Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei Rechtsirrtum über Verfahrensfragen
Leitsatz (NV)
Ein Rechtsirrtum über Verfahrensfragen bei einem rechtsunkundigen Prozeßbeteiligten kann nur dann zur Wiedereinsetzung führen, wenn er Zweifel, die bei ihm hätten aufkommen müssen, rechtzeitig klärt.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat durch Urteil vom 23. Mai 1991 die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im wesentlichen als unbegründet abgewiesen und der Klägerin die Kosten auferlegt. Die Revision hat das FG nicht zugelassen. Eine Ausfertigung des Urteils wurde der Klägerin und ihrem damaligen Prozeßbevollmächtigten nach den Postzustellungsurkunden (PZU) jeweils am 29. Juni 1991 zugestellt.
Mit Schreiben vom 30. September 1991 (beim FG eingegangen am 30. September 1991) hat die jetzige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin gegen das Urteil des FG Revision eingelegt.
Mit Schreiben vom 22. Oktober 1991 (beim Bundesfinanzhof - BFH - eingegangen am 25. Oktober 1991) beantragte die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, ,,die mit dem 30. Oktober 1991 ablaufende Frist zur Begründung der Revision um einen Monat bis einschließlich 2. Dezember 1991 zu verlängern".
Mit Schreiben vom 30. Oktober 1991 wies der Vorsitzende des erkennenden Senats die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin darauf hin, daß die Frist zur Einlegung der Revision am 29. Juli 1991 und die Frist zur Begründung der Revision am 29. August 1991 abgelaufen sei. Aus diesem Grunde könne dem Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nicht entsprochen werden. Gleichzeitig wurde auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen.
Mit Schreiben vom 21. November 1991 (eingegangen beim BFH am 21. November 1991) beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision und Begründung der Revision. Gleichzeitig begründete die Klägerin die Revision.
Zur Fristversäumnis äußerte sich die Klägerin wie folgt:
Am 20. Juni und 5. Juli 1991 habe die Klägerin beim FG Urteilsberichtigung und Ergänzung beantragt. Ihren Antrag habe sie mit den Schriftsätzen vom 28. Juni und 1. August 1991 ergänzt und vertieft. Am 29. August 1991 sei der Klägerin der Beschluß des FG vom 2. August 1991 zugestellt worden, mit dem das FG eine Berichtigung und Ergänzung des Tatbestandes abgelehnt habe. Die rechtsunkundige Klägerin sei der Ansicht gewesen, daß die Revisionsfrist erst mit der Zustellung sowohl des ursprünglichen als auch des ergänzenden Urteils oder Beschlusses zu laufen beginne. Dies hier auch deshalb, weil das Urteil nach ihrer Auffassung vor der beantragten Berichtigung keine hinreichend klare Grundlage für die Prüfung und Entscheidung der Revision geboten habe.
Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, das finanzgerichtliche Urteil enthalte wesentliche Mängel des Verfahrens i.S. des § 116 Abs. 1 FGO.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Sie ist nicht innerhalb der in § 120 Abs. 1 FGO festgelegten Frist eingelegt und begründet worden.
Das Urteil des FG vom 23. Mai 1991 wurde der Klägerin durch PZU am 29. Juni 1991 zugestellt. Die Revision ist beim FG am 30. September 1991, die Revisionsbegründung am 21. November 1991 eingegangen. Die Frist zur Einlegung der Revision war jedoch bereits am 29. Juli 1991, die Frist zur Begründung der Revision am 29. August 1991 abgelaufen (§ 120 Abs. 1 FGO).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Klägerin nicht gewährt werden; sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Fristen einzuhalten ( 56 Abs. 1 FGO).
Es ist bereits zweifelhaft, ob der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt wurde (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO).
Das Hindernis i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO fällt in dem Zeitpunkt weg, in dem der Beteiligte (oder sein Prozeßbevollmächtigter) von der Fristversäumnis bei ordnungsmäßiger Erledigung seiner Angelegenheiten hätte Kenntnis nehmen können (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Rdnr.41, m.w.N.). Die rechtskundige Prozeßbevollmächtigte hätte erkennen müssen, daß das finanzgerichtliche Urteil vom 23. Mai 1991 nicht am 29. August 1991 - dem Zeitpunkt der Zustellung des finanzgerichtlichen Beschlusses vom 2. August 1991 betreffend die Tatbestandsberichtigung und Ergänzung -, sondern bereits früher zugestellt worden war.
Unabhängig davon kann die Auffassung der Klägerin, daß die Zustellung des ihrer Ansicht nach unvollständigen Urteils die Revisionsfrist nicht in Gang setzte, die Fristversäumnis nicht entschuldigen.
Die Rechtsmittelbelehrung des FG sieht solche Einschränkungen nicht vor. Wenn die nach ihrem Vortrag rechtsunkundige Klägerin meinte, die Hinweise des FG über die Frist zur Einlegung der Revision gelten in diesem Falle nicht, durfte sie nicht ohne weiteres von der Richtigkeit ihrer Auffassung ausgehen. Sie hätte vorsorglich Revision einlegen lassen, zumindest sich aber bei Rechtskundigen Rat einholen müssen. Dazu ist nichts vorgetragen.
Die Klägerin hat auch nichts dazu vorgetragen, weshalb sie davon ausgehen durfte, daß erst die Zustellung des Beschlusses vom 2. August 1991 die Revisionsfrist betreffend das finanzgerichtliche Urteil vom 23. Mai 1991 in Lauf setzte.
Ein Rechtsirrtum über Verfahrensfragen kann zwar zur Wiedereinsetzung führen. Dies jedoch nur dann, wenn der Steuerpflichtige Zweifel, die bei ihm hätten aufkommen müssen, rechtzeitig klärt (vgl. BFH-Beschluß vom 17. November 1970 II R 121/70, BFHE 100, 490, 493, BStBl II 1971, 143). Zweifel hätten der Klägerin hier angesichts der eindeutigen Rechtsmittelbelehrung aufstoßen müssen. Die Tatsache, daß sie einen Antrag gemäß den §§ 108, 109 FGO gestellt hatte, war kein Grund, darüber hinwegzugehen (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Januar 1979 II R 108/77, BFHE 127, 133, BStBl II 1979, 373).
Da die Revision bereits aus diesem Grunde unzulässig ist, kann offenbleiben, ob sie nicht auch deshalb unzulässig ist, weil ein Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO nicht schlüssig dargetan ist (vgl. zu diesem Erfordernis z.B. BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568).
Fundstellen
Haufe-Index 418625 |
BFH/NV 1993, 40 |