Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision, wenn ,,die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist"
Leitsatz (NV)
Wird mit der Revision geltend gemacht, das FG habe in den Gründen seiner Entscheidung einzelne Tatbestandsmerkmale einer Rechtsnorm übergangen, so ist eine solche Rüge gegen die Rechtsanwendung des Gerichts gerichtet. Dies reicht für die Darlegung, die Entscheidung sei ,,nicht mit Gründen versehen" (§ 116 Nr. 5 FGO) und die Revision sei deshalb ohne Zulassung statthaft, nicht aus.
Normenkette
FGO § 116 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt. Er wurde zusammen mit seiner Ehefrau (Klägerin und Revisionsklägerin - Klägerin -) für das Jahr 1981 gemäß § 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Einkommensteuer veranlagt. Mangels Abgabe der Steuererklärung wurden die Besteuerungsgrundlagen zunächst im Bescheid vom 12. Juli 1983 geschätzt. Auf Grund der mit der Einlegung des Einspruchs eingereichten Einkommensteuererklärung erging gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ein geänderter Einkommensteuerbescheid. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 1984 zurückgewiesen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) führt in seiner Entscheidung aus, die mangels Begründung des Einspruchs vorgenommene Prüfung nach Aktenlage habe ergeben, daß die Steuerfestsetzung nicht zu beanstanden sei.
Daraufhin erhoben die Kläger Klage zum Finanzgericht (FG) mit dem Antrag, die Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 1984 aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid ,,aufzuheben und abzuändern".
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 1985, der auch den Klägern übermittelt worden ist, teilte das FA dem FG mit, daß der Kläger am 31. Oktober 1984 dem FA Belege für Betriebsausgaben vorgelegt habe. Deren Überprüfung habe ergeben, daß der Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit um den Betrag von 4 730,14 DM (betreffend Anwalts- und Gerichtskosten) gemindert werden könne. Der Kläger sei hiervon mit Schreiben vom 5. Dezember 1984 in Kenntnis gesetzt und um Zustimmung für die entsprechende Änderung des Steuerbescheides gebeten worden. Trotz mehrfacher Erinnerungen liege ihm, dem FA, eine Stellungnahme des Klägers noch nicht vor. Mit dem am 9. Juli 1985 beim FG eingegangenen Schriftsatz vom 8. Juli 1985 beantragten die Kläger, den Gewinn des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit um 5 173,61 DM herabzusetzen. Dieser Betrag ergebe sich aus der Äußerung des FA mit Schriftsatz vom 20. Juni 1985, demzufolge der Gewinn um 4 730,14 DM gemindert werden könne. Für den Restbetrag von 443,47 DM werde ein Kostenfestsetzungsbeschluß mit Zahlungsbeleg vorgelegt.
Zum Gerichtstermin am 9. Juli 1985 erschienen weder der Kläger noch das FA. Das FG hat der Klage bezüglich eines irrtümlichen Ansatzes von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1 342 DM stattgegeben. Die Klageabweisung im übrigen begründete das FG mit dem Hinweis, daß der Nachweis von Betriebsausgaben des Klägers bei seinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit nicht geführt sei. Zum einen sei der Betrag von 443,47 DM schon in der vom FA vorgelegten Kostenaufstellung enthalten, so daß insoweit doppelte Geltendmachung vorliege.
Bezüglich der übrigen dem Kläger entstandenen Anwalts- und Gerichtskosten sei vom Kläger nicht substantiiert dargetan worden, daß diese Aufwendungen im Zusammenhang mit seiner selbständigen Tätigkeit entstanden seien. Da der Kläger trotz Fristsetzung gemäß Art. 1 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) innerhalb der gesetzten Frist einer Klagebegründung nicht nachgekommen sei, sehe das FG keine Veranlassung zu weiteren Nachforschungen.
Das Urteil des FG wurde ausweislich des Gerichtsprotokolls in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 1985 verkündet.
Die Kläger haben gegen das Urteil des FG fristgerecht Revision eingelegt, die auf Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt wird. Dem FG sei bekannt gewesen, daß der Kläger dem FA die Belege über Betriebsausgaben vorgelegt habe. Das FA habe mit Schreiben vom 20. Juni 1985 dem FG mitgeteilt, daß der Gewinn des Klägers um den Betrag von 4 730,14 DM gemindert werden könne. Somit sei das Begehren zwar nicht gegenüber dem FG, jedoch gegenüber dem FA substantiiert worden. Eine abweichende Wertung der Belege durch das FG sei aus dem Urteil nicht erkennbar, so daß es gegen § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO verstoße. Letztlich seien die begehrten Betriebsausgaben wegen der versäumten Fristen versagt worden. Warum das FG weitere Nachforschungen für erforderlich halte, obwohl das FA die Betriebsausgaben bereits anerkannt habe, sei weder vom FG noch vom FA ersichtlich gemacht worden. Die schlichte Feststellung der mangelnden Substantiierung könne nicht als Begründung für die Nichtanerkennung von Betriebsausgaben gewertet werden, so daß die Entscheidung des FG nicht mit Gründen versehen sei. Im übrigen sei darauf hinzuweisen, daß die Rechtsmittelbelehrung zur Urteilsausfertigung nicht dem Stande im Zeitpunkt der Urteilsausfertigung entspricht.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der Streitwert liege unter dem Betrag von 10 000 DM; auch habe das FG die Revision nicht zugelassen. Gründe für eine zulassungsfreie Revision i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO seien nicht erkennbar. In der Sache sei eine betriebliche Veranlassung nicht dargetan. Es sehe deshalb keine Veranlassung, einen geänderten Einkommensteuerbescheid zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Da im Streitfall die nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in der bis zum 16. Juli 1985 geltenden Fassung (vgl. Art. 2, 3 und 5 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungs- und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, BGBl I, 1274, BStBl I, 496) maßgebliche Streitwertgrenze von 10 000 DM nicht erreicht ist, steht den Klägern das Rechtsmittel der Revision nur zu, wenn entweder das FG die Revision zugelassen hat oder die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision i. S. des § 116 FGO vorliegen. Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 1 FGO hat das FG in seinem Urteil nicht ausgesprochen. Auch ist es im Wege eines Verfahrens nach § 115 Abs. 3 FGO nicht zu einer Revisionszulassung gekommen, da die Kläger ein solches Verfahren nicht angestrengt haben und das geltend gemachte Begehren nicht in eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision umgedeutet werden kann (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Januar 1967 VI R 216/66, BFHE 88, 73, BStBl III 1967, 291, und des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 7. Oktober 1971 IX ZR 101/67, Der Betrieb - DB - 1971, 2256, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 115, Rechtsspruch 99). Im übrigen würde es an den Erfordernissen einer ordnungsmäßigen Begründung i. S. des § 115 Abs. 3 FGO mangeln.
2. Die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegen nicht vor. Die Rüge eines solchen Verfahrensmangels ist nur dann ordnungsgemäß erhoben, wenn dargetan wird, das FG habe einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel in den Entscheidungsgründen mit Stillschweigen übergangen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492, und BFH-Beschluß vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Danach ist eine Rüge nur dann ordnungsgemäß begründet, wenn mit ihr geltend gemacht wird, daß die Vorinstanz einen bestimmten Sachverhaltskomplex in den Gründen ihrer Entscheidung überhaupt nicht berücksichtigt habe, daß die Vorinstanz zum Grund, aber nicht zur Höhe eines Steueranspruchs Stellung genommen habe, obwohl auch die Höhe streitig war, oder daß die Vorinstanz das auf die Gewährung einer Begünstigung zielende Begehren gänzlich übergangen habe.
Wenn dagegen geltend gemacht wird, das FG habe in den Gründen seiner Entscheidung einzelne Merkmale (Tatbestandselemente) einer Rechtsnorm übergangen, wendet sich die Rüge gegen die Rechtsanwendung. So liegt es im Streitfall. Der Kläger hat mit der Klage begehrt, daß bestimmte Aufwendungen (Anwalts- und Gerichtskosten) als Betriebsausgaben bei seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit anerkannt werden. Es kann zwar davon ausgegangen werden, daß die einschlägigen Belege dem Gericht vorgelegen haben, jedoch ist aus Kostenrechnungen, Kostenfestsetzungsanträgen und Kostenfestsetzungsbeschlüssen, die lediglich den jeweiligen Prozeßgegner des Klägers und diesen selbst bezeichnen, nicht ohne weiteres ersichtlich, daß die Prozesse vom Kläger im Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit geführt worden sind. Die die Klagabweisung tragenden Entscheidungsgründe befassen sich daher mit einem im Rahmen der Norm des § 4 Abs. 4 EStG maßgeblichen Tatbestandsmerkmal, nämlich der dem Kläger obliegenden Feststellungslast für den betrieblichen Charakter seiner Aufwendungen (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 17. April 1986 IV R 115/84, BFHE 146, 419, BStBl II 1986, 607). Wenn der Kläger demgegenüber rügt, das FG habe in seinen Entscheidungsgründen beiseite geschoben, daß das FA seinerseits die betriebliche Veranlassung nicht in Zweifel gezogen habe, zieht er in Wirklichkeit in Zweifel, daß das FG die Rechtsfrage der Feststellungslast zutreffend beurteilt habe. Das ist jedoch keine Rüge i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 415326 |
BFH/NV 1989, 245 |