Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde; grundsätzliche Bedeutung
Leitsatz (NV)
- Eine Rechtsfrage (hier: ob Zusendungen per Post in die Schweiz Rechtsfolgen auslösen können) verleiht einer Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, wenn sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärbar ist.
- Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage (hier: Rechtmäßigkeit der öffentlichen Zustellung von Bescheiden im Ausland) erfordert grundsätzlich Ausführungen dazu, inwieweit diese Frage in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist.
- Eine Rechtsfrage hat keine Bedeutung für die Allgemeinheit, wenn sich ihre Beantwortung nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls richtet.
- Allein der Vortrag, eine bestimmte Rechtsfrage (hier: ob der Steuertatbestand des § 14 Abs. 3 UStG Steuererklärungspflichten auslöst) sei vom BFH noch nicht entschieden, entspricht den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht.
- Allgemeine Ausführungen zu einer Rechtsvorschrift (hier: Art. 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuches) rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht, wenn dabei keine klärungsbedürftige und im Streitfall klärbare konkrete Rechtsfrage herausgestellt wird.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 122 Abs. 5; VwZG § 15
Nachgehend
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ―deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Schweiz― wurde von dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) durch Haftungsbescheid vom 5. Oktober 1993 wegen rückständiger Umsatzsteuern nebst Zinsen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt … DM in Anspruch genommen. Das FA war im Anschluss an Feststellungen einer Steuerfahndungsprüfung zu der Auffassung gelangt, der Kläger sei Geschäftsführer zweier ―mittlerweile liquidierter― Schweizer sog. Domizilgesellschaften (A und B) gewesen, unter deren Firma in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) steuerpflichtige Umsätze ausgeführt bzw. zu Unrecht Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis erteilt worden seien.
Das FA stellte dem Kläger den Haftungsbescheid öffentlich zu (§ 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes ―VwZG―) und wies dessen Einspruch durch ―ebenfalls öffentlich zugestellte― Einspruchsentscheidung vom 10. November 1995 als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte zur Begründung im Wesentlichen aus:
Der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung seien formell rechtmäßig. Sie seien durch öffentliche Zustellung i.S. des § 15 VwZG wirksam bekannt gegeben (zugestellt). Das FA habe nach § 122 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) bzw. § 366 Satz 2 i.V.m. § 122 Abs. 5 AO 1977 die Bekanntgabe der Verwaltungsakte durch förmliche Zustellung wählen dürfen. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung i.S. des § 15 VwZG seien erfüllt gewesen. Zwar sei der Wohnsitz und Aufenthalt des Klägers in der Schweiz bekannt gewesen; eine förmliche Zustellung der Bescheide ins Ausland, insbesondere eine solche gemäß § 14 VwZG, komme indessen hinsichtlich der Schweiz nicht in Betracht. Eine (andere als die öffentliche) Zustellung an den Kläger sei deshalb i.S. von § 15 Abs. 1c VwZG unausführbar gewesen. Das vom FA eingehaltene Verfahren der öffentlichen Zustellung entspreche den Vorschriften des § 15 Abs. 2 und 3, ferner Abs. 5 Satz 2 VwZG.
Die angefochtenen Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 könne durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer hafte (Haftungsschuldner). Der Kläger hafte für die Umsatzsteuerschulden der A und B i.S. des § 191 Abs. 1 AO 1977 "kraft Gesetzes", nämlich sowohl nach § 69 AO 1977 i.V.m. § 35 AO 1977 als auch nach § 71 AO 1977 i.V.m. § 370 AO 1977.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unbegründet.
1. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil eine Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein. Diese Voraussetzungen müssen gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdeschrift dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 2. August 1999 VII B 20/99, BFH/NV 2000, 436, m.w.N.).
b) Soweit der Kläger die "primäre Grundsatzfrage: Können Zusendungen per Post in die Schweiz Rechtsfolgen auslösen?" für grundsätzlich bedeutsam hält (S. 4-9 der Beschwerdeschrift), hat er nicht hinreichend dargelegt, dass diese Rechtsfrage im vorliegenden Rechtsstreit klärbar ist. Er hat insoweit zwei Passagen aus dem FG-Urteil (S. 17, 18 und S. 19) herausgegriffen, bei denen es sich indes jeweils um Begründungen handelt, die nicht entscheidungserheblich sind und vom FG mit entsprechenden Formulierungen eingeleitet wurden (… "jedenfalls …" sowie "Dies gilt um so mehr, als …").
Hinsichtlich der von dem Kläger ferner als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Frage der Rechtmäßigkeit der öffentlichen Zustellung von Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung (Beschwerdeschrift S. 9-11) fehlt die gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderliche Darlegung, inwieweit diese Frage in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist. Dafür ergibt sich auch aus dem, dem FG vorgelegten und mit der Beschwerde in Bezug genommenen Privatgutachten nichts (vgl. Gutachten, S. 17 ff.).
Das von dem Kläger in diesem Zusammenhang erwähnte BFH-Urteil vom 24. November 1992 VII R 63/92 (BFHE 169, 493, BStBl II 1993, 220) zur Wohnsitzanfrage des FA beim Einwohnermeldeamt hat keinen Bezug zum vorliegenden Streitfall.
Im Übrigen hätte sich der Kläger hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit auch mit der Rechtsprechung auseinandersetzen müssen, wonach die Fehlerhaftigkeit der Zustellung grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes führt (z.B. BFH-Urteil vom 13. November 1991 X R 48/91, BFHE 166, 367, BStBl II 1992, 351).
c) Die in der Beschwerdeschrift ferner herausgestellte "Rechtsfrage, ob der Kläger als Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO zu qualifizieren" ist (Beschwerdeschrift S. 11, 12), hat keine Bedeutung für die Allgemeinheit, sondern beurteilt sich nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls.
d) Soweit der Kläger des Weiteren meint, der BFH habe im Streitfall Gelegenheit, die ―seines Wissens noch nicht von ihm geklärte― Rechtsfrage zu entscheiden, ob der Steuertatbestand des § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Steuererklärungspflichten auslöse (Beschwerdeschrift S. 12, 13), fehlt ebenfalls die Darlegung, inwieweit diese Frage umstritten ist. Allein der Vortrag, eine bestimmte Rechtsfrage sei vom BFH noch nicht entschieden, entspricht den Begründungsanforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht.
e) Die allgemeinen Ausführungen des Klägers zur Bedeutung von Art. 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (Beschwerdeschrift S. 13, 14) rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht, weil hier keine klärungsbedürftige und im Streitfall klärbare konkrete Rechtsfrage herausgestellt wird, wie dies erforderlich ist. Insbesondere der Hinweis des Klägers auf S. 20 des von ihm vorgelegten Gutachtens, wonach ein Verwaltungsakt, der einem Deutschen in der Schweiz auferlegt, Angaben an die deutschen Steuerbehörden zu machen, die ihrerseits als Geheimnisbruch strafbar wären oder den Tatbestand des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes erfüllen würden, nichtig sei, reicht insoweit nicht aus.
2. Eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels scheidet ebenfalls aus.
Der Kläger macht insoweit geltend, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, das angefochtene Urteil sei mangelhaft begründet und beruhe auf willkürlichen Tatsachenfeststellungen; außerdem habe das FG den Sachverhalt nicht hinreichend erforscht (Beschwerdeschrift S. 15-20).
Diese Rügen rechtfertigen die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht. Das hat das FA in der Beschwerdeerwiderung (S. 8-13) zutreffend im Einzelnen dargelegt. Der Senat nimmt auf diese Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
Die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 25. Januar 2000 rechtfertigen keine andere Beurteilung. Soweit der Kläger weiter Rechtsfragen mit ―nach Ansicht des Klägers― grundsätzlicher Bedeutung darlegt, rechtfertigen diese schon deshalb keine Zulassung der Revision, weil sie erst nach Ablauf der Beschwerdefrist vorgetragen worden sind.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
Fundstellen