Leitsatz (amtlich)
Der Kapitalwert einer Witwenrente, die eine Aktiengesellschaft an die Witwe eines Vorstandsmitglieds auf Grund eines mit ihr abgeschlossenen Pensionsvertrags zu zahlen hat, ist auch dann bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Aktiengesellschaft als Betriebsschuld nach § 103 Abs. 1 BewG 1965 abzuziehen, wenn die Witwe zu mehr als 50 v. H. an der Aktiengesellschaft beteiligt ist und die Zahlung der Witwenrente möglicherweise bei der Körperschaftsteuer als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln ist.
Normenkette
BewG 1965 § 103 Abs. 1
Tatbestand
Am Nennkapital der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer AG, waren der im Vorstand seit 1948 tätige K. zu 10 v. H. und seine Ehefrau zu 41 v. H. beteiligt. K. starb am 19. Juni 1964 im Alter von 63 Jahren. Der Aufsichtsrat der Klägerin hatte am 8. Mai 1964 beschlossen, den drei zu dieser Zeit tätigen Vorstandsmitgliedern, darunter auch dem K., eine bis dahin noch nicht vereinbarte Altersversorgung zu gewähren. Während die neuen Dienstverträge in der Aufsichtsratssitzung vom 23. Juni 1964 mit den beiden anderen Vorstandsmitgliedern abgeschlossen wurden, kam es wegen des Ablebens des K. nicht mehr zu einem Vertragsabschluß mit ihm. Die Klägerin schloß aber am 1. Dezember 1964 mit der Ehefrau K., die nunmehr zu 51 v. H. am Nennkapital der Klägerin beteiligt war, einen Pensionsvertrag ab, in dem sie sich verpflichtete, an Frau K. ab 1. Oktober 1964 auf Lebenszeit ein Witwengeld in Höhe von 50 v. H. des für Herrn K. vorgesehenen Ruhegehalts von 60 v. H. seines Endgehalts von 30 000 DM jährlich, d. h. 9 000 DM jährlich, in monatlichen im voraus zu zahlenden Raten von je 750 DM zu zahlen.
Die Klägerin setzte in der Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1966 unter den laufenden Pensionsverpflichtungen den Kapitalwert dieser Witwenrente mit 9 000x 11 = 99 000 DM an. Der Vervielfältiger 11 ergab sich aus § 14 Abs. 2 Nr. 8 BewG 1965 nach dem Lebensalter der Frau K. am Stichtag von mehr als 57 Jahren. Bei der vorläufigen Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1966 durch Bescheid vom 4. August 1967 ließ das FA diese Pensionsverpflichtung zum Abzug zu. Aufgrund einer im Jahre 1968 durchgeführten Betriebsprüfung wurde dagegen die Pensionsverpflichtung bei der endgültigen Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens durch Bescheid vom 10. Juli 1960 vom FA nicht mehr anerkannt. Die dagegen eingelegte Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das FG war der Auffassung, daß nach der zur Körperschaftsteuer ergangenen Rechtsprechung bei wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern von Kapitalgesellschaften Vergütungen, und zwar auch Pensionszusagen, für in der Vergangenheit liegende Dienstleistungen steuerlich nicht als Betriebsausgaben berücksichtigt werden könnten, es sei denn, daß die Gesellschaftereigenschaft wesentlich gegenüber der Angestellteneigenschaft zurücktrete. Das gelte auch für Aktiengesellschaftten. Ein solcher Fall liege hier vor. Pensionszusagen, die ertragsteuerlich nicht als Betriebsausgaben, sondern als verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln seien, könnten bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nicht als Betriebsschulden berücksichtigt werden.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung den angefochtenen Einheitswertbescheid um den Kapitalwert der Witwenrente herabzusetzen. Es werden Verstoß gegen den klaren Inhalt der Steuerakten und Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht sowie Verstöße gegen das materielle Recht (§ 103 Abs. 1 BewG 1965) gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liege darin, daß das FG auf das wiederholte Vorbringen der Klägerin nicht eingegangen sei, Frau K. habe nicht erst durch den Vertrag vom 1. Dezember 1964 einen rechtsverbindlichen Anspruch auf Zahlung der Pensionsbezüge erhalten, sondern eine rechtsverbindliche Zusage habe bereits gegenüber K. selbst bestanden. In sachlicher Hinsicht habe das FG zu Unrecht die für wesentlich beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ergangene Rechtsprechung für die Vorstandsmitglieder einer AG übernommen. Das widerspreche den beiden Urteilen des BFH vom 15. Dezember 1971 I R 76/68 (BFHE 104, 530, BStBl II 1972, 436) und I R 5/69 (BFHE 104, 524, BStBl II 1972, 438). Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß eine Pensionsvereinbarung nicht mehr zu Lebzeiten des Herrn K. getroffen worden sei, bestehe eine rechtliche Verpflichtung der Klägerin zur Pensionszahlung.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Senat braucht nicht darüber zu entscheiden, ob die von der Klägerin erhobene Rüge der mangelnden Sachaufklärung, zu der auch der gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten zu rechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 1966 V 220/63, BFHE 85, 60, BStBl III 1966, 233), zulässig und begründet ist. Er braucht auch nicht darüber zu entscheiden, ob das FG zu Recht davon ausgegangen ist, daß nach der Rechtsprechung des BFH zur Körperschaftsteuer die Zahlung der Witwenrente als eine verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln ist. Denn die Vorentscheidung unterliegt schon aus einem anderen Grunde der Aufhebung.
Voraussetzung für den Abzug einer Schuld oder Last als Betriebsschuld nach § 103 Abs. 1 BewG 1965 ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats, daß zu ihrer Erfüllung am Stichtag eine rechtsverbindliche Verpflichtung besteht, es sei denn, daß die Schuld oder Last aus besonderen Gründen für den Schuldner keine ernsthafte wirtschaftliche Belastung ist. Im Streitfall ist spätestens mit dem Abschluß des Pensionsvertrages vom 1. Dezember 1964 zwischen der Klägerin und Frau K. eine rechtsverbindliche Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung der Witwenrente entstanden. Anhaltspunkte dafür, daß diese Verpflichtung keine ernst zu nehmende wirtschaftliche Belastung für die Klägerin ist, sind nicht ersichtlich. Auch der Umstand, daß die Zahlung der Witwenrente körperschaftsteuerlich möglicherweise als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln ist, hat entgegen der Auffassung des FG auf den Abzug des Kapitalwerts der Witwenrente als Betriebsschulden nach § 103 Abs. 1 BewG 1965 bei der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens der Klägerin keinen Einfluß. Das FG beruft sich auf Ausführungen von Rössler-Troll (Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 8. Aufl., Anm. 19 zu § 103 BewG). Es ist richtig, daß dort die Auffassung vertreten wird, daß der am Feststellungszeitpunkt im Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft vorhandene Reingewinn des letzten Geschäftsjahres nicht abzugsfähig sei und daß das gleiche für die Behandlung von Leistungen gelte, die ertragsteuerlich als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt würden. Diese Auffassung wird damit begründet, daß der Anspruch der Gesellschafter auf ihren Anteil am Reingewinn und eine entsprechende Schuld der Gesellschaft nach der Rechtsprechung des RFH erst durch den Beschluß der Gesellschafterversammlung über die Verteilung des Gewinns entstehe. Diese Begründung trifft zwar auf den Reingewinn des letzten Geschäftsjahres zu, nicht dagegen auf die Beträge, die ertragsteuerlich als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt werden. Denn zur Zahlung dieser Beträge liegt ja, wie oben bereits dargetan wurde, am Stichtag eine rechtsverbindliche Verpflichtung der Gesellschaft vor. Rössler-Troll haben ihre Auffassung in der 9. Aufl. ihres Kommentars (Anm. 19 zu § 103 BewG) inzwischen auch aufgegeben. Es heißt jetzt dort: "Bestehen vertragliche Vereinbarungen, wonach bestimmte Zahlungen an die Gesellschafter zu erfolgen haben, so ist hierfür eine Verpflichtung zu berücksichtigen, sobald die Vereinbarung rechtlich wirksam ist. Daß die Zahlungen später bei der Körperschaftsteuer als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt werden, dürfte dem nicht entgegenstehen." Auch der Senat ist der Meinung, daß eine rechtsverbindliche Verpflichtung zur Zahlung bestimmter Beträge an die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft, die am Stichtag bereits besteht, auch dann als Betriebsschuld abgezogen werden kann, wenn die Zahlungen später bei der Körperschaftsteuer als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt werden. Dem stehen auch die Ausführungen in Abschn. 36a VStR 1966 nicht entgegen, weil diese sich nicht auf den Abzug bereits laufender Pensionsverbindlichkeiten nach § 103 Abs. 1 BewG 1965, sondern auf die Berücksichtigung von Pensionsanwartschaften nach § 104 BewG 1965 beziehen. Weil das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Unter Abänderung des angefochtenen Einheitswertbescheids vom 10. Juli 1969 war der Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1966 auf 2 930 000 DM festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 70487 |
BStBl II 1973, 622 |
BFHE 1973, 470 |