Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsanordnung gegen vermutete Gemeinschaft
Leitsatz (NV)
Gemäß § 193 Abs. 1 AO 1977 ist eine Prüfungsanordnung bei Steuerpflichtigen zulässig, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten oder die freiberuflich tätig sind. Richtet sich die Prüfungsanordnung gegen eine Gemeinschaft oder Gesellschaft, so müssen - auch nach dem Verhalten des Steuerpflichtigen - zum einen die Rechtsakte, Rechtsbeziehungen oder faktischen Beziehungen, die die Rechtssubjektivität begründen sollen, eindeutig feststehen (BFH-Urteil vom 13. November 1984 VIII R 5/84, BFH/NV 1985, 61), zum anderen darf kein vernünftiger Zweifel darüber aufkommen, daß die Gemeinschaft oder die Gesellschaft tatsächlich einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhält oder freiberuflich tätig ist.
Normenkette
AO 1977 § 124 Abs. 1 S. 2, § 193 Abs. 1; FGO § 65
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der erneuten Anordnung einer Außenprüfung im Streit.
Frau W erklärte seit 1968 als Immobilienmaklerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Herr W, ihr Ehemann, gab keine auf einer Berufstätigkeit beruhenden Einkünfte an.
Am 9. Februar 1983 erließ der Beklagte und Revisionskläger, das für die Außenprüfung zuständige Finanzamt (FA), eine an Herrn W adressierte Prüfungsanordnung ohne Rechtsbehelfsbelehrung und führte im Anschluß hieran die Prüfung durch. Da der Prüfer im Verlauf der Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangte, daß die Eheleute W das Immobilienbüro gemeinschaftlich in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) betrieben hätten, dehnte er die Prüfung auf die gesamten steuerlichen Verhältnisse der Mitunternehmerschaft aus. Nach Abschluß der Außenprüfung legte Herr W Beschwerde ein. Das FA hob daraufhin die Prüfungsanordnung vom 9. Februar 1983 auf.
Am 25. Juni 1984 erließ das FA eine erneute Prüfungsanordnung, die an die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die GdbR Klara und Adalbert W, adressiert und den Eheleuten zugestellt wurde.
Die nach erfolglosem Beschwerdeverfahren eingereichte Klage wurde vom Prozeßbevollmächtigten namens und in Vollmacht der Eheleute W ,,wegen Prüfungsanordnung gegen GdbR Klara und Adalbert W vom 26. Juni 1984" erhoben.
Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 58 veröffentlich ist, sah die Eheleute als Kläger an und gab der Klage statt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Ob die Auffassung der Vorinstanz mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Zulässigkeit wiederholter Außenprüfungen im Einklang steht (vgl. Urteil vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Urteil des FG erweist sich deshalb als richtig (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil das FA die Prüfungsanordnung vom 25. Juni 1984 gegen eine Gesellschaft erlassen hat, deren Existenz zwischen den Beteiligten streitig ist.
1. Eine Auslegung der Klageschrift ergibt, daß die Eheleute W nicht persönlich, sondern im Namen der vom FA vermuteten GdbR Klage erhoben haben.
a) Die Prüfungsanordnung vom 25. Juni 1984 richtet sich nicht gegen die Eheleute W, sondern gegen die GdbR. Denn nach § 124 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) wird ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird. Für die Auslegung der angefochtenen Prüfungsanordnung ist demnach analog § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entscheidend, wie die Eheleute W nach den ihnen bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung verstehen konnten (BFH-Beschluß vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34, m. w. N.).
Im Streitfall wurde die Prüfungsanordnung ,,an die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Klara und Adalbert W" adressiert und beiden Klägern zugestellt. Berücksichtigt man weiterhin, daß die Prüfungsanordnung auf § 193 Abs. 1 AO 1977 gestützt wurde und das FA bereits zuvor, nämlich anläßlich der Schlußbesprechung vom 11. März 1983 sowie im Prüfungsbericht zu erkennen gegeben hat, daß es von einer Mitunternehmerschaft der Eheleute W in der Rechtsform einer GdbR ausgehe, so konnten die Kläger diese Verfügung nur dahin verstehen, daß die Prüfung nicht bei ihnen persönlich, sondern bei der, nach Ansicht des FA vorliegenden Gesellschaft durchgeführt werden sollte. Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Begründung der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) bestätigt. Denn auch dort wurde - in Übereinstimmung mit dem finanzgerichtlichen Vortrag des FA - die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Prüfungsanordnung vom 25. Juni 1984 damit begründet, daß die aus den Eheleuten W bestehende GdbR gewerbliche Einkünfte erzielt hätte.
b) Die nach § 65 FGO erforderliche Bezeichnung des Klägers gehört zu den Mindestangaben, die bereits bis zum Ablauf der Klagefrist vorliegen müssen, damit die Klageschrift als fristwahrende Erhebung einer Klage gewertet werden kann (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 65 Anm. 10, m. w. N.). Dies schließt es jedoch nicht aus, daß eine nicht eindeutige Bezeichnung des Klägers entsprechend den für Willenserklärungen geltenden Grundsätzen vom FG und von der Revisionsinstanz ausgelegt werden können. Bei dieser - nach der Verständnismöglichkeit des Empfängers - vorzunehmenden Auslegung sind deshalb zur Bestimmung des in der Rechtsbehelfsschrift genannten Klägers alle dem FG und dem FA bekannten oder vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (BFH-Beschluß vom 25. September 1985 IV R 180/83, BFH/NV 1986, 171, m. w. N.; BFH-Urteil vom 14. November 1986 III R 12/81, BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178).
Für das anhängige Verfahren ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß das Rechtsgebilde (oder dessen Gesamtrechtsnachfolger), dessen (partielle) Steuerrechtsfähigkeit behauptet wird, als Adressat der angegriffenen Prüfungsanordnung im Rechtsbehelfsverfahren gegen den ergangenen und ggf. nichtigen Verwaltungsakt als beteiligtenfähig und klagebefugt anzusehen ist (BFH-Beschluß vom 29. April 1987 I B 154-155/86, BFH/NV 1987, 794; BFH-Urteil vom 22. April 1986 VII R 123/80, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 125, Rechtsspruch 11, m. w. N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 40 FGO Rdnr. 12, § 57 FGO Rz. 1; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 15. Aufl. 1987, § 50 Anm. 3, m. w. N.).
Bezieht man diese Rechtsgrundsätze in die Auslegung der Klageschrift ein, so konnte die Klage nur dahin verstanden werden, daß die Eheleute W aufgrund ihrer, vom FA vermuteten gesellschaftsrechtlichen Verbindung - d. h. namens der GdbR, deren Existenz sie sowohl in der Beschwerde- als auch in der Klageschrift in Abrede stellten - Rechtsschutz gegen die ergangene Prüfungsanordnung begehrten. Der Senat wird in dieser Auffassung durch den Wortlaut der Klageschrift bestärkt. Zwar wurde die Klage vom Prozeßbevollmächtigten namens und in Vollmacht der Eheleute W eingereicht; diese Angabe ist jedoch bereits deshalb nicht eindeutig, weil damit auch die vom FA angenommene und aus den Eheleuten bestehende GdbR in abgekürzter Form bezeichnet sein könnte. Entscheidend aber ist, daß die Klage ,,wegen Prüfungsanordnung gegen GdbR Klara und Adalbert W" erhoben wurde. Hierdurch kommt mit hinreichender Sicherheit zum Ausdruck, daß das vom FA vermutete Rechtsgebilde mit der Person übereinstimmt, die um Rechtsschutz nachsucht.
2. Besteht zwischen den Beteiligten Streit, ob die durch einen Verwaltungsakt in Anspruch genommene Gesellschaft besteht, so hat das FG grundsätzlich die hierfür maßgebliche Umstände aufzuklären. Kommt es dabei zu dem Ergebnis, daß die von der Finanzbehörde vermutete Gesellschaft nicht existiert, ist der ergangene Bescheid bereits deshalb wegen Nichtigkeit aufzuheben, ohne daß es einer weiteren sachlichen Nachprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts bedarf (Beschluß in BFH/NV 1987, 794; BFH-Urteil vom 22. Dezember 1965 II 6/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1966, 180; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 57 FGO Rdnr. 19).
Im anhängigen Rechtsstreit erweist sich - argumentum a majore ad minus - selbst eine gerichtliche Entscheidung über die Frage, ob die Eheleute in der vom FA angenommenen gesellschaftsrechtlichen Verbindung standen, als entbehrlich. Denn nach der materiellen Rechtslage ist die Prüfungsanordnung bereits deshalb aufzuheben, weil sie an ein Rechtssubjekt gerichtet wurde, dessen Existenz im Streit ist.
Gemäß § 193 Abs. 1 AO 1977 ist eine Prüfungsanordnung bei Steuerpflichtigen zulässig, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten oder die freiberuflich tätig sind. Richtet sich die Prüfungsanordnung gegen eine Gemeinschaft oder Gesellschaft, so müssen - auch nach dem Verhalten des Steuerpflichtigen - zum einen die Rechtsakte, Rechtsbeziehungen oder faktischen Beziehungen, die die Rechtssubjektivität begründen sollen, eindeutig feststehen (BFH-Urteil vom 13. November 1984 VIII R 5/84, BFH/NV 1985, 61), zum anderen darf kein vernünftiger Zweifel darüber aufkommen, daß die Gemeinschaft oder die Gesellschaft tatsächlich einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhält oder freiberuflich tätig ist (BFH-Urteile vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, m. w. N.; vom 13. März 1987 III R 236/83, BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 664).
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn bis zu der im März 1983 durchgeführten Erstprüfung ist das für die Besteuerung der Eheleute W zuständige FA in Übereinstimmung mit den abgegebenen Steuererklärungen davon ausgegangen, daß Frau W Einzelunternehmerin war, Herr W hingegen keine steuerpflichtigen Einkünfte aus einer beruflichen Tätigkeit erzielte. Erst im Verlauf der bei Herrn W angeordneten Außenprüfung gelangte das Betriebsprüfungs-FA zu der Überzeugung, daß die Eheleute gemeinschaftlich Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit erzielt und eine GdbR gegründet hätten. Diese Auffassung ist jedoch nicht nur in dem erfolgreichen Beschwerdeverfahren gegen die Prüfungsanordnung vom 9. Februar 1983, sondern auch im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits bestritten worden.
War und ist demnach zwischen den Beteiligten im Streit, ob die fragliche Gesellschaft existiert und in der in § 193 Abs. 1 AO 1977 genannten Art tätig geworden ist, so konnten zur Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse nur gegenüber den Eheleuten Prüfungsanordnungen ergehen.
Fundstellen