Leitsatz (amtlich)
Die Anordnung einer Außenprüfung ist auch zulässig, soweit ausschließlich festgestellt werden soll, ob und inwieweit Steuerbeträge hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind. Eine sich insoweit gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung besteht nicht.
Orientierungssatz
1. Es ist möglich und zulässig, daß Ermittlungsmaßnahmen des Außenprüfers eine Doppelfunktion haben: die Ermittlung des steuerlichen und die des strafrechtlichen Sachverhalts. Der Außenprüfer hat jedoch, die Vorschrift des § 9 BpO (St) sowie nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens zu beachten, daß der Finanzbehörde die im Besteuerungsverfahren eingeräumten Zwangsmittel nicht mehr zustehen.
2. Grundsätzlich kann das FA dem zeitlichen Umfang der Außenprüfung nach seinem Ermessen unter Beachtung der Selbstbeschränkungsvorschrift des § 4 BpO (St), die auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten ist, bestimmen. Dabei kann die Begründung für die Abweichung vom regelmäßigen Prüfungszeitraum (große Wahrscheinlichkeit für die Möglichkeit nicht unerheblicher Steuernachforderungen und einer Steuerstraftat) zulässigerweise noch in der Beschwerdeentscheidung gegen die Prüfungsanordnung, nachgeholt werden. Das der Finanzbehörde zustehende Ermessen wird nicht dadurch eingeengt, daß die Steueransprüche, die überprüft werden sollen, möglicherweise verjährt sind oder aus anderen Gründen nicht mehr durchgesetzt werden können (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 193 Abs. 1, §§ 5, 194 Abs. 1, §§ 121, 196, 126 Abs. 1 Nr. 2, § 199 Abs. 1, § 208 Abs. 1, 3, § 385 Abs. 1, § 386 Abs. 1-2, § 393 Abs. 1 Sätze 1-2; BpO (St) § 4 Abs. 1; BpO (St) § 4 Abs. 2; BpO (St) § 9
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Entscheidung vom 07.02.1985; Aktenzeichen IV 166/83) |
Tatbestand
I. Der Kläger war bis zum 31.Dezember 1979 Inhaber eines Schuh- Einzelhandelsgeschäftes. Durch Verfügung vom 9.Februar 1982 ordnete das Finanzamt (FA) bei ihm eine Außenprüfung für die Jahre 1977 bis 1979 an, betreffend u.a. Vermögensteuer für die Zeit vom 1.Januar 1978 bis 1.Januar 1980. Der Prüfer stellte erhebliche ungeklärte Bargeldbewegungen fest, die aus Goldverkäufen stammen sollten und unterbrach die Prüfung am 24.Februar 1982. Unter dem 7.Mai 1982 beantragte der Kläger entsprechend seinen Angaben über die vorhandenen Goldvorräte (im Wert zwischen 104 692 DM und 274 659 DM), die Vermögensteuerveranlagungen ab 1.Januar 1974 zu berichtigen. Dies führte am 28.Juli 1982 zur Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen den Kläger wegen fortgesetzt vorsätzlicher Verkürzung der Vermögensteuer 1971 bis 1980. Am selben Tage ordnete das FA die Ausdehnung des Prüfungszeitraums hinsichtlich der Vermögensteuer auf die Zeit vom 1.Januar 1971 bis 1.Januar 1977 an, "weil mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen sei".
Die Beschwerde hiergegen blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat die Prüfungsanordnung betreffend Vermögensteuer 1.Januar 1971 bis 1.Januar 1977 aufgehoben. Die Entscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 323 ff.
Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das FG habe nicht berücksichtigt, daß die Geltendmachung hinterzogener Steuern voraussetze, daß der materiell-rechtliche Steuertatbestand erfüllt sei und eine Steuerstraftat vorliege. Welche der beiden Voraussetzungen zunächst ermittelt werde, liege im pflichtgemäßen Ermessen des FA. Es sei auch nicht richtig, daß nur die Steuerfahndung beide Tatbestände gleichzeitig erforschen dürfe. Das Nebeneinander von Besteuerungs- und Strafverfahren grenze das Vorgehen des FA nicht auf eine bestimmte Dienststelle ein.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (vgl. § 126 Abs.3 Nr.1 FGO).
Das FG-Urteil beruht auf einer unzutreffenden Rechtsanwendung der §§ 193, 194 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Prüfungsanordnung des FA vom 28.Juli 1982 betreffend Vermögensteuer für den Zeitraum 1.Januar 1971 bis 1.Januar 1977 ist rechts- und ermessensfehlerfrei.
Die Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) richtet sich zu Recht gegen den Kläger als Inhaber eines Handelsgewerbes (vgl. § 193 Abs.1 AO 1977). Sie ist auch, was den zeitlichen Umfang der angeordneten Prüfung anbetrifft, rechts- und ermessensfehlerfrei.
Grundsätzlich kann das FA den zeitlichen Umfang der Außenprüfung nach seinem Ermessen bestimmen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.Juli 1985 VIII R 48/85, BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433). Die Finanzbehörde hat das ihr insoweit zustehende Ermessen allerdings durch Bestimmungen in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung --BpO(St)--, Fassung vom 27.April 1978 (BStBl I 1978, 195), eingeschränkt. Diese Selbstbeschränkung ist auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten (BFH-Urteil vom 29.April 1970 IV R 259/69, BFHE 99, 365, BStBl II 1970, 714).
In der Verwaltungsvorschrift ist vorgesehen, daß der Prüfungszeitraum bei Großbetrieben an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen soll --§ 4 Abs.1 BpO(St)--, daß bei anderen Betrieben der Prüfungszeitraum aber nicht über die letzten drei Besteuerungszeiträume zurückreichen soll, für die vor Bekanntgabe der Prüfungsanordnung Steuererklärungen abgegeben wurden --§ 4 Abs.2 Satz 1 BpO(St)--. Da der Kläger nicht Inhaber eines Großbetriebes im Sinne dieser Bestimmung war, konnte die Prüfung an sich nur auf die Jahre 1977 bis 1979 erstreckt werden. Die Prüfungsbeschränkung des § 4 Abs.2 BpO(St) gilt nach den Regelungen der Verwaltungsvorschrift aber nicht, wenn mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht. Beide Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
Nach den eigenen Mitteilungen des Klägers in seinem Schreiben vom 7.Mai 1982, mit dem er um Berichtigung der Vermögensteuerveranlagungen ab 1.Januar 1974 bat, konnte das FA nicht nur die Wahrscheinlichkeit nicht unerheblicher Steuernachforderungen ableiten, sondern es ergab sich hieraus auch der Verdacht einer Steuerstraftat des Klägers. Diese Schlüsse beruhten nicht nur auf Vermutungen, sondern die Umstände, insbesondere die Mitteilungen des Klägers über die Höhe der Werte der Goldvorräte sprachen mit ausreichend großer Wahrscheinlichkeit für die Möglichkeit nicht unerheblicher Steuernachforderungen und einer Steuerstraftat des Klägers (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 1.August 1984 I R 138/80, BFHE 142, 198, BStBl II 1985, 350).
Das FA hat auch die Abweichung vom regelmäßigen Prüfungszeitraum ordnungsgemäß und ausreichend begründet. Dies gilt auch, soweit die Prüfungsanordnung erst in der Beschwerdeentscheidung mit dem Bestehen eines Verdachts einer Steuerstraftat begründet wurde. Die Begründung kann nämlich zulässigerweise noch in der Beschwerdeentscheidung nachgeholt werden (vgl. BFH-Urteil vom 10.Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286).
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Klägers liegt auch darin keine Ermessensverletzung des FA, daß es die Außenprüfung für Zeiträume angeordnet hat, für die bei der betreffenden Steuerart (Vermögensteuer) die regelmäßige Verjährungsfrist abgelaufen war und eine Steuerfestsetzung nur noch in Betracht kommen konnte, wenn eine Steuerstraftat mit der Folge einer Verjährungsfrist von zehn Jahren vorlag.
Zum einen ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Verjährung eines Steueranspruchs --ob aufgrund des Ablaufs der regelmäßigen fünfjährigen oder der wegen des Vorliegens einer Straftat zehnjährigen Verjährungsfrist-- das der Finanzbehörde im Rahmen der §§ 193 f. AO 1977 zustehende Ermessen dahingehend einengt, auf eine Außenprüfung zu verzichten. Denn eine solche Einengung des Ermessens der Finanzbehörde lassen die §§ 193 f. AO 1977 nicht erkennen (vgl. Urteil in BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433, unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 24.Oktober 1979 VIII R 220/78, BFHE 129, 114, BStBl II 1980, 143, und vom 23.Januar 1985 I R 53/81, BFHE 143, 16, BStBl II 1985, 566).
Zum anderen kann der z.T. auch im Schrifttum vertretenen Rechtsauffassung des FG und des Klägers nicht gefolgt werden, die Außenprüfung habe durch das FA nicht angeordnet werden dürfen, weil für die Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Steuerstraftat die Außenprüfung die falsche Institution und von ihrer Wesensart und Struktur her ungeeignet sei, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Diese Rechtsmeinung übersieht, daß es bei dem Verdacht einer Steuerstraftat Aufgabe der Finanzbehörde (des FA) ist, den Sachverhalt zu ermitteln (vgl. § 386 Abs.1 AO 1977). Mit welchen Mitteln oder auf welche Weise das FA seiner Ermittlungspflicht bei Verdacht einer Steuerstraftat nachkommt, ist, weil das Gesetz entsprechende Vorschriften nicht enthält, keine Frage der rechtlichen Zulässigkeit, sondern der Zweckmäßigkeit und Praktikabilität. Eine sich insoweit gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung besteht nicht. Vielmehr hat der Außenprüfer neben seiner primären Aufgabe, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu prüfen, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer maßgebend sind (vgl. § 199 Abs.1 AO 1977), auch die Pflicht, bei dem Verdacht einer Steuerstraftat die Strafverfolgung aufzunehmen und ein Verfahren einzuleiten (vgl. §§ 386 Abs.1 und 2, 385 Abs.1 AO 1977 i.V.m. § 152 der Strafprozeßordnung --StPO--). Da zum Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) u.a. die unterbliebene oder zu niedrige Festsetzung von Steuern gehört, ist Gegenstand auch der strafrechtlichen Ermittlungen die Feststellung der tatsächlichen Höhe des Steueranspruchs. Dies festzustellen gehört aber gemäß § 199 Abs.1 AO 1977 zum Aufgabenbereich des Außenprüfers. Dies gilt auch bezüglich des subjektiven Tatbestandes einer begangenen Steuerstraftat. Es ist deshalb durchaus möglich und zulässig, daß Ermittlungsmaßnahmen des Außenprüfers eine Doppelfunktion haben: die Ermittlung des steuerlichen und die des strafrechtlichen Sachverhalts (vgl. hierzu: Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Stand Mai 1987 Tz.13280 ff.). Der Außenprüfer hat jedoch die Vorschrift des § 9 BpO(St) sowie nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens zu beachten, daß der Finanzbehörde die im Besteuerungsverfahren eingeräumten Zwangsmittel (§§ 328 ff. i.V.m. §§ 390 ff. AO 1977) nicht mehr zustehen (§ 393 Abs.1 Satz 2 AO 1977). Darüber hinaus werden durch die Einleitung des Strafverfahrens die Befugnisse des FA nicht berührt (vgl. § 393 Abs.1 Satz 1 AO 1977). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 208 Abs.1 AO 1977. Denn durch § 208 Abs.3 AO 1977 wird ausdrücklich klargestellt, daß die Aufgaben und Befugnisse der Finanzbehörden unberührt bleiben (d.h. nicht verdrängt werden) von den in § 208 Abs.1 AO 1977 normierten Aufgaben der Steuerfahndung.
Nach alledem steht es dem FA frei, das nach seiner Auffassung zweckmäßigste Mittel für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen, aus denen sich auch eine Steuerstraftat ergeben kann, auszuwählen. So kann es zweckmäßig und sinnvoll sein, auch bei Vorliegen eines Verdachtes einer Steuerstraftat eine Außenprüfung durchzuführen, wenn z.B. zu erwarten ist, daß der Steuerpflichtige den steuerlich erheblichen Sachverhalt offenlegt, ohne von seinem Recht auf Verweigerung der Mitwirkung Gebrauch zu machen, so daß Zwangsmittel nicht nötig sind. Ob die in solchen Fällen mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen wegen der diesen Stellen nach § 404 AO 1977 zustehenden erweiterten Befugnisse und Ermittlungsmöglichkeiten einzuschalten sind, wird sich in der Regel erst im Laufe der Außenprüfung ergeben. Es ist weder sinnvoll, schon die Aufnahme der Ermittlungstätigkeit der Außenprüfung mit diesen Fragen zu erschweren noch besteht Anlaß, die Verwaltung in diesen Fällen ausschließlich und von vornherein auf die Steuerfahndung zu verweisen (vgl. wie hier das bereits genannte Urteil in BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433).
Entgegen der Auffassung des FG bedurfte es schließlich auch keiner Einschränkung der streitigen Prüfungsanordnung dahingehend, daß die Außenprüfung beschränkt werde auf hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Steuerbeträge. Denn die Frage, ob Verjährung eingetreten ist oder ob andere Hindernisse der Geltendmachung der Steueransprüche entgegenstehen, ergibt sich vielfach erst dann zuverlässig, wenn der Sachverhalt durch die Außenprüfung geklärt ist. Es ist auch insoweit nicht sinnvoll, schon die Ermittlungstätigkeit der Betriebsprüfung mit Erwägungen zu erschweren, welche die Verwertung der erst zu findenden Ermittlungsergebnisse betreffen (wie hier das bereits genannte Urteil in BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433).
Fundstellen
Haufe-Index 61851 |
BStBl II 1988, 113 |
BFHE 151, 324 |
BFHE 1988, 324 |