Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollständiger Gesellschafterwechsel bei einer GbR: Identität der Gesellschaft, Grunderwerbsteuerpflicht der Abtretung der Anteile einer Grundstücks-GbR, Bekanntgabe der Grunderwerbsteuerbescheide
Leitsatz (amtlich)
1. Die gleichzeitige Auswechslung aller Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch Abtretung der Gesellschaftsanteile berührt den Fortbestand (die Identität) der Gesellschaft nicht. Hieran ändert nichts, daß dieser Vorgang der Grunderwerbsteuer unterliegt.
2. Die Gesellschaft bleibt in ihrer jeweiligen Zusammensetzung Schuldnerin der Grunderwerbsteuer, die infolge der Einbringung eines Grundstücks unter der gleichzeitigen Vereinbarung des Ausscheidens des einbringenden Gesellschafters entstanden ist. Der an die Gesellschaft gerichtete Grunderwerbsteuerbescheid kann wirksam nur den im Zeitpunkt der Bekanntgabe vertretungsberechtigten Personen bekanntgegeben werden.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1 S. 1, § 157 Abs. 1 S. 2, § 42; BGB §§ 709-710; GrEStG BY § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 19. März 1982 gründeten Frau E und die A-GmbH u. Co. KG (A) eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Als Gesellschafterbeitrag brachte Frau E das ihr gehörende Mietwohngrundstück in X, Y-Straße, ein; die A übernahm insbesondere die mit der Gesellschaftsgründung zusammenhängenden Kosten und verpflichtete sich, an Frau E einen Betrag von 22 500 DM zur Abgeltung des auf die A entfallenden Anteils an dem zum Gesellschaftsvermögen eingebrachten Grundstück zu zahlen. Danach waren Frau E mit 95 v.H., die A mit 5 v.H. am Gesellschaftsvermögen sowie am Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt. Zweck der Gesellschaft war die Verwaltung und Verwertung des Grundstücks.
Ebenfalls am 19. März 1982 machte Frau E der B-KG (B) zu notarieller Urkunde das bis zum 30. Juni 1982 befristete, unwiderrufliche Angebot, ihr den Gesellschaftsanteil von 95 v.H. an der o.g. Gesellschaft zu einem Kaufpreis von 427 500 DM zu übertragen. Dieses Angebot nahm die B mit notarieller Urkunde vom 7. Juni 1982 an. Damit schied Frau E aus der Gesellschaft aus; Gesellschafter waren nunmehr die A mit einem Anteil von 5 v.H. und die B mit einem Anteil von 95 v.H. am Gesellschaftsvermögen.
Mit notariell beurkundeten Verträgen vom 15. Juni 1982 veräußerten und übertrugen die A ihren Gesellschaftsanteil von 5 v.H. an die C-GmbH, die B ihren Anteil von 95 v.H. an die D-GmbH zu einem Gesamtkaufpreis von 630 000 DM. Am 14. März 1985 erwarben Herr und Frau F die Gesellschaftsanteile.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ zunächst am 5. Juli 1982 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung einen an die E-A-GmbH u. Co. KG --GbR-- gerichteten Grunderwerbsteuerbescheid, durch den er die Grunderwerbsteuer für den Erwerb des Grundstücks Y-Straße durch den Vertrag vom 19. März 1982 von Frau E nach einer Bemessungsgrundlage von 22 500 DM festsetzte. Den weiteren Betrag von 427 500 DM ließ das FA gemäß § 5 Abs.2 des Grunderwerbsteuergesetzes des Landes Bayern i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. Juni 1977 --GrEStG BY-- (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt --GVBl BY-- S.406) entsprechend der Beteiligung von 95 v.H. der früheren Eigentümerin an der Gesellschaft unerhoben. Am 21. September 1983 setzte das FA die Grunderwerbsteuer gegen die o.g. GbR durch Änderungsbescheid (§ 164 Abs.2 der Abgabenordnung --AO 1977--) nach einer Bemessungsgrundlage von 450 000 DM auf (einschließlich Zuschlag) 31 500 DM fest; § 5 Abs.2 GrEStG BY sei nicht anwendbar, weil gleichzeitig mit dem Abschluß des Grundstückseinbringungsvertrages das Ausscheiden von Frau E aus der Gesellschaft vereinbart worden sei (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Oktober 1982 II R 92/80, BFHE 137, 87, BStBl II 1983, 138). Hiergegen legte die GbR (bestehend aus E und A) durch ihren Bevollmächtigten Einspruch ein.
Am 17. Dezember 1986 erließ das FA für den durch den Vertrag vom 19. März 1982 i.V.m. dem Angebot vom 19. März und dessen Annahme vom 7. Juni 1982 gekennzeichneten Rechtsvorgang einen an die GbR bestehend aus A und B gerichteten Bescheid über (einschließlich Zuschlag) 31 500 DM Grunderwerbsteuer. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid heißt es u.a.: "Der Einspruch vom 20.10.1983 gegen den Bescheid vom 21.9.1983 richtet sich auch gegen diesen Bescheid. Das Einspruchsverfahren ruht nach § 363 Abs.2 AO."
Durch Entscheidung vom 9. Januar 1991 wies das FA den Einspruch der Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit den Gesellschaftern A und B als unbegründet zurück. Die Klage, mit der die GbR in der zuletzt genannten Zusammensetzung die Aufhebung der Grunderwerbsteuerbescheide vom 21. September 1983 und vom 17. Dezember 1986 sowie der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 1991 begehrte, hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß die Grunderwerbsteuerbescheide vom 21. September 1983 und vom 17. Dezember 1986 falsch adressiert gewesen und daher unwirksam seien, denn in dem Zeitpunkt, in dem diese Bescheide ergingen, seien A und B nicht mehr Gesellschafter der GbR gewesen, da die Gesellschaftsanteile kurz nach der Annahme des Angebots durch die B am 7. Juni 1982 auf zwei andere Gesellschafter übertragen worden seien.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie die Grunderwerbsteuerbescheide vom 21. September 1983 und vom 17. Dezember 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 1991 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Auf die Revision der Klägerin sind das Urteil des Finanzgerichts (FG), die Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 1991 sowie die Grunderwerbsteuerbescheide vom 21. September 1983 und 17. Dezember 1986 aufzuheben.
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben.
a) Nach Auffassung des FG hat das FA die infolge der Einbringung des Grundstücks in die GbR gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG BY (= § 1 Abs.1 GrEStG 1983) entstandene Grunderwerbsteuer zu Recht gegen die GbR mit den Gesellschaftern A und B festgesetzt. Diese und nicht die GbR in den Zusammensetzungen, die sie durch die nachfolgenden vollständigen Gesellschafterauswechselungen gemäß den Vereinbarungen von 15. Juni 1982 sowie vom 14. März 1985 erfahren habe, sei die richtige Steuerschuldnerin. Die materiell-rechtliche Behandlung des vollständigen Gesellschafterwechsels bei der Grunderwerbsteuer als Verkauf des Grundstücks (§ 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG i.V.m. § 42 AO 1977) sei auch in formell rechtlicher Hinsicht von Bedeutung und führe dazu, daß trotz der zivilrechtlich fortbestehenden Identität der Gesellschaft bei einem vollständigen grunderwerbsteuerpflichtigen Wechsel aller Gesellschafter die GbR bestehend aus den Neugesellschaftern mit den zuvor von der Gesellschaft bestehend aus den Altgesellschaftern verwirklichten Erwerbsvorgängen auch verfahrensrechtlich nichts mehr zu tun habe. Auch wenn durch die Auswechselung aller Gesellschafter zivilrechtlich die Identität einer GbR grundsätzlich gewahrt bleibe, werde grunderwerbsteuerrechtlich der vollständige und steuerpflichtige Austausch aller Gesellschafter als Veräußerung des Grundstücks von der GbR der Altgesellschafter an die GbR der Neugesellschafter behandelt und damit von der "Nichtidentität" der Gesellschaften ausgegangen. Dies sei auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu beachten.
b) Dem folgt der Senat nicht. Der Fortbestand einer Personengesellschaft bei Änderungen im Gesellschafterbestand richtet sich nach zivilrechtlichen Grundsätzen. Vollziehen sich bei einer Zwei-Mann-Gesellschaft das Ausscheiden eines der Gesellschafter und der Eintritt eines anderen Gesellschafters --mit Zustimmung des verbleibenden Gesellschafters-- durch Übertragung (Abtretung) des Gesellschaftsanteils, so bleibt die Gesellschaft bestehen. Der neu Eintretende setzt als Rechtsnachfolger des ausscheidenden Gesellschafters das Gesellschaftsverhältnis fort (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 7. Dezember 1972 II ZR 98/70, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1973, 328, 329; BFH-Urteil vom 1. Juli 1992 II R 70/88, BFHE 168, 380, BStBl II 1992, 921, unter II. 1 b). Entsprechendes gilt nach dem Urteil des BGH vom 8. November 1965 II ZR 223/64 (BGHZ 44, 229) für die gleichzeitige Auswechslung aller Gesellschafter einer Personengesellschaft durch Abtretung der Gesellschaftsanteile. Überträgt jeder der bisherigen Gesellschafter seinen Gesellschaftsanteil (bei einer zweigliedrigen Gesellschaft mit Zustimmung des jeweils anderen Gesellschafters) auf einen Rechtsnachfolger, so wird der Fortbestand der Gesellschaft nicht berührt. Dies ist auch der Standpunkt der zivilrechtlichen Literatur (vgl. statt aller Peter Ulmer, Großkommentar HGB, 4.Aufl., § 105 Rdnr.303; kritisch Müller-Laube, Festschrift für E. Wolf, S.501, 513 f.). Diese vom BGH für das Recht der Handelsgesellschaften vertretene Rechtsauffassung ist auch für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts übernommen worden (vgl. Staudinger/Keßler, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12.Aufl., § 719 Rdnr.4). Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung --auch für die GbR-- im Urteil vom 19. März 1980 II R 23/77 (BFHE 130, 422, BStBl II 1980, 598) angeschlossen.
Es besteht kein Anlaß hiervon abzurücken. Insbesondere rechtfertigt die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur grunderwerbsteuerrechtlichen Beurteilung der Auswechslung aller Gesellschafter einer Personengesellschaft dies nicht. Zwar wird die Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur grundbesitzhaltenden Personengesellschaft über § 42 AO 1977 als ein der Grunderwerbsteuer unterliegender Vorgang i.S. des § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG gewertet (vgl. BFH-Urteile vom 13. November 1991 II R 7/88, BFHE 166, 180, BStBl II 1992, 202, und vom 9. März 1994 II R 82/91, BFH/NV 1994, 903). Aus der Beurteilung, daß die Abtretung sämtlicher Gesellschaftsanteile, die formal den Tatbestand des § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG nicht erfüllt, im Ergebnis aber der dort umschriebenen zivilrechtlichen Gestaltung, nämlich einem Grundstückskauf zwischen den "Altgesellschaftern" und den "Neugesellschaftern" gleichkommt (s. hierzu Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6.Aufl., § 1 Rdnr.19) sind zwar die grunderwerbsteuerrechtlichen Folgerungen zu ziehen (§ 42 Satz 2 AO 1977), Auswirkungen auf den Fortbestand der Gesellschaft ergeben sich jedoch nicht. An die Erkenntnis, daß eine Gestaltung i.S. des § 42 Satz 1 AO 1977 unangemessen und deshalb nicht anzuerkennen sei, wird nur die (zutreffende) Entstehung der (Grunderwerb)steuer geknüpft, die zivilrechtliche Wirksamkeit der Gestaltung, also der Abtretung der Gesellschaftsanteile, wird nicht berührt (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1996 II R 38/93, BFHE 179, 443, BStBl II 1996, 377).
2. Die Sache ist spruchreif. Die Steuerbescheide vom 21. September 1983 und vom 17. Dezember 1986 sind unwirksam und zur Beseitigung des Rechtsscheins ihrer Wirksamkeit aufzuheben; die Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 1991 ist aufzuheben, weil sie zu Unrecht die Rechtmäßigkeit der genannten Grunderwerbsteuerbescheide bejaht hat. Zwar hat sich durch die Änderung im Gesellschafterbestand im Streitfall an der Identität der Gesellschaft nichts geändert; diese ist --in der jeweiligen Zusammensetzung-- Schuldner der Grunderwerbsteuer für die Einbringung des Grundstücks. Gegen sie hat sich der Grunderwerbsteuerbescheid als Inhaltsadressaten zu richten (§ 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977). Wirksam bekannt gegeben werden kann ein an eine Personengesellschaft gerichteter Steuerbescheid (§ 122 Abs.1 Satz 1 AO 1977) jedoch nur an die im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe vertretungsberechtigten Personen (§§ 709, 710 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Dies sind aber nicht die zu diesem Zeitpunkt, wie im Streitfall, bereits aus der Gesellschaft ausgeschiedenen
Fundstellen
Haufe-Index 65893 |
BFH/NV 1997, 187 |
BStBl II 1997, 299 |
BFHE 181, 520 |
BFHE 1997, 520 |
BB 1997, 616-618 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1997, 711-712 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1997, 450-452 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 303 (Leitsatz) |
DStZ 1997, 419 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1997, 325-326 (Leitsatz) |
StE 1997, 161-162 (Leitsatz) |