Leitsatz (amtlich)
Ist für Zollgut, das aus einem offenen Zollager in den freien Verkehr entnommen worden ist, der Rechnungspreis pro Einheit je nach der gekauften Menge unterschiedlich hoch, so ist bei der Zollwertfeststellung die Menge der gekauften Waren außer Betracht zu lassen, die aus dem offenen Zollager wieder in Drittländer ausgeführt worden sind.
Normenkette
ZWVO 1968 Abs. 1, 4, 9; ZG a.F. 1975/76 § 45 Abs. 1, 6, S. 2, § 46 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Steitig ist der Zollwert von 734,05 kg eines pharmazeutischen Wirkstoffs den die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) 1975 und 1976 aus ihrem offenen Zollager in den freien Verkehr entnommen hat.
Die Klägerin importiert seit 1959 einen pharmazeutischen Wirkstoff, den sie von einem in den USA ansässigen Unternehmen (Lieferfirma) bezieht, das für diesen Wirkstoff weltweite Patente besitzt. Nachdem das letzte für die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) geltende Patent am 17. April 1975 ausgelaufen war, wurde die bis zu diesem Zeitpunkt zwischen der Klägerin und der Lieferfirma bestehende Patentlizenzvereinbarung, die die Zahlung von Lizenzgebühren vorsah, durch einen neuen Lizenzvertrag und einen Liefervertrag mit Wirkung vom 1 Januar 1975 ersetzt. Die Vertragsbestimmungen sahen für das Jahr 1975 eine jährliche Mindestabnahmemenge von … kg und eine jährliche Höchstabnahmemenge von … kg bei einem Preis von … US $ pro kg vor. Für die Zeit vom 1. Januar 1976 bis 17. April 1980 sahen die Verträge eine Mindestabnahmemenge von insgesamt … kg zu einem Preis von US $ pro kg vor; dabei verpflichtete sich die Klägerin zusätzlich, ab 1976 bis 1979 pro Jahr mindestens … kg und vom 1. Januar bis 17. April 1980 mindestens … kg des Wirkstoffes zu kaufen.
Die Klägerin kaufte im Jahre 1975 … kg und im Jahre 1976 … kg des Wirkstoffes (jeweils geringfügig mehr als die vereinbarte Mindestmenge) und ließ sie zunächst zu ihrem offenen Zollager abfertigen. Ihren Zollwertanmeldungen legte sie die vertraglich vereinbarten Preise zugrunde. Die Lagerzollstelle erteilte bei der Einlagerung der jeweils gekauften Mengen entsprechende Feststellungsbescheide, in denen bis auf einen Fall jeweils Lizenzgebühren berücksichtigt waren. Diese Feststellungsbescheide wurden vorläufig erteilt. Den Feststellungsbescheiden entsprachen die ebenfalls vorläufigen Zahlungsanmeldungen der Klägerin nach der Entnahme aus dem offenen Zollager.
Im November 1976 führte die Betriebsprüfung der Zollwertgruppe der Bundeszollverwaltung bei der Klägerin eine Zollwertprüfung durch Dabei stellte der Prüfer fest, daß die Klägerin von der 1975 und 1976 zum offenen Zollager abgefertigten Gesamtmenge von insgesamt … kg im Zeitpunkt der Prüfung … kg (= rd. 60 % der Gesamtmenge) in den freien Verkehr entnommen und … kg in Drittländer exportiert hatte (= rd. 30 % der Gesamtmenge). Der Lagerbestand betrug … kg. Die Zollwertgruppe kam aufgrund dieser Prüfung zum Ergebnis, daß die Klägerin im Hinblick auf die Verknüpfung von Abnahmemenge und Preis bei Abnahme einer Warenmenge, die der zum freien Verkehr abgefertigten Menge entsprach, einen höheren Rechnungspreis für die Einfuhrware zu zahlen gehabt hätte. Sie schätzte die Hohe des zollwertrechtlich nicht anzuerkennenden Preisvorteils auf 5 % des Rechnungspreises.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) berichtigte dementsprechend mit Steueränderungsbescheid vom 26 August 1977 die vorläufigen Feststellungsbescheide und die vorläufigen Zahlungsanmeldungen und erklärte sie für endgültig. Es stellte die Zollwerte dabei endgültig fest, indem es die Lizenzgebühren abzog und 5 % auf den Rechnungspreis zuschlug. Es erstattete dementsprechend der Klägerin … DM.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage im wesentlichen mit der Begründung, maßgeblich für die Zollwertfeststellung sei nicht die aus dem offenen Zollager in den freien Verkehr entnommene Menge, sondern die zum offenen Zollager abgefertigte Menge. Sie beantragte, den Steueränderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, daß der Zoll herabgesetzt wird.
Das Hessische Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 4. Dezember 1979 VII 433/78 ab (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1980, 366).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 45 Abs. 6 Satz 3 ZG, der Denkgesetze und des § 217 der Reichsabgabenordnung (AO). Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus:
Verfahrensrechtlich sei die Änderung zwar nicht eingeschränkt gewesen, es habe aber an einem materiell-rechtlichen Grund dafür gefehlt.
Aus dem Gemeinschaftsrecht ergebe sich nicht, daß nur ein Zollwert anerkannt werden könne, der sich auf die endgültig in den freien Verkehr tretende oder die verzollte Menge stütze. Zu Unrecht habe sich das FG auf Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968 gestützt. Diese Bestimmung enthalte keine Definition des Begriffes der „zu bewertenden Waren”. Wann und welche Warenmenge zu bewerten sei, richte sich weitgehend nach nationalem Recht. Die ZWVO 1968 spreche nur allgemein von „eingeführten” Waren (z. B. Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c, Abs. 3 ZWVO 1968). Dieser Begriff schließe sämtliche über die Zollgrenze verbrachten Waren ohne Rücksicht auf deren wirtschaftliches und zollrechtliches Schicksal ein.
Die Richtlinie des Rates vom 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Zollager (ABlEG L 58/7 vom 8 März 1969 – Zollager-Richtlinie –) enthalte keine Regelung darüber wann und aufgrund welcher Fakten der Zollwert festzustellen sei. Der Begriff „Einfuhr” in Art. 10 Abs. 2 Zollager-Richtlinie bedeute nicht Abfertigung zum freien Verkehr, sondern nur Einfuhr in das Zollgebiet.
§ 45 Abs. 6 Satz 3 ZG gehe auf das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes vom 12. Juli 1969 – 12. ZollÄndG 1969 – (BGBl I 1969, 879) zurück. Aus der Begründung des entsprechenden Regierungsentwurfs (Bundeszollblatt – BZBl – 1969, 838, 839) ergebe sich, daß der Zollwert (je Einheit) wie früher bezüglich der eingelagerten Menge endgültig festgestellt und das spätere Schicksal der Waren außer Betracht habe bleiben sollen. Da bei der vorherigen Rechtsnatur der Zollager (Zollaufschublager) die Zollschuld bei der Einlagerung entstanden sei, habe schon deshalb keine Möglichkeit und kein Interesse mehr an der Änderung der Bemessungsgrundlagen aufgrund späterer Ereignisse (Auslagerung) bestanden. Hieran habe sich nach der Begründung des Gesetzentwurfs nichts ändern sollen.
Aus den Erläuterungen zur Brüsseler Begriffsbestimmung über den Zollwert der Waren sei nichts anderes zu entnehmen (vgl. die deutsche Übersetzung in Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 1974, 226). Unter Teil II Kap. V, Erläuternde Anm. 5 zu Art. I (ZfZ 1974, 239) heiße es, in Ausnahmefällen könnten Berichtigungen notwendig sein, wenn nur ein Teil der Waren, die Gegenstand des Vertrages seien, für das Einfuhrland bestimmt seien. Für das Einfuhrland bestimmt sei aber die gesamte Menge, die ein im Einfuhrland ansässiger Käufer gekauft habe und in das Einfuhrland habe liefern lassen
Die Ausführungen von Zepf/Recker/Krockauer (Wertverzollung, 3 Aufl., Art. 4 ZWVO, Anm. 1.2.1 bis 1.2.5) seien widersprüchlich. Auch in Bail/Schädel/Hutter finde die Auffassung des HZA keine Stütze (Kommentar, Zollrecht, zu §§ 42 bis 46 ZG, Rdnr. 43, 48, Art. 4 ZWVO Rdnr. 4) Aus Schwarz/Wockenfoth/Rahn (Zollgesetz, Art. 4 ZWVO, Rdnr. 2) sei zu entnehmen, daß es bei den offenen Zollagern für die Feststellung des Zollwertes nicht auf die Mengen ankomme, die tatsächlich in den freien Verkehr träten oder für die eine Zollschuld entstehe.
Das FG stelle zu dem Zuschlag von 5 % nur fest, daß „gegen die Höhe … bei dem erkennenden Senat wie bei der Klägerin” keine Bedenken bestünden. In der Tat bestünden gegen die bloße Höhe des Zuschlags keine Bedenken. Streitig sei aber, ob überhaupt eine Preisbeeinflussung durch die insgesamt gekaufte Menge habe unterstellt werden dürfen. Es gehe ihr, der Klägerin, also um die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen das HZA bereits den Tatbestand der Preisbeeinflussung habe unterstellen bzw. schätzen dürfen. Insoweit habe sich das FG in dem angefochtenen Urteil überhaupt nicht geäußert, sondern den von der Zollwertgruppe unterstellten Tatbestand übernommen. Das verstoße gegen die Denkgesetze und die Lebenserfahrung.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, da die Begründung des FG nicht den Anforderungen des § 96 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.
1. Bei der Abfertigung der Waren zur Zollgutlagerung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ZG a. F. – das ZG wird im folgenden stets in der damals geltenden Fassung zitiert –) stellte die Lagerzollstelle nach § 45 Abs. 1 Satz 1 ZG (i. d. F. des 14. ZollÄndG vom 3. August 1973, BGBl I 1973, 933) jeweils den Zollwert des Zollguts durch Feststellungsbescheid fest und bezog dabei (bis auf einen Fall) die Lizenzgebühren in den Zollwert ein, nicht aber auch den streitigen 5 %igen Zuschlag. Diese Feststellungsbescheide erklärte die Zollstelle für vorläufig. Die Klägerin gab für die aus ihrem offenen Zollager in den freien Verkehr entnommenen Waren für die eine Zollschuld entstanden war (§ 46 Abs. 3 Satz 1 ZG), Anmeldungen nach § 46 Abs. 3 Satz 3 ZG ab, in der sie den Zoll entsprechend den Feststellungsbescheiden berechnete. Diese Zahlungsanmeldungen galten nach § 46 Abs. 3 Satz 4 ZG als Feststellung des Zolls (Steuerbescheid). Auch diese Bescheide erklärte die Zollstelle ausdrücklich für vorläufig. Sowohl die Feststellungs- als auch die Steuerbescheide änderte die Lagerzollstelle durch den angefochtenen Bescheid vom 26. August 1977. Zur Änderung der vorläufigen Feststellungsbescheide war die Zollstelle nach § 181 Abs. 1 i. V. m. § 165 Abs. 2 AO 1977 befugt, soweit diese mit dem materiellen Recht nicht im Einklang standen. Die Änderung der Feststellungsbescheide verpflichtete die Zollstelle dann zur Änderung der darauf beruhenden Steuerbescheide (§ 175 Nr. 1 AO 1977). Der angefochtene Bescheid ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, falls die materiell-rechtlichen Zollvorschriften forderten, daß die Zollwerte der aus dem offenen Zollager der Klägerin in den freien Verkehr entnommenen Wirkstoffe unter Berücksichtigung eines Zuschlages von 5 % festgestellt wurden. Davon ist auch das FG ausgegangen.
2. Die Lagerzollstelle hat die eingeführten Wirkstoffe nach dem Rechnungspreis bewertet. Dazu war sie nach Art. 9 Abs. 1 ZWVO 1968 berechtigt. Sie konnte diesen Rechnungspreis jedoch der Zollwertfeststellung unberichtigt nur zugrunde legen, falls nicht Umstände zu berücksichtigen waren, die sich bei dem Kaufgeschäft von denjenigen unterschieden, die dem Normalpreis zugrunde liegen (Art. 9 Abs. 1 Buchst. c ZWVO 1968). Nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. c ZWVO 1968 hatte die Zollstelle dabei insbesondere Berichtigungen wegen außergewöhnlicher Preisermäßigungen gegenüber dem üblichen Wettbewerbspreis vorzunehmen. Außergewöhnlich in diesem Sinn ist eine Preisermäßigung, die für die gekaufte (größere) Menge gewährt worden ist, falls nicht diese, sondern eine geringere Menge in den freien Verkehr gelangt und dem Zoll unterworfen worden ist. Eine solche Preisermäßigung steht mit der Begriffsbestimmung des Normalpreises nicht im Einklang. Das hat das FG zu Recht entschieden.
a) Nach Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968 ist bei der Ermittlung des Normalpreises (vgl. Art. 1 ZWVO 1968) davon auszugehen, daß sich das Kaufgeschäft auf die Menge der zu bewertenden Waren bezieht. Zu bewerten ist nur die „eingeführte Ware” (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 10. April 1979 VII R 18/76, BFHE 128, 275), d. h. die Ware, auf die der Gemeinsame Zolltarif (GZT) anzuwenden ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZWVO 1968). Das ist nur für Waren der Fall, für die Zölle zu erheben sind. Zölle sind nur zu erheben für Waren, für die die Zollvorschriften die Entstehung einer Zollschuld vorsehen, also bei Zollagerwaren nicht für solche Waren, die wieder ausgeführt werden. Nur diejenigen aus einem offenen Zollager ausgelagerten Waren unterliegen also den Zollsätzen des GZT, die in den freien Verkehr entnommen worden sind. Nur sie sind „eingeführte Waren” im Sinne des Art. 1 Abs. 1 ZWVO 1968 und damit „zu bewertende Waren” im Sinne des Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968. Deren Menge ist also nach Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968 maßgebend, d. h. es ist bei der Feststellung des Normalpreises von dem Preis auszugehen, der bei einem der Begriffsbestimmung des Art. 1 ZWVO 1968 entsprechenden Kaufgeschäft, das sich auf diese Menge bezieht, erzielt werden kann.
Diese Auslegung des Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968 wird durch die Erläuternden Anmerkungen in der Anlage II zum Abkommen über den Zollwert der Waren – Brüsseler Abkommen – vom 15. Dezember 1950 (BGBl II 1969, 1947, 1950) bestätigt. Auf der Begriffsbestimmung des Brüsseler Abkommens beruht die ZWVO 1968 (vgl. Abs. 9 der Erwägungsgründe ZWVO 1968). Nach Art. III Brüsseler Abkommen haben die vertragschließenden Parteien diese Erläuterungen zu beachten. Die Erläuternde Anm. 3 zu Art. I Brüsseler Abkommen entspricht wörtlich dem Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968. Nach der Erläuternden Anm. 5 zu Art. I Brüsseler Abkommen ist Zweck der Begriffsbestimmung des Wertes, „in allen Fällen die Berechnung der Zölle auf der Grundlage des Preises zu ermöglichen, zu dem jeder beliebige Käufer die eingeführten Waren … erwerben könnte”. In den vom Zollwertausschuß des Brüsseler Zollrats beschlossenen Erläuterungen zu der letztgenannten Erläuternden Anmerkung (abgedruckt in ZfZ 1974, 226 ff.) heißt es (S. 239):
„In der Regel entspricht die Menge, die Gegenstand des konkreten Kaufgeschäfts ist, der Menge der zu bewertenden Waren und diesbezügliche Berichtigungen sind daher, jedenfalls bei bona-fide-Kaufgeschäften, die sonst nach der Erläuternden Anmerkung anerkannt werden können, nur selten notwendig. In Ausnahmefällen können jedoch solche Berichtigungen notwendig sein, z. B. wenn nur ein Teil der Waren, die Gegenstand des Vertrages sind, für das Einfuhrland bestimmt ist.”
In Kap. 7 dieser Erläuterungen (Rabatte und Preisermäßigungen, b) Menge, a. a. O., S. 266) heißt es schließlich, daß Mengenrabatte nur anerkannt werden könnten, „wenn die Gesamtmenge, für die der Rabatt gewährt wird, tatsächlich zur Lieferung in das Einfuhrland bestimmt ist”. Gerade aus der letztgenannten Erläuterung ergibt sich deutlich, daß die Auffassung der Klägerin unrichtig ist, als „für das Einfuhrland bestimmt” seien nach diesen Erläuterungen auch auf das Zollager verbrachte Waren anzusehen, die später wieder ausgeführt werden.
Eine weitere Bestätigung für diese Auffassung ist die zur Ausführung des Art. 4 Abs. 2 ZWVO 1968 erlassene Verordnung (EWG) Nr. 2931/78 (VO Nr. 2931/78) der Kommission vom 13. Dezember 1978 (ABlEG L 350/16 vom 14. Dezember 1978). Diese ist zwar zum für den vorliegenden Fall maßgebenden Zeitpunkt noch nicht in Kraft gewesen und betrifft auch den nicht einschlägigen Fall des Art. 4 Abs. 2 ZWVO 1968. Art. 1 VO Nr. 2931/78 spiegelt aber die Auffassung der Kommission wider, daß die zu bewertenden Waren gleichzusetzen sind mit den „zum freien Verkehr abgefertigten” Waren. Das entspricht der oben dargelegten Auffassung, wenn man den Begriff „abgefertigt” nicht technisch versteht, sondern als Bezeichnung für die in den freien Verkehr übergeführten, dem Zoll unterworfenen Waren.
Entgegen der Auffassung der Klägerin vertritt das Schrifttum die gleiche Auffassung. Nach Zepf/Recker/Krockauer (a. a. O., Art. 4 ZWVO 1968, Anm. 1.2.2.) ist nicht die gekaufte Menge maßgebend, sondern die zur Zollwertfeststellung tatsächlich anstehende Menge, so daß z. B. die Menge außer Betracht zu bleiben hat, die in Drittländer geliefert wird. Schwarz in Schwarz/Wockenfoth/Rahn (Zollgesetz, Stand Lieferung Dezember 1979, Art. 4 ZWVO 1968, Anm. 4 und 18) ist der Meinung, daß die eingeführte Menge die zu verzollende Menge ist und Mengenrabatte nicht berücksichtigt werden können, die im Hinblick auf nicht zu bewertende andere Teilmengen gewährt werden. Auch Bail/Schädel/Hutter (a. a. O., Stand Oktober 1974) teilen diese Auffassung (Art. 4 ZWVO 1968 Anm. 2 und 4); sie führen aus, daß Art. 4 ZWVO 1968 die Menge der im einzelnen Fall zu bewertenden und damit die eingeführten Waren meint, wobei „die eingeführte Menge … die zu verzollende Menge” ist (a. a. O., Anm. 2).
b) § 45 Abs. 6 Satz 2 ZG besagt nichts Gegenteiliges.
Nach § 46 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZG gilt für die Höhe der Zollschuld, die mit der Einnahme von Waren aus dem offenen Zollager in den freien Verkehr entsteht, § 45 Abs. 6 Satz 2 ZG entsprechend. Da nach sind abweichend von § 35 Abs. 1 ZG für die Menge, die Beschaffenheit und den Zollwert der Waren der Zeitpunkt des ersten Antrags auf Abfertigung zur Zollgutlagerung und für die Anwendung der Zollvorschriften der Zeitpunkt der Auslagerung maßgebend; während der Lagerung eingetretene Preisschwankungen sind unter bestimmten Voraussetzungen, die im vorliegenden Fall keine Rolle spielen, zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nichts für das hier zu entscheidende Problem, welche Mengen nach Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968 für die Zollwertfeststellung maßgebend ist.
§ 45 Abs. 6 Satz 2 ZG legt den maßgebenden Zeitpunkt für die Beschaffenheit, die Menge und den Zollwert der Waren fest. Die Vorschrift bestimmt also, daß Änderungen dieser Zollbemessungsgrundlagen während der Lagerung (z. B. Wein wird zu Essig, Schwund ergibt sich, ein Preisverfall tritt ein) keinen Einfluß auf die Zollerhebung haben dürfen (Ausnahme § 45 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZG). Nur für tatsächlich in den freien Verkehr entnommenes Zollgut wird, was ihre Menge anlangt, auf den Zeitpunkt des Antrags auf Abfertigung zur Zollgutlagerung abgestellt. § 45 Abs. 6 Satz 2 ZG untersagt deshalb nicht die Berichtigung des bei der Einlagerung festgestellten Zollwerts, wenn sich durch nachträglich eingetretene Umstände herausstellt, daß dieser Zollwert unrichtig festgestellt worden ist. Das FG weist zu Recht darauf hin, daß durch die von § 45 Abs. 6 Satz 2 ZG getroffene Festlegung des maßgebenden Zeitpunkts für die Menge nur dieses Element der Zollerhebung betroffen worden ist, nicht aber die in Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968 enthaltene Regelung für die für die Zollwertfeststellung maßgebende Menge (vgl. Zepf/Recker/Krockauer, a. a. O., Art. 4 ZWVO 1968 Anm. 1.2.5.).
Diese Auslegung des § 45 Abs. 6 Satz 2 ZG entspricht auch dessen Sinn und Zweck. Diese Bestimmung geht zurück auf die Zollager-Richtlinie und das 12. ZollÄndG. Nach Art. 10 Abs. 1 Zollager-Richtlinie werden, falls die in Zollagern eingelagerten Waren in den freien Verkehr übergeführt werden, die bei der Einfuhr zu erhebenden Zölle vorbehaltlich des Abs. 2 nach den im Zeitpunkt der Auslagerung geltenden Sätzen erhoben sowie nach der Beschaffenheit, dem Zollwert und der Menge, die „zu diesem Zweck” von der Zollstelle festgestellt oder anerkannt worden sind. Dieser Regelung liegt ein mühsam erarbeiteter Kompromiß zwischen den Auffassungen der damaligen EWG-Mitgliedstaaten zugrunde, der eine einheitliche Regelung zwar für den maßgebenden Zollsatz, nicht aber für die maßgebenden Bemessungsgrundlagen vorsieht (vgl. Olbertz in Regul, Steuern und Zölle im Gemeinsamen Markt, Bd. 7, Zölle, Abschn. IV G/9, Art. 10 Anm. I Zollager-Richtlinie). Diese Regelung erlaubte dem deutschen Gesetzgeber, „die Beibehaltung der deutschen Lagervorschriften, soweit es sich um den maßgebenden Zeitpunkt für Beschaffenheit, Menge und Wert der in den freien Verkehr übergeführten Waren handelt, da es insoweit den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, ob sie den Einlagerungs- oder Auslagerungszeitpunkt für maßgebend erklären wollen” (vgl. Begründung zum Entwurf des 12. ZollÄndG, zu Nr. 13, Abschn. I Abs. 1, BZBl 1969, 835, 838). Er hat von dieser Regelung im wesentlichen aus praktischen Gründen Gebrauch gemacht, weil nur dadurch, daß für Beschaffenheit, Menge und Wert auf den Einlagerungszeitpunkt abgestellt wurde (d. h. auf den Zeitpunkt, in dem diese Bemessungsgrundlagen zollamtlich festgestellt werden konnten), die Vorteile der bisherigen offenen Zolllager – insbesondere die Möglichkeit der jederzeitigen Auslagerung ohne Einschaltung der Zollstellen – erhalten werden konnte (vgl. die Gesetzesbegründung, a. a. O., Abschn. I Abs. 3).
Danach bezweckt die Regelung des 12. ZollÄndG, daß bei der Zollerhebung u. a. Mengenveränderungen wie Schwund außer Betracht gelassen werden, deren Vorliegen nur durch Kontrollen bei der Auslagerung festzustellen wäre, was für Verwaltung und Beteiligte zusätzlichen Aufwand erfordern würde. Dagegen ändert die Vorschrift des § 45 Abs. 6 Satz 2 ZG nach dieser ihrer Zweckbestimmung selbstverständlich nichts daran, daß nur die in den freien Verkehr entnommenen Waren der Zollerhebung unterworfen werden sollten. Da nur diese ausgelagerten Waren zu bewerten sind, ist auch nur ihre Menge nach Art. 4 Abs. 1 ZWVO 1968 der Zollwertfeststellung zugrunde zu legen, nicht aber auch die Menge der in Drittländer wieder ausgeführten Waren.
Eine andere Auslegung würde auch zu einer unerträglichen Ungleichbehandlung innerhalb der EWG führen. Denn in Ausübung des von Art. 10 Abs. 1 Zollager-Richtlinie den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Wahlrechts können diese auch die Beschaffenheit, Menge und Wert der Waren im Zeitpunkt der Auslagerung für maßgebend erklären. Das haben die anderen Mitgliedstaaten der EWG auch getan, wie die Entstehungsgeschichte der Zollager-Richtlinie belegt (vgl. Olbertz, a. a. O., Nr. 4 der Einleitung zur Zollager-Richtlinie). Die anderen Mitgliedstaaten haben also bei der Zollwertfeststellung allein von der Menge der in den freien Verkehr ausgelagerten Waren auszugehen (unter Außerachtlassung der eingelagert gewesenen und in Drittländer wieder ausgeführten Waren). Nur die Rechtsauffassung, die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt, führt daher in Fällen wie dem vorliegenden zu einem in allen Mitgliedstaaten im wesentlichen gleichen Ergebnis.
c) Die Einwendungen der Revision gegen diese Auffassung, soweit sie nicht bereits behandelt sind, sind begründet.
Das Argument der Klägerin, es gebe keine rechtlichen Regelungen, aus denen sich ergibt, daß das Schicksal der Ware während der besonderen Zollverkehre verfolgt werden müsse, geht fehl. Die aus den besonderen Zollverkehren in den freien Verkehr tretenden Waren sind dem Zoll unterworfen. Es ist daher selbstverständlich, daß jedenfalls zur Ermöglichung der Feststellung, welche Waren in welcher Menge in den freien Verkehr getreten sind, das Schicksal aller in besonderen Zollverkehren befindlichen Waren verfolgt werden muß.
Die Klägerin meint, bei Zugrundelegung der Auffassung der Verwaltung würde die Bedeutung des Feststellungsbescheids, im Interesse der Verwaltungsvereinfachung und der Rechtssicherheit die Bemessungsgrundlagen endgültig festzulegen, ins Gegenteil verkehrt. Das ist insoweit richtig, als in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Lagerware teilweise wieder in Drittländer ausgeführt wird, der bei der Einlagerung erteilte Zollwertfeststellungsbescheid nicht ohne weiteres mehr Grundlage für die Zollbemessung sein kann und zweckmäßigerweise nur vorläufig erteilt wird. Aber solche Fälle sind nicht die Regel. Überdies behält der Feststellungsbescheid auch in solchen Fällen teilweise seine Bedeutung, nämlich z. B. für die Frage, ob der Rechnungspreis den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. b ZWVO 1968 entspricht. Und schließlich ist allein das kompliziertere Verfahren in einem Ausnahmefall wie dem vorliegenden noch kein Beleg dafür, daß die dargelegte Rechtsauffassung unrichtig ist
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die im vorliegenden Verfahren streitige Rechtsfrage vor Inkrafttreten des 12. ZollÄndG, d. h. als es noch die Institution der Zollaufschublager gab, anders zu entscheiden gewesen wäre. Jedenfalls kann im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin der Begründung des Entwurfs des 12. ZollÄndG nichts dafür entnommen werden, daß insoweit auf jeden Fall der frühere Rechtszustand hätte erhalten bleiben sollen. Auch der Hinweis in der Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf, daß keine Änderung der praktischen Handhabung habe eintreten sollen, stützt diese Auffassung der Klägerin nicht.
3. Nach dieser Rechtslage konnte der von der Klägerin gezahlte Rechnungspreis nicht unberichtigt der Zollwertfeststellung zugrunde gelegt werden, wenn feststeht, daß die Klägerin einen höheren Preis hätte zahlen müssen, wenn sie nicht die tatsächlich abgenommenen, über den vereinbarten Mindestmengen liegenden Mengen, sondern nur die in den freien Verkehr entnommenen Mengen gekauft hätte. Das FG hat das auch festgestellt. Es hat ausgeführt, daß die in den freien Verkehr übergeführten Mengen die nach den Lieferverträgen für den Rechnungspreis maßgeblichen Mengen nicht erreicht hatten, „so daß der Schluß der Beklagten, bei Bezug dieser kleineren Mengen sei ein höherer Preis zu unterstellen, nicht zu beanstanden ist”. Insoweit entspricht die Vorentscheidung jedoch nicht den Anforderungen des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO, wonach in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Als solche Gründe kommen nur nachvollziehbare konkrete Gesichtspunkte und Erwägungen in Betracht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1976 VII R 121/75, BFHE 120, 462, BStBl II 1977, 215, mit weiteren Nachweisen).
Das FG hat die Beeinflussung des Rechnungspreises durch die abgenommene Menge unterstellt. Es hat dies offenbar allein aus der Tatsache gefolgert, daß der Liefervertrag die Abnahme von Mindestmengen vorsah. Diese Folgerung konnte das FG aber ohne weiteres nur ziehen, wenn es von einem allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts ausging, daß stets eine Beeinflussung des Preises durch die gekaufte Menge vorliegt, wenn Mindestabnahmemengen vereinbart sind. Mangels einer entsprechenden nachvollziehbaren Begründung der Entscheidung kann der erkennende Senat nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß das FG das Bestehen eines solchen Erfahrungssatzes angenommen hat. Das gilt um so mehr, als es nicht unzweifelhaft ist, ob ein solcher wirklich besteht. Zumindest müßte in die Erwägungen auch der Umstand, auf den die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung ausdrücklich hinweist, einbezogen werden, daß im vorliegenden Fall auch Höchstabnahmemengen vereinbart worden sind (das FG hat das Bestehen solcher Höchstabnahmemengen zumindest für das Jahr 1975 ausdrücklich festgestellt). Es ist nicht undenkbar, daß bei einem solchen Lieferungsvertrag die besonderen Mengenvereinbarungen andere als Preisgründe haben. Vielleicht könnte auch eine Rolle spielen, wenn es sich um eine Ware handeln sollte, deren schwierige und langwierige Herstellung eine besondere Produktionsplanung des Herstellers bedingte.
Der erkennende Senat braucht diese Fragen nicht zu entscheiden. Er braucht auch nicht auf die Frage einzugehen, ob die Würdigung des FG, falls in ihr tatsächlich von dem genannten allgemeinen Erfahrungssatz ausgegangen worden sein sollte, der rechtlichen Überprüfung durch die Revisionsinstanz standhielte. Denn jedenfalls fehlen in der Vorentscheidung insoweit vom Revisionsgericht nachvollziehbare konkrete Gesichtspunkte und Erwägungen. Auf solche Gesichtspunkte und Erwägungen hätte das FG allenfalls dann verzichten können, wenn die Klägerin insoweit ausdrücklich zugestimmt hätte. Nach den Feststellungen der Vorinstanz liegt eine solche Zustimmung aber nur hinsichtlich der Höhe des Zuschlags, „dessen Berechtigung vorausgesetzt”, vor.
Infolge dieser Mängel kann die Vorentscheidung durch den erkennenden Senat nicht daraufhin nachgeprüft werden, ob sie ohne Rechtsfehler zu der tatsächlichen Feststellung gelangte, daß der Rechnungspreis durch die abgenommenen Mengen beeinflußt war. Deshalb muß die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 16. November 1971 VIII R 37/68, BFHE 104, 277, BStBl II 1972, 349).
Fundstellen
Haufe-Index 510527 |
BFHE 1983, 8 |