlicher Verfügungen ausdrücklich mit ihrer Bekanntgabe gleichgesetzt ist. Von einer "Bekanntgabe" kann aber nicht gut gesprochen werden, wenn eine behördliche Verfügung zufällig demjenigen bekannt wird, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sein sollte (vgl. Urteil V 156/64 U vom 22. April 1965, BFH 82, 615, BStBl III 1965, 468), ihrer Anschrift nach aber eindeutig nicht bestimmt ist. Unbestrittenermaßen kann demzufolge der bewußt gegen eine bestimmte Person ergangene Steuerbescheid nicht in einen solchen gegen eine andere - in Wahrheit steuerpflichtige - Person umgedeutet werden, auch wenn er dieser zugegangen ist (vgl. Urteil des BFH II 103/60 vom 28. November 1963, HFR 1964, 126). Ob etwas anderes gelten könnte, wenn der Bescheid an einen Minderjährigen gerichtet ist, der Schuldner einer etwa entstandenen Steuer ist, und von diesem an seinen gesetzlichen Vertreter weitergegeben wird (etwa deshalb, weil der Steuerschuldner richtig bezeichnet und nur das Vertretungsverhältnis nicht angegeben ist), ist zumindest nicht außerhalb ernstlichen Zweifels.
2. Die Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) setzt des weiteren voraus, daß die Hauptsache noch zulässigerweise zur Entscheidung des Gerichts kommen kann (Beschluß II B 3/67 vom 9. Mai 1967, BFH 88, 541, BStBl III 1967, 472). Dabei kann die Möglichkeit einer unbefristeten Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Steuerbescheids (§ 41 Abs. 1 FGO) außer Betracht bleiben. Denn als Nebenverfahren zu dieser Klage kann nicht die - allein auf Anfechtungsverfahren (§ 40 Abs. 1 FGO) zugeschnittene (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO) - Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 FGO begehrt werden; vielmehr ist in diesen Fällen - sofern nicht § 69 FGO entsprechend angewandt wird - der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) gegeben. Wegen der unterschiedlichen Rechtsbehelfe in beiden Fällen (vgl. § 114 Abs. 4 und 5, § 117 FGO) sind beide Verfahrensarten nicht austauschbar (vgl. Beschluß III B 18/66 vom 18. November 1966, BFH 87, 335, BStBl III 1967, 142).
Die Zulässigkeit des Anfechtungsverfahrens ist nicht ganz unzweifelhaft. Allerdings ist die Anfechtungsklage selbst zulässig erhoben; auch haben die Eltern die ursprünglich von dem Minderjährigen selbst erhobene Klage genehmigt. Jedoch kann in dem Schreiben des Prozeßbevollmächtigten vom 25. April 1967 kein Einspruch gesehen werden, da ihm der Bescheid vom 7. April 1967 noch unbekannt war und ihm folglich der Wille fehlte, sich gegen diesen Bescheid zu wenden (vgl. - unbeschadet der geänderten Rechtslage - Urteil I 237/60 S vom 9. Mai 1961, BFH 73, 491, BStBl III 1961, 445). Das am 15. Juni 1967 eingegangene Schreiben des Prozeßbevollmächtigten würde aber eine vom dritten Tag der Aufgabe zur Post (§ 17 VwZG) an zu rechnende Einspruchsfrist von einem Monat (§ 236 Abs. 1 AO) nicht wahren. Das ist von Amts wegen zu prüfen, sofern man nicht die Ansicht vertreten will, daß seit Inkrafttreten der FGO auch verfahrensrechtliche Vorentscheidungen der Verwaltung nur zugunsten des Steuerpflichtigen zu überprüfen seien.
Allerdings vertritt Rosenberg (Juristenzeitung 1951 S. 43 f.) mit beachtlichen Gründen die Ansicht, die Zustellung an einen Prozeßunfähigen (§ 51 ZPO) sei schlechthin unwirksam und darum nicht geeignet, gegen diesen eine Frist in Lauf zu setzen (so im Ergebnis wohl auch das Urteil des BFH V 156/64 U vom 22. April 1965, BFH 82, 615 [618], BStBl III 1965, 468), wobei er Abgrenzend bemerkt, daß gleichwohl die Rechtskraft gemäß §§ 516, 552 ZPO sechs Monate nach Verkündung des Urteils eintrete (vgl.: Landgericht Detmold, Neue Juristische Wochenschrift 1955 S. 1115). Entsprechende Vorschriften fehlen aber in der FGO ebenso wie in der AO (a. F.). Das Urteil des BFH III 248/64 U vom 19. März 1965 (BFH 82, 344, BStBl III 1965, 370) ist der Rechtsprechung des Reichsgerichts (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 121 S. 63, Bd. 162 S. 225; vgl. auch Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Juristenzeitung 1958 S. 130) gefolgt und hat erkannt, daß auch die Zustellung an einen Prozeßunfähigen die Rechtsmittelfrist in Lauf setze. Als Rechtsbehelf gegenüber unanfechtbaren Entscheidungen, die gegen eine nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertretene Person ergangen sind, bleibt damit die Nichtigkeitsklage, und zwar gegen Verwaltungsentscheidungen die des § 41 FGO, gegenüber gerichtlichen Entscheidungen die der § 134 FGO, § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
Diese Frage braucht in dem vorliegenden Verfahren über die Aussetzung der vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) nicht vertieft zu werden. Denn es läßt sich die Ansicht vertreten, daß das Schreiben des Steuerbevollmächtigten vom 29. April 1967, eingegangen am 2. Mai 1967, als Einspruch anzusehen ist. Ein solcher ist dort zwar nicht erklärt, vielmehr irrtümlich ein bereits vorliegender Einspruch vorausgesetzt. Immerhin kommt darin der Wunsch zum Ausdruck, der Steuerbescheid solle nachgeprüft werden. Daß zu diesem Zeitpunkt eine Vollmacht der Eltern noch nicht vorlag, ist unschädlich; da der Bescheid an den Bf. selbst gerichtet war, konnte er ihn auch selbst anfechten. Somit kann im Sinne des Beschlusses II B 3/67 vom 9. Mai 1967 (BFH 88, 541, BStBl III 1967, 472) nicht gesagt werden, daß ohne jeden ernstlichen Zweifel der Einspruch hätte als unzulässig angesehen werden müssen. Damit kann dahingestellt bleiben, ob das FG befugt wäre, die Zulässigkeit eines vom FA zugelassenen Einspruchs nachzuprüfen.
3. Die bereits erfolgte Zahlung steht der Aussetzung der Vollziehung nicht entgegen. Das wäre zwar der Fall, wenn die Aussetzung der Vollziehung im Sinne des § 69 Abs. 3 FGO nur der Einstellung der Zwangsvollstreckung im Sinne der §§ 707, 719, 732, 769, 771 ZPO gleichstünde und nur die Vollstreckung hindern, das Leistungsgebot (§ 211 Abs. 2 Nr. 1 AO) des angefochtenen Bescheides aber unberührt lassen würde. Diese enge Auslegung stimmt aber mit dem Sinn des § 69 FGO nicht überein. Dieser will einen Ausgleich dafür schaffen, daß das Verfahrensrecht für den Regelfall den Rechtsbehelfen der AO und der FGO keinen Suspensiveffekt gegenüber den Verfügungen der Verwaltung beilegt (BFH-Beschluß I B 30/66 vom 15. Februar 1967, BFH 88, 76, BStBl III 1967, 293). § 69 FGO nimmt also dieselbe Funktion wahr wie § 80 Abs. 4 bis Abs. 7 VwGO für die Verwaltungsakte, bei denen Widerspruch und Anfechtungsklage kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung haben (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO). Da sich die FGO nicht nur im allgemeinen, sondern auch in den oben genannten Vorschriften an die VwGO anlehnt und die Interessenlage die gleiche ist (im besonderen auch die VwGO - § 80 Abs. 2 Nr. 1 - bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage - § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO - entfallen läßt), besteht kein Grund, die Vorschriften des § 69 Abs. 2 und 3 FGO grundsätzlich anders auszulegen als die sachlich korrespondierenden Vorschriften des § 80 Abs. 4 bis Abs. 7 VwGO.
Geht man, wie es der zeitlichen Folge der Gesetze und der Entstehungsgeschichte der FGO entspricht, bei der Auslegung der sachlich übereinstimmenden Vorschriften beider Gesetze von der VwGO aus, so ergibt sich zwingend, daß die Aussetzung der Vollziehung im Sinne des § 69 FGO gleichbedeutend ist mit einer Herstellung der aufschiebenden Wirkung. Denn diese ist für den Bereich der VwGO die Regel (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Durch die Erhebung des Widerspruchs und die Einlegung der Anfechtungsklage wird dort also die materielle Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes - oder bei gebietenden Verwaltungsakten genauer: die Wirksamkeit des in diesen enthaltenen Leistungs- oder Duldungsbefehls - ausgesetzt. Das gilt sogar für rechtsgestaltende Verwaltungsakte (§ 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO); soweit diese nicht ohnehin erst mit Unanfechtbarkeit wirksam werden, bewirken Widerspruch und Anfechtungsklage, daß die bereits eingetretene Rechtsänderung - zumindest vorläufig - wegfällt und die alte Rechtslage von selbst wieder eintritt.
Generelle Ausnahmen von der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe sind in § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO aufgeführt. In diesen Fällen kann die Widerspruchsbehörde (insoweit anders die FGO in § 69 Abs. 2 Satz 1; vgl. aber § 248 Abs. 1 Satz 1 AO) - genau entsprechend der Terminologie des § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO (aber auch des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) - "die Vollziehung aussetzen". Das kann dort nichts anderes bedeuten, als daß diese Behörde die materielle Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides vorläufig aussetzt. Denn § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als die korrespondierende Vorschrift über die gerichtliche Zuständigkeit sagt ausdrücklich, das Gericht könne in diesen Fällen die aufschiebende Wirkung anordnen (vgl. auch § 80 Abs. 5 Satz 2 = § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO). Es gibt keinen Anhalt dafür, daß das Gesetz das Gericht zu qualitativ anderen Suspensivmaßnahmen hätte befugen wollen, als sie der Verwaltung zustehen. Geringere Befugnisse der Verwaltung können um so weniger angenommen werden, als der Bund seine Kompetenz, das Vorverfahren (als ein Verwaltungsverfahren) ohne Rücksicht auf die Gesetzgebungskompetenz für den Gegenstand des materiellen Streites zu regeln, nur aus Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes (GG) herleiten kann, somit - anders als für das Steuerverwaltungsverfahren (Art. 108 Abs. 3 Satz 2 GG) - nicht berechtigt war, der Verwaltung die Disposition über ihre eigenen Akte zu entziehen.
Demzufolge sind in § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO die Worte "die Vollziehung aussetzen" nicht in dem Sinne einer Einstellung der Zwangsvollstreckung, sondern als Herstellung der aufschiebenden Wirkung zu verstehen. Dem steht nicht entgegen, daß nach § 80 Abs. 4 Satz 2 VwGO die Vollziehung auch gegen Sicherheit ausgesetzt werden kann, und daß das Verlangen der Sicherheitsleistung begrifflich erfordert, daß der Leistungsbefehl in dessen beschränktem Umfang aufrechterhalten wird (vgl. § 378 Abs. 1 Satz 3 AO, §§ 923, 927 Abs. 1 ZPO). § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO kann nicht allein im Blick auf die Fälle des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausgelegt werden; er gilt vor allem auch für den offenen Raum des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Darüber hinaus wird angenommen werden müssen, daß die Absätze 4 und 5 des § 80 VwGO ineinander übergehen; auch das Gericht (§ 80 Abs. 5 VwGO) dürfte befugt sein, Sicherheitsleistung bei Abgaben- und Kostenforderungen anzuordnen (§ 80 Abs. 4 Satz 2 VwGO) und unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zur Aussetzung verpflichtet sein (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).
Ist demnach in der VwGO die Aussetzung der Vollziehung gleichbedeutend mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, so kann § 69 FGO, der in Absatz 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 diese Ausdrücke aus der VwGO übernommen hat, nicht anders ausgelegt werden. Auch hier besteht ein Bedürfnis, die Aussetzung der Vollziehung nicht auf die Aussetzung der Vollstreckungsmaßnahmen zu beschränken. Denn dem Steuerpflichtigen, der ein Leistungsgebot erhalten hat, kann nicht zugemutet werden, abzuwarten, ob er die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) noch erreicht, bevor bei ihm Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden, und äußerstenfalls die Aufhebung der Vollziehungsmaßnahmen zu beantragen (§ 69 Abs. 3 Satz 4 FGO). Er muß vielmehr - schon zur Wahrung seines Ansehens und seines Kredits - in der Lage sein, solchen Maßnahmen durch "freiwillige" Zahlung zuvorzukommen, ohne sich seiner Ansprüche aus § 69 FGO zu begeben.
Daß eine freiwillige Zahlung auf Grund des in einem Steuerbescheid enthaltenen Leistungsgebotes (dort: § 212 AO) nicht unter allen Umständen der Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) entgegensteht, ist auch der Standpunkt des VII. Senats (Beschluß VII B 13/66 vom 28. November 1967, BFH 91, 323).
Den grundsätzlichen Ausführungen nach könnten möglicherweise die Beschlüsse des I. Senats I B 3/66 vom 9. August 1966 (BFH 86, 725, BStBl III 1966, 646) und I B 30/66 vom 15. Februar 1967 (BFH 88, 76, BStBl III 1967, 293) entgegenstehen. Sie betrafen jedoch andere Sachverhalte. Der Große Senat ist schon deshalb nicht gemäß § 11 Abs. 3 FGO anzurufen, weil der I. Senat neuerdings in seinem Beschluß I B 67/67 vom 17. Januar 1968 (BFH 91, 301, BStBl II 1968, 311), an der früheren Auffassung festhaltend, als tragenden Grund seiner Ablehnung angeführt hat: "Wer ein gegen ihn ergangenes, von ihm für rechtswidrig gehaltenes Leistungsgebot ohne jede besondere Einwirkung seitens der Finanzbehörde (wie Mahnung, Postnachnahme, Beitreibungsmaßnahmen) erfüllt, bedarf angesichts seines eigenen Verhaltens des Rechtsschutzes nicht, ...". Der I. Senat hat damit zum Ausdruck gebracht, daß seine Rechtsauffassung nicht dahin verstanden werden darf, daß auch eine durch Mahnung veranlaßte "freiwillige" Zahlung der Aussetzung der Vollziehung entgegenstehe. Ein solcher Fall liegt hier vor.
Wie eingangs dargestellt ist, hatte sich das FA nicht auf das im Steuerbescheid enthaltene Leistungsgebot beschränkt. Es hat vielmehr, nachdem das FG die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, erneut die Steuer angefordert, ohne die Rechtskraft dieses Beschlusses abzuwarten. Es hat überdies, wenn auch in höflicher Form, auf mögliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hingewiesen. Daß - wie der Beschwerdegegner nunmehr ausführt - Vollziehungsmaßnahmen "bei Ausbleiben der Zahlung erst nach rechtskräftiger Zurückweisung des Aussetzungsantrags ergriffen worden" wären, konnten weder der Bf. noch sein Onkel wissen und ist angesichts des kurzen Zahlungstermins, der drei Tage vor Ablauf der Beschwerdefrist lag, auch nicht zu belegen.
4. Die Aussetzung der Vollziehung wäre trotzdem abzulehnen gewesen, wenn der entsprechende Ausspruch des Gerichts wirkungslos bleiben müßte, weil die Zahlung nicht rückgängig gemacht werden kann. Denkbar wäre, in erweiternder Auslegung des § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO von Gerichts wegen die Rückzahlung anzuordnen (vgl. zu § 152 AO Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, 1964, Tz. 997), weil der Rechtsgedanke der Vorschrift auch einen solchen Fall trifft. Das kann aber offen bleiben. Der Bf. hat eine solche Anordnung nicht beantragt; sie müßte hier daran scheitern, daß sie über den Kreis der Prozeßparteien hinausgreift.
Der Umstand, daß nicht der Bf., sondern sein Onkel (Veräußerer) die Zahlung geleistet hat, steht der Ausetzung der Vollziehung im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht entgegen. Denn der Bf. wird bereits dadurch beschwert, daß er nach bürgerlichem Recht für diese Zahlung ganz oder teilweise belastet werden kann. Er hat also ein rechtliches Interesse daran, daß die Anforderung, auf Grund derer die Zahlung geleistet worden ist, ausgesetzt und dadurch die Rückzahlung ermöglicht wird.
Letztlich kommt es also darauf an, ob §§ 150 ff. AO in derartigen Fällen einen Anspruch auf vorläufige Steuererstattung gewähren. Das ist grundsätzlich zu bejahen, ohne daß es für die hier zu treffende Entscheidung darauf ankäme, ob im konkreten Fall ein Erstattungsanspruch gegeben ist.
Aus § 152 Abs. 1 AO ergibt sich, daß eine Erstattung nicht nur dann in Frage kommt, wenn eine Steuer überhaupt nicht geschuldet ist, sondern auch dann, wenn die Steuer gestundet, also zu diesem Zeitpunkt nicht fällig war. § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO ordnet schlechthin die Erstattung der für Rechnung eines Steuerpflichtigen ohne dessen Mitwirkung zu Unrecht entrichteten Steuer an, ohne daß es auf den Grund ankäme, weshalb die Steuer nicht entrichtet zu werden brauchte. Die - nur scheinbar ausschließliche - enumerative Aufzählung ist dadurch bedingt, daß die Verrechnung von Vorauszahlungen - vom Sonderfall des § 152 Abs. 2 Nr. 2 AO abgesehen - nicht von § 152 AO erfaßt sein sollte. Die angeführten Fälle beweisen ebenso wie § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO, daß sich der Gesetzgeber einer aus den vorstehend erwähnten Gründen notwendigen Erstattungsvorschrift nicht bewußt entzogen hat.
Auch in dem Beschluß VI S 8/66 vom 21. Juli 1967 (BFH 89, 105, BStBl III 1967, 542) hat der BFH angenommen, daß auf Grund gerichtlicher Entscheidungen Erstattungsansprüche bereits vor Rechtskraft der Hauptsache möglich sind; zu der mit diesem Beschluß verbundenen Problematik aus § 151 Abs. 3 FGO ist hier nicht Stellung zu nehmen. Dem bereits erwähnten Beschluß VII B 13/66 vom 28. November 1967 liegt offenbar die Ansicht zugrunde, daß eine Aussetzung der Vollziehung nach erfolgter Zahlung nicht wirkungslos bleibe.
Ob im konkreten Falle ein Erstattungsanspruch besteht, wem dieser zusteht und ob auf diesen § 152 AO einschließlich seines Absatzes 3 anzuwenden ist, oder ob in § 151 AO die Fälle der Aufhebung, Rücknahme oder Änderung eines früheren erlassenen Bescheides um den Fall zu ergänzen sind, daß die Wirksamkeit eines Bescheides gemäß § 69 FGO ausgesetzt wird, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Es genügt vielmehr, daß abstrakt Erstattungsansprüche möglich sind und deshalb das trotz geleisteter Zahlung gestellte Verlangen, die Vollziehung auszusetzen, nicht schlechthin gegenstandslos und damit unzulässig ist.
5. Da, wie eingangs ausgeführt, an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ernstliche Zweifel bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), war demnach unter Änderung des angefochtenen Beschlusses die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides auszusetzen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO).
Fundstellen
BStBl II 1968, 503 |
BFHE 1968, 179 |