Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzungsbefugnis bei Kassen- und Aufzeichnungsmängeln
Leitsatz (NV)
1. Hat das FG sein Urteil auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen.
2. Wird ein Kassenbuch in Form aneinander gereihter Tageskassenberichte geführt, ist die Buchführung nur ordnungsgemäß, wenn die Ursprungsaufzeichnungen über die Bargeschäfte unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in den Tageskassenbericht übertragen werden.
3. Ob ein Schätzungsergebnis, das auf einer Nachkalkulation wegen zu gering angegebener Umsatzerlöse beruht, die Betriebsabläufe realitätsgerecht abbildet, obliegt der Tatsachenwürdigung durch das FG.
Normenkette
FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 116 Abs. 3 S. 3; AO 1977 §§ 162, 146; FGO § 96
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen 8 K 77/03, 8 K 99/03) |
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.
Der Kläger betreibt ein Bistro-Restaurant mit Außerhausverkauf. Das Finanzgericht (FG) hat in der angefochtenen Entscheidung die Hinzuschätzung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) zum erklärten Gewinn aus dem Restaurant bestätigt, die sowohl auf Mängel der Kassenführung (kein fortlaufendes Kassenbuch, vielmehr nachträgliche Erstellung im Büro des Prozessbevollmächtigten) als auch auf nicht vollständige Aufzeichnung der Außerhausverkäufe (festgestellt anhand des Verbrauchs von Pizza-Verpackungen) gestützt war.
1. Der Kläger rügt, das FG weiche von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), weil es die Schätzungsbefugnis des FA mit Mängeln in der Kassenführung rechtfertige, die der BFH als nicht ausreichend ansehe, um die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu verwerfen. Er hat jedoch nicht dargelegt, dass das FG-Urteil auf dieser Divergenz beruht.
Hat das FG sein Urteil kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (BFH-Beschluss vom 30. Januar 2003 VIII B 155/02, BFH/NV 2003, 881, m.w.N.). Das FG stützt die Schätzungsbefugnis entscheidend darauf, dass der Kläger die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegenden Außerhausverkäufe nicht vollständig aufgezeichnet habe. Die daraus sich ergebende Schätzungsbefugnis bezeichnet der Kläger selbst als unstreitig.
Abgesehen davon weicht das FG nicht von der Rechtsprechung des BFH ab. Es hält die Buchführung für nicht ordnungsgemäß, weil der Kläger kein fortlaufendes Kassenbuch geführt hat, dieses vielmehr nachträglich (rechnerisch) im Büro des Prozessbevollmächtigten erstellt wurde. Nach der ständigen --vom FG auch zu Grunde gelegten-- Rechtsprechung des BFH müssen aber Kassenaufzeichnungen (§ 146 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung --AO 1977--) so beschaffen sein, dass ein jederzeitiger Kassensturz möglich ist; ein Buchsachverständiger muss jederzeit in der Lage sein, den Sollbestand laut Aufzeichnungen mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen (BFH-Urteile vom 17. November 1981 VIII R 174/77, BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430; vom 20. September 1989 X R 39/87, BFHE 158, 301, BStBl II 1990, 109). Kassenbuchungen sind grundsätzlich an demselben Geschäftstag vorzunehmen (BFH-Urteil vom 31. Juli 1974 I R 216/72, BFHE 113, 400, BStBl II 1975, 96). Wird die Kasse in Form eines Kassenberichts geführt, ist die Aufbewahrung der Ursprungsaufzeichnungen über die Bargeschäfte nur dann nicht erforderlich, wenn deren Inhalt unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse "in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch" übertragen wird (BFH-Urteile vom 7. Juli 1977 IV R 205/72, BFHE 124, 157, BStBl II 1978, 307, und vom 21. Februar 1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683, jeweils m.w.N.).
2. Sinngemäß bringt der Kläger weiter vor, das FG habe bei der Bestätigung der Schätzung die vom BFH geforderte Abwägung vermissen lassen, ob das durch Hinzurechnung bei den Außerhausverkäufen gewonnene Schätzungsergebnis des FA angesichts der festgestellten Schlüssigkeit zwischen erklärtem Wareneinsatz und Umsatz realitätsgerecht sei. Auch dieses Vorbringen enthält keinen die Zulassung rechtfertigenden Grund.
a) Der Kläger rügt damit keine Abweichung des FG in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der BFH-Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO. Welche Schätzungsmethode dem Ziel gerecht wird, die Besteuerungsgrundlagen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen, ist grundsätzlich eine Frage der Tatsachenfeststellung durch das FG, das eine eigene Schätzungsbefugnis hat (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO 1977; vgl. BFH-Beschluss vom 21. März 2002 V B 87/01, BFH/NV 2002, 1012). Der Einwand des Klägers bezeichnet einen bloßen Subsumtionsfehler und eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen. Dies reicht --ungeachtet der übrigen Darlegungsanforderungen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 18. Juli 2003 III B 143/02, BFH/NV 2003, 1403)-- zur schlüssigen Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nicht aus (vgl. BFH-Beschluss vom 29. April 2003 X B 62/02, BFH/NV 2003, 1087, m.w.N.). Denn nicht schon die Unrichtigkeit des FG-Urteils im Einzelfall, sondern erst dessen Fehlerhaftigkeit im Grundsätzlichen rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen Divergenz (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 55).
b) Im Übrigen weicht die Vorentscheidung nicht von den vom Kläger angeführten BFH-Entscheidungen (Urteile in BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430; vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226; vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259, und vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381) ab. Vielmehr ist das FG in Übereinstimmung mit den Rechtsprechungsgrundsätzen des BFH davon ausgegangen, dass eine Schätzung, die auf einer durch nicht aufgezeichnete Umsätze veranlassten Nachkalkulation beruht, sich erst dann als rechtswidrig erweise, wenn sie den durch die Umstände des Einzelfalles gezogenen Schätzungsrahmen verlasse. Dieser Rahmen werde nicht verlassen, wenn das FA zusätzliche Wareneinkäufe entsprechend der Nachkalkulation nicht festgestellt habe und deshalb der gesamte erklärte Wareneinsatz nicht im Missverhältnis zum gesamten erklärten Umsatz stehe.
c) Die Rüge des Klägers, das FG habe sich nicht damit auseinander gesetzt, dass der Gesamtverkauf in einem plausiblen Verhältnis zu den Gesamteinkäufen und den Gesamtausgaben stehe, während zusätzliche (nicht erklärte) Wareneinkäufe auf die Außerhausverkäufe nicht so hätten abgestimmt werden können, dass die Plausibilität zwischen Einkäufen und Verkäufen gewahrt geblieben wäre, betrifft auch keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung (z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.), der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führt. Die Einschätzung, der Kläger habe die sich auf Grund der Nachkalkulation ergebenden zusätzlichen Umsätze beim Außerhausverkauf unter Einsatz weiterer Wareneinkäufe erzielt, ist mindestens ebenso möglich und denkgesetzlich nachvollziehbar wie die Annahme, dass der höhere Außerhaus-Umsatz bei gleich bleibendem Gesamtumsatz sich aus einem dementsprechend geringeren Restaurant-Umsatz erklärt. Das FG hat sich unter Abwägung beider Möglichkeiten für die erste Alternative entschieden, weil es die Darstellung des Klägers nicht für glaubhaft hielt, dass er Umsätze des Außerhausverkaufs, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen, dem vollen Umsatzsteuersatz unterworfen hat. Insoweit handelt es sich um eine Würdigung des Sachverhalts, die revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann.
3. Die Rüge, das FG habe von Amts wegen den Sachverhalt zur Buch- und Kassenführung weiter aufklären müssen, ist nicht schlüssig dargelegt.
Eine Verfahrensrüge genügt nur dann den Anforderungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, wenn die Tatsachen bezeichnet werden, aus denen sich der Verfahrensmangel ergibt, und dargelegt wird, dass das angefochtene Urteil auf ihm beruhen kann (vgl. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 96).
Wird die Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das FG gerügt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), so ist genau anzugeben, welche konkreten Tatsachen das FG von sich aus hätte aufklären sollen und/oder welche Beweise es von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts und/oder einer Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage der insoweit maßgebenden, ggf. auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Beschluss vom 21. November 2003 III B 43/03, BFH/NV 2004, 371). Diesen Anforderungen werden die allgemein gehaltenen Ausführungen des Klägers, die Entscheidung des FG beruhe auf ungeprüften Unterstellungen, Vermutungen des FA nicht gerecht.
Fundstellen
Haufe-Index 1329087 |
BFH/NV 2005, 667 |