Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ist die Versäumung der Rechtsmittelfrist auf das Verschulden eines Steuerbevollmächtigten zurückzuführen, der den prozeßbevollmächtigten Steuerberater während dessen Auslandsaufenthalt vertreten hat, so liegt kein Büroversehen im Sinne der Rechtsprechung (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs I 260/61 U vom 22. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 184, Slg. Bd. 76 S. 500) vor; das Verschulden des Vertreters steht dem eigenen Verschulden des Prozeßvertreters gleich.
Normenkette
AO §§ 86, 86 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bfin. wegen Versäumung der Berufungsfrist Nachsicht zu gewähren ist.
In Sachen Gewerbesteuermeßbetrag 1958 erging am 23. August 1962 eine Einspruchsentscheidung des Finanzamts. Diese wurde am 27. August 1962 mittels einfachen Briefes an den Bevollmächtigten zugestellt.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 1962, eingegangen beim Finanzamt am 5. Oktober 1962, legte der Bevollmächtigte Berufung ein und beantragte, ihm wegen der Fristversäumnis Nachsicht zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, zur Zeit der Zustellung habe er sich auf einer Urlaubsreise im Ausland befunden, von der er erst Ende September 1962 zurückgekehrt sei. Mit Rücksicht auf seine lange Abwesenheit habe er den bei ihm beschäftigten Steuerbevollmächtigten zu seinem Vertreter bestellt. Dieser habe die Rechtsmittelentscheidung in seinem Schreibtisch verschlossen, so daß er erst nach Rechtskraft der Einspruchsentscheidung habe Berufung einlegen können. Daran treffe ihn keine Schuld, da er nicht mehr habe tun können, als eine befähigte Kraft mit seiner Vertretung zu beauftragen.
Das Finanzgericht verwarf die Berufung als unzulässig. Es führte aus: Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 455/59 U vom 28. Juli 1961 (BStBl 1961 III S. 447, Slg. Bd. 73 S. 499) könne im Streitfall die Rechtsprechung, die bei einem bloß technischen Büroversehen unter bestimmten Voraussetzungen die Gewährung von Nachsicht rechtfertige, nicht zur Anwendung kommen. Die Sache habe nach dem Eingang der Einspruchsentscheidung dem Vertreter des Bevollmächtigten vorgelegen. Wenn dieser, wie der Bevollmächtigte vortrage, keine Vorsorge getroffen habe, daß der Ablauf der Rechtsmittelfrist überwacht werde, so liege darin ein Verschulden, das der Bevollmächtigte zu vertreten habe.
In ihrer Rb. bezieht sich die Bfin. auf § 87 Abs. 4 AO. Mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber zugelassen, sogar ohne Antrag Nachsicht zu gewähren, und damit vorgesehen, die Rechtsmittelfrist sehr großzügig zu behandeln.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Das Finanzgericht hat rechtlich zutreffend dargetan, daß die Berufungsschrift der Bfin. verspätet eingegangen war. Auch hat es Nachsichtsgründe zu Recht verneint. Nachsicht kann nur einem Rechtsmittelführer gewährt werden, der ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (ß 86 Satz 1 AO). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so bietet auch § 87 Abs. 4 AO der Rechtsmittelbehörde keine Möglichkeit, Nachsicht zu bewilligen.
Die Entscheidung der Vorinstanz steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Zwar braucht sich der prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte das Verschulden seines Büropersonals nicht zurechnen zu lassen, sofern nicht die Fristversäumnis auf einen Mangel in der Organisation des Büros oder in der überwachung des Personals zurückzuführen ist (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs I 260/61 U vom 22. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 184, Slg. Bd. 76 S. 500). Etwas anderes muß jedoch dann gelten, wenn die Frist nicht infolge eines Büroversehens, sondern durch das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten selbst versäumt worden ist. Dieses Verschulden steht dem eigenen Verschulden des Rechtsmittelführers gleich (ß 86 Satz 2 AO). Dasselbe muß gelten, wenn nicht der Prozeßbevollmächtigte selbst, sondern dessen fachlich vorgebildeter Vertreter die Frist schuldhaft versäumt hat. So hat der Bundesgerichtshof im Beschluß V ZB 25/53 vom 1. Dezember 1953 (Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 232 der Zivilprozeßordnung - ZPO - Nr. 15) auch den amtlich bestellten Vertreter eines im Urlaub abwesenden, von der Partei beauftragten Rechtsanwalts als Vertreter im Sinne des § 232 Abs. 2 ZPO angesehen. Dasselbe trifft für einen Rechtsanwalt zu, der bei dem von der Partei beauftragten Rechtsanwalt tätig ist und von ihm mit der Bearbeitung der Sache betraut worden ist (Beschluß des Bundesgerichtshofs IV ZB 178/56 vom 10. November 1956, Lindenmaier-Möhring, § 232 ZPO Nr. 27). ähnliche Erwägungen liegen auch dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 455/59 (a. a. O.) zugrunde, auf das sich das Finanzgericht zu Recht bezogen hat.
Im Streitfall ist das Finanzgericht nach dem Vorbringen des prozeßbevollmächtigten Steuerberaters, das es als wahr unterstellt hat, zutreffend davon ausgegangen, daß die Versäumung der Frist auf dem Verschulden des Vertreters des Prozeßbevollmächtigten beruht. Dieser hat wissen müssen, daß die Einspruchsentscheidung in Rechtskraft erwächst, wenn er die Sache bis zur Rückkehr des Prozeßbevollmächtigten von seiner Auslandsreise unbearbeitet liegen ließ.
Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 411378 |
BStBl III 1964, 653 |
BFHE 1965, 498 |
BFHE 80, 498 |
StRK, AO:86 R 135 |