Entscheidungsstichwort (Thema)
Unklarer Urteilstenor; Nachweis von Ausfuhrlieferungen
Leitsatz (NV)
- Ein FG-Urteil, dessen Ausspruch unklar ist, muß ‐auch ohne Rüge von Amts wegen- aufgehoben werden.
- In Versendungsfällen kann der zur Erlangung der Umsatzsteuerfreiheit erforderliche Ausfuhrnachweis auch durch sog. Ersatzbelege geführt werden, falls sich aus ihnen eindeutig und leicht nachprüfbar ergibt, daß der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung in das Außengebiet versendet hat (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1965 V 87/63, HFR 1965, 567).
- Zu den Anforderungen an derartige Ersatzbelege.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 3; UStG DDR 1990 § 4 Nr. 1 Buchst. a; UStG DDR 1990 § 6 Abs. 1 Nr. 1; UStG DDR 1990 § 6 Abs. 4; UStDV DDR 1990 § 8 Abs. 1; UStDV DDR 1990 § 10; UStDV DDR 1990 § 13 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Anschlußrevisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist Rechtsnachfolgerin eines ehemaligen DDR-Außenhandelsbetriebs. Im 2. Halbjahr 1990 (streitiger Zeitraum) führte die Klägerin im eigenen Namen Exportgeschäfte (mit Erlösen in Höhe von 192 925 847 DM) aus, wobei die Waren in aller Regel jeweils direkt vom in der DDR ansässigen Hersteller mittels eines Spediteurs in das Ausland versendet wurden.
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (das Finanzamt ―FA―) beurteilte im Anschluß an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung die Leistungen der Klägerin nicht wie diese als steuerfreie Vermittlung von Ausfuhrgeschäften, sondern als steuerpflichtige Lieferungen im Rahmen von Reihengeschäften. Das FA nahm keine steuerfreien Ausfuhrlieferungen an, weil die Klägerin keine Ausfuhrnachweise vorgelegt hatte.
Im Einspruchsverfahren gegen den entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für das 2. Halbjahr 1990 vom 8. August 1995 legte die Klägerin dem FA eine Liste über im 2. Halbjahr 1990 ausgeführte Lieferungen vor, für die Ausfuhrnachweise erbracht werden könnten (Exporterlöse in Höhe von 42 818 786,56 DM). Das FA erkannte insoweit steuerfreie Ausfuhrlieferungen der Klägerin an und minderte die Umsatzsteuer für das 2. Halbjahr 1990 mit Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 1997 auf 19 053 067 DM; im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Während des Klageverfahrens erließ das FA unter dem 5. Mai 1997 wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit einen auf § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid (Umsatzsteuer nunmehr 19 789 249 DM), den die Klägerin zum Gegenstand des Verfahrens machte.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt und faßte die Urteilsformel wie folgt: "Der Bescheid vom 8. August 1995 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 1997 jeweils in Gestalt des Berichtigungsbescheides vom 5. Mai 1997 werden insoweit geändert, als die Lieferungen der Klägerin aus dem November und Dezember 1990 an Abnehmer in Staaten Osteuropas (im ehemaligen Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe zusammengeschlossene Staaten -RGW-Staaten-) steuerfrei zu belassen sind. Im übrigen wird die Klage abgewiesen."
Zur Begründung führte das FG aus: Streit bestehe lediglich über die Steuerfreiheit von Lieferungen an Abnehmer in den ehemaligen RGW-Staaten, aus denen die Klägerin Erlöse in Höhe von 131 672 681 DM (netto) erzielt habe. Im Streitfall habe die Klägerin die Ausfuhr buchmäßig nachgewiesen. Der Belegnachweis sei hingegen nur für die in den Monaten November und Dezember 1990 ausgeführten Lieferungen erbracht. Er ergebe sich daraus, daß eine mit Wirkung vom 29. Oktober 1990 bei der Oberfinanzdirektion (OFD) Berlin eingerichtete Prüfgruppe "Transferrubel" entsprechende Überprüfungen vorgenommen habe, wie das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Schreiben vom 6. Mai 1997 bestätigt habe. Für den davorliegenden Zeitraum sei die tatsächliche Ausfuhr der Waren nicht mit der notwendigen Sicherheit belegt.
Mit der Revision macht die Klägerin im wesentlichen geltend: Über von ihr im 2. Halbjahr 1990 ausgeführte Lieferungen hätten der Deutschen Außenhandelsbank (DABA) Ausfuhrbelege vorgelegen. Diese habe erst nach Prüfung der Dokumente die Erlaubnis zur Konvertierung der Exporterlöse im Transferrubel-Verrechnungsverkehr erteilen dürfen. Daraus ergebe sich ein hinreichender Nachweis der tatsächlichen Ausfuhr.
Die Klägerin beantragt, unter teilweiser Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer für das 2. Halbjahr 1990 auf 1 355 049,36 DM festzusetzen.
Das FA trägt zur Begründung seiner unselbständigen Anschlußrevision im wesentlichen vor: Im Streitfall sei der notwendige Ausfuhrnachweis nicht erbracht, weil dafür nur Dokumente ausreichten, die ―anders als hier― von Personen ausgestellt würden, die mit dem Liefergeschäft direkt befaßt seien.
Desweiteren erfülle das Urteil nicht die Anforderungen, die nach § 100 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an eine gerichtliche Entscheidung gestellt würden. So ergebe sich weder aus dem Tenor noch aus den Entscheidungsgründen, in welcher Höhe das FG die Umsatzsteuer für das 2. Halbjahr 1990 festsetzen wolle. Die Angabe, die Lieferungen der Klägerin aus dem November und Dezember 1990 an Abnehmer in Staaten Osteuropas seien steuerfrei zu belassen, sei nicht eindeutig, weil auch die Klägerin selbst nicht in der Lage sei, die Beträge genau zu beziffern. Zudem korrespondiere diese Aussage nicht mit der Kostenentscheidung. Es sei ihm ―dem FA― daher nicht möglich, den festzusetzenden Betrag aufgrund der Entscheidung zu errechnen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das angefochtene Urteil ist unwirksam. Es muß aufgehoben werden, weil sein Ausspruch unklar ist.
a) Aus der Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) muß sich ―erforderlichenfalls unter Heranziehung des übrigen Urteilsinhalts― entnehmen lassen, wie über die Anträge der Beteiligten entschieden worden ist. Soweit sich aus dem Urteil keine eindeutige Entscheidung ergibt, ist es wirkungslos (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Juli 1993 VIII R 67/91, BFHE 173, 480, BStBl II 1994, 469; BFH-Beschluß vom 26. November 1997 IX B 47/97, BFH/NV 1998, 585; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 105 FGO Rz. 25; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 105 FGO Tz. 3). Diesen Mangel hat das Revisionsgericht auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten, da es sich um einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens handelt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Februar 1991 VIII R 8/86, BFH/NV 1992, 175).
b) Im Streitfall hat ―wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen― das FG keine eindeutige Entscheidung getroffen.
Das FG hat die Umsatzsteuer für das 2. Halbjahr 1990 nicht betragsmäßig festgesetzt. Ihre Höhe läßt sich auch nicht errechnen, weil dem Urteil nicht zu entnehmen ist, in welchem Umfang die Klägerin in den Monaten November und Dezember 1990 Umsätze ausgeführt hat, die nach Auffassung des FG steuerfrei sind. Zwar hat sich das FG im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen auf das BMF-Schreiben vom 6. (richtig: 5.) Mai 1997 bezogen. Auch der Anlage zu diesem Schreiben läßt sich aber nicht entnehmen, welche Lieferungen der Klägerin in die Monate November und Dezember 1990 fallen. Soweit in der Anlage Daten genannt sind, kann es sich dabei um das Datum der Lieferung, des Zahlungseingangs oder der Freigabe zur Konvertierung handeln. Zudem ist unklar, ob und in welchem Umfang von der Klägerin in den Monaten November und Dezember 1990 ausgeführte Lieferungen vom FA bereits in der Einspruchsentscheidung als steuerfrei anerkannt worden sind.
2. Der Senat kann nicht durcherkennen. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Aufgrund der bislang vom FG getroffenen Feststellungen kann der Senat der Klage weder (vollständig) stattgeben noch sie (insgesamt) abweisen.
a) Im Streitfall anzuwenden sind das Umsatzsteuergesetz der DDR (UStG DDR 1990) und die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung der DDR (UStDV DDR 1990), jeweils vom 22. Juni 1990 (Gesetzblatt der DDR vom 22. Juni 1990, Sonderdruck Nr. 1432).
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG DDR 1990 liegt eine ―gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG DDR 1990 steuerfreie― Ausfuhrlieferung vor, wenn bei einer Lieferung der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Zollfreigebiete nach § 1 Abs. 3 UStG DDR 1990, versendet hat. Dabei gilt die Lieferung an den letzten Abnehmer gleichzeitig als Lieferung eines jeden Unternehmers in der Reihe, wenn ―wie hier― mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und die Geschäfte dadurch erfüllen, daß der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft (§ 3 Abs. 2 UStG DDR 1990). Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 UStG DDR 1990 müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein; der Minister der Finanzen kann durch Rechtsvorschrift bestimmen, wie der Unternehmer die Nachweise zu führen hat (§ 6 Abs. 4 UStG DDR 1990). Aufgrund dieser Ermächtigungsgrundlage sind die §§ 8 ff. UStDV DDR 1990 erlassen worden, die §§ 8 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1980) entsprechen.
Nach § 8 Abs. 1 UStDV DDR 1990 muß der Unternehmer bei Ausfuhrlieferungen im Geltungsbereich der UStDV DDR 1990 durch Belege nachweisen, daß er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Außengebiet befördert oder versendet hat (Ausfuhrnachweis); die Voraussetzung muß sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben. Zudem muß der Unternehmer gemäß § 13 Abs. 1 UStDV DDR 1990 bei Ausfuhrlieferungen im Geltungsbereich der UStDV DDR 1990 die Voraussetzungen der Steuerbefreiung buchmäßig nachweisen (sog. Buchnachweis); die Voraussetzungen müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein.
b) Das FG hat zutreffend mit eingehender Begründung entschieden, daß im Streitfall der nach § 13 Abs. 1 UStDV DDR 1990 erforderliche Buchnachweis erbracht ist. Dem schließt sich der Senat an, zumal auch das FA insoweit keine Einwendungen erhoben hat.
c) Im Hinblick auf den Ausfuhrnachweis nach § 8 Abs. 1 UStDV DDR 1990 ist das FG ―übereinstimmend mit den Beteiligten― zu Recht davon ausgegangen, daß der erforderliche Nachweis in Versendungsfällen nicht nur durch die in § 10 UStDV DDR 1990 im einzelnen bezeichneten Belege geführt werden kann. Es kommen auch sog. Ersatzbelege in Betracht, falls sich aus ihnen eindeutig und leicht nachprüfbar ergibt, daß der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung in das Außengebiet versendet hat (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1965 V 87/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1965, 567; Husmann in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 6 Anm. 133; s. auch Abschn. 133 Abs. 2 Satz 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien ―UStR―).
Ob und in welchem Umfang im Streitfall derartige Ersatzbelege vorliegen, kann der Senat nicht beurteilen. Das FG hat keine hinreichenden Feststellungen zu Art und Umfang der jeweiligen Prüfungen getroffen, die einerseits die DABA und andererseits die Prüfgruppe "Transferrubel" vor der Zustimmung zur Konvertierung des Erlöses des Exportauftrags durchgeführt haben. Insofern fehlen Feststellungen zu den rechtlichen Grundlagen und der tatsächlichen "Kontrolldichte" der durchgeführten Prüfungen, wozu die Beteiligten im Revisionsverfahren teilweise unterschiedliche Darstellungen gegeben haben.
Soweit das FG darauf abgestellt hat, die DABA hätte ―im Gegensatz zu der Prüfgruppe "Transferrubel"― keine staatlichen Aufgaben auf dem Gebiet der Finanzverwaltung wahrzunehmen gehabt, ergibt sich daraus nicht, daß das von der DABA durchgeführte Prüfverfahren von vornherein ungeeignet wäre, den dem Unternehmer nach § 8 Abs. 1 UStDV DDR 1990 obliegenden Nachweis zu erbringen.
Ebensowenig steht mit der dargelegten Rechtslage die Auffassung des FA in Einklang, als Nachweis könnten nur Bestätigungen von Personen anerkannt werden, die mit dem Liefergeschäft direkt befaßt worden seien. Wenn der DABA oder der Prüfgruppe "Transferrubel" in dem für einen Nachweis erforderlichen Umfang ―aussagekräftige― Urkunden oder sonstige Unterlagen über die tatsächliche Ausfuhr der Waren vorlagen, sind Bestätigungen dieser Stellen als Ersatzbeleg anzuerkennen. Deshalb ist entgegen der Ansicht des FA auch unerheblich, ob es sich bei der Prüfgruppe "Transferrubel" um eine Gruppe der Zollverwaltung gehandelt hat, die lediglich die formelle Richtigkeit und Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen zu überprüfen hatte und dabei keine Aufgaben des FA wahrgenommen hat.
3. Das FG wird die erforderlichen Feststellungen zu treffen und zu würdigen haben. Gelingt der Klägerin der nach § 6 Abs. 4 UStG DDR 1990 erforderliche Nachweis nicht, sind ihre Umsätze steuerpflichtig (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 XI R 70/93, BFHE 176, 494, BStBl II 1995, 515).
Insoweit kommt eine Minderung des für den Ausfuhrnachweis üblichen Beweismaßes im Hinblick auf die im streitigen Zeitraum in der ehemaligen DDR herrschenden rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Betracht. Derartige Gesichtspunkte könnten nicht im hier vorliegenden Steuerfestsetzungsverfahren, sondern nur in einem ―hier naheliegenden― Billigkeitsverfahren berücksichtigt werden, wie bereits das FG zutreffend ausgeführt hat.
Fundstellen
BFH/NV 1999, 1521 |
HFR 1999, 912 |