Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen eines beherrschenden Gesellschafters an einer Kapitalgesellschaft nach dem sog. Stuttgarter Verfahren dürfen die Ertragsaussichten der Gesellschaft nicht allein deshalb außer Ansatz bleiben, weil der gemeine Wert der Anteile bei Berücksichtigung des Ertragswerts unter den Substanzwert sinkt.
Normenkette
BewG 1965 § 11 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in der Rechtsform der GmbH eine Maschinenfabrik. An deren Stammkapital von 7 500 000 DM war der Beigeladene an dem hier streitigen Stichtag (31. Dezember 1970) mit 7 300 000 DM beteiligt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte den gemeinen Wert für 100 DM des eingezahlten Stammkapitals zum 31. Dezember 1970 für die Anteile des Beigeladenen auf 122 v. H., für die übrigen Anteile (ohne Einfluß auf die Geschäftsführung) auf 81 v. H. je 100 DM Stammkapital fest. Bei der Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile des Beigeladenen ließ das FA den Ertragshundertsatz mit der Begründung außer Ansatz, daß der gemeine Wert der Beteiligung an einer personenbezogenen Kapitalgesellschaft nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) nicht unter deren Vermögenswert sinken dürfe (Urteil vom 24. September 1942 III 52/42, RStBl 1942, 1052). Wegen der schlechten Ertragslage der GmbH ermäßigte das FA den Vermögenswert nach Abschn. 79 Abs. 3 der Vermögensteuer-Richtlinien 1969 (VStR).
Die Sprungklage hiergegen hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ermittelte den gemeinen Wert der Anteile des Beigeladenen nach Abschn. 79 Abs. 2 VStR mit 80 v. H. der Summe aus Vermögens wert (130,1 v. H.) und dreifachem Ertragshundertsatz (15,6 v. H.) auf 116 v. H. je 100 DM Stammkapital.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 11 Abs. 2 und 3 des Bewertungsgesetzes 1965 (im folgenden BewG). Sinke der gemeine Wert von Anteilen eines Mehrheitsgesellschafters, der - wie im Streitfall der Beigeladene - wirtschaftlich die Stellung des einzigen Gesellschafters einer Ein-Mann-GmbH habe, unter den Substanzwert, seien die Bestimmungen des in Abschn. 77 ff. VStR geregelten sogenannten Stuttgarter Verfahrens zu überprüfen und zu ergänzen. Es entspreche der bisherigen Rechtsprechung, daß der gemeine Wert der Beteiligung eines beherrschenden Mehrheitsgesellschafters nicht unter den sogenannten Substanzwert absinken dürfe (vgl. die Urteile des RFH in RStBl 1942, 1052 und des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Oktober 1963 III 25/60 U, BFHE 78, 77, 82, BStBl III 1964, 30). Auch in dem Urteil vom 23. Februar 1979 III R 44/77 (BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618) habe der BFH entschieden, daß eine Mehrheitsbeteiligung höher zu bewerten sei als eine Minderheitsbeteiligung. Abgesehen davon habe das FA den Substanzwert nicht als starre Grenze angesehen, sondern einen Abschlag nach Abschn. 79 Abs. 3 VStR als für den Streitfall gerechteste Lösung angesehen. Es sei zu berücksichtigen, daß hier der Beigeladene als geschäftsführender Gesellschafter von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit, aufgrund der Höhe seiner Beteiligung uneingeschränkt über Vermögen und Erträge der Gesellschaft verfügen könne. Auch aus § 11 Abs. 3 BewG folge, daß der Wert einer Beteiligung, die die Beherrschung einer Kapitalgesellschaft ermögliche, höher zu bewerten sei als nicht in dieser Weise qualifizierte Anteile an der Kapitalgesellschaft.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Anteile an Kapitalgesellschaften, für die ein Kurswert i. S. von § 11 Abs. 1 BewG nicht gegeben ist, sind mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 11 Abs. 2 BewG). Liegen - wie im Streitfall - zeitnahe Verkäufe, aus denen der gemeine Wert abgeleitet werden könnte, nicht vor, so ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Es ist gesetzlich nicht geregelt, mit welchem Gewicht Vermögen und Ertragsaussichten bei der Schätzung zu berücksichtigen sind. Die Finanzverwaltung hat für die Zwecke der Schätzung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile zunächst das sogenannte Berliner Verfahren entwickelt, das den gemeinen Wert als Mittel zwischen dem Vermögens- und dem Ertragswert annahm. Das Berliner Verfahren führte jedoch, wie der Senat in dem Urteil vom 3. Dezember 1976 III R 98/74 (BFHE 121, 193, BStBl II 1977, 235) unter Hinweis auf das Schrifttum ausgeführt hat, zu sachlich nicht gerechtfertigten Wertstreuungen. Deshalb ordnete die Finanzverwaltung ab der Vermögensteuerhauptveranlagung 1953 die Schätzung des gemeinen Werts nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren an (BStBl I 1955, 97). Maßgebende Große für die Schätzung nach dem Stuttgarter Verfahren (Abschn. 77 ff. VStR) ist der Vermögenswert. Dieser ist aufgrund der Ertragsaussichten zu korrigieren. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung das Stuttgarter Verfahren als ein geeignetes Schätzungsverfahren anerkannt, das dem Gesetz entspricht und ein wertvolles Hilfsmittel darstellt, um die Einheitlichkeit der Bewertung zu gewährleisten. Abweichungen von diesem Verfahren hat der Senat mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur zugelassen, wenn die Anwendung der Bestimmungen in Abschn. 77 ff. VStR in Ausnahmefällen aufgrund von Besonderheiten zu nicht tragbaren, d. h. offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (vgl. BFHE 121, 93, 95, BStBl II 1977, 235).
2. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ist das FG im Streitfall zur Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile des Beigeladenen von dem der Höhe nach nicht bestrittenen Vermögenswert ausgegangen und hat die Ertragsaussichten durch Ansatz des - der Höhe nach ebenfalls unstreitigen - Ertragshundertsatzes gemäß Abschn. 79 Abs. 1 und 2 VStR berücksichtigt. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß im Streitfall kein Sachverhalt vorliegt, der ein Außerachtlassen der Ertragsaussichten rechtfertigen könnte.
a) Nach Abschn. 81 VStR ist zwar der gemeine Wert von Anteilen bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen ohne Berücksichtigung der Ertragsaussichten zu ermitteln. Eine Bewertung von Anteilen nur mit dem Vermögenswert kommt jedoch nur bei solchen Kapitalgesellschaften in Betracht, bei denen - wie etwa bei einer Holding-Gesellschaft (BFHE 121, 93, BStBl II 1977, 235) oder bei einer Gesellschaft in Liquidation - die Ertragsaussichten ohne Einfluß auf den gemeinen Wert sind. Ein solcher Sachverhalt liegt nach den tatsächlichen, von den Beteiligten nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanz im Streitfall nicht vor.
b) Zu Recht hat es das FG abgelehnt, den Ertragshundertsatz allein deshalb außer Ansatz zu lassen, weil es sich bei den Anteilen des Beigeladenen um eine Beteiligung handelt, die wirtschaftlich der Beteiligung an einer Ein-Mann-GmbH entspricht und eine Beherrschung der Gesellschaft ohne weiteres ermöglicht.
aa) Werden - wie bei der Wertermittlung nach dem Stuttgarter Verfahren gemäß Abschn. 77 bis 79 VStR - bei der Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft sowohl das Vermögen als auch die Ertragsaussichten der Gesellschaft berücksichtigt, ist regelmäßig allen Umständen Rechnung getragen, die einen Mehrheitsgesellschafter bei der Bildung seines für die Gesellschaft maßgebenden Willens leiten können (vgl. RFH-Urteil vom 19. April 1939 III 139/38, RStBI 1939, 804). Betreibt z. B. ein Mehrheitsgesellschafter eine Geschäftspolitik mit dem Ziel, die erwirtschafteten Gewinne weitestgehend auszuschütten, hätte eine Nichtberücksichtigung der Ertragsaussichten zur Folge, daß der ausschließlich nach dem Vermögen ermittelte Wert der Anteile unter dem gemeinen Wert läge. Denn wegen der hohen Gewinnausschüttungen wäre ein Käufer im allgemeinen bereit, einen über dem Vermögenswert liegenden Kaufpreis für die Geschäftsanteile zu bezahlen. Wirkt umgekehrt ein Mehrheitsgesellschafter darauf hin, den von der Gesellschaft erwirtschafteten Gewinn zu thesaurieren, wird die Gesellschaft im allgemeinen einen hohen Vermögensstand ausweisen. Im Hinblick auf die fehlende Verzinsung des für den Erwerb des Anteils erforderlichen Kapitals wird jedoch ein Käufer regelmäßig nicht bereit sein, als Kaufpreis für den Anteil den vollen Substanzwert zu bezahlen. Diese Erwägungen machen deutlich, daß eine Bewertungsmethode, die zur Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft sowohl an das Vermögen als auch an die Ertragsaussichten der Gesellschaft anknüpft, den möglichen Einfluß eines Mehrheitsgesellschafters auf die Geschäftsführung - und zwar auch bei einer personenbezogenen Kapitalgesellschaft - in aller Regel ausreichend berücksichtigt und der Ansatz der Beteiligung eines Mehrheitsgesellschafters mindestens mit dem Substanzwert ausschließlich aus dem Gesichtspunkt der möglichen Beherrschung der Gesellschaft nicht gerechtfertigt ist. Der Senat vermag der vom RFH in RStBl 1942, 1052 - allerdings zum sogenannten Berliner Verfahren - vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht zu folgen.
bb) im übrigen läßt der Wortlaut einzelner Anweisungen des Stuttgarter Verfahrens, insbesondere Abschn. 80 VStR, erkennen, daß die Wertermittlung nach Abschn. 77 bis 79 VStR einen Einfluß des Anteilsinhabers auf die Geschäftsführung der Gesellschaft unterstellt (vgl. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Vermögensteuergesetz und Bewertungsgesetz, 7. Aufl., § 11 BewG, Anm. 198; Rössler/Troll/Langner, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 113 BewG, Anm. 28). So ist in Abschn. 80 Abs. 3 Satz 1 VStR ausdrücklich bestimmt, daß in Fällen, in denen die in der Hand eines Gesellschafters vereinigten Anteile Beteiligungscharakter besitzen, sich die zu einem Paketzuschlag führenden Gesichtspunkte bereits bei der Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile nach Abschn. 77 bis 79 VStR ausgewirkt haben. Der Ansatz von Geschäftsanteilen an personenbezogenen Kapitalgesellschaften unter Außerachtlassen der Ertragsaussichten mindestens mit dem Vermögenswert liefe jedoch im Ergebnis auf einen Zuschlag wegen des Beteiligungscharakters der Anteile hinaus und stände daher nicht im Einklang mit der Konzeption der Anweisungen in Abschn. 77 bis 79 VStR. Dies verdeutlicht auch Abschn. 80 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 5 VStR. Danach ist der gemäß Abschn. 77 VStR ermittelte Vermögenswert bei Anteilen ohne Einfluß auf die Geschäftsführung zu ermäßigen. Auch diese Anweisungen lassen erkennen, daß die Regelbewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach Abschn. 77 bis 79 VStR den Einfluß der Anteilsinhaber auf die Geschäftsführung der Gesellschaft als typisch unterstellt.
cc) Das FA kann sich zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung nicht mit Erfolg auf § 11 Abs. 3 BewG stützen. Nach dieser Vorschrift kommt der sogenannte Paketzuschlag nur in Betracht, wenn der Wert der Anteile nach § 11 Abs. 1 BewG durch den Kurswert bestimmt oder der gemeine Wert nach § 11 Abs. 2 BewG aus Verkäufen abgeleitet ist und bei den Verkäufen ein Preis erzielt wurde, der den Beteiligungscharakter der zu bewertenden Anteile nicht berücksichtigt (Gürsching/Stenger, a. a. O.). Ist da gegen der gemeine Wert der Anteile wie im Streitfall nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren geschätzt worden, scheidet ein Paketzuschlag aus, weil sich hier die zu einem solchen Zuschlag führenden Gesichtspunkte - wie oben dargelegt - bereits durch die Regelbewertung nach Abschn. 77 bis 79 VStR ausgewirkt haben. Im Hinblick hierauf ist das vom FA angeführte Urteil in BFHE 128, 254, 258, BStBl II 1979, 618 nicht einschlägig. Denn bei dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkaufspreisen.
Fundstellen
Haufe-Index 413489 |
BStBl II 1981, 351 |
BFHE 1981, 479 |
NJW 1981, 1688 |