Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Begründung eines Prozeßurteils
Leitsatz (NV)
1. Ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt nicht vor, wenn Ausführungen zu Rechtsfragen unterbleiben, auf die es aus der Sicht des FG für die Entscheidung nicht ankommt.
2. Weist das FG eine Klage durch Prozeßurteil zurück, so bedarf es keiner Ausführungen zu materiellen Rechtsfragen.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte Einsprüche gegen die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen und auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Bescheide zur gesonderten Feststellung des Gewinns und Umsatzsteuer 1991 für seine Anwaltspraxis in X nicht begründet. Gegen die Einspruchsentscheidungen erhob er Klage, mit der er die Aufhebung der Rechtsbehelfsentscheidungen begehrte. Zur Begründung machte er geltend, die Vor aussetzungen für eine Schätzung lägen nicht vor, die Festsetzungen hätten aufgrund der tatsächlichen Steuererklärungen zu er folgen.
Das Finanzgericht (FG) forderte den Kläger zugleich mit der Eingangsbestätigung durch Verfügung des Berichterstatters vom 24. März 1995 auf, den angefochtenen ursprünglichen Verwaltungsakt zu bezeichnen, einen Klageantrag zu stellen und die Klage unter Angabe von Tatsachen und geeigneten Beweismitteln innerhalb einer Frist von einem Monat zu begründen. Nachdem sich der Kläger trotz einer Erinnerung durch das FG nicht geäußert hatte und die Steuerakten vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) übersandt worden waren, setzte der Berichterstatter am 10. Juli 1995 eine Ausschlußfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), mit der der Kläger aufgefordert wurde, bis zum 10. August 1995 den Gegenstand des Klagebegehrens und den angefochtenen ursprünglichen Verwaltungsakt zu bezeichnen. Zugleich wurde eine Ausschlußfrist nach § 79 b FGO zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich der Kläger beschwert fühle, sowie zum Nachreichen der noch ausstehenden Besteuerungsunterlagen gesetzt. Einem am 27. Juli 1995 eingegangenen Antrag des Klägers, die Frist wegen Arbeitsüberlastung zu verlängern, gab der Berichterstatter nicht statt und erließ am 24. August 1995 einen klageabweisenden Gerichtsbescheid.
Aufgrund eines rechtzeitig gestellten Antrags beraumte das FG mündliche Verhandlung vor dem Senat an. Am Tag der Verhandlung ging ein Schriftsatz des Klägers ein, mit dem beantragt wurde, dem FA aufzugeben, die vollständigen Akten vorzulegen, woraus sich ergeben werde, daß die Steuererklärungen vorlägen. Ihm, dem Kläger, sei die Vorlage der Steuererklärungen unmöglich, da jene sich beim FA befänden. Außerdem sei ihm vom Wohnsitzfinanzamt mitgeteilt worden, dieses werde die Gewinnfeststellung und Umsatzsteuerfestsetzung anhand der Erklärungen vornehmen (Beweis: Zeugnis eines Beamten).
Aufgrund der in Abwesenheit des Klägers durchgeführten mündlichen Verhandlung wies das FG die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, die Klage bleibe unzulässig, weil der Kläger die ihm nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzte Frist trotz ordnungsgemäßer Belehrung über die Folgen der nicht hinreichend entschuldigten Fristversäumnis fruchtlos habe verstreichen lassen. Deshalb sei auch das in letzter Minute angebrachte Beweisangebot nicht entscheidungserheblich.
Mit der zugleich mit einer Nichtzulassungsbeschwerde eingelegten Revision macht der Kläger geltend, das FG-Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Die Entscheidungsgründe setzten sich nicht mit dem Streitstoff auseinander; es reiche nicht aus, formelhaft auf eine gesetzte Frist zu verweisen. Das FG sei von Amts wegen verpflichtet gewesen, die vollständigen Unterlagen beim FA anzufordern. Ein Steuerpflichtiger könne nicht damit rechnen, daß ein wesentlicher Teil der Akten, nämlich die Steuererklärung und die Einspruchsschrift, nicht vorlägen. Die Steuererklärungen seien am 13. Oktober 1993 beim FA eingereicht worden. Ein Indiz dafür sei, daß das angedrohte Zwangsgeld nicht festgesetzt worden sei.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Feststellungs- und den Umsatzsteuerbescheid 1991 aufzuheben, damit das FA die Steuern erklärungsgemäß festsetze.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zuvor zugelassen hat. Im übrigen ist die Revision dann zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens im Sinne von § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden. Ein solcher Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben (Senatsbeschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568).
Der Kläger hat einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig gerügt. Ein solcher Mangel liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung überhaupt nicht oder jedenfalls zu einem wesentlichen Teil nicht begründet, indem ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen wird (vgl. BFH- Beschluß vom 14. Dezember 1995 VIII R 26/95, BFH/NV 1996, 427, m. w. N.). Die Begründung soll die Beteiligten davon in Kenntnis setzen, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht (Senatsurteil vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885).
Diesen Anforderungen entspricht die Vorentscheidung schon nach der eigenen Darstellung des Klägers. Das FG hat die Klage für unzulässig gehalten und seine Ausführungen auf den Gesichtspunkt der versäumten Ausschlußfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO beschränkt. Für die Beteiligten ist damit im Zusammenhang mit den ergangenen Aufforderungen des Gerichts ersichtlich, daß und warum Unzulässigkeit angenommen worden ist. Ohne Bedeutung ist, ob diese Begründung lücken- oder fehlerhaft ist. Eine diesbezügliche Verfahrensrüge wäre unzulässig, denn sie wäre in Wahrheit als Rüge der Verletzung materiellen Rechts anzusehen (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Januar 1994 VIII R 50/93, BFH/NV 1994, 646, m. w. N.).
Auch soweit der Kläger beanstandet, daß sich das FG nicht mit der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide befaßt hat, trägt er damit keine schlüssige Verfahrensrüge vor. Weist das Gericht eine Klage durch Prozeßurteil zurück, so bedarf es keiner Ausführungen zu materiellen Rechtsfragen, denn diese waren aus seiner Sicht nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BFH-Beschluß vom 30. Juli 1990 V R 49/87, BFH/NV 1991, 325).
Fundstellen
Haufe-Index 422265 |
BFH/NV 1997, 786 |
BFH/NV 1997, 880 |