Leitsatz (amtlich)
1. Der an die früheren Gesellschafter einer im Handelsregister als vermögenslos gelöschten GmbH & Co. KG gerichtete Feststellungsbescheid über den Finheitswert des Betriebsvermögens der KG ist nicht deshalb nichtig, weil er nur den natürlichen Personen und nicht auch der GmbH bekanntgegeben wurde; die Zustellung an die GmbH muß jedoch nachgeholt werden.
2. Die Zustellung an die GmbH ist nicht deshalb unmöglich, weil sie inzwischen ebenfalls als vermögenslos im Handelsregister gelöscht wurde. Die Zustellung erfordert jedoch die Bestellung eines Nachtragsliquidators.
Normenkette
AO § 91 Abs. 1, § 215 Abs. 1; AktG § 273 Abs. 4
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war an der Firma "A-GmbH & Co. KG" (KG) als Kommanditist beteiligt. Komplementär war die B-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls der Kläger war. Im Mai 1969 stellte die KG ihre Tätigkeit ein, Anfang Juni 1969 beantragte sie die Eröffnung eines Vergleichsverfahrens. Das Amtsgericht lehnte diesen Antrag und auch die Eröffnung eines Anschlußkonkursverfahrens mangels Masse ab. Der Kläger wurde zum Liquidator der am 22. April 1970 aufgelösten GmbH bestellt und ins Handelsregister eingetragen. Seine einzige Aufgabe bestand darin, das Erlöschen der GmbH und der ebenfalls am 22. April 1970 aufgelösten KG zum Handelsregister anzumelden. Die KG wurde im Mai 1970, die vermögenslose GmbH im November 1970 im Handelsregister gelöscht.
Nachdem die KG trotz besonderer Aufforderung keine Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1969 abgegeben hatte, schätzte das FA das Betriebsvermögen nach § 217 der AO auf 0 DM und stellte den Einheitswert durch Bescheid vom 1. Februar 1972 entsprechend fest. Der Berechnungsbogen trägt auf Seite 1 die Aufschrift "Herrn X betr. Fa. A-KG, ..." und bezeichnet auf Seite 2 den Kläger und die GmbH als Miteigentümer. Ferner ist auf Seite 2 verfügt, daß der Bescheid "Herrn X" bekanntzumachen sei. Dementsprechend wurde der Einheitswertbescheid dem Kläger zugestellt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) wies den Einspruch als unbegründet zurück. Mit der Klage begehrte der Kläger, den Einheitswert mit einem negativen Betrag festzustellen, da dies eine Minderung seiner persönlichen Vermögensteuer zur Folge habe. Das FG hielt das mit der Anfechtungsklage verfolgte Begehren nicht für begründet, sondern gab einem Hilfsantrag des Klägers, die Nichtigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts festzustellen, statt. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bejahte es zunächst ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit, weil der ihm mit 0 DM anstatt mit einem negativen Betrag zugerechnete Anteil am Einheitswert sich bei der Vermögensteuer des Klägers nachteilig auswirke. Einer Beiladung der Komplementär-GmbH bedürfe es nicht; denn nachdem sie als vermögenslos im Handelsregister gelöscht worden sei, habe sie aufgehört, als Rechtssubjekt zu bestehen. Die Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides ergebe sich daraus, daß die KG infolge ihrer Vermögenslosigkeit damals als Steuerrechtssubjekt bereits nicht mehr existiert habe. Die gegenteilige Rechtsauffassung des V. Senats des BFH (Urteil vom 21. Mai 1971 V R 117/67, BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540), nach der eine Personengesellschaft bis zur vollständigen Abwicklung des zwischen der Gesellschaft und dem FA bestehenden Rechtsverhältnisses fortbestehe, treffe nicht zu. Sie beruhe auf einer unrichtigen Auslegung einschlägiger zivilrechtlicher Rechtsprechung. Tatsächlich habe das RG für die Frage der Beendigung von Personengesellschaften darauf abgestellt, ob noch verteilungsfähiges Aktivvermögen vorhanden sei. Diese Meinung werde auch in der zivilrechtlichen Lehre vertreten. Daß die dem BFH-Urteil V R 117/67 zugrunde liegende Rechtsauffassung nicht zutreffen könne, ergebe sich auch daraus, daß danach letztlich das FA bestimme, wann die Gesellschaft beendet sei.
Mit seiner Revision, die das FG zugelassen hat, rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, daß die Vorinstanz zu Unrecht von dem BFH-Urteil V R 117/67 abgewichen sei. Die dort vom BFH für die Beendigung einer Gesellschaft vertretene Rechtsauffassung führe keineswegs dazu, daß das FA den Beendigungszeitpunkt bestimme. Denn die Gesellschaft bzw. ihre Geschäftsführer wüßten selbst, ob die von ihnen abzugebenden Steuererklärungen vollständig und richtig abgegeben worden seien. Bei rechtlichen Zweifelsfragen könne eine Prüfung angeregt werden, so daß zeitnah festgestellt werden könne, ob noch Steuerschulden bestünden. Danach könnten die Gesellschafter selbst den Beendigungszeitpunkt bestimmen. Das FG könne sich für seine Meinung auch nicht auf die von ihm angeführten Fundstellen aus Rechtsprechung und Literatur berufen; dort heiße es lediglich, daß die Gesellschaft "in der Regel" mit der Verteilung des Aktivvermögens beendet sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der Kläger ist klagebefugt. Die Einschränkung des § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO besteht hier nicht, da die KG im Zeitpunkt der Klageerhebung aufgelöst war und die gelöschte GmbH nicht mehr verbindlich für die ehemaligen Gesellschafter der KG handeln konnte (BFH-Beschluß vom 22. September 1967 VI B 10/67, BFHE 90, 248, BStBl II 1968, 35; BFH-Urteil vom 22. November 1968 III R 37/68, BFHE 94, 523, BStBl II 1969, 260).
2. a) In der Sache selbst vermag sich der Senat der Auffassung des FG, daß der angefochtene Bescheid nichtig sei, nicht anzuschließen. Dabei kann offenbleiben, ob die KG bereits erloschen war oder ob sie - entsprechend der Meinung des V. Senats des BFH im Urteil V R 117/67 - steuerrechtlich schon deshalb als fortbestehend anzusehen ist, weil zwischen ihr und dem FA noch steuerliche Rechtsbeziehungen bestanden. Denn der angefochtene Bescheid richtete sich entgegen der Auffassung des FG nicht an die KG, sondern an deren ehemalige Gesellschafter.
Die Frage, für wen ein einheitlicher Feststellungsbescheid bestimmt ist, beantwortet sich nach seinem Gesamtinhalt; der Adressat muß nicht notwendigerweise im Anschriftenfeld erscheinen (BFH-Urteile vom 26. September 1974 IV R 24/71, BFHE 114, 156, BStBl II 1975, 311; vom 12. August 1976 IV R 105/75, BFHE 120, 129, BStBl II 1977, 221). Im Urteil IV R 105/75 hat deshalb der IV. Senat des BFH die Adressierung eines Bescheides über die einheitliche und gesonderte Feststellung nach § 215 Abs. 2 AO an die Gesellschafter für die Zeit nach Vollbeendigung der Gesellschaft aus der Bezeichnung der Gesellschafter im Bescheid selbst und aus der Gewinnverteilung gefolgert. Dies entspricht der Rechtsprechung zur Zustellung einheitlicher Feststellungsbescheide nach Beendigung der Gesellschaft; die Bescheide sind in derartigen Fällen allen ehemaligen Gesellschaftern einzeln zuzustellen (BFH-Urteil III R 37/68).
Auch der streitige Bescheid ist eindeutig an die beiden früheren Gesellschafter gerichtet, da beide, Kläger und GmbH, im Bescheid bezeichnet sind und der Einheitswert auf sie verteilt wurde. Die KG, die im Anschriftenfeld neben dem Kläger lediglich erläuternd als Betreff erwähnt wurde, kommt als Adressatin nicht in Betracht.
b) Die Bekanntgabe des Bescheides ist - entsprechend der im Berechnungsbogen getroffenen Verfügung - an den Kläger erfolgt. Der Bescheid hätte aber auch der GmbH bekanntgegeben werden müssen, die auch noch existent war. Zwar war die GmbH inzwischen als vermögenslos gelöscht. Dies hatte - entgegen der Annahme des FG - jedoch nicht ihre Beendigung mit steuerrechtlicher Wirkung zur Folge.
Es entspricht der Rechtsprechung des BFH, daß eine GmbH trotz ihrer Löschung im Handelsregister steuerrechtlich fortbesteht, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat oder gegen sie ergangene Steuerbescheide angreift (BFH-Urteile vom 18. Oktober 1967 I R 144-145/66, BFHE 90, 336, BStBl II 1968, 95; vom 2. Juli 1969 I R 190/67, BFHE 96, 335, BStBl II 1969, 656; vgl. im übrigen auch Beschluß des BGH vom 23. Februar 1970 II ZB 5/69, BGHZ 53, 264). Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht abschließend zu entscheiden, ob diese Auffassung uneingeschränkt für alle denkbaren Fälle gilt. Für die hier zu beurteilende Frage der Zurechnung des Einheitswertes des Betriebsvermögens einer Personengesellschaft, an der die GmbH als Gesellschafterin beteiligt war, ist die GmbH jedenfalls als fortbestehend anzusehen. Als Zurechnungssubjekt kann die GmbH insoweit schon deshalb nicht wegfallen, weil sich aus der Zurechnung steuerrechtliche Auswirkungen auf andere Steuersubjekte ergeben können, z. B. für den früheren Alleingesellschafter der GmbH hinsichtlich der Bewertung seiner Anteile an der GmbH (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG i. V. m. Abschn. 77 Abs. 1 Satz 2 VStR). Dem entspricht der vom erkennenden Senat im Urteil III R 37/68 ausgesprochene Grundsatz, daß im Falle der Löschung einer KG die einheitliche Feststellung des Einheitswerts auf einen Feststellungszeitpunkt, an dem die Gesellschaft unzweifelhaft bestand, noch durchgeführt werden muß.
3. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie zu Unrecht von der Nichtigkeit des Bescheides ausgeht. Der Mangel der Bekanntgabe des Bescheides an die GmbH führt jedoch nicht zur Nichtigkeit des dem Kläger zugestellten Bescheides; er kann durch das FA behoben werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Zustellung an die GmbH erst erfolgen kann, wenn diese ordnungsmäßig vertreten ist. Denn die Befugnis des Klägers, die GmbH zu vertreten, war mit der Anmeldung der Beendigung der Liquidation und des Erlöschens der Firma beendet (BFH-Urteile vom 18. März 1966 III 356/61, BFHE 86, 198 [211]; I R 144 - 145/66 und I R 190/67; BGH-Beschluß II ZB 5/69). In Betracht kommt deshalb eine Nachtragsliquidation. Diese hat - in entsprechender Anwendung des § 273 Abs. 4 AktG 1965 - zu erfolgen, wenn sich herausstellt, daß weitere Abwicklungsmaßnahmen erforderlich sind (BFH-Urteil I R 190/67; BGH-Beschluß II ZB 5/69; Baumbach-Hueck, GmbH-Gesetz, 13. Aufl., § 74 Anm. 2 A). Eine Abwicklungsmaßnahme in diesem Sinne setzt nicht voraus, daß noch Vermögen vorhanden ist; sie kann auch z. B. lediglich im Interesse eines Gläubigers erfolgen (vgl. Baumbach-Hueck, a. a. O., mit weiteren Beispielen). Die Zustellung eines den Einheitswertanteil der GmbH betreffenden Feststellungsbescheides durch das FA gehört jedenfalls auch dazu.
4. Da die Sache nicht spruchreif ist, geht sie gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Dieses wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 74 FGO aussetzen, um dem FA Gelegenheit zu geben, den angefochtenen Bescheid der GmbH nach Bestellung des Nachtragsliquidators ordnungsmäßig zuzustellen. Legt die GmbH keinen Rechtsbehelf ein, so ist sie vom FG gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beizuladen. Legt sie einen Rechtsbehelf ein, so sind beide Verfahren vor dem FG zu verbinden.
Fundstellen
BStBl II 1977, 783 |
BFHE 1978, 389 |
NJW 1977, 1936 |