Leitsatz (amtlich)
Prozeßkosten, die Eltern aufwenden, um für ihre Kinder einen Studienplatz in einem Numerus-clausus-Fach zu erstreiten, sind Aufwendungen für die Berufsausbildung i. S. des § 33a Abs. 2 EStG und deshalb keine außergewöhnliche Belastung i. S. des § 33 EStG.
Normenkette
EStG §§ 33, 33a Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) machte bei der Einkommensteuerveranlagung für 1979 Anwaltskosten und Gerichtskosten als außergewöhnliche Belastung geltend, die er aufgewandt hatte, um für seine Söhne A und B im Klagewege die Zulassung zum Studium der Medizin bzw. Zahnmedizin zu erreichen. Der Sohn A ist inzwischen auf richterliche Anordnung hin an der Medizinischen Hochschule in Hannover immatrikuliert, während der Sohn B auf eine spätere Bewerbung hin einen Studienplatz im Fach Zahnmedizin erhalten hat. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen ab.
Mit der Klage trug der Kläger vor, seine Söhne, die die Hochschulreife mit einem Notendurchschnitt von 2,9 erworben hätten, seien zum Medizinstudium nicht zugelassen worden. Nach dem seinerzeit gehandhabten Zulassungsverfahren seien die Durchschnittszahlen vom Bundesminister für Wissenschaft und Forschung festgesetzt worden. Die Hochschulen hätten ihre jährliche Aufnahmekapazität ermittelt; bei der Aufteilung der gemeldeten Studienplätze auf die Bewerber durch die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen seien die Abiturnote und die Wartezeit maßgebend gewesen. Anhand der Bewertungsziffer habe sich errechnen lassen, daß seine Söhne frühestens in etwa sechs Jahren eine Studienzulassung hätten erwarten können. Dieses Zulassungsverfahren, das für seine Söhne praktisch den Ausschluß von dem gewünschten Studium bedeutet habe, sei aber nicht von allen beteiligten Hochschulen korrekt angewandt worden, vielmehr seien zu niedrige Ausbildungskapazitäten errechnet worden. Bei den angestrengten Prozessen habe es sich deshalb um eine reine Abwehrmaßnahme gegen die Zumutung, Unrecht hinzunehmen, gehandelt. Um Erfolg zu haben, hätten mehrere Verfahren betrieben werden müssen, damit die Söhne möglichst oft an den Verlosungen freier Studienplätze hätten teilnehmen können. Die entsprechende Belastung habe ihn, den Kläger, als Unterhaltsverpflichteten getroffen.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 413 veröffentlichten Begründung im wesentlichen folgendes aus: Der Senat neige dazu, eine rechtliche Verpflichtung des Klägers zur Übernahme der angefallenen Prozeßkosten anzunehmen. Die Frage könne jedoch dahingestellt bleiben, da der Kläger jedenfalls aus sittlichen Gründen zur Übernahme der Aufwendungen verpflichtet gewesen sei. Der Senat sei davon überzeugt, daß die Mehrzahl der billig und gerecht denkenden Bürger bei den gegenwärtigen Verhältnissen auf dem Gebiet der Berufsausbildung und dem Arbeitsmarkt eine sittliche Verpflichtung der Eltern gegenüber den Kindern annehme, diesen eine an deren Neigung und Begabung sowie den Berufsaussichten aufgrund der Bedürfnisse der Wirtschaft orientierte Berufsausbildung zu ermöglichen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung materiellen Rechts rügt. Es meint, der Kläger sei zu den Aufwendungen für die Söhne nicht verpflichtet gewesen. Insbesondere bestehe keine rechtliche Verpflichtung zur Übernahme der durch die Prozesse entstandenen Kosten. Zwar seien die Eltern verpflichtet, ihren Kindern die Prozeßführung in lebenswichtigen Angelegenheiten zu ermöglichen. Darum habe es sich hier jedoch nicht gehandelt, da die Söhne die Möglichkeit gehabt hätten, das Studium in einem anderen Fach aufzunehmen. Auch eine sittliche Verpflichtung könne nicht bejaht werden, vielmehr würde die Mehrzahl der billig und gerecht Denkenden das Verhalten des Klägers allenfalls als großzügig billigen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Prozeßkosten für die Studienzulassung der Söhne sind beim Kläger keine außergewöhnliche Belastung i. S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Aufwendungen außergewöhnlich sind und ob eine entsprechende rechtliche oder sittliche Verpflichtung des Klägers i. S. des § 33 Abs. 2 EStG bejaht werden müßte. Denn die Anwendung des § 33 EStG ist durch § 33a Abs. 5 EStG ausgeschlossen, weil es sich um Aufwendungen für die Berufsausbildung der Kinder i. S. des § 33a Abs. 2 EStG handelt.
1. Der Begriff der Berufsausbildung i. S. des § 33a Abs. 1 und 2 EStG ist weit, was sich schon daraus ergibt, daß er z. B. die gesamte Schulbildung mitumfaßt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1961 VI 182/60 U, BFHE 72, 436, BStBl III 1961, 160 ). Berufsausbildung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn das Kind des Steuerpflichtigen nach Schulabschluß und der dadurch erlangten Hochschulreife ein Erststudium der Medizin oder Zahnmedizin absolviert. Zu den Aufwendungen für die Berufsausbildung gehören ferner vorab entstandene Aufwendungen, die vom Steuerpflichtigen zu dem Zweck getätigt werden, dem Kind die von ihm gewünschte Art der Berufsausbildung zu ermöglichen. Als Kosten dieser Art sind die hier streitigen Gerichts- und Anwaltskosten zu qualifizieren, weil der Kläger sie aufgewandt hat, um seinen beiden Söhnen im Klagewege die Zulassung zum Studium zu erstreiten.
2. Entgegen der Auffassung des FG ist die Anwendbarkeit des § 33 EStG neben § 33a Abs. 2 EStG nicht deshalb zu bejahen, weil es sich bei den Prozeßkosten nicht um typische Kosten der Ausbildung handelt. Zwar hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß § 33a Abs. 5 EStG die Anwendung des § 33 EStG neben § 33a Abs. 1 EStG hinsichtlich der Unterhaltskosten nur insoweit ausschließt, als es sich um typische Kosten des Lebensunterhalts handelt, außergewöhnliche Unterhaltskosten, etwa Krankheitskosten und Ausstattungs- bzw. Aussteueraufwendungen jedoch als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG angesehen werden können (vgl. z. B. Urteil vom 28. April 1978 VI R 145/75, BFHE 125, 167, BStBl II 1978, 456 ). Die Kosten einer angemessenen Berufsausbildung gehören jedoch - bürgerlich-rechtlich nach § 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - zu den Unterhaltskosten, ihre besondere Erwähnung in § 33a Abs. 1 und die Regelung in § 33a Abs. 2 EStG stellen deshalb bereits eine speziellere Regelung dar als die für die Unterhaltskosten in § 33a Abs. 1 EStG. Wenn der Gesetzgeber die Berücksichtigung der Berufsausbildungskosten trotzdem auf Pauschbeträge beschränkt hat, so zeigt dies den Willen zur Pauschalierung und Typisierung der in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten. Der Senat kann die Frage, ob im Bereich der Berufsausbildungskosten überhaupt die Möglichkeit besteht, auf § 33 EStG zurückzugreifen, offenlassen. Jedenfalls sind die hier entstandenen Kosten ihrer Art nach nicht so ungewöhnlich, daß sie aus dem Rahmen der durch die Pauschbeträge abgegoltenen Ausbildungskosten fallen würden. Denn die im Zusammenhang mit der Berufsausbildung und ihrer Vorbereitung entstehenden Kosten sind vielfältiger Art. Das hängt schon mit den verschiedenen Ausbildungsgängen und den häufig begrenzten Möglichkeiten ihrer Verwirklichung zusammen. So können erhöhte Kosten bei allen Ausbildungsgängen entstehen, denen ein besonderes Bewerbungs- oder Auswahlverfahren vorgeschaltet ist, oder immer dann, wenn die Ausbildung zu dem gewählten Beruf nur in einem weit entfernten Ort, möglicherweise gar im Ausland, in Betracht kommt. Von Kosten dieser Art sind die durch die Zulassungsbeschränkungen in bestimmten Studienfächern verursachten erhöhten Aufwendungen nicht völlig verschieden. Sie sind deshalb von der Typisierung und Pauschalierung in § 33a Abs. 1 und 2 EStG mitumfaßt.
3. Das Urteil des FG ist aufzuheben, da die Vorinstanz von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist. Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Sache an das FG zurückzuverweisen. Dieses wird zu prüfen haben, ob dem Kläger für die streitigen Aufwendungen Freibeträge nach § 33a Abs. 2 EStG zu gewähren sind.
Fundstellen
Haufe-Index 426075 |
BStBl II 1985, 135 |
BFHE 1985, 450 |
NJW 1985, 1725 |