Leitsatz (amtlich)
Die Ablaufhemmung gemäß § 146 a Abs. 4 AO endet mit dem Tod des Steuerhinterziehers.
Normenkette
AO a.F. §§ 144-145, 147; AO § 146a Abs. 3-4, § 222 Abs. 1 Nr. 1; StAnpG § 8
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Erben des am 5. Februar 1970 verstorbenen N S. Der Erblasser wurde bis zu seinem Tode zur Vermögensteuer veranlagt. Aufgrund der Erklärungen setzte der Beklagte und Revisionskläger (das FA) u. a. die Vermögensteuer ab 1. Januar 1956 durch Bescheid vom 2. September 1957 und ab 1. Januar 1957 durch Bescheid vom 15. Januar 1959 fest. Bei einer im Jahre 1971 durchgeführten Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß der Erblasser von 1956 an sein steuerpflichtiges Vermögen zu niedrig angegeben hatte. Das FA berichtigte daraufhin durch Bescheide vom 27. September 1971 die Vermögensteuerveranlagungen zum 1. Januar 1956, 1. Januar 1957, 1. Januar 1960, 1. Januar 1963, 1. Januar 1966 und 1. Januar 1969. Es setzte die Vermögensteuer zum 1. Januar 1956 auf ...DM und zum 1. Januar 1957 auf ...DM fest. Später hob es diese Bescheide wieder auf und erließ unter dem 31. Mai 1974 neue Bescheide über die gleichen Steuerbeträge, die nunmehr an sämtliche Kläger als Gesamtrechtsnachfolger des verstorbenen N S zu Händen des Testamentsvollstreckers gerichtet waren.
Die Kläger sind der Auffassung, daß die streitigen Vermögensteueransprüche bei Erlaß der berichtigten Bescheide bereits verjährt waren. Ihre Sprungklage hatte Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus: Die Berichtigungen seien nicht mehr möglich gewesen, da die Verjährungsfristen bereits abgelaufen gewesen seien. Dies gelte auch dann, wenn man zuungunsten des Erblassers unterstelle, daß er die Vermögensteuer 1956 bis 1969 vorsätzlich fortgesetzt hinterzogen habe. Die 10 jährige Verjährungsfrist sei für die Streitjahre - nach Unterbrechungen durch den Erlaß der ursprünglichen Bescheide - mit Ablauf des Jahres 1967 bzw. 1969 vollendet gewesen. Durch die Betriebsprüfung im Jahre 1971 habe sie mithin nicht mehr unterbrochen werden können.
Entgegen der Auffassung des FA sei der Ablauf der Verjährungsfrist auch nicht gemäß § 146 a Abs. 4 der Reichsabgabenordnung (AO) gehemmt gewesen. Nach einer fortgesetzten Steuerhinterziehung beginne die Verjährung der Strafverfolgung mit der Beendigung des letzten Teilaktes, der auch in einer Versuchshandlung bestehen könne, im Streitfall mit der Abgabe der unrichtigen Vermögenserklärung auf den 1. Januar 1969 am 2. Dezember 1969. Mit dem Tode des Erblassers am 5. Februar 1970 sei die Ablaufhemmung jedoch entfallen. Die Vorschrift des § 146 a Abs. 4 AO bezwecke, auf hinterzogene Steuerbeträge nicht schon zu einer Zeit zu verzichten, zu der die Strafverfolgung noch möglich sei. Der Grund der Ablaufhemmung entfalle demnach aber, wenn der materielle Strafanspruch infolge des Todes des Steuerpflichtigen weggefallen sei.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der das FA Verletzung materiellen Rechts rügt. Es führt im wesentlichen aus: Der Tod des Steuerpflichtigen sei ein persönlicher Strafaufhebungsgrund, der den Lauf der Verjährungsfrist gegenüber den Erben unberührt lasse. Entgegen der Auffassung des FG sei es nicht Sinn der Vorschrift des § 146 a Abs. 4 AO, mittelbar die Erben für die Steuerhinterziehung des Erblassers zu bestrafen, sondern es gehe allein darum, die Erben nicht besser zu stellen als den Erblasser. Es liege im Wesen der Gesamtrechtsnachfolge, daß die Nachfolger in jeder Hinsicht in die Rechtsposition des Vorgängers einträten, also auch mit der Wirkung, daß sie alle steuernachzahlungsbegründenden Verhältnisse aus der Person des Vorgängers gegen sich gelten lassen müßten. Die Verjährung laufe mithin bis zur theoretischen Vollendung der Strafverfolgungsverjährung weiter.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Voraussetzungen für die Berichtigung der ursprünglichen Vermögensteuerbescheide zum 1. Januar 1956 und zum 1. Januar 1957 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO waren nicht gegeben, da die Steueransprüche bereits bei Erlaß der Berichtigungsbescheide vom 27. September 1971 verjährt waren. Dies gilt - wie die Vorinstanz zu Recht angenommen hat - auch dann, wenn man zuungunsten der Kläger unterstellt, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf 10 Jahre (§ 144 AO in der vor dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung -AO a. F.-) vorliegen.
Gemäß § 147 AO a. F. ist die Verjährungsfrist für die Vermögensteuer 1956 durch den Erlaß des ursprünglichen Vermögensteuerbescheids im Jahre 1957 und für die Vermögensteuer 1957 und 1958 durch den Erlaß des ursprünglichen Vermögensteuerbescheids im Jahre 1959 unterbrochen worden; die Verjährung der Vermögensteuer 1959 begann gemäß § 145 Abs. 1 AO a. F. mit Ablauf des Jahres 1959. Die Verjährungsfristen endeten für die Vermögensteuer 1956 mit Ablauf des Jahres 1967, für die übrigen Streitjahre mit Ablauf des Jahres 1969. Eine Ablaufhemmung gemäß § 146 a Abs. 3 AO - gemäß Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643 [648]) war diese Vorschrift in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung für die Hemmung der Verjährung maßgebend - ist deshalb durch die im Jahre 1971 durchgeführte Betriebsprüfung nicht mehr eingetreten.
2. Der Ablauf der Verjährungsfristen war auch nicht über den Zeitpunkt des Todes des Erblassers hinaus gehemmt. Nach § 146 a Abs. 4 AO kann der Steueranspruch bei hinterzogenen Beträgen zwar nicht verjähren, bevor die Strafverfolgung verjährt ist. Selbst wenn man mit dem FG eine die Streitjahre umfassende, bis ins Jahr 1969 hineinreichende fortgesetzte Steuerhinterziehung unterstellt, so endete die Verjährung der Steueransprüche mit dem Tode des Erblassers am 5. Februar 1970. Der Auffassung des FA, im Falle des Todes des Steuerhinterziehers sei die Verjährung des Steueranspruchs bis zum theoretischen Ablauf der Strafverfolgungsverjährung gehemmt, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
a) Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Meinung des FA mit dem Wortsinn des § 146 a Abs. 4 AO zu vereinbaren ist. Stellt die Vorschrift nach dem Wortlaut auf die Verjährung der Strafverfolgung ab, so setzt dies voraus, daß die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung tatsächlich noch läuft. Mit dem Tod des Beschuldigten endet jedoch die Strafverfolgung. Auf den theoretischen Ablauf der Frist stellt der Wortlaut des Gesetzes nicht ab. Der - nicht näher begründeten - Auffassung von Delbrück (Juristische Wochenschrift 1939 S. 193, 196), der aus dem Wortlaut des Gesetzes den gegenteiligen Schluß ziehen möchte, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
b) Auf jeden Fall widerspricht es dem Sinn und Zweck des § 146 a Abs. 4 AO, die hemmende Wirkung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung über den Tod des Hinterziehers hinaus auszudehnen. Nach dem Sinngehalt der Vorschrift will der Gesetzgeber nicht auf die Steuer verzichten, solange noch bestraft werden kann (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 146 a AO Anm. 5; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 146 a AO Anm. 16; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 145 Anm. 2 Abs. 4). Dieser Grund fällt, wie auch Delbrück, a. a. O., ausdrücklich einräumt, mit dem Tode fort. Der Tod des Beschuldigten ist das stärkste Verfahrenshindernis; er beendet - auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens - das Verfahren von selbst (Kleinknecht, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 33. Aufl., § 206 a Anm. 8). Entfällt aber die Möglichkeit der Strafverfolgung, so fehlt der sachliche Grund, auf die Frist der Strafverfolgung, die dann keine praktische Bedeutung mehr hat, Rücksicht zu nehmen (Schefold, Steuer und Wirtschaft 1943 S. 607, 630; vgl. auch Becker-Riewald-Koch, a. a. O.). Diese Auslegung wird auch durch die Materialien zu § 171 Abs. 7 der Abgabenordnung (AO 1977) bestätigt, der - für die Festsetzungsverjährung - ebenfalls eine Ablaufhemmung bis zur Vollendung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung vorsieht. § 171 Abs. 7 AO 1977 stimmt insoweit wörtlich mit § 152 Abs. 4 des Entwurfs der AO 1974 überein, zu dessen Begründung auf die Möglichkeit der Strafverfolgung abgestellt wurde (vgl. Bundestags-Drucksache VI/1982 S. 152).
c) Für die Auffassung des FA, § 146 a Abs. 4 AO bezwecke, die Erben nicht besser zu stellen als den Erblasser zu dessen Lebzeiten, finden sich weder im Wortsinn Anhaltspunkte noch entspricht eine derartige Auslegung dem vorstehend dargelegten Sinngehalt der Vorschrift. Zu Unrecht beruft sich das FA demgegenüber auf § 8 des Steueranpassungsgesetzes. Es ist zwar richtig, daß der Erbe in die Rechtsposition des Erblassers einrückt. Gegen ihn laufen deshalb grundsätzlich die gegenüber dem Erblasser in Gang gesetzten Verjährungsfristen weiter, wie dies der RFH mit Recht auch für die 10jährige Verjährungsfrist nach einer Steuerhinterziehung des Erblassers angenommen hat (RFH-Urteil vom 14. Juni 1934 III A 152/34, RStBl 1934, 918). Daraus folgt jedoch nicht, daß der Tod des Erblassers den Erben gegenüber - abgesehen von der eintretenden Gesamtrechtsnachfolge - keinerlei steuerrechtliche Folgen haben könne. Wenn - wie hier - durch den Tod des Erblassers der Zweck einer Vorschrift entfällt, kann dies auch den Erben gegenüber nicht unberücksichtigt bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 72740 |
BStBl II 1978, 359 |
BFHE 1978, 302 |