Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält daran fest, daß die Kosten für die Mittagsheimfahrten bei geteilter Arbeitszeit auch dann nicht als außergewöhnliche Belastung anzusehen sind, wenn der Arbeitnehmer eine notwendige Diätverpflegung nur zu Hause einnehmen kann.
Normenkette
EStG § 33
Verfahrensgang
FG Bremen (Urteil vom 26.01.1973; Aktenzeichen I 19/72) |
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Arbeitnehmer, muß auf Anordnung des Arztes Diät einhalten. Zu diesem Zweck fährt er in den Mittagspausen nach Hause. Die durch die Heimfahrten entstandenen Fahrtkosten von 1 015,20 DM machte er als außergewöhnliche Belastung bei der Einkommensteuerveranlagung 1970 geltend. Im Klageverfahren erhöhte er seinen Antrag auf 1 410 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) berücksichtigte die Kosten nicht nach § 33 EStG. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG gab der Klage mit folgender Begründung statt: Der Kläger gehöre innerhalb der Gruppe mit vergleichbaren Einkommens- und Familienverhältnissen zu einer unbedeutenden Minderheit der Arbeitnehmer, die mittags nach Hause führen. Diese Feststellung beruhe auf den eigenen Beobachtungen der Mitglieder des FG. Dem Kläger erwüchsen daher größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, so daß insoweit die Voraussetzungen des § 33 EStG erfüllt seien. Der BFH habe zwar die unterschiedliche Behandlung der Kosten der mittäglichen Heimfahrten nach den Einkommensverhältnissen des einzelnen Steuerpflichtigen unter Hinweis auf Art. 3 GG abgelehnt. Dieser Ansicht könne das FG sich aber nicht anschließen, da sie dem Gesetzeswortlaut widerspreche. Aber selbst dann, wenn man für die Frage der Außergewöhnlichkeit der Belastung auf alle Steuerpflichtigen abstellen würde, beständen Bedenken, ob es heute noch üblich sei, die Mittagspause zu Hause zu verbringen. Die Lebensgewohnheiten hätten sich im Laufe der Jahre dahin entwickelt, daß bei nur kurzer Unterbrechung der durchgehenden Arbeitszeit das Mittagessen am Arbeitsplatz oder in der Nähe eingenommen werde. Dazu würden vielfach schon die Verkehrsverhältnisse zwingen, zumal die Kantinen zahlenmäßig zugenommen hätten und verbessert worden seien. Zwischen der Krankheit des Klägers und seinen Mittagsheimfahrten bestehe ein kausaler Zusammenhang. Zwar würden auch andere Steuerpflichtige mittags nach Hause fahren, und es seien auch Fälle denkbar, in denen nicht festgestellt werden könne, ob allein die Krankheit der Grund für diese Fahrten sei. Bei dem Familienstand des Klägers und seinem Jahresgehalt von rd. 18 000 DM, vermindert um erhebliche Sonderausgaben und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung, sei aber davon auszugehen, daß nur die Krankheit und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Diätverpflegung Anlaß für die Mittagsheimfahrt seien. Dem Kläger sei wegen seiner Erkrankung von seinem Arbeitgeber auch eine längere Tischzeit eingeräumt worden. Es handele sich insoweit um einen Einzelfall, der eine Verallgemeinerung nicht zulasse. Die Aufwendungen des Klägers seien auf 0,25 DM je km zu schätzen. Die Beschränkung auf 0,18 DM je km Fahrtstrecke komme nicht in Betracht, weil § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG hier nicht gelte. Bei 235 Arbeitstagen und einer Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 12 km ergebe das eine außergewöhnliche Belastung von 1 410 DM. Dem Kläger sei es wegen der Kürze der Mittagspause nicht zuzumuten, die billigeren öffentlichen Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen.
Mit seiner wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 33 EStG. Das Urteil stehe mit der ständigen Rechtsprechung des BFH in Widerspruch, nach der Aufwendungen für Mittagsheimfahrten nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden könnten, selbst wenn ihre Notwendigkeit ärztlich bescheinigt werde. Das FG habe falsche Sachverhalte miteinander verglichen. Die Behörden in der Umgebung des FG hätten gar keine Mittagspause, so daß ihre Bediensteten auch nicht die Möglichkeit hätten, mittags nach Hause zu fahren. Der Kläger könne daher nur solchen Personen gleichgestellt werden, denen eine Mittagspause von zwei Stunden oder mehr zustehe. Bei diesen Berufstätigen sei es aber üblich, mittags nach Hause zu fahren, wobei die Höhe des Einkommens keine Rolle spiele. Unabhängig von der Entwicklung, die dahingehe, möglichst kurze Mittagspausen einzuführen, sei auf den Personenkreis abzustellen, der eine längere Tischzeit habe. Auch die ärztliche Bescheinigung über die Notwendigkeit der Mittagsheimfahrt könne keine andere Beurteilung rechtfertigen. Der BFH habe aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der schwierigen Abgrenzbarkeit zu den üblichen Lebenshaltungskosten die Aufwendungen für eine ärztlich als notwendig angesehene Mallorca-Reise eines Pollenallergikers nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Die gleichen Gründe müßten hier zur Ablehnung der Fahrtaufwendungen des Klägers führen. Die FÄ wären überfordert, im Einzelfall zu ermitteln, ob der Steuerpflichtige wegen der ärztlich verordneten Diät mittags heimfahre oder ob er auch sonst nach Hause fahren würde. Im Ergebnis würde das dazu führen, daß die Vergünstigung des § 33 EStG nahezu allen Steuerpflichtigen gewährt werden müßte, die während ihrer Mittagspause nach Hause führen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Dagegen führt der Kläger aus, daß zu den tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden sei, auch die Außergewöhnlichkeit im Sinne von § 33 EStG gehöre. Nur dann, wenn zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht würden, entfiele die Bindungswirkung. Der Vortrag des FA genüge aber diesen Voraussetzungen nicht. Bei der Prüfung der Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen dürfe nicht auf das Verhalten von Steuerpflichtigen mit langer Mittagspause, sondern müsse auf die Gesamtheit der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes abgestellt werden. Auf die Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen sei es ohne Einfluß, ob Mittagsheimfahrten unterblieben oder durchgeführt würden. Selbstverständlich verlange § 33 EStG zusätzlich die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen. Diese sei bei ihm aber niemals streitig gewesen. § 33 EStG beziehe sich auf Kosten der Lebenshaltung. Es gebe aber keinen Grund dafür, Aufwendungen, die den normalen Tagesablauf eines Steuerpflichtigen beträfen, nicht als außergewöhnlich anzusehen. Im übrigen trage das FA die materielle Beweislast für die Außergewöhnlichkeit seiner Aufwendungen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA gegen das in EFG 1973, 165, veröffentlichte Urteil ist begründet.
Mit Urteil vom 13. März 1964 VI 28/64 U (BFHE 79, 306, BStBl III 1964, 342) hat es der Senat abgelehnt, die Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen für Mittagsheimfahrten danach zu bemessen, ob bei Arbeitnehmern vergleichbarer Einkommensverhältnisse derartige Fahrten üblich seien, und dabei auf Art. 3 GG verwiesen. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Die gegenteilige Ansicht des FG, wonach die Frage der Üblichkeit der mittäglichen Heimfahrten des Klägers nur innerhalb der Gruppe gleicher Einkommensbezieher zu beantworten sei, überzeugt nicht.
Krankheitskosten werden von der Verwaltung als ihrer Art nach außergewöhnlich und regelmäßig ohne Abstriche anerkannt, wobei die Einkommensverhältnisse des Steuerpflichtigen nur durch die Eigenbelastungsgrenze (§ 64 EStDV) die steuerlichen Auswirkungen der außergewöhnlichen Belastung beeinflussen (vgl. auch Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 33 EStG Anm. 11). Diese großzügige Beurteilung muß jedoch auf die eigentlichen Krankheitskosten beschränkt bleiben. Eine Berücksichtigung von Aufwendungen, die nicht nur im Interesse der Gesundheit gemacht werden, sondern die auch den allgemeinen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen sind, können nicht im Rahmen von Krankheitskosten nach § 33 EStG berücksichtigt werden.
Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für seine Mittagsheimfahrten als erweiterte Krankheitskosten nach § 33 EStG berücksichtigt. Diese Ansicht hatte der Senat zwar in seinem Urteil vom 29. April 1960 VI 9/60 U (BFHE 71, 33, BStBl III 1960, 258) vertreten, seine Rechtsauffassung aber dann mit Urteil vom 7. Dezember 1962 VI 98/61 S (BFHE 76, 363, BStBl III 1963, 134) nach Abstimmung mit dem I. und IV. Senat des BFH aufgegeben. Dabei war entscheidend, daß der einzelne Steuerpflichtige seine Mittagspause nach seinen individuellen Wünschen und Bedürfnissen gestalten kann, wobei gleichzeitig Gründe, wie Rücksichtnahme auf die Gesundheit, der Wunsch nach Einnahme der Mahlzeit im Kreise der Familie sowie das Fehlen einer Kantine oder einer geeigneten Gaststätte am Arbeitsort, der Anlaß für die Mittagsheimfahrten sein können. Der Senat hält daran fest, daß Aufwendungen des Steuerpflichtigen, die den normalen Tagesablauf betreffen, keine außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 EStG sind. Das gilt auch dann, wenn ein Steuerpflichtiger nach Hause fährt, um dort eine ärztlich verordnete Diät einzunehmen.
Aufgrund ähnlicher Erwägungen hat der Senat in seiner Entscheidung vom 10. März 1972 VI R 256/69 (BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534), auf die auch das FA verwiesen hat, Aufwendungen eines asthmatischen Steuerpflichtigen für eine ärztlich angeratene Reise nach Mallorca nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt, weil es an der ärztlichen Überwachung des Steuerpflichtigen am Aufenthaltsort fehlte und daher die Abgrenzung zu einer Erholungsreise nicht möglich war.
Der Senat verbleibt daher bei seiner zuletzt mit Urteil vom 10. April 1970 VI R 250/68 (BFHE 99, 359, BStBl II 1970, 680) dargelegten Auffassung, daß die Kosten der Mittagsheimfahrt bei geteilter Arbeitszeit auch dann nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden können, wenn die Heimfahrt aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist. Es trifft zwar zu, daß § 33 EStG den Grundsatz des § 12 Nr. 1 EStG einschränkt, wonach Lebenshaltungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte und des Einkommens nicht abgezogen werden können. Der Zweck des § 33 EStG besteht aber darin, in Einzelfällen im Wege einer Ermäßigung der tariflichen Steuer der steuerlichen Gleichmäßigkeit und der sozialen Gerechtigkeit zu dienen sowie Härten zu mildern und zu beseitigen. Dem Billigkeitscharakter der Bestimmung würde es nicht entsprechen, wenn Steuerpflichtige, die zeitlich in der Lage sind, ihre Mittagsmahlzeit zu Hause einzunehmen, die dadurch bedingten Fahrtkosten als außergewöhnliche Belastungen absetzen könnten. Hinzu kommt, daß die finanzielle Belastung bei Einnahme von Diätverpflegung in Lokalen in der Nähe der Arbeitsstätte unter Umständen höher ist, als wenn diese durch die Ehefrau zubereitet wird.
Fundstellen
Haufe-Index 71495 |
BStBl II 1975, 738 |
BFHE 1976, 356 |