Leitsatz (amtlich)
Bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens kann weder eine Rücklage für Ersatzbeschaffung im Sinne des Abschn. 35 EStR noch eine nach § 6b EStG gebildete Rücklage als Schuldposten abgezogen werden.
Normenkette
BewG 1965 § 103 Abs. 1; EStG § 6b; EStR Abschn. 35
Tatbestand
Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) ließ bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer AG, auf den 1. Januar 1968 durch den Bescheid vom 22. Mai 1970 eine in der Steuerbilanz gebildete Rücklage in Höhe von 244 158 DM nicht als Schuldposten zum Abzug zu. Die Bildung dieser Rücklage war anläßlich einer Betriebsprüfung für die Ertragsteuern vom FA im Ergebnis in vollem Umfang anerkannt worden. Dabei blieb die Frage, ob die Veräußerung der Wirtschaftsgüter auf Ereignisse zurückzuführen sei, die zur Bildung einer Rückstellung für Ersatzbeschaffung im Sinne des Abschn. 35 EStR berechtigten, offen, weil zugleich die Voraussetzungen für die Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG gegeben seien. Aus demselben Grunde beanstandete das FA auch nicht, daß für ein veräußertes Wohngebäude von vornherein nicht geplant gewesen war, ein Ersatzwirtschaftsgut anzuschaffen oder herzustellen, und daß der auf eine Garage und einen Lagerschuppen entfallende Teil der Rücklage nicht auf die 1968 hergestellten Ersatzwirtschaftsgüter, sondern auf ebenfalls 1968 hergestellte maschinelle Anlagen übertragen worden war. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Klage wurde abgewiesen.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, das FA zu verurteilen, einen geänderten Einheitswertbescheid zu erlassen, der davon ausgehe, daß die ertragsteuerlich gebildete Rücklage für Ersatzbeschaffung nach Abschn. 35 EStR in Höhe von 244 158 DM für die Ermittlung des Einheitswerts als Schuldposten abgezogen werde. Es wird Verletzung des § 103 BewG 1965 gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Bei der Rücklage für Ersatzbeschaffung handele es sich ebenso wie bei der Rücklage nach § 6b EStG um einen "Sonderposten mit Rücklageanteil". Hierunter seien nach § 152 Abs. 5 AktG Posten zu verstehen, die aufgrund steuerlicher Vorschriften erst bei der Auflösung zu versteuern seien. Diese Posten stellten nicht, wie z. B. die gesetzliche Rücklage oder die sonstigen offenen Rücklagen einer AG Eigenkapital dar, sondern seien Mischposten mit Fremdkapitalanteil, da sie bei ihrer Auflösung der normalen Ertragsbesteuerung unterlägen. Es handele sich um Rücklagen zur Deckung noch nicht entstandener Verbindlichkeiten. Die gleichen Gesichtspunkte, die für das Ertragsteuerrecht zu einem Verzicht auf die Besteuerung von durch höhere Gewalt oder Zwang realisierten stillen Reserven geführt hätten, wenn innerhalb bestimmter Zeit eine Reinvestition erfolge, gälten auch für die Erhebung der Vermögensteuer; denn auch das Vermögen werde durch die zwangsweise Auflösung der stillen Reserven nur für einen Übergangszeitraum erhöht. Deshalb seien Rössler-Troll (Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., Anm. 9 zu § 103 BewG) mit Recht der Auffassung, daß man dazu kommen sollte, unter denselben Voraussetzungen wie in Abschn. 35 EStR den Wert der alten Wirtschaftsgüter weiterzuführen oder eine Rücklage in Höhe des Differenzbetrages zwischen diesem Wert und dem Wert des Entschädigungsanspruchs anzuerkennen. Es entstehe sonst eine unbillige Härte im Sinne des § 131 AO, von der angenommen werden müsse, daß sie der Gesetzgeber nicht habe in Kauf nehmen wollen. Im vorliegenden Fall müsse deshalb die Rücklage zumindest teilweise abzugsfähig sein, nämlich insoweit, als die Bildung einer solchen Rücklage als zulässig anzusehen sei. Eine drohende Enteignung sei ein durchaus ausreichender Grund für die Bildung der Rücklage für Ersatzbeschaffung. Dabei spiele es keine Rolle, daß diese Frage bei der Betriebsprüfung offengeblieben sei. Außerdem sei jedoch auch eine Rücklage nach § 6b EStG entsprechend dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift als abzugsfähige Betriebsschuld anzusehen. Es widerspreche der in der Begründung zum Entwurf dieser Vorschrift ausgesprochenen steuerpolitischen Zielsetzung, wenn ein Steuerpflichtiger, der Veräußerungen vornehme und eine steuerfreie Rücklage nach § 6b EStG bilde, in Höhe der hierbei aufgedeckten Reserven zur Vermögensteuer herangezogen werden würde. Er würde sogar schlechterstehen als ein Steuerpflichtiger, der keine steuerfreie Rücklage gebildet habe, da diesem Steuerpflichtigen in jedem Fall auch vermögensteuerlich die Abzugsfähigkeit der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Ertragsteuern zugestanden werden müsse.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Als Betriebsschulden können gemäß § 103 Abs. 1 BewG 1965 nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur solche Beträge abgezogen werden, zu deren Erfüllung am Stichtag eine rechtliche Verpflichtung besteht und die außerdem am Stichtag für den Schuldner eine ernsthafte wirtschaftliche Belastung sind. Diese Auffassung hat der Senat auch schon für eine Rücklage für Ersatzbeschaffung in dem von Rössler-Troll (a. a. O.) zitierten nicht veröffentlichten Urteil III R 121/67 vom 14. November 1969 vertreten.
Das FG hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen bei der Rücklage, die die Klägerin bei der Einheitsbewertung ihres Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1968 abgezogen haben will, mit Recht verneint. Dabei ist es nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei dieser Rücklage um eine steuerfreie Rücklage für Ersatzbeschaffung im Sinne des Abschn. 35 EStR oder um eine Rücklage im Sinne des § 6b EStG handelt. Es kommt auch nicht darauf an, ob diese Rücklage nach den Vorschriften des AktG teilweise Fremdkapitalcharakter hat. Entscheidend ist, daß es sich, wie auch die Klägerin einräumt, um Rücklagen "zur Deckung noch nicht entstandener Verbindlichkeiten" handelt. Denn allein der Umstand, daß dieser Rücklage keine am Stichtag bestehende rechtsverbindliche Verpflichtung zugrunde liegt, steht, wie eingangs dargelegt, dem Abzug dieser Rücklage als Betriebsschuld nach § 103 Abs. 1 BewG 1965 entgegen. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Fall des Urteils III R 31/68 vom 26. Februar 1971 (BFH 102, 94, BStBl II 1971, 452), in dem der Senat zwar auch die gebildete Rücklage für Ersatzbeschaffung nicht anerkannt, aber den Abzug eines Schuldpostens wegen der von dem Steuerpflichtigen vertraglich übernommenen Verpflichtung zugelassen hat, für das zur Vermeidung der Enteignung an die Gemeinde veräußerte Grundstück innerhalb einer bestimmten Frist einen Ersatzbau auf einem Tauschgrundstück nach dem Bebauungsplan der Gemeinde zu errichten.
Die Klägerin beruft sich für ihre gegenteilige Auffassung zu Unrecht auf die Ausführungen von Rössler-Troll (a. a. O.). Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß auch diese Kommentatoren derartige Rücklagen bewertungsrechtlich nicht für zulässig erachten. Sie befürworten allerdings, wenigstens bei der Rücklage für Ersatzbeschaffung in den Fällen einer durch höhere Gewalt erzwungenen Veräußerung von Wirtschaftsgütern, daß der Gesetzgeber auch für das Bewertungsrecht eine solche Regelung treffen möge. Solange das jedoch noch nicht geschehen ist, kann eine derartige Rücklage nicht zum Abzug zugelassen werden. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß Gesichtspunkte der Billigkeit bei der Auslegung des Gesetzes auszuscheiden haben. Abgesehen davon liegt eine unbillige Härte, die zu einer Billigkeitsmaßnahme wegen sachlicher Unbilligkeit einer gesetzlichen Regelung führen könnte, nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn eindeutig feststeht, daß das Gesetz eine Lücke enthält, die der Gesetzgeber nicht erkannt hat und die er im Sinne der erstrebten Billigkeitsmaßnahme geregelt haben würde, wenn er sie erkannt hätte. Davon kann hier keine Rede sein. Das Gegenteil ergibt sich gerade aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber bei Einführung des § 6b EStG nicht angeordnet hat, daß diese Rücklage auch nicht der Vermögensteuer unterworfen werden solle, wie er es in anderen Fällen, z. B. bei der Rücklage nach § 5 des Gesetzes zur Förderung der Verwendung von Steinkohle in Kraftwerken vom 12. August 1965 (BGBl I 1965, 777) und nach § 7 Abs. 3 des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes 1968 (BGBl I 1968, 217) getan hat. Es ist schließlich auch nicht richtig, daß bei einem Nichtabzug der Rücklage nur fiktives, tatsächlich nicht vorhandenes Vermögen versteuert wird. Durch den Zufluß des Veräußerungspreises ist das Vermögen am Stichtag tatsächlich erhöht worden. Dies am Stichtag vorhandene Geldvermögen ist nach den dafür im BewG vorgeschriebenen Bewertungsmaßstäben zu bewerten. Daß sich insbesondere bei einer Umschichtung von Grund- in Geldvermögen höhere Werte ergeben, ist eine Folge der unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe für diese beiden Vermögensarten, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die vom BVerfG gebilligt ist, auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 70256 |
BStBl II 1973, 107 |
BFHE 1973, 397 |