Leitsatz (amtlich)
1. Im Verfahren über das Ersuchen einer Finanzbehörde, eine andere Person als den Beteiligten eidlich zu vernehmen, ist das FG befugt, zu entscheiden, ob die zu vernehmende Person Subjekt der vom FA beantragten eidlichen Vernehmung sein kann.
2. Eine Person, die aus Anlaß eines Vollstreckungsverfahrens gegen einen Steuerschuldner behauptet, ihr stehe am Gegenstand der Vollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Recht zu, darf nicht eidlich vernommen werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 78, 92-94, 262
Tatbestand
Der Ersuchende und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) hatte nach Anordnung des dinglichen Arrestes in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Kaufmanns H W bei diesem am 18. Juli 1978 bewegliche Sachen gepfändet. Dagegen wandte sich am 21. Juli 1978 die eidlich zu Vernehmende und Beschwerdegegnerin Frau M. Sie forderte das FA unter Vorlage der Fotokopie eines Darlehens- und Sicherungsübereignungsvertrags vom 4. November 1977 auf, die Pfändung der Gegenstände aufzuheben und diese an sie herauszugeben. Auf Verlangen des FA legte Frau M diesem noch das Original der in ihrem Besitz befindlichen Durchschrift des Vertrags vom 4. November 1977 vor und erklärte, sie habe die Darlehensbeträge zur Deckung des Lebensunterhalts des H W geleistet.
Im Verlauf der weiteren Prüfung der Anspruchsberechtigung von Frau M ersuchte das FA das Finanzgericht (FG), Frau M darüber eidlich zu vernehmen, an welchem Tage und an welchem Ort der Sicherungsübereignungsvertrag zwischen Frau M und H W abgeschlossen worden sei und ob beim Vertragsschluß weitere Personen zugegen gewesen seien sowie darüber, ob dem Sicherungsübereignungsvertrag tatsächlich ein Darlehen zugrunde liege und wie die Darlehenssumme gegebenenfalls aufgebracht und ausgezahlt worden sei.
Das FG hat dieses Ersuchen als unzulässig zurückgewiesen. Nach § 94 der Abgabenordnung (AO 1977) könne nur eine andere Person als ein Beteiligter eidlich vernommen werden. Frau M sei Beteiligte im Sinne des § 78 AO 1977.
Dagegen hat das FA Beschwerde erhoben. Es wendet insbesondere ein, daß das FG hinsichtlich der Voraussetzungen des Ersuchens nach § 94 Abs. 1 AO 1977 keine Prüfungskompetenz habe. Das Gericht entscheide nach § 94 Abs. 3 AO 1977 lediglich über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Zeugnisses oder der Eidesleistung, im übrigen sei es an das Ersuchen der Finanzbehörde gebunden. Darüber hinaus habe das FG den Begriff des Beteiligten im Sinne des § 78 AO 1977 verkannt. Zwischen dem FA und Frau M bestehe kein Vollstreckungsrechtsverhältnis. Unzutreffend sei schließlich auch der Hinweis auf § 262 AO 1977. Durch diese Vorschrift sei es dem Betroffenen freigestellt, sich auch unmittelbar an das Gericht zu wenden. Mache er seine Ansprüche aber zunächst beim FA geltend, müsse dieses auch in diesem Fall den Sachverhalt hinreichend erforschen.
Das FA hat beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben.
Frau M ist den Ausführungen des FA entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA, der das FG nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet.
1. Gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann die Finanzbehörde, welche die Beeidigung einer anderen Person als eines Beteiligten mit Rücksicht auf die Bedeutung der Auskunft oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Auskunft für geboten hält, das für den Wohnsitz oder den Aufenthaltsort der zu beeidigenden Person zuständige FG um die eidliche Vernehmung ersuchen. Im Schrifttum ist u. a. streitig, ob das Gericht die materiellen Voraussetzungen für eine eidliche Vernehmung (Bedeutung der Auskunft, Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Auskunft, fehlerfreier Ermessensgebrauch durch das FA) prüfen darf (vgl. dazu Söhn in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 94 AO 1977 Anm. 32).
Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht abschließend zu untersuchen, in welchem Umfang dem Gericht eine Prüfungsbefugnis im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Ersuchens der Behörde zusteht. Die Prüfungsbefugnis ist jedenfalls insoweit gegeben, als das Gericht - unabhängig von der Regelung des § 94 Abs. 3 AO 1977 - darüber zu entscheiden hat, ob die zu vernehmende Person Subjekt der in § 94 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 geregelten eidlichen Vernehmung sein kann. Diese Auffassung folgt aus dem Grundgedanken der Vorschrift, daß der Eid als höchste Beteuerungsform im deutschen Recht grundsätzlich von den Gerichten abgenommen werden sollte (amtliche Begründung vom 19. März 1971 zu § 108 des Entwurfs einer Abgabenordnung - AO 1974 -, Bundestags-Drucksache VI/1982 S. 134). Mit diesem Gedanken wäre es nicht vereinbar, als Gesetzesinhalt zu unterstellen, das Gericht solle auch dann verpflichtet sein, dem Ersuchen des FA zu folgen, wenn offensichtlich eine Auskunftspflicht der Person nicht besteht, deren eidliche Vernehmung das FA verlangt.
2. Das FG hat im Streitfall die eidliche Vernehmung zu Recht abgelehnt.
Es ist nicht klar ersichtlich, ob das FA die Einwendungen der Frau M von Anfang an unter Einsatz hoheitlicher Mittel prüfen oder ihrem Begehren auf der Ebene der Gleichordnung zivilrechtlich begegnen wollte (vgl. § 262 AO 1977). Der Senat kann diese Frage dahingestellt lassen.
a) Wollte sich das FA hoheitlicher Mittel bedienen, wofür der Antrag auf eidliche Vernehmung als solcher spricht, mußte das FG den Antrag ablehnen, weil Frau M in diesem Fall als "Beteiligte" im Sinne der §§ 78, 92 bis 94 AO 1977 anzusehen wäre.
Der Begriff des Beteiligten in § 94 AO 1977 ist identisch mit jenem in § 78 AO 1977. Das ergibt sich bereits aus der Stellung der beiden Vorschriften im ersten Abschnitt des die allgemeinen Verfahrensvorschriften enthaltenden 3. Teils der Abgabenordnung. Der Begriff in § 78 AO 1977 ist maßgebend für alle Verfahrensarten der Abgabenordnung, soweit er nicht ausnahmsweise von einem spezielleren Begriff (vgl. § 186, § 359 AO 1977) verdrängt wird.
Wäre das Auskunftsverlangen des FA (Vorlage des Vertragsoriginals, Angaben über die Zahlung der Darlehensbeträge) als hoheitliche Maßnahme zu beurteilen, so wäre dadurch - neben dem zwischen dem FA und H W bestehenden Vollstreckungsrechtsverhältnis - ein weiteres abgabenrechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem FA und Frau M begründet worden. In diesem Rechtsverhältnis wäre Frau M Beteiligte im Sinne des § 78 Nr. 2 AO 1977.
"Andere Person" im Sinne der §§ 92 bis 94 AO 1977 wäre sie nur dann, wenn das FA gegen H W als Steuer- und Vollstreckungsschuldner ermittelt hätte und von Frau M (in diesem Verfahren) Auskünfte zur Ermittlung der Vermögensverhältnisse des H W verlangt hätte.
b) Wollte das FA die von Frau M behaupteten Ansprüche nicht mit hoheitlichen Mitteln abwehren, wofür das Schreiben des FA vom 26. Juli 1978 spricht, in dem von "Pfandfreigabe für Frau M" die Rede ist, wäre Frau M aus anderen Gründen nicht auskunftspflichtig.
Mit Schreiben vom 21. Juli 1977 (wohl 1978) an das FA hat Frau M behauptet, sie sei Eigentümerin bei HW gepfändeter Sachen; sie hat damit geltend gemacht, ihr stünden an diesen Sachen die Veräußerung hindernde Rechte zu (§ 262 AO 1977). Im Verfahren nach § 262 AO 1977 ist der Widerspruch gegen die Vollstreckung erforderlichenfalls durch Klage vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (§ 262 Abs. 1 AO 1977). Die Finanzbehörde darf sich in diesem Verfahren, in dem sie Partei ist, zur Erforschung der Wahrheit gegenüber dem Dritten keiner hoheitlichen Mittel bedienen, kann mithin auch das FG nicht um eine eidliche Vernehmung des Dritten im Sinne des § 94 AO 1977 ersuchen.
Fundstellen
BStBl II 1979, 538 |
BFHE 1979, 12 |