Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswürdigung und Denkgesetze; erhöhte Beweisvorsorge; rechtliches Gehör; Akteninhalt; mangelnde Sachaufklärung
Leitsatz (NV)
1. Verstöße gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung sowie gegen die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze stellen keinen Verfahrensmangel dar.
2. Ein Steuerpflichtiger, der Gelder vom Ausland ins Inland transferiert, ist zu erhöhter Beweisvorsorge verpflichtet, selbst wenn die Gelder auf einer Tätigkeit im Ausland zu einer Zeit fehlender Steuerpflicht im Inland beruhen.
3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht verlangen vom Gericht nicht, die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten zu erörtern und ihnen die für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten.
4. Für die Rüge, das Finanzgericht habe relevante Aktenbestandteile nicht berücksichtigt, ist die Darlegung erforderlich, dass die Vorentscheidung ohne den behaupteten Verfahrensfehler anders getroffen worden wäre.
5. Für die Rüge mangelnder Sachaufklärung genügt es nicht zu behaupten, das Finanzgericht hätte von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 76 Abs. 1-2; AO 1977 § 90
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 22.06.2004; Aktenzeichen 3 K 101/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war von 1984 bis Ende 1990 in Taiwan tätig. Aufgrund von Feststellungen der Steuerfahndung gelangte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, der Kläger habe nach seiner Rückkehr nach Deutschland ab 1991 jahrelang von einem taiwanesischen Unternehmen, für das er in Deutschland tätig war, Leistungen bezogen, ohne sie zu versteuern. Der Kläger gab als Erklärung für diese Zuflüsse an, sie seien die ratenweise Rückzahlung eines Darlehens, das er vor seiner Rückkehr nach Deutschland einem Mitarbeiter dieses Unternehmens gewährt habe. Auf diese Weise habe er sein damaliges in Taiwan und vorher in Nigeria angesammeltes Kapitalvermögen nach Deutschland transferieren können. Das Finanzgericht (FG) folgte der Darstellung des Klägers nicht und wies seine Klage weitgehend als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat die von ihm als Revisionszulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend gemachten Verfahrensfehler nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.
1. Die vom Kläger in mehrerer Hinsicht gerügten (angeblichen) Verstöße des FG gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung sowie gegen die Denkgesetzeund allgemeinen Erfahrungssätze stellen --ihr Vorliegen vorausgesetzt-- keine Verfahrensmängel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern materiell-rechtliche Fehler dar, welche für sich genommen die Zulassung der Revision nicht eröffnen (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 27. Juni 2002 X B 144/01, BFH/NV 2002, 1336, und die Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 76 und 82 f.).
a) Dies gilt für seine Rüge, das FG habe die nach der Beweisaufnahme feststehende Tatsache nicht rational nachvollziehbar gewürdigt, dass der behauptete Darlehensnehmer berechtigt gewesen sei, die Bankverbindungen des taiwanesischen Unternehmens für private Zwecke verwenden zu können.
b) Dies gilt ebenso für die Rüge des Klägers, die Überlegungen des FG zur Angemessenheit seiner Bezüge stellten einen "krassen Verstoß gegen Grundsätze der Logik und der Lebenserfahrung" dar.
c) Als materiell-rechtlicher Fehler und nicht als Verfahrensfehler wäre es auch zu bewerten, wenn dem FG entsprechend der Auffassung des Klägers entgegen gehalten werden könnte, es habe die Anforderungen an die Beweisvorsorge bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) überzogen. Der Kläger übersieht zudem, dass ihn erhöhte Anforderungen an die Beweisvorsorge getroffen haben. Er muss eine überprüfbare Erklärung für den Zufluss von Geldmitteln aus dem Ausland geben. Die behauptete Herkunft des Geldes durch eine Tätigkeit außerhalb Deutschlands zu einer Zeit, als der Kläger im Inland nicht steuerpflichtig war, ändert daran nichts und kann die Notwendigkeit erhöhter Beweisvorsorge nicht mindern.
2. Mehrfach rügt der Kläger, das angefochtene Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar.
a) Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 76 FGO und § 96 Abs. 2 FGO liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29. Mai 1991 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Februar 1998 VIII R 28/95, BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505; BFH-Beschlüsse vom 28. Mai 1998 III B 5/98, BFH/NV 1998, 1352; vom 23. April 1998 VII B 282/97, BFH/NV 1998, 1492; vom 15. März 2002 X B 175/01, BFH/NV 2002, 944, und vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht i.S. des § 76 Abs. 2 FGO verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert und ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus andeutet (vgl. BFH-Entscheidungen vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448, und vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235, m.w.N.). Auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten wie im Streitfall fachkundig vertreten sind (vgl. BFH-Beschluss vom 20. August 1998 XI B 110/95, BFH/NV 1999, 329).
b) Danach war das FG entgegen der Ansicht des Klägers nicht verpflichtet, vor Erlass seines Urteils die Beteiligten darüber zu unterrichten, welche Bedeutung es dem Umstand beimisst, dass die Ehefrau des Klägers auf Scheckeinreichungsformularen als Aussteller der Schecks das taiwanesische Unternehmen angab und welche Bedeutung es den für den Kläger nachteiligen Umrechnungskursen beilegt, die in einer eigenen Aufstellung des Klägers enthalten sind.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargetan, dass er mit für ihn nachteiligen Folgerungen des FG aus den Angaben in den Scheckeinreichungsformularen und den Umrechnungskursen nicht zu rechnen brauchte, nachdem diese Fragen --wie sich auch aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt-- im Verwaltungs- und im Klageverfahren zwischen den Beteiligten streitig erörtert wurden. Das FG musste auch seine Überlegungen zur Angemessenheit der als Bruttolohn vom Kläger erklärten Beträge nicht vorher darlegen.
3. Mit seiner Rüge, das FG habe relevante Aktenbestandteile nicht berücksichtigt und damit Beweise selektiv verwertet, hat der Kläger einen Verstoß gegen § 96 FGO nicht schlüssig dargelegt. Sein Vorbringen, das FG habe es unterlassen, ein beschlagnahmtes Schriftstück in die Würdigung des Prozessstoffs einzubeziehen, in dem er persönlich Einzelheiten für die vorgesehenen Gehaltsverhandlungen bzw. die Umstellung auf Provisionszahlungen aufgelistet habe, enthält im Kern den Vorwurf einer fehlerhaften Beweiswürdigung, mit der ein Verfahrensmangel regelmäßig nicht begründet werden kann (vgl. Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 108; Senatsbeschluss vom 18. März 2003 X B 144/99, BFH/NV 2003, 1048). Insoweit kann es dahin gestellt bleiben, ob es bereits an einer genauen Bezeichnung der Aktenteile, die das FG nicht berücksichtigt haben soll, fehlt (vgl. BFH-Urteil vom 8. November 1973 V R 130/69, BFHE 110, 493, BStBl II 1974, 219). Schließlich hat der Kläger auch nicht --wie es erforderlich ist-- substantiiert dargelegt, dass die Vorentscheidung unter Zugrundelegung der dort vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders getroffen worden wäre, wenn dem FG der behauptete Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre.
4. Mehrfach rügt der Kläger, das FG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung von Amts wegen verletzt.
a) So habe es das FG unterlassen, seine Ehefrau als Zeugin zu der Bedeutung einer von ihr gefertigten Notiz zu vernehmen, die nach seinem Vorbringen Auskunft über seine künftigen Gehaltsvorstellungen gebe, während die Notiz nach Auffassung des FA, der sich das FG angeschlossen hat, eine Aussage über Leistungen enthält, die das Unternehmen dem Kläger in der Vergangenheit erbracht hatte. Weiter habe es das FG versäumt, die Ehefrau des Klägers zu den Überlegungen zu vernehmen, die sie veranlasst hatten, auf Scheckeinreichungsformularen das ausländische Unternehmen und nicht den behaupteten ausländischen Darlehensnehmer als Aussteller von Schecks anzugeben, die das Unternehmen übersandt hatte. Auf mangelnde Sachaufklärung sei auch der krasse Verstoß gegen Grundsätze der Logik und der Lebenserfahrung hinsichtlich der Beurteilung der Angemessenheit der als Bruttolohn des Klägers erklärten Beträge zurückzuführen. Dasselbe gelte insoweit, als das FG dem Kläger nicht durch Vorhalt Gelegenheit gegeben habe, zu den ihm nachteiligen Umrechnungskursen in seiner Aufstellung Stellung zu nehmen. Auch Zweifel über die bei den jeweiligen Vorgängen aktuelle Bezeichnung des Unternehmens hätte das FG von Amts wegen durch weitere Einholung von Auskünften ggf. beim ausländischen Wirtschaftsministerium oder dem zuständigen Registergericht aufklären müssen.
b) Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) mit der Begründung gerügt, das FG hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 25. Juni 2002 X B 199/01, BFH/NV 2002, 1332).
Daran hat es der --auch im finanzgerichtlichen Verfahren sachkundig vertretene-- Kläger fehlen lassen. Zudem wird die Ermittlungspflicht des FG durch Mitwirkungspflichten der Beteiligten eingeschränkt (§ 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO). Das FG kann davon ausgehen, dass die Beteiligten selbst auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht sind (s. z.B. BFH-Urteil vom 11. November 1986 VII R 87/82, BFH/NV 1987, 419).
5. Die gegen die Entscheidung des FG erhobenen Einwände des Klägers stellen sich im Kern als Einwendungen gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar. Diese können im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2003 X B 23/02, BFH/NV 2003, 504, und vom 22. Juli 2003 X B 97/02, BFH/NV 2004, 52).
Fundstellen