Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Stpfl. mit Wohnsitz in Berlin (Ost), der in Berlin (West) ein Gewerbe betreibt, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Berlin (West), wenn er zum übernachten regelmäßig nach Berlin (Ost) zurückkehrt.
Normenkette
EStG § 1; StAnpG §§ 13, 14 Abs. 1
Gründe
Die Revision ist nicht begründet. Das VG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Stpfl. im Streitjahr beschränkt steuerpflichtig war ...
Das VG hat entgegen der Meinung des Stpfl. ausdrücklich die beiden Tatbestandsmerkmale "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" als alternativ gleichwertige Voraussetzungen der begehrten unbeschränkten Steuerpflicht behandelt. Eine unbeschränkte Steuerpflicht hat das VG indessen mit Recht verneint, weil der Stpfl. im Streitjahr weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) und in Berlin (West), sondern sowohl den alleinigen Wohnsitz als auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem zum einkommensteuerrechtlichen Inland gehörenden Berlin (Ost) als einem Gebiet hatte, in dem Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich des GG oder in Berlin (West) als beschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden (§ 1 Abs. 3 EStG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 EStG). Er steht damit steuerlich einer natürlichen Person gleich, die mit ihren inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig ist, weil sie im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Daß der Stpfl. seinen einzigen Wohnsitz in Berlin (Ost) trotz der besonderen Verhältnisse in Berlin steuerlich gelten lassen muß, hat das VG in Würdigung der örtlichen und zeitlichen Umstände rechtsfehlerfrei bejaht.
Es hat auch zu Recht die Voraussetzungen des gewöhnlichen Aufenthalts in Berlin (West) verneint: Nach der in § 14 StAnpG gegebenen Bestimmung dieses in § 1 EStG verwandten Begriffs hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Angesichts dieser dehnbaren Begriffsbestimmung läßt sich nicht allgemeingültig sagen, wo das vorübergehende Verweilen aufhört und der ständige (= gewöhnliche) Aufenthalt beginnt. Die Abgrenzung ist nach dem Gesamtbild der Umstände des Einzelfalls zu treffen. Da ein Steuerpflichtiger zwar mehrere Wohnsitze, aber nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann (vgl. § 13 StAnpG "einen Wohnsitz", § 14 StAnpG "den gewöhnlichen Aufenthalt"; so auch Gutachten des RFH Gr. S. D 3/40 vom 19. Oktober 1940, Slg. Bd. 49 S. 186; Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 1 Anm. 7; Grass in Hartmann-Böttcher, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 1 Anm. 6; a. A. Becker- Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, § 14 Anm. 8), mußte sich die Vorinstanz zwischen Berlin (West) und Berlin (Ost) als dem gewöhnlichen Aufenthalt des Stpfl. entscheiden. Wenn die Vorinstanz keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin (West) angenommen hat, so ist dem aus folgenden Gründen beizustimmen: Zwar ist es richtig, daß der Stpfl. mit Berlin (West) durch seine dort befindliche wirtschaftliche Existenzgrundlage beruflich und zeitlich in besonderer Weise verbunden war. Dieser Umstand tritt jedoch zurück gegenüber der stärkeren persönlichen und familiären Bindung zu Berlin (Ost), die sich tatsächlich - unbeschadet der politischen Gesinnung des Stpfl. - darin äußerte, daß der Stpfl. nach Geschäftsschluß in Berlin (West) regelmäßig zu seiner Familie in die in Berlin (Ost) gelegene Wohnung zurückkehrte. Die Anwesenheit des Stpfl. in Berlin (West) nur während des Tages genügt nicht, um dort einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Steuerrechts zu begründen (so auch Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 1 Anm. 15 für die rechtsähnlich liegenden Inland / Ausland-Fälle). Das gefundene Ergebnis wird bestätigt durch die Rechtsprechung des VI. Senats des BFH betreffend die Steuerpflicht der sog. Grenzgänger. Diese Fälle sind mit dem Streitfall insofern rechtlich vergleichbar, als der Gesetzgeber in § 1 EStG die innerdeutschen Ost / West-Fälle steuerrechtlich im wesentlichen wie Inland - Ausland-Fälle behandelt. Nach dem Urteil des BFH VI 334/63 U vom 5. Februar 1965 (BStBl 1965 III S. 352, Slg. Bd. 82 S. 290) haben Grenzgänger, d. h. Personen, die sich an jedem Arbeitstag von ihrem Wohnort über die Grenze an ihre Arbeitsstätte begeben und nach Arbeitsschluß täglich wieder in ihren Wohnort zurückkehren (vgl. Urteil des BFH VI 119/61 U vom 1. März 1963, BStBl 1963 III S. 212, Slg. Bd. 76 S. 580), im Inland nicht schon deswegen ihren gewöhnlichen Aufenthalt, weil sie sich während der Arbeitszeit im Inland aufhalten.
Fundstellen
BStBl III 1966, 522 |
BFHE 1966, 540 |
BFHE 85, 540 |
StRK, EStG:1 R 8 |