Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldhafte Fristversäumnis eines Steuerberaters bei unzureichender Vertretungsregelung
Leitsatz (NV)
Einen Steuerberater, der bei Erkrankung - ohne eine dem BFHEntlG entsprechende Vertretung für solche Fälle vorzusehen - ein zur Fristwahrung erforderliches Beschwerdeschreiben durch einen angestellten Steuerbevollmächtigten (nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG wirkungslos) unterzeichnen läßt, trifft an der dabei eingetretenen Fristversäumnis Verschulden i. S. des § 56 FGO.
Normenkette
FGO § 56; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Urteil des Finanzgerichts (FG) in der Streitsache wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 31. Juli 1986 zugestellt. Die Klägerin ließ gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil Beschwerde einlegen. Die Beschwerdeschrift vom 29. August 1986 ging am 1. September 1986 beim FG ein. Sie war von einem Steuerbevollmächtigten unterzeichnet.
Mit Schreiben vom 12. September 1986 wies die Geschäftsstelle des Senats den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin darauf hin, daß der Unterzeichner der Beschwerdeschrift nicht zu einer der Berufsgruppen nach Maßgabe des Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i.d.F. vom 4. Juli 1985 (BGBl I, 1274, BStBl I, 496) gehöre. Am 29. September 1986 ging daraufhin beim Bundesfinanzhof (BFH) eine vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin - einem Steuerberater - selbst unterzeichnete Ablichtung der Beschwerdeschrift ein. Der Bevollmächtigte trug dazu vor: Er habe den Beschwerdeschriftsatz selbst erarbeitet und diktiert. Anschließend an das Diktat sei er so heftig erkrankt, daß er sein Büro verlassen habe, um seine Wohnung aufzusuchen. Er sei weiter bettlägrig gewesen und habe das weitere Verfahren nicht mehr beobachten können. Der bei ihm angestellte Steuerbevollmächtigte habe am Abend dieses Tages infolge seiner (des Prozeßbevollmächtigten) Erkrankung sämtliche Poststücke, auch die genannte Beschwerdeschrift, unterschrieben, weil Fristversäumnis angestanden sei. Der dargestellte Ablauf könne durch Vorlage entsprechender Atteste belegt werden, auch durch ein ärztliches Attest, welches die geschilderten Krankheitssymptome bestätige. Zur Glaubhaftmachung seiner Angaben übergebe er eine eidesstattliche Versicherung des Steuerbevollmächtigten. Diese unter dem Datum des 25. September 1986 unterzeichnete Versicherung schildert im wesentlichen den dargestellten Sachverhalt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig.
Vor dem BFH muß sich - worauf auch in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils des FG hingewiesen wurde - jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder um eine Behörde handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen (Art. 1 Nr. 1 Satz 1 BFHEntlG). Das gilt auch für die Einlegung der Beschwerde (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG).
Die Beschwerde wurde nicht innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat durch einen Angehörigen der in Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG genannten Berufsgruppen eingelegt. Das am 1. September 1986 - und damit noch rechtzeitig am letzten Tag der Beschwerdefrist - beim FG eingegangene Beschwerdeschreiben war von einem Steuerbevollmächtigten unterzeichnet. Die nachträgliche Abgabe eines weiteren Exemplars der Beschwerdeschrift am 29. September 1986 - von einem Steuerberater unterzeichnet - vermag diesen Mangel nicht zu heilen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) scheidet aus. Dabei kann der Senat offenlassen, ob der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die versäumte Beschwerdeeinlegung gemäß § 56 Abs. 2 FGO noch innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen ,,nach Wegfall des Hindernisses" vorgenommen hat. Dieses Erfordernis könnte erfüllt sein, wenn man auf den Zugang der Mitteilung der Geschäftsstelle des Senats vom 12. September 1986 abstellte, nicht aber, wenn man - was naheliegt - auf das Ende der krankheitsbedingten Verhinderung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin selbst abstellte. Nach Auffassung des Senats fehlt es jedoch an der Voraussetzung des § 56 Abs. 1 FGO, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ,,ohne Verschulden" an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war. Krankheit eines Prozeßbevollmächtigten kann zwar eine Fristversäumnis entschuldigen, wenn die Bestellung eines Vertreters - hier: eines unter die Berufsgruppen des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG fallenden Vertreters - nicht mehr möglich war (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 1971 VIII R 4/69, BFHE 110, 102, BStBl II 1973, 825). Im vorliegenden Fall ist jedoch nach dem Vortrag des Steuerberaters und des Steuerbevollmächtigten davon auszugehen, daß der prozeßbevollmächtigte Steuerberater den bei ihm angestellten Steuerbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben, also auch der Unterschrift unter den Beschwerdeschriftsatz, beauftragte - letzteres auch, obgleich von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe die Einhaltung der Zugangsvoraussetzungen zum Gericht erwartet werden muß -. Dafür spricht auch die Unterzeichnung des Beschwerdeschriftsatzes ,,i. A. . . ." Dem Vortrag des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zur Entlastung bezüglich der versäumten Beschwerdefrist kann somit nicht entnommen werden, daß er Vorsorge für die Bestellung eines Vertreters - der auch die Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG erfüllte - für den Fall einer krankheitsbedingten Verhinderung getroffen hatte, oder daß er den bei ihm angestellten Steuerbevollmächtigten entsprechend unterwiesen hatte, sich um eine Vertretung dieser Art zu kümmern. Dieser Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten ist der Klägerin zuzurechnen.
Fundstellen