Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung als Zweifamilienhaus bei fehlender Baugenehmigung für die zweite Wohnung
Leitsatz (NV)
Für die Anerkennung einer Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne ist nicht entscheidend, ob sie ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet wurde und damit formell baurechtswidrig ist, sondern ob das Bauwerk nach den bauordnungsrechtlichen Vorschriften zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet und deshalb genehmigungsfähig ist. Die Klärung dieser Frage fällt in die Zuständigkeit der örtlichen Baubehörde.
Normenkette
BewG §§ 2, 75 Abs. 5-6
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine frühere Ehefrau erwarben im Juni 1981 das Grundstück A-Straße in Berlin je zur Hälfte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hat daraufhin das Grundstück, das mit einem als Hauptgebäude bezeichneten Wohngebäude sowie einem als Nebengebäude bezeichneten Gartenhaus bebaut und als Einfamilienhaus bewertet worden war, dem Kläger und seiner Ehefrau durch Bescheid vom 7. August 1981 auf den 1. Januar 1982 zugerechnet. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1982 beantragten der Kläger und seine Ehefrau, rückwirkend auf den 1. Januar 1982 die Grundstücksart Zweifamilienhaus festzustellen, da im Herbst 1981 in der Küche im Obergeschoß des Gartenhauses ein Herd installiert worden sei und somit sowohl das Hauptgebäude als auch das Gartenhaus eine abgeschlossene Wohnung enthielten. Das FA lehnte die beantragte Artfortschreibung ab. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Die hiergegen gerichtete Klage, mit der der Kläger beantragt hatte, das FA zur Artfortschreibung zum Zweifamilienhaus zu verpflichten, hat das Finanzgericht (FG), das die frühere Ehefrau des Klägers als damalige Miteigentümerin zum Verfahren notwendig beigeladen hatte, als unbegründet abgewiesen.
Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß das Gartenhaus keine Wohnung enthalte. Zwar bildeten die Räume im Dachgeschoß des Gartenhauses eine in sich abgeschlossene Wohneinheit mit eigenem Zugang und den erforderlichen Nebenräumen (Kochgelegenheit, Bad bzw. Dusche und Toilette), so daß insoweit die vom Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 5. Oktober 1984 III R 192/85 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) für das Vorliegen einer Wohnung geforderten Voraussetzungen erfüllt wären. Doch seien die Räume im Dachgeschoß baurechtlich nicht zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet. Denn sie entsprächen nicht den materiell- rechtlichen Bauvorschriften der Bauordnung für Berlin (BauO Bln) in der am Bewertungsstichtag geltenden Fassung vom 1. Juli 1979 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin -- GVBl Bln -- 1979, 898 f.), die eine lichte Raumhöhe von mindestens 2,50 m forderten (§62 Abs. 5 BauO Bln); dies gelte auch für die ins Dachgeschoß führende Treppe, deren zulässige Stufenhöhe nach §3 BauO Bln i. V. m. den einschlägigen DIN- Vorschriften 18064 und 18065 überschritten worden sei. Da dem Kläger weder eine Genehmigung für den Dachausbau und dessen Nutzung zu Wohnzwecken auf den 1. Januar 1982 erteilt worden sei noch eine Bewilligung des Bauamts vorliege, nach der die Aufenthaltsräume im Dachgeschoß nur über eine lichte Höhe von 2,30 m verfügen müssen, sei es im übrigen nicht entscheidungserheblich, ob das zuständige Bauamt die Treppengestaltung beanstanden werde. Soweit der Kläger die Baugenehmigung rückwirkend auf den 1. Januar 1982 beantragen wolle, sei eine entsprechende Bescheinigung wegen des im Bewertungsrecht maßgebenden Stichtagsprinzips nur dann erheblich, wenn das baurechtliche Antragsverfahren noch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Gebäudeerrichtung bzw. dessen Ausbau stehe.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht zur Begründung seiner Revision im wesentlichen geltend, daß das FG nicht die Entscheidung des zuständigen Bezirksamts zur Frage der baurechtlichen Genehmigung der Wohnung im Gartenhaus abgewartet, sondern aufgrund eigener Feststellungen die Wohnung als nicht genehmigungsfähig angesehen habe. Inzwischen lägen sowohl die nachträglich beantragte, aber rückwirkende Baugenehmigung vom 30. Januar 1995 als auch das Abnahmeprotokoll über die am 10. März 1995 beanstandungsfrei erfolgte Schlußabnahme vor, der die seit dem Eigentumswechsel im Jahre 1981 bekannten Gegebenheiten zugrunde lägen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das FG das Vorliegen einer Wohnung i. S. des §75 Abs. 5 und 6 des Bewertungsgesetzes (BewG) vom Vorhandensein einer Baugenehmigung abhängig gemacht und die Frage der Genehmigungsfähigkeit der vorgenommenen Umbauten ohne Rücksicht auf die Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde selbst geprüft hat.
Die vom Kläger auf den 1. Januar 1982 begehrte Bewertung seines Grundstücks als Zweifamilienhaus setzt gemäß §75 Abs. 6 BewG voraus, daß das Grundstück zu diesem Stichtag zwei Wohnungen enthalten hat. Für den Streitfall kommt es mithin entscheidend darauf an, ob -- neben der im Wohngebäude (Hauptgebäude) unstreitig vorhandenen Wohnung -- auch die Zusammenfassung der Räume im Dachgeschoß des Gartenhauses eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne darstellt und ob, falls diese Frage zu bejahen ist, Wohngebäude und Gartenhaus eine wirtschaftliche Einheit i. S. des §2 BewG bilden.
Zutreffend hat die Vorinstanz zwar darauf hingewiesen, daß neben den im Streitfall vom FG bejahten allgemeinen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wohnung nach der Rechtsprechung des BFH (s. Urteil vom 24. April 1991 II R 2/89, BFHE 164, 455, BStBl II 1991, 683) eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne in der Regel nur vorliegt, wenn sie auch baurechtlich zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet ist; dabei stehe diese Entscheidung nach der maßgebenden Bauordnung den Baubehörden bzw. den Verwaltungsgerichten zu, so daß die FG im Rahmen der Einheitsbewertung grundsätzlich keine baurechtlichen Fragen zu entscheiden hätten. Doch hat die Vorinstanz entgegen dieser Aussage im Streitfall in eigener Zuständigkeit geprüft, ob die Räume der Dachgeschoßwohnung im Gartenhaus bezüglich der vorgeschriebenen lichten Höhe sowie die zur Dachgeschoßwohnung führende Treppe bezüglich der Stufenhöhe den materiell-rechtlichen Bauvorschriften des §62 Abs. 5 BauO Bln sowie §3 BauO Bln i. V. m. den DIN-Vorschriften 18064 und 18065 entsprechen, und diese Frage verneint. Hierzu war das FG nach der Senatsentscheidung in BFHE 164, 455, BStBl II 1991, 683 auch nicht deshalb befugt, weil im Streitfall eine vorherige Rückfrage beim zuständigen Bauamt ergeben hatte, daß eine Baugenehmigung für den Ausbau des Dachgeschosses des Gartenhauses nicht vorläge. Denn entscheidend ist nicht, ob ein (genehmigungspflichtiges) Bauwerk ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet wurde und damit formell baurechtswidrig ist, sondern ob das Bauwerk wegen Verletzung bauordnungsrechtlicher Vorschriften nicht zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet und deshalb nicht genehmigungsfähig ist. Da die Klärung dieser Frage in die Zuständigkeit der örtlichen Baubehörde bzw. des Verwaltungsgerichts fällt, hätte die Vorinstanz vor einer Entscheidung -- ggf. unter gleichzeitiger Aussetzung des Verfahrens gemäß §74 FGO -- klären müssen, ob die zuständige Baubehörde die vom Kläger beantragte Baugenehmigung bezüglich des 1981 zu Wohnzwecken umgebauten Dachgeschosses des Gartenhauses erteilen wird und hieraus auf die Genehmigungsfähigkeit der Dachgeschoßwohnung zum Stichtag 1. Januar 1982 zu schließen ist.
2. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um die Frage der baurechtlichen Genehmigungsfähigkeit der Dachgeschoßräume und deren Eignung zum dauernden Aufenthalt von Menschen abschließend beurteilen zu können. Die Sache wird deshalb zur Klärung dieser Frage und zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Den neuen Tatsachenvortrag des Klägers im Revisionsverfahren zur nachträglich erteilten Baugenehmigung sowie zur Schlußabnahme kann der BFH nicht berücksichtigen.
Führt die erneute Verhandlung der Sache nach Klärung der Frage der baurechtlichen Genehmigungsfähigkeit zur Anerkennung der im Dachgeschoß des Gartenhauses vorhandenen Raumeinheit als Wohnung, ist die vom Kläger begehrte Artfortschreibung jedoch nur unter der Voraussetzung gerechtfertigt, daß das gesamte Grundstück als eine wirtschaftliche Einheit i. S. des §2 BewG anzusehen ist.
Zwar bilden Nebengebäude (z. B. Garagen) mit dem Hauptgebäude regelmäßig eine wirtschaftliche Einheit (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 17. Aufl., §70 BewG Anm. 25). Doch schließt dies nicht aus, daß das ursprünglich zur Nutzung als Gartenhaus bestimmte Gebäude mit dem Einbau einer Wohnung, falls diese auch bewertungsrechtlich anzuerkennen ist, den Charakter eines Nebengebäudes verliert und wegen der räumlichen Entfernung zum Hauptgebäude, eines eigenen Zugangs sowie der selbständigen Veräußerbarkeit (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 28. April 1993 II S 6/93, BFH/NV 1993, 642, sowie Senatsurteile vom 14. Februar 1990 II R 2/87, BFH/NV 1991, 798, und vom 26. Februar 1986 II R 236/83, BFH/NV 1987, 366, m. w. N.) möglicherweise als selbständige wirtschaftliche Einheit und damit -- neben dem Hauptgebäude -- als (zweites) Einfamilienhaus zu beurteilen ist. Auch insoweit bedarf die Rechtssache einer erneuten Überprüfung durch das FG.
Fundstellen
Haufe-Index 66666 |
BFH/NV 1998, 687 |
DStRE 1998, 399 |
DStZ 1998, 521 |
HFR 1998, 543 |