Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Gewährung einer Schriftsatzfrist im Hinblick auf bekanntes Vorbringen des Klagegegners
Leitsatz (NV)
1. Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn das FG die beantragte Schriftsatzfrist für weiteren Tatsachenvortrag ablehnt, dessen rechtliche Relevanz dem Kläger rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung bekannt war.
2. Keine Überraschungsentscheidung, wenn das FG in der abschließenden Entscheidung von der Rechtsauffassung des Berichterstatters abweicht, die dieser im Erörterungstermin geäußert hat.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2; AO § 122 Abs. 2 Nr. 1; ZPO § 283
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
a) Das Finanzgericht (FG) hat den Anspruch der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) nicht durch die Ablehnung der Gewährung einer Schriftsatzfrist verletzt. Die Nichtgewährung einer in der mündlichen Verhandlung beantragten Schriftsatzfrist verletzt nur dann den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des anderen Beteiligten nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Nur für diesen Fall sehen § 283 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO das Nachbringen schriftsätzlicher Erklärungen vor (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Februar 2007 III B 105/06, BFH/NV 2007, 1163). Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor.
Der Streitpunkt, zu dem sich die Kläger noch schriftsätzlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung äußern wollten, betraf die Frage, ob die Einspruchsentscheidung auf Grund der gesetzlichen Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung mit dem dritten Tag nach ihrer Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, oder ob die Kläger substantiiert Tatsachen vorgetragen haben, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hatte bereits mit Schriftsatz vom 29. November 2007 auf die Unzulässigkeit der Klage hingewiesen. Die Kläger sind sodann mit gerichtlicher Verfügung vom 5. Februar 2008 aufgefordert worden, zu der Zulässigkeit der Klage Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme der Kläger zu der Zulässigkeit der Klage, insbesondere zu dem Zeitpunkt des Zugangs der Einspruchsentscheidung, erfolgte mit Schriftsatz vom 31. März 2008. Der darin geäußerten Rechtsansicht der Kläger ist das FA mit Schriftsatz vom 21. April 2008 entgegengetreten. Im Streitfall lagen somit die Voraussetzungen für das Nachreichen eines Schriftsatzes gemäß § 283 ZPO i.V.m. § 155 FGO nicht vor.
Im Übrigen wäre die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs auch unzulässig, da nicht ersichtlich ist, was die Kläger bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätten (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs, die sich auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte des finanzgerichtlichen Urteils beschränkt: Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 14, mit umfangreichen Nachweisen).
b) Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn das FG seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2008 X B 179/06, BFH/NV 2008, 608). Wie bereits dargelegt, haben die Beteiligten die Frage des Zugangs der Einspruchsentscheidung und die damit zusammenhängende Frage der Zulässigkeit der Klage in ihren jeweiligen Schriftsätzen kontrovers erörtert. Die Abweisung der Klage als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist erfolgte daher für die Kläger nicht überraschend. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Berichterstatterin im Erörterungstermin die Zulässigkeit der Klage (noch) anders beurteilt hatte. Hierbei handelt es sich um die Rechtsäußerung nur eines Mitglieds des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers --hier des Senats--. Aus einer solchen, regelmäßig nur vorläufigen Rechtsäußerung eines Senatsmitglieds kann indes nicht gefolgert werden, dass die Rechtsfrage eindeutig geklärt ist und der Senat von der Rechtsauffassung nicht abweichen bzw. sie anders beurteilen könnte. Dies musste sich den Klägern im Übrigen auch deshalb aufdrängen, weil das FA im Nachgang zum Erörterungstermin mit Schriftsatz vom 25. Juli 2008, ersichtlich auf Grund der rechtlichen Beurteilung des Streitfalls durch die Berichterstatterin im Erörterungstermin, einer Entscheidung durch den Einzelrichter nicht zugestimmt, es vielmehr eine Entscheidung durch den Senat begehrt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2261840 |
BFH/NV 2010, 220 |