Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH für Beschwerde gegen Ablehnung der Gewährung von PKH durch das FG; Schätzung bei Verlust von Geschäftsunterlagen
Leitsatz (NV)
1. Der Vertretungszwang des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG gilt auch für eine Beschwerde gegen den Beschluß des FG über die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von PKH für das Klageverfahren.
2. PKH kann auch für das Beschwerdeverfahren gegen den die PKH ablehnenden Beschluß des FG gewährt werden (Anschluß an BFH-Beschluß vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499, gegen BGH-Beschluß vom 30. Mai 1984 VIII ZR 298/83, NJW 1984, 2106). Der Zulässigkeit des Antrags steht - wegen der Möglichkeit der Wiedereinsetzung - der Ablauf der Beschwerdefrist nicht entgegen.
3. Soweit im Besteuerungsverfahren Schätzungen vorgenommen worden sind, kommt es für die Gewährung von PKH wesentlich darauf an, ob bei summarischer Prüfung und Würdigung der wichtigsten Umstände der vom Antragsteller begehrte Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat.
4. Schätzung bei Verlust von Geschäftsunterlagen.
Normenkette
BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114; AO 1977 § 162 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Ehefrau des Antragstellers betrieb in den Streitjahren 1977 und 1978 eine Schank- und Speisewirtschaft im Rahmen einer Bierwirtschaft. Für das Jahr 1977 gab die Ehefrau des Antragstellers eine Umsatzsteuer- und eine Gewerbesteuererklärung ab. Darin wurde der Umsatz mit 47 386 DM bzw. der Gewinn aus Gewerbebetrieb mit ./. 16 570 DM angegeben. Eine Einkommensteuererklärung gaben der Antragsteller und seine Ehefrau für 1977 nicht ab. Das Finanzamt (FA) schätzte die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO 1977). Mit Einkommensteuerbescheid 1977 vom 10. November 1980 berücksichtigte es die Einkünfte des Antragstellers aus nichtselbständiger Arbeit mit 10 556 DM und die Einkünfte seiner Ehefrau aus Gewerbebetrieb mit 10 000 DM.
Gegen den Bescheid vom 10. November 1980 legte der Antragsteller Einspruch mit der Begründung ein, die Schätzung sei überhöht. Ein Teil der Geschäftsunterlagen sei bei einem PKW-Diebstahl abhanden gekommen. Nach einer Besprechung mit der Ehefrau des Antragstellers schätzte das FA im Einvernehmen mit dieser den Gewinn aus Gewerbebetrieb auf 20 % des erklärten Umsatzes (= 9 477 DM) und setzte mit Änderungsbescheid vom 30. August 1982 die Einkommensteuer entsprechend fest. Das FA sah den Einspruch als erledigt an.
Der Antragsteller erklärte in einer Besprechung am 22. Mai 1985, daß er seinen Einspruch durch den Änderungsbescheid nicht als erledigt betrachte. Das FA kam zu der Auffassung, daß der Änderungsbescheid unwirksam ergangen sei, weil er den Eheleuten nur in einer Ausfertigung bekanntgegeben worden sei. Nach Hinweis auf die Möglichkeit der Verböserung schätzte das FA den Gewinn in Anlehnung an die Richtsatzsammlung für Gewerbetreibende mit 26 % des Umsatzes (= durchschnittlicher Reingewinnsatz für Gast- und Speisewirtschaften mit einem Küchenwarenanteil bis 25 % des Wareneinsatzes) auf 12 320 DM und setzte in der Einspruchsentscheidung vom 7. April 1986 die Einkommensteuer auf 3 194 DM fest.
Für das Jahr 1978 wurden keine Steuererklärungen abgegeben. Das FA schätzte auch für dieses Jahr die Einkünfte. Gegen den Einkommensteuerbescheid 1978 vom 19. März 1981 legte nicht der Antragsteller, sondern nur seine Ehefrau Einspruch ein (Schreiben vom 17. April 1981).
Der Antragsteller hat gegen die Einkommensteuerbescheide 1977 und 1978 Klage erhoben. Er hat beim Finanzgericht (FG) beantragt, ihm für das Klageverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren und ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen. Dem Antrag war eine auf amtlichem Vordruck abgegebene Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (vom 5. Februar 1987) beigefügt.
Das FG hat den Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten mit Beschluß vom 1. Juli 1987 abgelehnt. Die Klage wegen Einkommensteuer 1978 sei unzulässig, weil nicht der Antragsteller, sondern nur seine Ehefrau Einspruch eingelegt habe und es somit hinsichtlich des Antragstellers an dem erforderlichen Vorverfahren fehle. Bezüglich des Einkommensteuerbescheids 1977 bestünde keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein vollständiges oder wenigstens teilweises Obsiegen des Antragstellers. Die Schätzung durch das FA sei nicht zu beanstanden.
In einem am 27. Juli 1987 beim FG eingegangenen Schreiben legte der Antragsteller ,,Beschwerde" gegen den Beschluß vom 1. Juli 1987 ein und beantragte, ihm PKH zu bewilligen sowie ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen. Der Antragsteller führte wörtlich aus: ,,Beweis für die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen müßte evtl. im FG aufzufinden sein." Zu den Erfolgsaussichten seiner Klage legte er dar: Er habe mehrfach angeboten, den Sachverhalt aufzuklären. Zum Diebstahl seiner Buchführungsunterlagen habe er mitgeteilt, welche Polizeibehörde die Diebstahlanzeige aufgenommen und welche Versicherung den Schaden reguliert habe. Das FA habe es versäumt, den Gewinn aus Gewerbebetrieb anhand der Lieferantenrechnungen der Brauerei zu ermitteln.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat geht zugunsten des Antragstellers davon aus, daß dieser nicht bereits Beschwerde gegen die Ablehnung seines PKH-Gesuchs durch das FG eingelegt, sondern zunächst nur einen Antrag auf Gewährung von PKH für die Beschwerde gegen die Ablehnung seines PKH-Gesuchs gestellt hat. Dieser Antrag ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Eine Beschwerde gegen den Beschluß des FG über die Ablehnung des Antrags auf PKH für das Klageverfahren vor dem FG wäre unzulässig. Vor dem Bundesfinanzhof (BFH) muß sich - wie auch aus der Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Beschluß hervorgeht - jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen (Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932 i. d. F. des Gesetzes vom 3. Dezember 1987, BGBl I 1987, 2442, BStBl I 1987, 800). Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG). Fehlt es, wie im Streitfall, an diesem Erfordernis der ordnungsgemäßen Vertretung durch einen Angehörigen der in Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG aufgeführten Berufsgruppen, so ist die betreffende Prozeßhandlung - im Streitfall wäre es die Einlegung der Beschwerde - unwirksam.
2. Der Antrag auf PKH für das Beschwerdeverfahren ist zulässig. Nach der Rechtsprechung des BFH kann PKH auch für das Verfahren der Beschwerde gegen den die PKH ablehnenden Beschluß des FG gewährt werden (Beschluß vom 18. Juli 1985 V S 3/85, BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499). Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluß vom 30. Mai 1984 VIII ZR 298/83 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 2106) entschieden, für das PKH-Verfahren könne PKH nicht gewährt werden. Diese Rechtsprechung kann aber aus den in der Entscheidung in BFHE 143, 528, BStBl II 1985, 499 dargelegten Gründen, denen sich der erkennende Senat anschließt, für das finanzgerichtliche Verfahren wegen der hier zu berücksichtigenden Besonderheiten nicht übernommen werden.
3. Die Zulässigkeit des Antrags wird nicht dadurch berührt, daß die Beschwerdefrist abgelaufen ist. Dem Antragsteller könnte grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden, falls ein nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG vertretungsberechtigter Bevollmächtigter nach Ergehen dieser Entscheidung Beschwerde einlegen und gleichzeitig fristgerecht den Wiedereinsetzungsantrag stellen würde.
4. Der Antrag des Klägers ist unbegründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Die Erfolgsaussichten sind summarisch daraufhin zu prüfen, ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein vollständiges oder wenigstens teilweises Obsiegen des Antragstellers besteht (vgl. BFH-Beschluß vom 25. März 1986 III B 5-6/86, BFHE 146, 223, BStBl II 1986, 526). Soweit im Besteuerungsverfahren Schätzungen vorgenommen worden sind, kommt es für die Gewährung der PKH wesentlich darauf an, ob bei summarischer Prüfung und Würdigung der wichtigsten Tatumstände der vom Antragsteller begehrte Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Das FG hat zutreffend die Ansicht vertreten, daß keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein vollständiges oder wenigstens teilweises Obsiegen des Antragstellers bezüglich des Streitjahres 1977 besteht. Das FA war gemäß § 162 AO 1977 berechtigt, die Einkünfte der Ehefrau des Antragstellers aus Gewerbebetrieb zu schätzen. Trotz wiederholter Aufforderungen hatten der Antragsteller und seine Ehefrau keine Einkommensteuererklärung für 1977 abgegeben. Der Verlust der Geschäftsunterlagen hinderte nicht die Schätzung, sondern gebot sie (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Es begegnet auch keinen Bedenken, daß sich die Schätzung an einem äußeren Betriebsvergleich entsprechend den Richtsatzwerten der Richtsatzsammlung für Gewerbetreibende orientiert hat. Der Antragsteller sowie seine Ehefrau hatten keine Angaben zur Gewinnermittlung gemacht, so daß die Schätzung nach Richtsatzwerten erforderlich war. Erstmalig in dem am 27. Juli 1987 beim FG eingegangenen Antragschreiben gibt der Antragsteller eine grobe Aufschlüsselung der Betriebsausgaben in fünf Positionen (Pacht, Material, Versicherungskosten, Personalkosten, Stromkosten). Diese Angaben sind ohne weitere Erläuterung und Nachweise zu unbestimmt, um das Schätzungsergebnis in Frage stellen zu können. Zudem ist nicht einmal zu erkennen, auf welches Geschäftsjahr sich diese Angaben beziehen. Schließlich weist der Antragsteller selbst darauf hin, daß weitere Erläuterungen erforderlich sind.
Bezüglich des Streitjahres 1978 hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, daß die Klage mangels Vorverfahrens unzulässig ist. Erfolgsaussichten der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1978 waren daher zu verneinen.
Fundstellen
Haufe-Index 62367 |
BFH/NV 1990, 153 |