Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangel in der Vertretung infolge mündlicher Verhandlung nach Insolvenzeröffnung
Leitsatz (NV)
Der Kläger ist nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten, wenn das FG eine mündliche Verhandlung mit ihm durchführt, obwohl am Tag der Verhandlung bereits das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet und ein Treuhänder bestimmt worden war.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 4, § 116 Abs. 6, § 155; ZPO § 240; InsO § 313 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Rz. 1
I. Mit Beschluss vom 3. Juli 2009 wurde über das Vermögen von Herrn S das Insolvenzverfahren eröffnet. Zugleich ernannte das Amtsgericht den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nach § 313 der Insolvenzordnung (InsO) zum Treuhänder. S war Geschäftsführer einer GmbH und wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) wegen rückständiger Umsatzsteuer der GmbH gemäß § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Über die von S erhobene Klage wurde am 9. Juli 2009 mündlich verhandelt. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung hat das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Haftungsbescheid als rechtmäßig erachtet und die Klage als unbegründet abgewiesen.
Rz. 2
Hiergegen hat der Kläger Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhoben. Zur Begründung macht er Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Verfahrensfehlerhaft habe das FG trotz der insolvenzbedingten Unterbrechung des Verfahrens (§ 240 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 155 FGO) mündlich verhandelt und in der Sache eine Entscheidung getroffen. Zudem habe das FG den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Aufgrund einer schweren Erkrankung und einer dadurch verursachten Geschäftsunfähigkeit sei S nicht mehr in der Lage gewesen, die Aufgaben eines Geschäftsführers ordnungsgemäß wahrzunehmen. Deshalb sei er bereits vor dem Haftungszeitraum aus seinem Geschäftsführeramt entlassen worden. Hätte das FG diese Umstände näher aufgeklärt, wäre es zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
II. Die Beschwerde ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil kann aufgrund eines Verfahrensmangels i.S. des § 119 Nr. 4 FGO keinen Bestand haben (§ 116 Abs. 6 FGO).
Rz. 4
1. Der Senat geht im Hinblick auf die Einlassung zur materiellen Rechtslage davon aus, dass der Kläger mit seinem Rechtsbegehren in seiner Eigenschaft als Treuhänder das nach § 240 ZPO unterbrochene Verfahren aufgenommen hat.
Rz. 5
2. Im Streitfall hat das FG nach Ladung des S eine mündliche Verhandlung durchgeführt und danach die Klage abgewiesen, obwohl am Tag der mündlichen Verhandlung bereits ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des S eröffnet worden war. Nach § 313 Abs. 1 InsO ist bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Treuhänder bestimmt worden, der die Aufgaben des Insolvenzverwalters wahrnimmt. Damit ist dem Schuldner die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen entzogen. Auch zur Prozessführung ist er nicht mehr befugt. Wegen der kraft Gesetzes nach § 240 ZPO eingetretenen Unterbrechung des finanzgerichtlichen Verfahrens hätte am 9. Juli 2009 nicht verhandelt werden dürfen. Die Aufnahme des Verfahrens hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht erklärt, vielmehr war der Schuldner persönlich erschienen und hatte die Prozessführung selbst wahrgenommen. Damit ist das erstinstanzliche Urteil ergangen, ohne dass der Kläger nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war (§ 119 Nr. 4 FGO). Dieser Verfahrensfehler stellt einen absoluten Revisionsgrund dar, der ohne weitere Prüfung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 1995 VIII ZR 224/94, Neue Juristische Wochenschrift 1995, 2563; Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. September 1985 V R 129/79, BFH/NV 1987, 515; Senatsbeschluss vom 18. Januar 2000 VII R 21/99, BFH/NV 2000, 1101; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 3).
Fundstellen
Haufe-Index 2323234 |
BFH/NV 2010, 1106 |