Leitsatz (amtlich)
1. Ein Zwischenurteil ist statthaft, wenn die Prozeßbeteiligten tatsächlich um die Zulässigkeit der Klage streiten. Unerheblich ist, ob der Grund, aus dem ein Prozeßbeteiligter die Unzulässigkeit der Klage herleiten will, bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen zu rechnen ist oder ob er die Begründetheit der Klage betrifft.
2. Ein nicht begründeter (unsubstantiierter) Einspruch ist nicht als unzulässig zu verwerfen, sondern (allenfalls) als unbegründet zurückzuweisen.
Normenkette
FGO § 97; AO §§ 231, 238 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte erhob gegen die Einkommensteuer-Berichtigungsbescheide 1965 bis 1967 Einspruch mit dem Zusatz, Antrag und Begründung würden nachgereicht. Nachdem er drei Aufforderungen des Beklagten und Revisionsklägers (des FA), den Einspruch zu begründen, nicht nachgekommen war, verwarf das FA den Einspruch als unzulässig, da keine Tatsachen vorgetragen worden seien, aus denen sich die behauptete Rechtsverletzung ergebe.
Das FG entschied über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil gem. § 97 FGO. Es bejahte die Zulässigkeit und führte aus, daß die Entscheidung davon abhänge, ob der Einspruch unzulässig gewesen und dadurch die Steuerbescheide rechtskräftig geworden seien. Denn eine gegen einen rechtskräftigen Verwaltungsakt erhobene Klage sei unzulässig (vgl. Urteil des BFH VII R 69/68 vom 14. April 1970, BFH 99, 100, BStBl II 1970, 548). Der Einspruch sei entgegen der Auffassung des FA deshalb zulässig gewesen, weil an die Voraussetzungen für die zulässige Einlegung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs keine höheren Anforderungen als im gerichtlichen Verfahren gestellt werden dürften. Die Behauptung einer Rechtsverletzung im Sinne des § 40 Abs. 2 FGO aber liege im steuergerichtlichen Verfahren bereits in der Klageerhebung (vgl. BFH-Urteil II R 37/70 vom 24. September 1970, BFH 100, 429, BStBl II 1971, 112). Deshalb genüge es auch für die Einlegung eines Einspruchs, wenn aus der Erklärung hinreichend hervorgehe, daß sich der Betroffene durch einen Verwaltungsakt beschwert fühle und nochmalige Überprüfung begehre. Durch die Einlegung des Rechtsbehelfs stelle er in der Regel gleichzeitig die Behauptung auf, beschwert zu sein.
Das FA beantragt in der Revision, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unzulässig zu verwerfen. Es rügt die Verletzung der Vorschrift des § 231 AO. Diese verlange ein "Geltendmachen" der Beschwer. Damit sei ein Tatsachenvortrag - wenigstens in einem Punkte - gemeint, der, als richtig unterstellt, den Verwaltungsakt als rechtswidrig erscheinen lasse (vgl. BFH-Urteil III R 81/69 vom 30. April 1971, BFH 102, 401, BStBl II 1971, 654). Wenngleich § 238 Abs. 3 AO keinen Begründungszwang vorschreibe, so müsse ein solcher jedoch der Vorschrift des § 231 AO n. F. entnommen werden, und zwar im Sinne einer Zulässigkeitsvoraussetzung. Denn der Zweck der Vorschrift sei es, zu vermeiden, daß grundlos Rechtsbehelfe eingelegt würden. Die Filterwirkung des Vorverfahrens sei nur dann gewährleistet, wenn das FA durch einen Tatsachenvortrag in die Lage versetzt sei, das Begehren des Steuerpflichtigen zu prüfen.
Der Kläger beantragt die Abweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
1. Der Erlaß eines Zwischenurteils war zulässig. Nach § 97 FGO kann über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil vorab entschieden werden. Ob das FG in dieser Form entscheiden will, beurteilt es nach eigenem Ermessen. Der BFH prüft lediglich, ob die Voraussetzungen eines Zwischenurteils vorgelegen haben.
Nach der Auffassung des VII. Senats des BFH (vgl. Urteil VII R 69/68, a. a. O.) betrifft die Entscheidung darüber, ob der Einspruch zulässig war, die Zulässigkeit und nicht die Begründetheit der Klage. Von diesem Standpunkt aus wäre deshalb die Zulässigkeit des Zwischenurteils ohne weiteres zu bejahen, wovon auch das FG ausgegangen ist. Der erkennende Senat nimmt zu der Frage, ob er der Rechtsauffassung des VII. Senats folgen könnte, nicht Stellung. Denn für die Entscheidung über die Statthaftigkeit eines Zwischenurteils nach § 97 FGO kommt es nicht darauf an, ob der Grund, aus dem ein Prozeßbeteiligter die Unzulässigkeit der Klage herleiten will, bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen zu rechnen ist oder ob er die Begründetheit der Klage betrifft. Entscheidend ist vielmehr, daß zwischen den Prozeßbeteiligten tatsächlich Streit über die Zulässigkeit der Klage herrscht. Deshalb ist das FG, wenn es in einem solchen Zwischenstreit die Zulässigkeit bejaht - andernfalls hätte es durch Endurteil zu entscheiden -, zum Erlaß eines Zwischenurteils befugt. Die Entscheidung über die geltend gemachte Einwendung gegen die Zulässigkeit der Klage betrifft nicht die Voraussetzungen, sondern den Inhalt des Zwischenurteils.
2. Zutreffend hat das FG entschieden, daß der Einspruch zulässig war. Die Vorschrift des § 238 Abs. 3 AO regelt keinen Begründungszwang. Sie enthält lediglich Sollvorschriften (vgl. v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Anm. 17 zu § 238 AO; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 2 am Ende zu § 238). Zwar gehört zum notwendigen Inhalt eines Rechtsbehelfs, daß sich aus ihm ergibt, daß sich der Rechtsbehelfsführer beschwert fühlt und Nachprüfung begehrt (§ 231 AO). Gleichwohl kann aus dieser Vorschrift nicht, wie das FA meint, mittelbar ein Begründungszwang hergeleitet werden. Denn sie verlangt nur die Geltendmachung einer förmlichen Beschwer, nicht wie die Vorschrift des § 40 Abs. 2 FGO die Geltendmachung einer Rechtsverletzung. Darin, daß sich der Rechtsbehelfsführer gegen eine ihrem Inhalt nach ihn belastende Verfügung wendet, liegt bereits die Geltendmachung einer Beschwer im Sinne des § 231 AO. Unterläßt es der Rechtsbehelfsführer, Tatsachen vorzutragen, aus denen sich eine sachliche Beschwer ergibt, so bleibt die Behörde grundsätzlich zur Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verpflichtet (§ 248 Abs. 2 Satz 1 AO), wenngleich in eingeschränktem Umfang (vgl. BFH-Urteile IV 400/58 vom 26. Januar 1961, StRK, Reichsabgabenordnung, § 243, Rechtsspruch 26; III 25/65 U vom 30. April 1965, BFH 82, 603, BStBl III 1965, 464, unter I). Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung ist der Rechtsbehelf als unbegründet zurückzuweisen, nicht jedoch als unzulässig zu verwerfen. Zur Frage der Auslegung des § 40 Abs. 2 FGO hat der Senat hier nicht Stellung zu nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 70263 |
BStBl II 1973, 120 |