Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Ermittlungspflicht des FA; kein Misstrauen bei eindeutigen Steuererklärungen; Nachmeldung nicht erklärter Einkünfte verpflichtet nicht zur vollständigen Veranlagungsüberprüfung
Leitsatz (amtlich)
1. Eindeutigen Steuererklärungen braucht das FA nicht mit Misstrauen zu begegnen, es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Dies gilt auch, wenn ein nicht selbstständig tätiger Steuerpflichtiger unter Vorlage der entsprechend ausgefüllten Lohnsteuerkarte eine tarifbegünstigte Entschädigung (§ 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1, 2 EStG) erklärt und an der Erstellung der Steuererklärung kein Angehöriger eines steuerberatenden Berufs mitgewirkt hat.
2. Meldet ein Steuerpflichtiger nach Bestandskraft eines Einkommensteuerbescheides bislang nicht erklärte Einkünfte nach, ist das FA vor einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a oder § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 grundsätzlich nicht verpflichtet, die Veranlagung in vollem Umfang erneut zu überprüfen.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger veräußerte mit "Anteilskauf- und Übertragungsvertrag" vom 7. August 1990 80 % seiner Gesellschaftsanteile an der X-GmbH mit Wirkung zum 1. September 1990 für … DM. Zugleich wurde sein Geschäftsführeranstellungsvertrag beendet und die für seine Pensionszusage gebildete Rückstellung aufgelöst. Als Ausgleich hierfür erhielt der Kläger von der GmbH eine Abfindung in Höhe von 437 153 DM.
In ihrer ohne Mitwirkung eines steuerlichen Beraters erstellten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1990 erklärten die Kläger ―neben einem laufenden Bruttoarbeitslohn― eine ermäßigt zu besteuernde Entschädigung in Höhe von 437 153 DM und eine hierfür einbehaltene Lohnsteuer in Höhe von 115 845 DM. Ihre Angaben stimmten mit der beigefügten Lohnsteuerkarte überein. Angaben zur Veräußerung der Gesellschaftsanteile machten die Kläger nicht. Auch ist im Mantelbogen das für Einkünfte aus Gewerbebetrieb/selbständige Arbeit vorgesehene Kästchen "lt. Anlage GSE" nicht angekreuzt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) veranlagte die Kläger erklärungsgemäß mit Bescheid vom 15. April 1992. Diesen Bescheid änderte er am 17. Juli 1992 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und erfasste den Veräußerungsgewinn nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das FA den Einkommensteuerbescheid vom 17. Juli 1992 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, wobei es die Anrechnung einer Rückdeckungsversicherung auf die vereinbarte Abfindung als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) beurteilte. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein und legten den Anteilskauf- und Übertragungsvertrag vom 7. August 1990 vor. Das FA wies den Einspruch mit der Begründung zurück, dass die Abfindung bislang unzutreffend besteuert worden sei.
Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid vom 17. Juli 1992 habe nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert werden dürfen. Zwar seien die mit der Lohnsteuerkarte übereinstimmenden Angaben der Kläger in der Steuererklärung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit einschließlich Abfindung eindeutig gewesen. Gleichwohl stünden der Änderung des bestandskräftigen Bescheides vom 17. Juli 1992 Treu und Glauben entgegen, weil das FA seine Ermittlungspflicht nicht erfüllt habe. Es dürfe Angaben der Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit einer Entschädigung nicht "abhaken", sondern müsse in Anbetracht der schwierigen rechtlichen Subsumtion die vertraglichen Vereinbarungen vor endgültiger Veranlagung anfordern. Dies gelte hier umso mehr, als bei der Anfertigung der Steuererklärung kein Vertreter der steuerberatenden Berufe mitgewirkt habe. Auch sei Arbeitgeber des Klägers die von ihm beherrschte und als Geschäftsführer vertretene GmbH gewesen.
Die Steuerpflichtigen hätten ihre Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Weder aus dem EStG noch aus der AO 1977 ergebe sich eine Verpflichtung zur unaufgeforderten Vorlage zivilrechtlicher Vereinbarungen. Die Wahrheitspflicht erfülle ein steuerlicher Laie bei schwierigen Sachverhalten, wenn seine Angaben vertretbar, nicht offensichtlich willkürlich oder irreführend seien. Wie sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00 (BFH/NV 2002, 638) ergebe, könne ein von einem Anteilserwerber ausgeübter Druck die von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG vorausgesetzte Zwangslage begründen, so dass die rechtliche Einschätzung der Kläger keinesfalls unvertretbar gewesen sei.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH brauche das FA eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern könne regelmäßig von deren Vollständigkeit und Richtigkeit ausgehen. Die im Streitfall abgegebene Steuererklärung habe unter Berücksichtigung der Angaben in der Lohnsteuerkarte zu keinerlei Zweifeln Anlass gegeben. Hilfsweise werde ein Mitverschulden der Kläger geltend gemacht. Der Kläger als Alleingesellschafter und Geschäftsführer habe unter den hier gegebenen Umständen die Pflicht gehabt, den Anteilsveräußerungsvertrag vorzulegen. Da er im wirtschaftlichen Sinne kein klassischer Arbeitnehmer sei, dürfe er sich nicht zu seinen Gunsten auf die praktisch von ihm ausgestellte Lohnsteuerbescheinigung berufen. Allenfalls liege ein beiderseitig gleichwertiges Verschulden vor, das nach der Rechtsprechung des BFH zu Lasten des Steuerpflichtigen gehe.
Das FA beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision des FA zurückzuweisen. Das FG habe die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 im Ergebnis zutreffend verneint. Es fehle schon an einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache. Ein nachträgliches Bekanntwerden der "unzutreffenden Besteuerung der Abfindung" (so Einspruchsentscheidung) sei keine neue Tatsache. Das FA habe nicht dargelegt, welche Tatsache ihm nachträglich bekannt geworden sei. Sollte die Unfreiwilligkeit des Pensionsverzichts als neue Tatsache anzusehen sein, so werde vorsorglich darauf hingewiesen, dass der durch den Anteilserwerber auf den Kläger ausgeübte wirtschaftliche Druck nach den Feststellungen des FG unstreitig geblieben sei. Die Mehrzahl der FG gehe davon aus, dass das FA bei Geltendmachung von Arbeitnehmerabfindungen die hierfür maßgeblichen Unterlagen anfordern und einsehen müsse. Spätestens bei Erlass des Änderungsbescheides vom 17. Juli 1992 habe das FA von der Anteilsveräußerung Kenntnis erlangt, was die Ermittlungspflicht des FA verschärft habe. Der Kläger habe seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt, denn seine rechtliche Wertung des Sachverhalts stimme mit der Rechtsprechung des BFH überein (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 638).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zu Unrecht meint das FG, der Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 stünden Treu und Glauben entgegen, weil das FA bei einer in der Steuererklärung erklärten "Entschädigung" stets die zugrunde liegenden Vereinbarungen anfordern müsse. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um abschließend zu befinden.
1. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 können Steuerbescheide geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann; es kann sich handeln um Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3. Juli 2002 XI R 17/01, BFH/NV 2003, 137; vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569). Eine irrtümlich falsche rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts ist keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache (BFH-Urteil vom 27. Oktober 1998 X R 157/95, BFHE 187, 445, BStBl II 1999, 91).
2. Wird eine Tatsache nachträglich dem FA bekannt, so ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine Änderung des Bescheides nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn diese dem FA bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht (§ 88 AO 1977) nicht verborgen geblieben wäre. Es braucht allerdings eindeutigen Steuererklärungen nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht mit Misstrauen zu begegnen; es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Nur wenn sich Unklarheiten oder Zweifelsfragen aufdrängen, ist das FA zu Ermittlungen verpflichtet. Andererseits muss auch der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten (§ 90 AO 1977) erfüllt haben. Haben es sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. z.B. BFH in BFH/NV 2003, 137; BFH-Urteile vom 5. Dezember 2002 IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588, m.w.N.; vom 12. Juli 2001 VII R 68/00, BFHE 196, 317, BStBl II 2002, 44).
Der Umfang der beiderseitigen Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817). Die Erklärung einer "Entschädigung" allein löst noch nicht die Verpflichtung des FA aus, die dieser Zahlung zugrunde liegenden Vereinbarungen, Sozialpläne, Betriebsvereinbarungen o.ä. anzufordern. Zwar können mit der Frage, ob im Einzelfall eine ermäßigt zu besteuernde Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG vorliegt, schwierige rechtliche Fragen verknüpft sein; zwingend ist dies jedoch nicht. Selbst wenn die tatsächliche oder rechtliche Beurteilung schwierig sein kann, verstärkt sich die Ermittlungspflicht im Allgemeinen nur bei Unklarheiten und Zweifeln, die sich aus der Erklärung ergeben (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 88 AO 1977 Tz. 11). In diesem Sinne hat der erkennende Senat z.B. im Urteil vom 3. Juli 2002 XI R 27/01 (BFH/NV 2003, 19) in der unterlassenen Anforderung der vertraglichen Grundlagen allein noch keine Verletzung der Ermittlungspflicht gesehen.
Auch einer (eindeutigen) Steuererklärung muss das FA nicht allein deswegen mit Misstrauen begegnen, weil der Steuerpflichtige diese ohne Mitwirkung eines steuerlichen Beraters erstellt hat. Denn mit der Unterschrift unter die Steuererklärung bestätigt jeder Steuerpflichtige, die im Vordruck und den beigefügten Anlagen gemachten Angaben wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben.
3. Aus diesen Grundsätzen folgt für den Streitfall:
a) Auf der Grundlage der Feststellungen des FG ist davon auszugehen, dass dem FA nach Erlass des Einkommensteuerbescheides vom 15. April 1992 bekannt geworden ist, dass der Kläger 80 % seiner GmbH-Anteile im Streitjahr veräußert hat. Nach Ergehen des Änderungsbescheides vom 17. Juli 1992 wurde ihm bekannt, dass die bislang ermäßigt besteuerte Abfindung im Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung vereinbart worden war.
b) Bei Erlass des Einkommensteuerbescheides vom 15. April 1992 hat das FA seine Ermittlungspflicht nicht verletzt. Die Angaben der Kläger in der Anlage N zur Einkommensteuererklärung waren auch nach Meinung des FG eindeutig und entsprachen der Eintragung auf der mit der Einkommensteuererklärung vorgelegten Lohnsteuerkarte. Sie gaben ferner nicht allein deswegen Anlass zu weiterer Sachaufklärung, weil der Kläger Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH war (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569).
c) Ungeklärt ist, ob das FA bei Erlass des Änderungsbescheides vom 17. Juli 1992 seiner Ermittlungspflicht genügt hat. Hierzu hat das FG nur festgestellt, dass das FA in diesem Bescheid einen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG in Höhe von … DM berücksichtigt hat. Die näheren Umstände, die zur Änderung des Bescheides geführt haben, sind nicht festgestellt. Sie sind aber entscheidungserheblich.
Der erkennende Senat hat mit Urteil in BFH/NV 2003, 137 entschieden, dass Zweifel am Vorliegen eines unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes nahe liegen und weitere Ermittlungen grundsätzlich geboten sind, wenn für das FA unschwer erkennbar ist, dass die Auflösung eines Dienstverhältnisses des geschäftsführenden GmbH-Gesellschafters mit dem Verkauf der GmbH-Anteile durch ihn zumindest zusammenhängen kann. Unschwer erkennbar war dort der Zusammenhang, weil der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung neben der Entschädigung im Mantelbogen das Kästchen für gewerbliche Einkünfte angekreuzt und nach Erlass des Erstbescheides die Vereinbarung über den Verkauf der Anteile vorgelegt hatte.
Da sich der Umfang der Ermittlungspflicht nach den Umständen des Einzelfalles richtet, wird das FG festzustellen haben, ob die Sachlage im Streitfall vergleichbar ist. Zu klären wird insbesondere sein, ob der Kläger im Zusammenhang mit der Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 17. Juli 1992 den Anteilskauf- und Übertragungsvertrag vom 7. August 1990, insbesondere auch soweit er sich auf die Abfindungsvereinbarung bezieht, vorgelegt hat. Sollte dies zu bejahen sein, kommt nach der Entscheidung des erkennenden Senats in BFH/NV 2003, 137 eine Änderung dieses Bescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht in Betracht. Sollten die Kläger hingegen den Vertrag nur auszugsweise, also ohne die der Abfindung zugrunde liegenden Vereinbarungen vorgelegt haben, so hat das FA bei Erlass des Änderungsbescheides vom 17. Juli 1992 seine Ermittlungspflicht nicht verletzt, denn eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 führt grundsätzlich zu keiner Gesamtaufrollung der Steuerfestsetzung, sondern nur zu einer eingeschränkten Änderung (hier: Erfassung der Einkünfte gemäß § 17 EStG). Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 1. Halbsatz AO 1977 darf ein bestandskräftiger Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, zu Lasten des Steuerpflichtigen nur geändert werden, soweit dieser zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird. Danach waren im Streitfall die Änderung und demgemäß auch die Ermittlungspflicht (§ 88 AO 1977) auf die steuerliche Erfassung der nachgemeldeten Einkünfte nach § 17 EStG beschränkt. Selbst wenn der Senat zugunsten der Kläger davon ausgeht, dass der Erstbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 hätte geändert werden müssen, ergibt sich nichts anderes. Auch diese Norm verpflichtet das FA ―anders als im Einspruchsverfahren (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977)― grundsätzlich nicht dazu, die Veranlagung in vollem Umfang erneut zu überprüfen (zur sogenannten punktuellen Fehlerkorrektur vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. August 1986 IX R 13/81, BFHE 148, 394, BStBl II 1987, 297; v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 173 AO 1977 Rz. 49, m.w.N.; Tipke/Kruse, a.a.O, Vor § 172 AO 1977 Tz. 6). Den von den Klägern zitierten Entscheidungen des BFH lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Nach dem Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 8/88 (BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438) hat das FA die ihm bei der Änderung bereits bekannten Tatsachen zu berücksichtigen. Im Streitfall war dem FA die Tatsache, dass die Abfindung im Zusammenhang mit dem teilweisen Verkauf der GmbH-Anteile stand, bei Erlass des Änderungsbescheides nur bekannt, wenn ihm zu diesem Zeitpunkt ―wie in BFH/NV 2003, 137― neben dem Vertrag über die Anteilsveräußerung auch die Vereinbarung über die Abfindung vorlag. In diesem Sinn hat der IV. Senat des BFH auch im Urteil vom 13. September 2001 IV R 79/99 (BFHE 196, 195, BStBl II 2002, 2) nur ausgesprochen, dass das FA bei Erlas des Änderungsbescheides alle ihm bekannten Tatsachen berücksichtigen muss und die Steuerpflichtigen ihre Mitwirkungspflicht verletzen, wenn sie das FA über steuerrelevante Umstände in Unkenntnis lassen.
4. Entgegen der Auffassung der Kläger kann die Revision nicht nach § 126 Abs. 4 FGO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des erkennenden Senats zum Verzicht auf Pensionszusagen anlässlich der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen zurückgewiesen werden (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 638). Das FG hat Feststellungen dazu, ob der Kläger tatsächlich auf Druck des Anteilserwerbers auf seine Pension verzichtet hat, bislang nicht getroffen. Es hat die Frage, ob eine tarifbegünstigte Entschädigung vorliegt, ausdrücklich offen gelassen. Es hat lediglich unter Hinweis auf die genannte Rechtsprechung eine Verletzung der Wahrheitspflicht durch die Kläger verneint, weil die Annahme, die Veräußerung der Gesellschaftsanteile stehe der Annahme einer Entschädigung nicht entgegen, nach der Rechtsprechung des BFH möglich sei. Die Tatsache allein, dass das FA dem Vortrag der Kläger nicht widersprochen hat, vermag Feststellungen tatsächlicher Art nicht zu ersetzen (§ 76 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 1212467 |
BFH/NV 2004, 1433 |
BStBl II 2004, 911 |
BFHE 2005, 303 |
BFHE 206, 303 |
BB 2004, 2062 |
DStR 2004, 1652 |
DStRE 2004, 1192 |
HFR 2004, 1066 |