Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmängel i. S. d. §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO
Leitsatz (NV)
1. Verzögerungen bei der Erstellung des Sitzungsprotokolls sowie formelle Fehler in der Abschrift begründen keinen Verfahrensmangel im Sinne des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
2. Wird im Falle eines anstelle der Verkündung zuzustellenden Urteils lediglich die Urteilsformel innerhalb der Zwei-Wochen- Frist der Geschäftsstelle übergeben, sind entsprechend §105 Abs. 4 Satz 3 FGO Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung alsbald, d. h. innerhalb einer Frist von fünf Monaten, niederzu legen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 4, § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) streitet als Rechtsnachfolgerin mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) über die Rechtmäßigkeit des an die ... -KG gerichteten Umsatzsteuerbescheides 1984. In dieser Sache fand am 24. September 1996 vor dem Finanzgericht (FG) eine mündliche Verhandlung statt. Das vollständig abgefaßte Urteil, mit dem die Klage abgewiesen wurde, ist den Beteiligten am 6. bzw. 7. März 1997 zugestellt worden.
Mit der Revision rügt die Klägerin, das erst instanzliche Urteil sei i. S. der §116 Abs. 1 Nr. 5 und §119 Nr. 6 der Finanzgerichts ordnung (FGO) nicht mit Gründen versehen. Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen (§126 Abs. 1 FGO).
Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von §115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat oder wenn der Fall einer nach §116 FGO zulassungsfreien Revision vorliegt. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
1. Das FG hat weder in der Entscheidungsformel noch in den Gründen zum Ausdruck gebracht, daß es die Revision zuläßt.
2. Die Revision ist auch nicht gemäß §116 Abs. 1 FGO wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels ohne Zulassung statthaft. Die zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur statthaft, wenn ein Mangel i. S. des §116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird. Ein Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel i. S. des §116 Abs. 1 FGO ergeben. Die zur Begründung des Mangels erforderlichen Tatsachen müssen lückenlos vorgetragen werden (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §116 Rz. 3).
Die Klägerin hat keinen Mangel i. S. des §116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt.
a) Die Klägerin legt dar, die ihr zugestellte Abschrift des Protokolls der Sitzung vom 24. September 1996 trage die unzutreffende Jahreszahl 1997. Ferner beanstandet sie, nicht erkennen zu können, zu welchem Zeitpunkt das Protokoll erstellt worden sei.
Mit diesem Vorbringen legt die Klägerin nicht schlüssig den behaupteten Mangel i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar. Die Angabe der unzutreffenden Jahreszahl ist eine offensichtliche Unrichtigkeit der Protokollabschrift und hat keine Auswirkungen auf den Inhalt des Urteils. Sofern das Protokoll insgesamt bzw. seine Anlage, dessen Inhalt während der mündlichen Verhandlung auf Tonträger aufgezeichnet worden ist, erst geraume Zeit nach der münd lichen Verhandlung von der Kanzlei erstellt worden sein sollte, begründet auch dies keinen Mangel des Urteils selbst, sondern allenfalls eine Vernachlässigung von Dienstpflichten.
b) Die Klägerin macht ferner geltend, das Urteil sei deshalb nicht mit Gründen versehen, weil eine telefonische Nachfrage am 24. Februar 1997 zu dem Hinweis der Geschäftsstelle geführt habe, bisher läge kein Urteil vor. Auch mit diesem Vorbringen rügt sie nicht schlüssig einen Mangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
aa) Das Urteil des FG ist laut Sitzungsprotokoll nicht verkündet worden, sondern es sollte an Verkündung statt zugestellt werden. In diesem Fall muß es binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben werden (§104 Abs. 2 FGO). Entsprechend §105 Abs. 4 Satz 2 FGO genügt die Niederlegung der von den Berufsrichtern unterschriebenen Urteilsformel (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1987 VII R 47/87, BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283, 284, m. w. N.). Verfährt das FG in dieser Weise, sind entsprechend §105 Abs. 4 Satz 3 FGO Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung alsbald niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben.
bb) Der BFH hat im Anschluß an den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92 (BVerwGE 92, 367, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 2603, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 674) entschieden, daß im Falle der Zustellung des Urteils an Verkündung statt innerhalb einer Frist von fünf Monaten das Urteil der Geschäftsstelle übergeben werden muß. Die Frist von fünf Monaten beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung (vgl. §105 Abs. 4 Satz 2 FGO) tatsächlich der Geschäftsstelle übergeben wurde, spätestens mit dem Ablauf desjenigen Tages, an dem das Urteil der Geschäftsstelle nach §104 Abs. 2 FGO zu übergeben gewesen wäre, d. h. nach Ablauf der Zwei- Wochen-Frist des §104 Abs. 2 FGO (BFH- Urteil vom 10. November 1993 II R 39/91, BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187).
cc) Die mündliche Verhandlung fand am 24. September 1996 statt. Die Urteilsformel war spätestens am 8. Oktober 1996 bei der Geschäftsstelle zu hinterlegen. Daß die Hinterlegung laut einem Vermerk auf der Urteilsformel erst am 9. Oktober 1996 erfolgte, bleibt ohne prozessuale Folgen, da es sich nur um eine geringfügige Verspätung handelte (vgl. BFH-Urteile vom 22. Februar 1980 VI R 132/79, BFHE 130, 126, BStBl II 1980, 398; vom 14. März 1990 X R 52/88, BFH/NV 1991, 49; Gräber/von Groll, a. a. O., §104 Rz. 10). Die Fünf-Monats-Frist begann demnach mit Ablauf des 8. Oktober 1996 und endete somit am 10. März 1997 (§222 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Die Behauptung der Klägerin, am 24. Februar 1997 habe der Geschäftsstelle das vollständig abgefaßte Urteil noch nicht vorgelegen, begründet deshalb keinen schlüssig gerügten Mangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Fundstellen