Entscheidungsstichwort (Thema)
Stundungszinsen auf eine Steuerschuld gemäß § 6 AStG - Anwendbarkeit des § 234 Abs. 1 AO 1977 - Stundung bei einer Realisierung stiller Reserven ohne Geldmittelzufluß - Definition: Zinsen, Gesetzeslücke
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Stundung gemäß § 6 Abs.5 AStG können Zinsen gemäß § 234 Abs.1 AO 1977 für die Zeit ab dem 1.Januar 1977 erhoben werden.
2. Aus § 234 Abs.1 AO 1977 läßt sich nicht ableiten, daß die Erhebung von Zinsen nur bei solchen Stundungen gestattet ist, die --wie im Falle des § 222 AO 1977-- in das Ermessen des Finanzamtes gestellt sind.
3. § 6 Abs.5 AStG enthält keine Gesetzeslücke.
4. Aus den Regelungen der §§ 7 Satz 4, 18 Abs.4 Satz 2 und 21 Abs.2 Satz 4 UmwStG 1977 ergibt sich nicht, daß bei einer Stundung gemäß § 6 Abs.5 AStG entsprechend zu verfahren ist.
Orientierungssatz
1. Bei einer Realisierung stiller Reserven ohne Geldmittelzufluß kann eine Stundung der Steuerschuld regelmäßig nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit für den Steuerschuldner eine erhebliche Härte bedeutet. Auf die Verzinsung kann nur unter den Voraussetzungen des § 234 Abs. 2 AO 1977 verzichtet werden.
2. Zinsen sind das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals (vgl. BFH-Urteil vom 20.5.1987 II R 44/84).
3. Unter einer Gesetzeslücke ist die planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts zu verstehen (vgl. Literatur).
Normenkette
AStG § 6 Abs. 5; AO 1977 §§ 222, 234 Abs. 1; UmwStG 1977 § 7 S. 4, § 18 Abs. 4 S. 2, § 21 Abs. 2 S. 4; AO 1977 § 234 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnte zusammen mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern mindestens bis zum 8.Dezember 1975 im Inland. Er begründete am 8.Dezember 1975 einen Wohnsitz in der Schweiz. Spätestens zum 31.März 1976 gab er seinen inländischen Wohnsitz auf.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) behandelte den Kläger für die Zeit bis zum 31.März 1976 als unbeschränkt steuerpflichtig. Er setzte in dem für die Zeit vom 1.Januar bis 31.März 1976 am 10.Dezember 1979 erlassenen Einkommensteuerbescheid 1976 einen gemäß § 6 Abs.1 des Außensteuergesetzes (AStG) steuerpflichtigen Vermögenszuwachs in Höhe von 2 248 075 DM an, den er durch Einspruchsentscheidung vom 30.Juni 1986 auf 2 169 428 DM ermäßigte. In diesem Punkt wurde die vom Kläger erhobene Klage rechtskräftig abgewiesen.
Die sich aus dem Einkommensteuerbescheid 1976 vom 10.Dezember 1979 ergebende Einkommensteuerschuld wurde mehrfach gestundet. Die Stundungen waren zunächst bis zum 31.März 1981 und später bis zum 31.März 1986 befristet. Die Befristungen hatten ihren Grund in § 6 Abs.5 Sätze 1 und 3 AStG. Alle Stundungsverfügungen enthalten den Hinweis, daß für die Dauer der Stundung Zinsen erhoben würden (§ 234 der Abgabenordnung --AO 1977--).
Mit Zinsbescheid vom 10.November 1981 setzte das FA gegenüber dem Kläger Zinsen für den gesamten Stundungszeitraum in Höhe von insgesamt 211 899 DM fest. Der Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg.
Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 234 Abs.1 AO 1977.
Er beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) München vom 24.Oktober 1989 2 K 2215/86, soweit es die Klage wegen des Zinsbescheides vom 7.Januar 1987 betrifft, und die Zinsbescheide vom 7.Januar 1987 und vom 10.November 1981 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 234 Abs.1 AO 1977 werden für die Dauer einer gewährten Stundung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis Zinsen erhoben. Gemäß § 37 Abs.1 AO 1977 gehört zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis auch der Steueranspruch. Wer der Schuldner eines Steueranspruchs ist, bestimmt sich nach den Steuergesetzen (§ 43 AO 1977). Dabei ist auf den Beteiligten abzustellen, der verpflichtet ist, die Steuer für eigene Rechnung zu entrichten (§ 33 Abs.1 AO 1977). Bezogen auf die Einkommensteuer ist dies die Person, die zur Einkommensteuer veranlagt wird (§ 2 Abs.*7, § 25, § 36 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß der Kläger Einkommensteuer 1976 auf Grund des Bescheides vom 10.Dezember 1979 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30.Juni 1986 schuldete. Die Steuerschuld wurde mehrfach --zuletzt bis zum 31.März 1986-- gestundet. Damit erfüllte der Kläger einen Sachverhalt, an den § 234 Abs.1 AO 1977 die Entstehung eines Zinsanspruchs knüpft.
2. Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, daß die Erhebung von Zinsen nur bei solchen Stundungen gestattet sei, die --wie im Fall des § 222 AO 1977-- in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt sind. Aus dem Wortlaut des § 234 Abs.1 AO 1977 läßt sich eine solche Auffassung nicht ableiten. Die Vorschrift setzt nur eine "gewährte Stundung" voraus. Sie stellt damit erkennbar auf die Rechtsfolge der Stundung, nicht jedoch auf deren Tatbestandsvoraussetzungen ab. Entsprechend setzt die Rechtsfolge des § 234 Abs.1 AO 1977 immer dann ein, wenn die Fälligkeit eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verwaltungsakt hinausgeschoben wird. Deshalb ist sie grundsätzlich auch auf die Fälle anzuwenden, in denen ein Rechtsanspruch auf Stundung besteht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Rechtsfolge des § 234 Abs.1 AO 1977 gesetzlich ausgeschlossen ist. Für die Stundung gemäß § 6 Abs.5 AStG ist dies jedoch nicht der Fall.
Die Auffassung des erkennenden Senats wird durch die Regelung des § 234 Abs.2 AO 1977 bestätigt. Danach kann auf die Zinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die persönliche oder sachliche Unbilligkeit der Erhebung der Zinsen steht demnach der Entstehung des Zinsanspruchs nicht entgegen. Infolgedessen kann gegenüber der Entstehung des Zinsanspruchs nicht eingewendet werden, daß die Erhebung der Zinsen wegen des Fehlens von Geldmitteln für die Steuerzahlung unbillig sei.
Es kommt hinzu, daß auch im Regelungsbereich des § 222 AO 1977 Fälle denkbar sind, in denen das Ermessen der Finanzbehörde auf Null reduziert ist. Dennoch sieht das Gesetz auch für diese Fälle die Entstehung eines Zinsanspruchs vor. Über seine endgültige Erhebung ist nur nach Maßgabe des § 234 Abs.2 AO 1977 zu entscheiden.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers enthält § 6 Abs.5 AStG keine Gesetzeslücke. Unter einer solchen ist eine planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts zu verstehen (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4.Aufl., S.354 ff., 358) Für den Streitfall ist jedoch nicht zu erkennen, daß die Annahme der Entstehung eines Zinsanspruchs mit dem Normsinn des § 6 Abs.5 AStG in Widerspruch stünde. Zinsen sind das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals (vgl. BFH-Urteil vom 20.Mai 1987 II R 44/84, BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229). Durch die auf § 6 Abs.5 AStG gestützte Stundung wurde der Kläger in die Lage versetzt, das Geldkapital, das die gestundete Einkommensteuerschuld verkörperte, anderweitig zu nutzen. Sein Nutzungsvorteil war insoweit kein anderer als im Falle einer Stundung gemäß § 222 AO 1977. Deshalb ist es nicht planwidrig, wenn von ihm in beiden Fällen Zinsen erhoben werden.
Zwar verweist der Kläger zutreffend auf die Regelungen der §§ 7 Satz 4, 18 Abs.4 Satz 2 und 21 Abs.2 Satz 4 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) 1977. Dort ist ausdrücklich geregelt, daß die auf einen Übernahme-, Übertragungs- bzw. Veräußerungsgewinn entfallende Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer in bestimmter Weise zu stunden ist, wobei Stundungszinsen nicht erhoben werden. Aus den Regelungen ergibt sich aber nicht, daß bei einer Stundung gemäß § 6 Abs.5 AStG entsprechend zu verfahren ist. Im Gegenteil bestehen zwischen den Vorschriften grundlegende Unterschiede, die die analoge Anwendung der §§ 7 Satz 4, 18 Abs.4 Satz 2 und 21 Abs.2 Satz 4 UmwStG 1977 auf eine Stundung gemäß § 6 Abs.5 AStG verbieten. So soll durch die Vorschriften des UmwStG 1977 der Wechsel der Unternehmensform steuerlich erleichtert werden. Mit der Regelung des § 6 AStG wird kein vergleichbarer Zweck verfolgt. Die §§ 7 Satz 4, 18 Abs.4 Satz 2 und 21 Abs.2 Satz 4 UmwStG 1977 schreiben eine Stundung auf fünf bzw. zehn Jahre bei Tilgung der Steuerschuld in regelmäßigen Teilbeträgen vor. Nach § 6 Abs.5 Satz 3 AStG ist dagegen eine Stundung auf die Dauer von längstens zehn Jahren nach Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes möglich. Für die ersten fünf Jahre ist die Stundung ohne Tilgung der Steuerschuld in regelmäßigen Teilbeträgen möglich, wenn der Steuerpflichtige --wie im Streitfall der Kläger-- geltend macht, innerhalb der Frist wieder unbeschränkt steuerpflichtig werden zu wollen. Anschließend kann der Steuerpflichtige eine tilgungsfreie Stundung auf weitere fünf Jahre erhalten, wenn er glaubhaft macht, daß berufliche Gründe für seine Abwesenheit maßgebend sind und seine Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht (§ 6 Abs.5 Satz 3 i.V.m. Abs.4 zweiter Halbsatz AStG). Die Stundungsregelung des § 6 Abs.5 AStG ist insoweit für den Steuerpflichtigen günstiger als die der §§ 7 Satz 4, 18 Abs.4 Satz 2 und 21 Abs.2 Satz 4 UmwStG 1977. Schon deshalb ist kein Grund erkennbar, weshalb der Steuerpflichtige bei einer Stundung gemäß § 6 Abs.5 AStG zusätzlich noch in den Genuß der Nichtverzinslichkeit seiner Steuerschuld kommen müßte. Deshalb spricht gerade das Fehlen einer den §§ 7 Satz 4, 18 Abs.4 Satz 2 und 21 Abs.2 Satz 4 UmwStG entsprechenden Regelung dafür, daß in den Fällen des § 6 Abs.5 Satz 3 AStG Stundungszinsen schon wegen der nicht geforderten Ratenzahlungen erhoben werden sollen.
Der erkennende Senat hält es für nicht durchgreifend, daß ein Anspruch auf zinslose Stundung immer schon dann entsteht, wenn bei der Realisierung stiller Reserven dem Steuerpflichtigen keine Geldmittel zur Bezahlung der Steuerschuld zufließen. Bei einer Entnahme i.S. des § 4 Abs.1 Satz 2 EStG bzw. bei einer Betriebsaufgabe i.S. des § 16 Abs.3 EStG vollzieht sich ebenfalls die Realisierung stiller Reserven, ohne daß das Gesetz eine Stundung --geschweige denn eine zinslose Stundung-- vorsieht. Daraus folgt, daß bei einer Realisierung stiller Reserven ohne Geldmittelzufluß eine Stundung der Steuerschuld regelmäßig nur dann in Betracht gezogen werden kann, wenn die Einziehung bei Fälligkeit für den Steuerschuldner eine erhebliche Härte bedeutet. Auf die Verzinsung kann nur unter den Voraussetzungen des § 234 Abs.2 AO 1977 verzichtet werden.
Zwar ist der Gesetzgeber bei Erlaß des AStG im Jahre 1972 mit Rücksicht auf den damals geltenden § 127a Abs.1 der Reichsabgabenordnung davon ausgegangen, daß die Stundung gemäß § 6 Abs.5 AStG zinslos auszusprechen sei. Für die Zeit ab dem 1.Januar 1977 bestimmt jedoch Art.97 § 15 Abs.1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung, daß Zinsen nach den Vorschriften der AO 1977 entstehen. Folglich hat der Gesetzgeber die ursprüngliche Gesetzesregelung später geändert. Dies war rechtlich möglich. Die Änderung bezieht sich ausdrücklich auf alle Steuern aus einem Steuerschuldverhältnis und deshalb auch auf die Einkommensteuer, die sich durch die Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes des § 6 AStG ergibt.
4. Die Vorentscheidung entspricht im Ergebnis den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie verletzt deshalb kein Bundesrecht. Der angefochtene Zinsbescheid ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Daher war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BFH/NV 1992, 21 |
BStBl II 1992, 321 |
BFHE 166, 145 |
BFHE 1992, 145 |
BB 1992, 1195 |
BB 1992, 1195-1196 (LT) |
DB 1992, 719-720 (LT) |
DStR 1992, 1805 (KT) |
DStZ 1992, 220 (KT) |
HFR 1992, 218 (LT) |
StE 1992, 115 (K) |
WPg 1992, 358 (S) |
StRK, R.2 (LT) |
Information StW 1992, 208 (KT) |
RIW/AWD 1992, 335 (KT) |