Leitsatz (amtlich)

Der Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 121 FGO stellt kein Rechtsmittel, sondern nur einen Rechtsbehelf dar. Auf diesen Antrag ist daher die Vorschrift des § 55 Abs. 1 FGO über die für ein Rechtsmittel erforderlichen Angaben nicht anwendbar.

 

Normenkette

FGO §§ 55, 90 Abs. 3, § 121

 

Tatbestand

Streitig sind die Vermögensteuerveranlagungen für 1962 sowie für 1963 bis 1965. Der erkennende Senat hat durch Vorbescheide die Revisionen der Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten, jetzt Antragstellerin, als unzulässig verworfen und auf die Revisionen des Beklagten, Revisionsklägers und Revisionsbeklagten, jetzt Antragsgegners (FA), die Urteile des FG aufgehoben und die Sachen an das FG zurückverwiesen.

Diese Vorbescheide waren zunächst dem früheren Prozeßbevollmächtigten zugestellt worden. Da dieser aus der Liste der Anwälte gestrichen war, hat der Senat durch Beschluß vom 11. April 1975 III R 102, 118/73 (BFHE 115, 201, BStBl II 1975, 713) entschieden, die Vorbescheide seien der Revisionsklägerin selbst zuzustellen.

Die Vorbescheide wurden der Antragstellerin am 26. April 1975 durch Hinterlegung bei der Post zugestellt. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 1975, beim BFH eingegangen am 3. Juni 1975, haben die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin beantragt, Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Mit Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats wurden die Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin darauf hingewiesen, daß der Antrag auf mündliche Verhandlung verspätet eingegangen sei. Es wurde anheimgestellt, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen. Mit Schreiben vom 20. Juni 1975 beantragte die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie begründet diesen Antrag: Sie habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß sie selbst mit der rechtlichen Angelegenheit der Sache befaßt werde, nachdem ihr früherer Prozeßbevollmächtigter weggefallen sei. Sie fügte zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Erklärung bei, in welcher sie angab, daß sie verreist gewesen sei. Deshalb sei es ihr erst am 20. Mai 1975 möglich gewesen, die beim Postamt niedergelegte Zustellung in Empfang zu nehmen. Sie hätte davon ausgehen können, daß die Zustellung noch an ihren früheren Prozeßbevollmächtigten erfolgen würde. Sie habe von diesem auch die Zusage erhalten gehabt, daß die Sache in Ordnung gehe, weil er jemanden mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen würde. Sie habe nach Empfangnahme der Entscheidung die Tragweite nicht erkannt und sei sich auch über den Lauf der Fristen nicht im klaren gewesen. Die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin sind weiter der Meinung, daß die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei, weil dem Vorbescheid eine ausreichende Rechtsbehelfsbelehrung gefehlt habe. Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 4 FGO sei ein Vorbescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Form und Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung würden sich gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 FGO aus § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO ergeben. In dem Vorbescheid sei zwar die einzuhaltende Frist, jedoch nicht die Angabe des Gerichts und des Sitzes des Gerichts enthalten, bei dem der Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden müsse. Sie verweisen für ihre Auffassung auf die Ausführungen bei Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 55 Textziffer 16, und Görg-Müller, Finanzgerichtsordnung, § 55 Textziffer 275. Nach Sinn und Zweck des § 55 FGO solle bei den Beteiligten jeder Zweifel über Art, Frist und Adressaten eines Rechtsbehelfs ausgeräumt werden. Insbesondere bei rechts- und schreibungewandten Personen solle damit die Möglichkeit geschaffen werden, die Rechtsbehelfsbelehrung sozusagen nur abzuschreiben, um so ihre Rechte zu wahren. An diesen Voraussetzungen fehle es aber bei der Belehrung im Vorbescheid, in dem insbesondere kein Hinweis auf den Sitz des BFH zu ersehen sei.

Das FA beantragt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren. Es weist darauf hin, daß die Klägerin nicht unverschuldet gehindert war, innerhalb der gesetzlichen Frist den Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Die Klägerin sei zwar verreist gewesen, sie habe aber auch unter Berücksichtigung der Feiertage noch eine ganze Woche Zeit gehabt, den Antrag zu stellen. Aus dem eigenen Vortrag der Klägerin ergebe sich, daß sie rechtzeitig von dem Wegfall ihres früheren Bevollmächtigten in Kenntnis gesetzt worden sei. Das FA hält ferner die Rechtsbehelfsbelehrung im Vorbescheid für ausreichend.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf mündliche Verhandlung wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 121 FGO kann jeder der Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Vorbescheids mündliche Verhandlung beantragen. Diese Frist ist in Lauf gesetzt worden. Entgegen der Meinung der Klägerin ist die Rechtsbehelfsbelehrung im Vorbescheid nicht mangelhaft gewesen. Der Vorbescheid enthält den Hinweis, daß er als Urteil wirkt, "wenn nicht einer der Beteiligten binnen eines Monats nach Zustellung mündliche Verhandlung beantragt". Diese Rechtsbehelfsbelehrung ist ausreichend, da nicht zweifelhaft sein kann, daß der Antrag auf mündliche Verhandlung nur bei dem Gericht gestellt werden kann, das den Vorbescheid erlassen hat. Das zuständige Gericht und der Sitz des Gerichts sind den Beteiligten aufgrund der Vorkorrespondenz bekannt. Der Senat vermag der oben angeführten im Schrifttum vertretenen Auffassung, der Antrag auf mündliche Verhandlung sei als Rechtsmittel anzusehen, nicht zu folgen. Der Vorbescheid eröffnet im Gegensatz zum Rechtsmittel keine neue Instanz. Es sind daher auch nicht alle in § 55 FGO angeführten Angaben erforderlich. Gemäß § 90 Abs. 3 Satz 4 FGO sind die Beteiligten in dem Vorbescheid über die zulässigen Rechtsbehelfe zu belehren. Für den Antrag auf mündliche Verhandlung genügt nach Auffassung des Senats die Angabe über Form und Frist, innerhalb deren der Antrag zu stellen ist. Da die Rechtsbehelfsbelehrung im Vorbescheid nach den gesetzlichen Erfordernissen ausreichend ist, ist die Rechtsbehelfsfrist auch wirksam in Lauf gesetzt worden. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ging aber unstreitig erst nach Ablauf der Frist beim BFH ein.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird ebenfalls abgelehnt. Gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten. Die Klägerin war aber nicht ohne ihr Verschulden verhindert, den Antrag auf mündliche Verhandlung fristgemäß zu stellen. Sie hatte nach ihren eigenen Angaben nach Rückkehr von ihrer Reise auch unter Berücksichtigung der Feiertage noch eine ganze Woche Zeit, diesen Antrag zu stellen. Hierzu hätte es nur eines einzigen Satzes bedurft. Jedem Vorbescheid des BFH ist ein Begleitschreiben beigefügt, in dem auf den Vorbescheid hingewiesen wird und in dessen Briefkopf sowohl der Sitz als auch die postalische Anschrift des BFH enthalten sind. Auch der Umschlag, in dem der Vorbescheid übersandt wird, enthält Angaben über Sitz und postalische Anschrift des BFH. Die Klägerin wäre mithin in der Lage gewesen, selbst den Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Von dem Wegfall ihres früheren Prozeßbevollmächtigten war sie nach ihrer eigenen Einlassung rechtzeitig informiert worden, so daß sie, wenn sie den Antrag nicht selbst stellen wollte, unverzüglich einen anderen Prozeßbevollmächtigten hätte beauftragen können und müssen.

Da der Antrag auf mündliche Verhandlung somit nicht rechtzeitig gestellt ist, wirken die Vorbescheide als Urteile (§ 90 Abs. 3 Satz 3 2. Teil FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413354

BStBl II 1976, 115

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