Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung eines für freiberufliche Zwecke mitbenutzten Einfamilienhauses vom gemischtgenutzten Grundstück
Leitsatz (NV)
Bei der Bestimmung des Flächenverhältnisses der Nutzung zu Wohnzwecken und der Mitbenutzung zu anderen Zwecken, sind auch die Räume einzubeziehen, die wie Zubehörräume oder Nebenräume (z. B. Kellerräume oder Garagen) nach der II. BV nicht in der Wohnflächenberechnung enthalten sind, wenn sich die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken auf derartige Räume erstreckt. Zur Beurteilung der Frage, welche Nutzung überwiegt, ist auf die tatsächlich unterschiedlichen Zwecken dienenden Flächen, nicht jedoch auf das Verhältnis der bei der Einheitswertermittlung für den Wohnteil sowie für den Praxisteil angesetzten Jahresrohmieten abzustellen.
Normenkette
BewG § 75
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Ehepaar, sind je zur Hälfte Eigentümer eines an zwei Straßen gelegenen Eckgrundstücks, das mit einem überwiegend Wohnzwecken dienenden zweigeschossigen Gebäude (mit Satteldach) sowie einem ein geschossigen, der Arztpraxis des Klägers zu 2 dienenden Anbau (mit Flachdach) bebaut ist. Beide Baukörper besitzen getrennte Eingänge. Die Nutzfläche der Arztpraxis beträgt 133,58 qm, die Wohnfläche im Erd- und Dachgeschoß beträgt insgesamt 166,35 qm.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) bewertete nach Baumaßnahmen im Jahre 1980 das Grundstück der Kläger im Wege der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1981 als Einfamilienhaus. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrten die Kläger, ihr Grundstück als gemischtgenutztes Grundstück zu bewerten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab, da die Wohnzwecken dienende Fläche des Grundstücks die Fläche der Arztpraxis übersteige und durch die Mitbenutzung des Grundstücks für Zwecke der Arztpraxis die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt werde.
Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Klageziel weiter. Sie rügen Verletzung des § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG). Zur Begründung machen sie im wesentlichen geltend, daß für die Frage, welche Nutzung überwiegt, nach dem Wortlaut des § 75 BewG allein auf das Verhältnis der Jahresrohmieten für die Wohnzwecken sowie freiberuflichen Zwecken dienenden Gebäudeteile, nicht aber auf das Verhältnis dieser Flächen selbst abzustellen sei. Da nach dem Einheitswertbescheid die Jahresrohmiete für den Wohnzwecken dienenden Bauteil mit 49,67 v. H. und die Jahresrohmiete für den freiberuflichen Zwecken dienenden Bauteil mit 50,33 v. H. der insgesamt angesetzten Rohmiete zugrunde gelegt worden seien, handle es sich im Streitfall wegen der überwiegenden Nutzung zu anderen als Wohnzwecken um ein gemischtgenutztes Grundstück.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Zu Recht hat die Vorinstanz die vom FA zum 1. Januar 1981 getroffene Feststellung der Grundstücksart Einfamilienhaus bestätigt, weil das Grundstück der Kläger an diesem Stichtag nur eine Wohnung enthielt und die Eigenart als Einfamilienhaus durch die freiberufliche Mitbenutzung nicht wesentlich beeinträchtigt wurde.
1. Wohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nrn. 1, 3 bis 5, Abs. 2, 4 bis 6 BewG) sind dadurch gekennzeichnet, daß sie -- wenn auch in unterschiedlichem Umfang -- Wohnzwecken dienen. Wohngrundstücke, die eine Wohnung enthalten, sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke, die zwei Wohnungen enthalten, sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Erst wenn ein Wohngrundstück weder ein Einfamilienhaus noch ein Zweifamilienhaus ist, stellt sich kraft des entsprechenden Vorbehalts in § 75 Abs. 2 bzw. 4 BewG die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (vgl. Senatsurteile vom 6. November 1991 II R 91/87, BFH/NV 1992, 644, und 9. November 1988 II R 61/87, BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136 m. w. N.).
Wird ein Wohngrundstück, das nur eine Wohnung enthält, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt, so gilt es (auch dann) als Einfamilienhaus, wenn durch diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 5 BewG). Das Gesetz bietet damit zwei Abgrenzungskriterien, nämlich zum einen den Begriff der "Mitbenutzung" und zum anderen die dadurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus.
a) "Mitbenutzung" i. S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt (vgl. Senatsurteile in BFH/NV 1992, 644, und in BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136). Dabei ist allein auf das Verhältnis der Nutzflächen, nicht jedoch auf das Verhältnis der Jahresrohmieten abzustellen (vgl. Senatsurteil vom 12. November 1986 II R 48/85, BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104). Überwiegt die Nutzung zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Denn eine Mitbenutzung ist dann nicht gegeben. Andererseits beschränkt sich eine Mitbenutzung nicht auf eine Nutzung von untergeordneter Bedeutung. Die Mitbenutzung kann insbesondere einen Anteil von 20 v. H. übersteigen; die in § 75 Abs. 2 und 3 BewG für das Rohmietenverhältnis gezogene Grenze ist insoweit nicht maßgebend (vgl. hierzu die Senatsurteile in BFH/NV 1992, 644, und in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136).
Für die Bestimmung des Flächenverhältnisses der Nutzung zu Wohnzwecken und der Mitbenutzung zu anderen Zwecken sind auch die Räume einzubeziehen, die wie Zubehörräume oder Nebenräume (z. B. Kellerräume oder Garagen) nach der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BVO) in der zum Stichtag 1. Januar 1981 maßgebenden Fassung vom 18. Juli 1979 (BGBl I 1979, 1077, BStBl I 1979, 522) nicht in der Wohnflächenberechnung enthalten sind, wenn sich die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken auf derartige Räume erstreckt. Unerheblich ist, daß die nicht zu Wohnzwecken genutzten Räume baulich von der Wohnung getrennt sind und innerhalb eines äußerlich einheitlich erscheinenden Gebäudes eine gewisse Selbständigkeit aufweisen (vgl. Senatsurteile in BFH/NV 1992, 644, und in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136 m. w. N.).
Bei der Berechnung der Wohnfläche scheidet eine Kürzung um "bis zu 10 v. H. der ermittelten Grundfläche der Wohnung" nach § 44 Abs. 3 Nr. 1 II. BVO aus, da es nicht um die Schätzung der üblichen Miete geht, für die von einer nach § 44 Abs. 3 Nr. 1 II. BVO entsprechend verringerten Wohnfläche ausgegangen werden kann (vgl. Abschn. 23 Abs. 2 der Richtlinien für die Bewertung des Grundvermögens -- BewRGr --). Es kommt vielmehr entscheidend auf das Verhältnis der Wohnzwecken sowie anderen Zwecken tatsächlich dienenden Flächen des aufstehenden Gebäudes selbst an. Aus diesem Grunde kann auch nicht auf das Verhältnis der unterschiedlichen Zwecken dienenden überbauten Flächen des Grund und Bodens abgestellt werden. Ebensowenig darf in die Flächenberechnung ein (gepflasterter) Parkplatz für Pkw oder ein Fahrradstand einbezogen werden.
b) Ein Grundstück, das zu anderen als Wohnzwecken mitbenutzt wird, gilt nur dann nicht als Einfamilienhaus, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Diese Frage ist in erster Linie nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt werden. Da der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinne nicht ein von der Verkehrsanschauung bestimmter Begriff, sondern ein durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff ist (vgl. Senatsurteile vom 5. Februar 1986 II R 31/85, BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448, sowie in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136, und in BFH/NV 1992, 644), kann nicht von einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung über das Erscheinungsbild eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Daraus folgt, daß eine dem Begriff des Einfamilienhauses entgegenstehende Mitbenutzung des (Wohn-)Grundstücks zu anderen als Wohnzwecken nach außen in der Weise hervortreten muß, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt (vgl. auch Senatsurteile vom 23. Oktober 1985 II R 250/81, BFHE 145, 92, BStBl II 1986, 173; in BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104; in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136, und in BFH/NV 1992, 644).
2. a) Das Grundstück der Kläger enthält, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, nur eine Wohnung. Es wird auch nicht überwiegend zu anderen als Wohnzwecken genutzt. Die Wohnzwecken dienenden Räume umfassen mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche des Gebäudes. Denn nach der von den Klägern mit der Revision nicht im einzelnen angegriffenen Flächenberechnung des FG beträgt die Wohnfläche im Erdgeschoß und Dachgeschoß insgesamt 166,35 qm; demgegenüber beträgt die für die Arztpraxis des Klägers zu 2 genutzte Fläche nur 133,58 qm.
Zu Recht hat es das FG abgelehnt, zur Beurteilung der Frage, welche Nutzung überwiegt, auf das Verhältnis der im angegriffenen Einheitswertbescheid für den Wohnteil sowie für den Praxisteil angesetzten Jahresrohmieten abzustellen. Entgegen der Auffassung der Kläger zwingt die in § 75 Abs. 2 und 3 BewG für die Abgrenzung der Mietwohngrundstücke und Geschäftsgrundstücke vorgesehene Berechnung nach der Jahresrohmiete nicht dazu, diesen Maßstab auch auf die Beurteilung der Frage zu übertragen, ob ein Einfamilienhaus i. S. des § 75 Abs. 5 BewG zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken "mitbenutzt" wird. Wie § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG verdeutlicht, ist auf die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses, d. h. sowohl der bei der Ermittlung der bei der Jahresrohmiete angesetzten Räume als auch der hierbei nicht oder nicht in vollem Umfang berücksichtigten Räume, nicht aber auf deren Wertigkeit nach Maßgabe der entsprechenden Jahresrohmiete abzustellen.
b) Da hiernach das Grundstück der Kläger überwiegend Wohnzwecken dient, ist im Streitfall entscheidend, ob die Mitbenutzung zu freiberuflichen Zwecken die Eigenart des Grundstücks der Kläger wesentlich beeinträchtigt.
Dies ist entgegen der Auffassung der Kläger nicht der Fall. Soweit das FG unter Bezugnahme auf die von den Klägern vorgelegten Fotoaufnahmen sowie auf das Protokoll einer Beweiserhebung durch Einnahme eines Augenscheins ausgeführt hat, daß nach dem äußeren Eindruck die freiberufliche Nutzung die Eigenart des Grundstücks der Kläger nicht deutlich prägt, also nicht in den Vordergrund tritt und damit durch die Mitbenutzung die Eigenart des Einfamilienhauses nicht (wesentlich) beeinträchtigt wird, läßt die Entscheidung keinen Rechtsfehler erkennen. Entgegen der Auffassung der Kläger verändert der der Arztpraxis dienende eingeschossige Flachdachanbau nicht das Erscheinungsbild des Grundstücks als Wohngrundstück (vgl. Senatsurteil vom 5. Februar 1986 II R 245/86, BFHE 146, 170, BStBl II 1986, 446). Denn die bauliche Absetzung nicht zu Wohnzwecken benutzter Gebäudeteile ist nach dem Senatsurteil vom 20. April 1988 II R 198/85 (BFH/NV 1989, 216) für sich allein noch kein Anlaß, eine wesentliche Beeinträchtigung anzunehmen. Auch durch die neben dem Anbau befindlichen Parkplätze sowie durch den Fahrradstand wird die Eigenart des Einfamilienhauses nicht wesentlich beeinträchtigt (vgl. auch Senatsurteil vom 31. Oktober 1990 II R 46/87, BFH/NV 1991, 579, 581). Es besteht kein für das gesamte Bewertungsgebiet bestehender Erfahrungssatz, wonach ein nicht als Vorgarten angelegter, auch Stellplätze enthaltender Grundstücksstreifen zwischen Straße und Hausfront stets auf eine die Eigenart des Grundstücks bestimmende gewerbliche (freiberufliche) oder öffentliche Nutzung schließen lasse (vgl. Senatsurteil in BFHE 155, 128, 132, BStBl II 1989, 135, und vom 23. Oktober 1991 II R 103/88, BFH/NV 1992, 511).
Fundstellen
Haufe-Index 420071 |
BFH/NV 1995, 94 |