Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
In den Fällen der Rückerstattung ehemals jüdischen Besitzes muß auch unter der Herrschaft des § 27 Abs. 2 LAG der Rückerstattungsverpflichtete als buchführender Kaufmann eine Rückstellung für zu erwartende Verluste aus der Rückerstattung in dem Umfange bilden, in dem es unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse am Bilanzstichtage die allgemeinen bilanzrechtlichen Grundsätze und die Vorschriften des D-Markbilanzgesetzes erfordern.
Die spätere Verschärfung der Rechtsprechung und die nach dem Stichtag der DM-Eröffnungsbilanz erfolgte Angleichung der gesetzlichen Grundlage in der britischen Zone an die seit 1947 bestehenden Gesetze der Militärregierungen der US- und französischen Zone rechtfertigt nicht ohne weiteres, von der Rückstellung abzusehen.
Normenkette
EStG § 5
Tatbestand
Der Streit geht im Rechtsbeschwerdeverfahren lediglich noch um die Frage, ob und in welcher Höhe die Beschwerdeführerin (Bfin.) die sich aus dem gegen sie durchgeführten Rückerstattungsverfahren nach der Verordnung Nr. 120 der französischen Militärregierung ergebenden Nachteile in ihren Bilanzabschlüssen 1948/49 und 1949/50 steuerlich gewinnmindernd geltend machen kann. Der Sachverhalt ist folgender:
In dem auf Klage vom 14. April 1949 abgeschlossenen Rückerstattungsvergleich vom 22. Juli 1949 (Nachtrag vom 28. Juli 1949), bestätigt am 28. Juli 1949 und 19. August 1949, hat die Bfin. im wesentlichen folgende Verpflichtung übernommen:
Sie erkennt gegenüber den Restitutionsberechtigten eine Schuld in Höhe von 50 % des Nominal-Aktienkapitals ..... DM als Rückerstattungsanspruch an. Die Summe von ..... DM ist vorläufig, da die endgültige Ziffer sich erst nach Aufstellung der DM-Eröffnungsbilanz feststellen läßt.
Die Hauptversammlung hat alsdann beschlossen, zum Ausgleich des durch das Schuldanerkenntnis entstehenden Verlustes das Kapital um 50 % herabzusetzen und das Kapital sodann unter Ausschluß des Bezugsrechts der gegenwärtigen Aktionäre auf den alten Betrag wieder zu erhöhen. Die hierdurch neu geschaffenen Aktien werden von den Rückerstattungsberechtigten gegen Verrechnung mit ihrer Rückerstattungsforderung gegen die Bfin. übernommen.
Der Vergleich ist dementsprechend in der Weise durchgeführt worden, daß die Bfin. ihr Grundkapital durch Herunterstempelung der Aktien auf die Hälfte herabgesetzt und sodann unter Auslieferung der neu geschaffenen Aktien an die Rückerstattungsberechtigten wieder auf den alten Betrag erhöht hat. In der Handelsbilanz hat die Bfin. den Betrag von ... DM zu Lasten des Gewinns 1948/49 verbucht. Sie begehrte, in ihren Steuerbilanzen 1948/49 und 1949/50 den Gewinn in Anwendung der Grundsätze des Erlasses des Badischen Ministers der Finanzen vom 11. April 1951, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1951 Teil II S. 56 ff. - der in Abschn. 8 b aus Vereinfachungsgründen zuläßt, bei erfolgsneutraler Behandlung von 60 % der für die Durchführung des Rückerstattungsverfahrens aufgewendeten Beträge, 40 % innerhalb dreier Jahre dem Gewinn zu belasten -, um insgesamt 201.600 DM, und zwar 1948/49 um 151.200 DM und 1949/50 um 50.400 DM zu kürzen.
Das Finanzamt hat dies verweigert. Es ist der Auffassung, daß bei der von der Bfin. gewählten Methode der Regelung der Rückerstattungsverpflichtungen wohl ein Vermögensverlust eingetreten sei, dieser jedoch die Aktionäre und nicht die Bfin. treffe und von ihr zu Gunsten der Aktionäre übernommen sei. Es hat daher die von der Bfin. abgesetzten Beträge dem Gewinn hinzugerechnet. Der Einspruch war erfolglos. In der Einspruchsentscheidung sind die Ziffern 151.200 DM und 50.400 DM durch 144.000 DM bzw. 48.000 DM ersetzt.
Auf die Berufung hat das Finanzgericht die Hinzurechnung gebilligt. Es hat anerkannt, daß die Rückerstattungsverpflichtungen die Bfin. unmittelbar und nicht die Aktionäre belasten. Es hat die Transaktion unter dem Gesichtspunkt der Kapitalherabsetzung und Wiedererhöhung untersucht und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß diese Art der Regelung eine Betriebsausgabe ausschließe, da das Betriebsvermögen vor und nach dem Restitutionsvergleich dasselbe sei. Der Erlaß des Badischen Ministers der Finanzen, den das Finanzgericht in übereinstimmung mit dem Finanzamt als rechtsverbindlich ansieht, könne nicht zur Anwendung gelangen. Trotz des Ausschließens des Bezugsrechts der alten Aktionäre sei auch eine Schuld der AG diesen gegenüber nicht gegeben.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.), die daran festhält, daß, gleichgültig in welcher Form das Rückerstattungsverfahren durchgeführt sei, es für sie, die AG, eine Vermögenseinbuße von ... DM bedeute, die als echter Betriebsvorgang ihren Gewinn berühre.
Sie hat mündliche Verhandlung beantragt. Es erscheint dem Senat jedoch angemessen, zunächst einen Bescheid zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Er hält die Rb. in vollem Umfange für begründet.
Nach dem Inhalt der Akten, insbesondere dem Text des Vergleichs, sieht der Senat in übereinstimmung mit dem Finanzgericht es als nicht zweifelhaft an, daß die Bfin., nicht etwa die Gesamtheit der Aktionäre, Trägerin der Rückerstattungsverpflichtung gewesen ist. Daraus folgt mit Notwendigkeit, daß die Auskehrung eines Vermögenswerts in Höhe der Hälfte des Aktienkapitals an die Rückerstattungsberechtigten eine Minderung des Vermögens der Bfin. selbst herbeigeführt hat. Die Bfin. ist als AG buchführender Kaufmann. Danach liegt ein Vorgang vor, der das Betriebsvermögen berührt. Wäre die Auskehrung von ... DM an die Rückerstattungsberechtigten in barem Geld erfolgt, dann versteht es sich ohne weiteres, daß die Erfüllung des Vergleichs bilanzmäßig einen Verlust ergeben hätte.
Wenn die Vorinstanzen der Ansicht sind, daß die Beurteilung eine andere sein muß, weil der Vergleich im Rahmen der Herabsetzung und Wiedererhöhung des Grundkapitals durchgeführt ist, so ist dies rechtsirrig. Durch Aushändigung der neuen Aktien an die Rückerstattungsberechtigten gegen Verrechnung des Einzahlungsbetrages ist die Schuld der Bfin. an die Rückerstattungsberechtigten getilgt. Der Vermögensverlust ist der gleiche, wenn der Weg der Barauszahlung an die Rückerstattungsberechtigten mit Rückfluß an die Bfin. gegen neu geschaffene Aktien oder der der Verrechnung der Forderung mit der Einzahlungspflicht auf die neuen Aktien gewählt wird.
Nachdem dies klargestellt ist, ist zu untersuchen, wie sich die Vermögensminderung bilanzmäßig auswirkt. Maßgebend ist die Lage, wie sie sich am 21. Juni 1948, nicht aber um Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 120 darstellt. Die Verweisung des Finanzamts auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 174/51 S vom 11. Juli 1952, BStBl. 1952 III S. 238, verkennt die Bedeutung der für die Erbschaftsteuer ergangenen Entscheidung. Es kommt vorliegendenfalls allein darauf an, ob und in welcher Höhe in der DM-Eröffnungsbilanz eine Rückstellung zu bilden war.
Für die Wertansätze der DM-Eröffnungsbilanz sind die Bestimmungen des D-Markbilanzgesetzes bzw. die allgemeinen Vorschriften des Handels- (Aktien-) Rechts, betreffend die ordnungsgemäße Buchführung, maßgebend. Sie werden ergänzt durch § 27 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG). Der Kaufmann ist gezwungen, einem ihm am Bilanzstichtag drohenden, in gewissem Umfange bereits übersehbaren Risiko durch Einsetzung eines Passivums Rechnung zu tragen. § 27 Abs. 2 LAG gewährt dem Rückerstattungsverpflichteten, der eine steuerliche DM-Eröffnungsbilanz aufzustellen hat, ein (befristetes) Wahlrecht, gegebenenfalls durch änderung der DM-Eröffnungsbilanz nachträglich eine Rückstellung mit Wirkung für die Steuern vom Einkommen, Ertrag, Vermögen und Lastenausgleich zu bilden.
Der Senat legt in übereinstimmung mit dem Bundesminister der Finanzen die Vorschrift dahin aus, daß es zunächst darauf ankommt, ob nach den allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen eine Rückstellung in der DM-Eröffnungsbilanz gebildet werden muß. Nur wenn dies nicht der Fall ist oder wenn die notwendigerweise gebildete Rückstellung sich als nicht ausreichend erweist, hat der Rückerstattungsverpflichtete das in § 27 Abs. 2 LAG vorgesehene Wahlrecht. Er kann die Rückstellung nachträglich bilden oder eine bereits gebildete Rückstellung erhöhen.
Der Bundesminister der Finanzen vertritt die Auffassung, daß wegen der Unsicherheit der Rechtslage am Bilanzstichtag die Rückerstattungsverpflichteten im Regelfalle nicht gezwungen gewesen seien, einem sich aus einem Rückerstattungsverfahren möglicherweise ergebenden Risiko Rechnung zu tragen. In der britischen Zone sei das Rückerstattungsgesetz erst im Jahre 1949 erlassen worden. Aber auch in der US-Zone und in der französischen Zone, wo die Rückerstattungsgesetzgebung bereits am 21. Juni 1948 vorlag, sei die Rechtslage durchaus unklar gewesen und erst die Rechtsprechung der Restitutionsgerichte hätte zur Klarstellung und zur Verschärfung der Rückerstattungsverpflichtungen und damit zu der Notwendigkeit der Bildung einer Rückstellung geführt. Dies gelte auch für die Bfin.
Der Senat vermag so weit nicht zu gehen. Es handelt sich in jedem einzelnen Rückerstattungsfalle um eine Entscheidung, die nur nach den individuellen Verhältnissen getroffen werden kann. In einer Vielheit von Fällen mögen die Dinge so liegen, wie der Bundesminister der Finanzen sie als der Regel entsprechend ansieht.
Die spätere Entwicklung der Rechtsprechung entbindet aber die Veranlagungsbehörden und die Steuergerichte nicht von der Verpflichtung im Einzelfalle zu prüfen, wie ein vorsichtig abwägender Kaufmann seine Situation hinsichtlich der Rückerstattung am Stichtag beurteilen mußte. Dies gilt in gleicher Weise dort, wo die gesetzliche Grundlage der Rückerstattung erst nach dem 21. Juni 1948 - wie in der britischen Zone - geschaffen worden ist, aber am Stichtage die Anpassung an die in der US- und französischen Zone bestehende Rechtslage zu erwarten war.
Schon der Oberste Finanzgerichtshof hat in einer nicht veröffentlichten Entscheidung vom 26. Februar 1949, die das Steuerjahr 1945 betraf, als unzweifelhaft unterstellt, daß ein Erwerber des ganzen Unternehmens aus ehemals jüdischem Besitz bereits Mitte 1945 der drohenden Pflicht zur Rückerstattung, wie sie sich schon in Art. I Ziff. 2 des Gesetzes Nr. 52 der Militärregierung ankündigte, Rechnung getragen haben würde.
Die Vorinstanzen haben entsprechend ihrer rechtsirrigen Beurteilung der Transaktion eine Prüfung nach dieser Richtung nicht vorgenommen.
Im vorliegenden Fall ist die Vermögenskontrolle am 9. September 1946, unter Eintragung eines Sperrvermerks im Grundbuch, eingeleitet worden. Treuhänder war das gegenwärtigen Vorstandsmitglied. Der Anwalt der Rückerstattungsberechtigten hat sich bereits am 20. August 1947 zwecks Geltendmachung der Rückerstattungsansprüche gemeldet. Die Klage ist im April 1949 erhoben, der Vergleich bereits drei Monate später geschlossen worden. Es wird daher von Bedeutung sein, ob und in welchem Sinne in der Zeit seit der Meldung des Anwalts bereits ein Schriftwechsel hinsichtlich der Rückerstattungsansprüche seiner Mandanten mit der Bfin. geschwebt hat. Der Umstand, daß der Vergleich, der für die Bfin. zu einer immerhin recht großen Einbuße, dem Verlust des halben Grundkapitals, führte, bereits drei Monate nach Klageerhebung abgeschlossen wurde, scheint darauf hinzudeuten, daß die Bfin. innerlich davon überzeugt war, daß sie mit einem Widerstand gegen die Geltendmachung der Ansprüche nicht durchdringen würde. Die Bfin. hat sich auf den Erlaß des Badischen Ministers der Finanzen berufen und die steuerliche Behandlung ihrer Verpflichtung im Vertrauen auf ihn vorgenommen. Sie hat sich gegenüber der Gefahr, daß das Finanzamt ihr mit Erfolg die Rückstellung in voller Höhe aufzwingen könnte, dahin entschieden, bei Verteilung von 40 % des Verlustes auf drei Jahre die übrigen 60 % erfolgsneutral zu halten, auf Absetzung dieses Teiles vom Gewinn also nicht zu bestehen.
Finanzamt und Finanzgericht sind der Meinung, daß der Erlaß rechtsverbindlich sei, wenn sie auch seine Anwendung abgelehnt haben, indem sie das Vorliegen einer in dem Erlaß vorausgesetzten Regelung verneinten. Wenn das Finanzgericht den Erlaß deswegen für rechtsverbindlich erklärt, weil er durch das Badische Entschädigungsgesetz vom 10. Januar 1950, Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) S. 139, gestützt werde, das in §§ 10 und 84 die Landesregierung zum Erlaß einer Durchführungsverordnung in Ergänzung der steuerlichen Bestimmungen ermächtigte, so greift dieser Gesichtspunkt so wenig durch, wie die Verweisung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 189/51 S vom 20. Dezember 1951, BStBl. 1952 III S. 26; denn es handelt sich hier nicht um die steuerlichen Belange des Rückerstattungsberechtigten, sondern des Rückerstattungsverpflichteten. Was die Besteuerung des letzteren betrifft, so ist der Erlaß des Ministers der Finanzen auf sich allein gestellt. Es handelt sich nach der Fassung des Abschn. 8 b eindeutig um einen Verwaltungserlaß, der die Durchführung der Veranlagungen vor Ergehen zusätzlicher gesetzlicher Vorschriften ermöglichen sollte. Die Steuergerichte sind an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden und haben Weisungen der Länder nicht zu berücksichtigen. Es erübrigt sich daher auch eine Prüfung, ob nicht die Länder-Erlasse dieser Art durch § 27 Abs. 2 LAG gegenstandslos geworden sind.
Die Sache geht an das Finanzgericht zurück, das im Sinne der obigen Ausführungen zu untersuchen haben wird, wie sich die Lage der Bfin. angesichts der geltend gemachten Ansprüche der Rückerstattungsberechtigten am 21. Juni 1948 darstellte.
Fundstellen
Haufe-Index 407771 |
BStBl III 1953, 339 |
BFHE 1954, 125 |
BFHE 58, 125 |