Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweislast für Steuerfreiheit von Auslösungen im Veranlagungsverfahren
Leitsatz (NV)
Wendet der Arbeitgeber Reisekostenersatz gemäß § 3 Nr. 16 EStG steuerfrei zu und ist im Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers streitig, ob die Befreiungsvoraussetzungen vorgelegen haben, trifft den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Feststellungslast.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 16, §§ 9, 19
Tatbestand
Der Prüfer bemängelte die Aussagekraft der Dienstreiseunterlagen und hielt die km-Angaben für falsch und stark überhöht. Er lehnte eine Schätzung von Dienstreisekosten ab, da hinreichende Feststellungen weder zum Entstehen noch zum Umfang entsprechender Aufwendungen möglich seien. Auch könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem eigenen PKW durchgeführt habe. Der Kläger hat dazu vorgetragen, er habe einen erstmals am 25. Februar 1980 und vom 4. Januar 1983 bis 2. Januar 1991 auf ihn zugelassenen PKW benutzt. Im Jahr 1991 habe er die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit zwei unterschiedlichen PKW seiner Ehefrau bewältigt. Unterlagen, aus denen die Fahrleistung der PKW ermittelt werden könnten, sind dem Prüfer nicht vorgelegt worden. Nach dem 2. Januar 1991 war auf den Kläger kein Fahrzeug mehr zugelassen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erfaßte in gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheiden die Reisekostenerstattungen als Arbeitslohn und ließ Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht mehr zum Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Einkommensteuerbescheide auf und verpflichtete das FA, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Zur Begründung führte es aus, dafür, daß als Arbeitslohn zu versteuernde Einkünfte vorlägen, trage das FA die objektive Beweislast, weil es sich insoweit um steuerbegründende Merkmale handele (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220). Dieser sei das FA im Streitfall noch nicht nachgekommen. Die erforderliche Sachaufklärung werde gemäß § 100 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem FA überlassen. Dies erscheine unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich. Die nach Art und Umfang nicht unerheblichen Ermittlungen könne das FA formlos und ohne Kostenbelastung für die Kläger durchführen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220 trage der Steuerpflichtige die Feststellungslast für Tatsachen, die Steuerbefreiungen begründen. Beim Werbungskostenersatz für Reisekosten handele es sich um ein derartiges steuerbefreiendes Merkmal. Wie bereits im Klageverfahren vorgetragen worden sei, sei nach dem BFH-Urteil vom 6. März 1980 VI R 65/77 (BFHE 129, 559, BStBl II 1980, 289) ein steuerfreier Werbungskostenersatz nur möglich, wenn die Voraussetzungen hierfür durch Belege und Nachweise seitens des Arbeitnehmers erbracht worden seien. Erstatte ein Arbeitgeber in seinem Interesse getätigte Auslagen pauschal und ohne Einzelnachweise, führe dies nach dem vorgenannten Urteil dazu, daß der pauschale Auslagenersatz als Arbeitslohn behandelt werde und es dem Arbeitnehmer überlassen bleibe, die im Interesse seines Arbeitgebers verauslagten Beträge als Werbungskosten geltend zu machen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision betreffend den Abzug von Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu verwerfen und im übrigen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Die Revision ist insgesamt zulässig. Das FA ist auch durch die bloße Aufhebung der Einkommensteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung nebst Bescheidungsverpflichtung beschwert, wenn diese -- wie im Streitfall -- auf fehlerhaften Erwägungen zur Feststellungslast beruht.
2. Die Sache war zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), weil das FG die Feststellungslast im Hinblick auf Werbungskosten bzw. Werbungskostenersatz verkannt hat.
a) Was den Reisekostenersatz betrifft, ist nicht streitig, daß der Kläger die vom Lohnsteuer-Außenprüfer festgestellten Beträge von seinem Arbeitgeber tatsächlich erhalten hat. Dabei handelt es sich um Zuwendungen, die auf dem Dienstverhältnis beruhen und, soweit sie nicht als Reisekostenersatz steuerfrei bleiben, Erträge der Arbeitsleistung, also Arbeitslohn, darstellen. Daraus folgt des weiteren, daß es hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen Reisekosten steuerfrei zugewendet werden können, bei der Darlegungs- und Feststellungslast des Arbeitnehmers verbleibt, mit der Folge, daß unstreitig gewährte Auslösungen in dem Umfang als Arbeitslohn zu erfassen sind, in dem sich das Gericht nicht vom Vorliegen von Reisekosten überzeugen kann.
Die Feststellungslast dafür, ob aus Anlaß von Dienstreisen dem Arbeitnehmer geleisteter Ersatz gemäß § 3 Nr. 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei ist, trifft als steuerermäßigendes Merkmal nicht das FA, sondern im Lohnsteuerabzugsverfahren den Arbeitgeber (BFH-Urteil vom 30. November 1993 VI R 21/92, BFHE 173, 73, BStBl II 1994, 256) und im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung den Arbeitnehmer, wobei die Behandlung beim Lohnsteuerabzug das Wohnsitz-FA bei der Einkommensteuerveranlagung grundsätzlich nicht bindet (vgl. BFH-Urteile vom 9. Oktober 1992 VI R 97/90, BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166; vom 13. Januar 1989 VI R 66/87, BFHE 56, 412, BStBl II 1989, 1030, und vom 10. Juni 1988 III R 232/84, BFHE 154, 68, BStBl II 1988, 981). Entgegen der Ansicht der Kläger hat § 3 Nr. 16 EStG nicht nur für das Lohnsteuerabzugsverfahren Bedeutung (vgl. BFH-Urteile vom 30. Juni 1995 VI R 26/95, BFHE 178, 171, BStBl II 1995, 744, und vom 15. November 1991 VI R 81/88, BFHE 166, 452, BStBl II 1992, 367).
b) Da das angefochtene Urteil von der oben wiedergegebenen Rechtslage abweicht, war es aufzuheben. Das FG wird sich nunmehr seine Überzeugung davon bilden müssen, in welchem Umfang Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem "eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeug" (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG) bzw. Dienstreisen des Klägers angenommen werden können. Der Senat sieht keine Veranlassung, beim derzeitigen Stand des Verfahrens darauf einzugehen, ob sich in Fällen wie dem vorliegenden die Frage nach einer verdeckten Gewinnausschüttung stellen kann.
Fundstellen