Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätungszuschlag bei zusammenveranlagten Eheleuten
Leitsatz (NV)
1. Zur inhaltlichen Bestimmtheit eines Verspätungszuschlags, der gegen zusammen zur ESt (1974 bzw. 1975) veranlagte Eheleute festgesetzt wurde, wenn der Bescheid äußerlich mit dem ESt-Bescheid verbunden ist.
2. Zur Bekanntgabe eines mit dem ESt-Zusammenveranlagungsbescheid verbundenen Bescheids über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags.
Normenkette
AO § 168; AO 1977 § 3 Abs. 3, § 44 Abs. 1, § 119 Abs. 1, §§ 152, 155 Abs. 1, 3, § 157 Abs. 1 S. 1; EStG § 26 Abs. 3, § 26b
Verfahrensgang
Tatbestand
Gegen den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) und seine Ehefrau erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) unter dem 20. November 1979 Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1974 und 1975. Die entsprechenden Steuererklärungen datieren vom 12. Januar 1979, enthalten keine Wahl der Veranlagungsart und sind an der für die Unterschrift des Ehemannes vorgesehenen Stelle von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit dem Zusatz ,,i.A." unterzeichnet. Bei beiden Einkommensteuerbescheiden handelt es sich um zusammengefaßte Steuerbescheide i.S. des § 155 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie wurden an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zugestellt und trugen den Zusatz: ,,für Herrn und Frau XY, Verona".
In den Bescheiden wurden auch Verspätungszuschläge gegen die Eheleute wegen verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärungen in Höhe von 899 DM (1974) und 593 DM (1975) festgesetzt.
Der Kläger ist der Ansicht, die Festsetzungen der Verspätungszuschläge gegen ihn seien nichtig, weil sie in zusammengefaßten Bescheiden erfolgt seien. Er erhob deshalb Klage auf Feststellung der Nichtigkeit.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Festsetzung der Verspätungszuschläge habe nicht in zusammengefaßten Steuerbescheiden gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 erfolgen dürfen, da diese Vorschrift nicht für steuerliche Nebenleistungen, zu denen die Verspätungszuschläge gehörten, gelte. Vielmehr gehöre § 155 AO 1977 in den Dritten Abschnitt des Vierten Teils der AO 1977 und sei auf steuerliche Nebenleistungen unanwendbar, weil die Anwendbarkeit nicht besonders bestimmt sei (§ 1 Abs. 3 Satz 2 AO 1977). Aus § 152 Abs. 3 AO 1977 ergebe sich nichts Gegenteiliges; denn diese Vorschrift regele nur den zeitlichen Zusammenhang der Festsetzung von Steuern und Verspätungszuschlägen.
§ 155 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 könne auch nicht sinngemäß angewandt werden. Die Kläger schuldeten weder die Abgabe der Einkommensteuererklärung noch den Verspätungszuschlag als Gesamtschuldner. Dies ergebe sich schon daraus, daß nicht jeder Ehegatte allein in der Lage sei, die Einkommensteuererklärung abzugeben. Hierzu habe es vielmehr der Mitwirkung des anderen bedurft. Ferner seien bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 2 AO 1977 personenbezogene Umstände, insbesondere das Verschulden eines jeden Ehegatten, zu berücksichtigen. Abgesehen davon, daß das FA dies nicht getan habe, schuldeten auch aus diesem Grunde die Ehegatten nicht ,,dieselbe Leistung" i.S. des § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Durch die Festsetzung der Verspätungszuschläge in einem zusammengefaßten Steuerbescheid fehle dieser Festsetzung die nach § 119 Abs. 1 AO 1977 erforderliche inhaltliche Bestimmtheit. Der Festsetzung sei nämlich nicht zu entnehmen, welchen Betrag der Kläger und welchen Betrag seine Ehefrau schulde. Deshalb sei die Festsetzung nichtig.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, zu deren Begründung folgendes vorgetragen wurde:
Das FG habe insbesondere die Bedeutung des § 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) verkannt, denn nach § 152 Abs. 1 AO 1977 könnte gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkomme, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Wer aber zur Abgabe der Einkommensteuererklärung im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten nach § 26b EStG verpflichtet sei, ergebe sich aus § 57a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV). Aus der Verpflichtung zur Abgabe einer gemeinsamen Einkommensteuererklärung folge, daß bei Verletzung dieser Verpflichtung beide Ehegatten den Tatbestand der Nichtabgabe der gemeinsamen Steuererklärung erfüllt hätten und deshalb gegen beide ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden könne.
Aus der Vorschrift des § 26b EStG, wonach die Ehegatten bei der Zusammenveranlagung ,,gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt werden", ergebe sich auch die Grundlage, einen einheitlichen Verspätungszuschlag in einem zusammengefaßten Bescheid zu erlassen. Dies gelte auch für die Einkommensteuer 1974. Zwar bedeute die Zusammenveranlagung bis 1974 nur die rechnerische Zusammenfassung der für die Ehegatten getrennt zu ermittelnden Besteuerungsgrundlagen zu einem einzigen Einkommen. Aus dem Prinzip der Einheit im Einkommen könne jedoch auch hier gefolgert werden, daß ein einheitlicher Verspätungszuschlag festgesetzt werden könne.
Das FG habe also insbesondere verkannt, daß § 152 AO 1977 an die aus der materiellen subjektiven Steuerpflicht abgeleitete Steuererklärungspflicht anknüpfe und die verfahrensrechtlichen Folgen des § 26b EStG in den Bereich des § 152 AO 1977 zu übernehmen seien. Für Überlegungen wegen personenbezogener Umstände im Hinblick auf das Verschulden des einzelnen Ehegatten sei nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kein Raum.
Auch die Auslegung des § 155 AO 1977 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 durch das FG sei rechtsirrig, da sie mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Einklang stehe. Aus der Einzelbegründung zum Bericht und Antrag des Finanzausschusses (BTDrucks 7/4292) zu § 1 ergebe sich, daß durch den neu eingefügten Abs. 3 klargestellt werden sollte, daß die AO 1977 grundsätzlich auch auf die steuerlichen Nebenleistungen anzuwenden sei und der Ausschluß der Anwendung des Dritten bis Sechsten Abschnitts des Vierten Teils darauf beruhe, daß die Vorschriften nur ausnahmsweise für die Nebenleistungen sinnvoll seien. Aus dieser Vorschrift könne deshalb die vom FG gezogene weitreichende Folgerung nicht hergeleitet werden. Vielmehr dränge sich eine analoge Anwendung des § 155 Abs. 3 AO 1977 auch im Hinblick auf § 152 Abs. 3 AO 1977 und auf das große praktische Bedürfnis, in zusammengefaßten Steuerbescheiden auch Verspätungszuschläge festzusetzen, auf.
Im Gegensatz zur Auffassung des FG sei die Festsetzung des Verspätungszuschlags in dem gemeinsamen Bescheid auch hinreichend bestimmt. Denn nach den obigen Ausführungen sei - wie bei der Einkommensteuer - von einer Gesamtschuldnerschaft auszugehen, wobei die Möglichkeit der Aufteilung bestehe.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Er trägt - wie schon im Klageverfahren - vor, die Zustellvertretung seines Prozeßbevollmächtigten sei am 19. Januar 1979 niedergelegt worden. Die Niederlegung sei nicht nur ihm, dem Kläger, bekannt gewesen, sondern auch dem FA zugegangen. Insoweit nehme er auf seine eidesstattliche Versicherung vom 13. Dezember 1982, die er dem FG mit Schriftsatz vom 2. September 1985 übersandt habe, Bezug. Damit liege nicht einmal ein wirksamer Einkommensteuerbescheid vor. Die Steuererklärung sei ferner nie von seiner Ehefrau unterschrieben worden, sein Prozeßbevollmächtigter auch nie deren Zustellvertreter gewesen.Im übrigen beziehe er sich auf die zutreffenden Ausführungen des FG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind wegen der Festsetzung der Verspätungszuschläge in einem einheitlichen Betrag nicht nichtig.
1. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in seinem Urteil vom 9. April 1987 IV R 192/85 (BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540) entschieden, daß ein gegen zusammenveranlagte Ehegatten (§ 26b EStG) gerichteter und äußerlich mit dem Einkommensteuerbescheid verbundener Bescheid über die Festsetzung eines Zuschlags wegen verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärung inhaltlich hinreichend bestimmt i.S. des § 119 Abs. 1 AO 1977 ist. Er hat dieses Ergebnis aus dem Wesen der Zusammenveranlagung und der akzessorischen Natur des Verspätungszuschlags (§ 3 Abs. 3 AO 1977) abgeleitet. Insbesondere hat er darauf hingewiesen, daß die Veranlagung in die Festsetzung einer Einkommensteuerschuld einmündet, die Ehegatten gemäß § 155 Abs. 1 und 3, § 157 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 als Steuerschuldner auszuweisen sind und die Einkommensteuer gemäß § 44 Abs. 1 AO 1977 von den Ehegatten als Gesamtschuldner geschuldet wird. Wegen der Akzessorität des Verspätungszuschlags sei durch den Einkommensteuerbescheid festgelegt, daß der Verspätungszuschlag in derselben rechtlichen Form von den Ehegatten geschuldet werde.
Ferner hat der IV. Senat des BFH in seinem vorbezeichneten Urteil entschieden, daß ein Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags gegen zusammenveranlagte Eheleute bereits vor der am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Änderung des § 155 Abs. 3 AO 1977 (Art. 1 Nr. 22 des Steuerbereinigungsgesetzes vom 19. Dezember 1985 - StBereinG 1986 -, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 753) wirksam in der Ausfertigung eines zusammengefaßten Bescheides dann erfolgen konnte, wenn der Einkommensteuerbescheid selbst in dieser Form wirksam bekannt gemacht werden konnte.
Der vorstehend wiedergegebenen Auffassung des IV. Senats des BFH schließt sich der erkennende Senat an. Zum gleichen Ergebnis sind auch der VIII. Senat des BFH in seinem Urteil vom 19. Mai 1987 VIII R 39/83 (BFHE 149, 518, BStBl II 1987, 590) und der I. Senat des BFH in seinem nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 22. Juli 1987 I R 261/83 gelangt.
Der I. Senat des BFH hat in seiner vorerwähnten Entscheidung ferner ausgeführt, daß die Pflicht zur Abgabe einer gemeinsamen Steuererklärung nur besteht, falls die Ehegatten die Zusammenveranlagung wählen. Die Wahl der Veranlagungsart werde im allgemeinen erst in der Steuererklärung getroffen; würden jedoch bis zum Ablauf der Steuererklärungsfrist die erforderlichen Erklärungen nicht abgegeben, so rechtfertige die nach § 26 Abs. 3 EStG unterstellte Wahl der Zusammenveranlagung bereits zu diesem Zeitpunkt die Annahme einer Pflichtverletzung beider Ehegatten (,,der Ehegattengemeinschaft"), falls nicht nachträglich die getrennte Veranlagung gewählt werde. Auch dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Daraus folgt, daß es für die Frage, ob die Pflicht zur Abgabe einer gemeinsamen Einkommensteuererklärung verletzt worden ist, nicht darauf ankommt, ob die Ehefrau des Klägers überhaupt eine wirksame Einkommensteuererklärung abgegeben hat. Unerheblich ist auch, daß in den vorgelegten Einkommensteuererklärungen nicht ausdrücklich die Zusammenveranlagung gewählt worden ist.
2. Für das vorliegende, die Festsetzung von Verspätungszuschlägen zur Einkommensteuer 1974 und 1975 betreffende Verfahren ist ferner darauf hinzuweisen, daß die Vorschriften der AO 1977 grundsätzlich Anwendung finden, weil die Verwaltungsakte, durch die die angegriffenen Verspätungszuschläge festgesetzt worden sind, nach dem Inkrafttreten der AO 1977 erlassen worden sind. Etwas anderes gilt lediglich für die Vorschrift des § 152 AO 1977. Hier findet § 168 der Reichsabgabenordnung (AO) Anwendung, weil nach Art. 97 § 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung § 152 AO 1977 erstmals auf Steuererklärungen anzuwenden ist, die nach dem 31. Dezember 1976 einzureichen waren, wobei eine Verlängerung der Steuererklärungsfrist nicht zu berücksichtigen war (Urteil in BFHE 149, 518, BStBl II 1987, 590). § 152 AO 1977 enthält jedoch, soweit hier von Interesse, gegenüber § 168 Abs. 2 AO keine sachliche Änderung, sondern führt lediglich die wichtigsten für die Höhe des Zuschlags maßgebenden Gesichtspunkte zusätzlich auf (Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 152 AO 1977 Bem. 1).
3. Mit Recht hat das FA darauf hingewiesen, daß sich für den Veranlagungszeitraum 1974 nicht deshalb Abweichendes ergibt, weil § 26b EStG in der für dieses Jahr geltenden Fassung im Gegensatz zu § 26b EStG 1975 noch nicht ausdrücklich die Behandlung der Ehegatten ,,als Steuerpflichtiger" vorsah. Denn durch den späteren Zusatz hat sich am Wesen der Zusammenveranlagung nichts geändert, sondern es handelt sich um eine Klarstellung (BFH-Urteil vom 12. Juni 1980 IV R 124/77, BFHE 131, 46, BStBl II 1980, 645). Entscheidend ist, daß § 26b EStG bereits in der für 1974 geltenden Fassung die Zusammenrechnung der Einkünfte der Ehegatten, also die Ermittlung einer einheitlichen Einkommensteuerschuld bei der Zusammenveranlagung, vorschrieb.
4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie ist deshalb gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückzuverweisen.
Das FG wird bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung zu prüfen haben, ob die angefochtenen Bescheide über die Festsetzung der Verspätungszuschläge - zusammen mit den betreffenden Einkommensteuerbescheiden - wirksam bekannt gemacht worden sind.
Fundstellen
Haufe-Index 415365 |
BFH/NV 1988, 143 |