Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Anliegerbeiträge gehören in vollem Umfang zu den Anschaffungskosten für Grund und Boden, nicht aber ganz oder teilweise zu den Herstellungskosten des Gebäudes. Der Senat hält an den Grundsätzen seiner Entscheidung VI 138/55 U vom 20. Mai 1957 (BStBl 1957 III S. 343, Slg. Bd. 65 S. 285) nicht mehr fest.
Normenkette
EStG §§ 7, 7b, 9
Tatbestand
Den beschwerdeführenden Ehegatten (Bf.) stehen für ein Mietwohnhaus, das sie errichtet haben, die erhöhten Absetzungen für Abnutzung (AfA) nach § 7 b EStG zu. Die Bf. wollen die Straßenanliegerbeiträge in die den Absetzungen zugrunde liegenden Gebäudeherstellungskosten einbezogen haben. Das Finanzamt veranlagte die Bf. zur Einkommensteuer für das Jahr 1959, ohne die Beiträge zu berücksichtigen.
Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg. Wie das Finanzamt, so rechnete auch das Finanzgericht, dessen Urteil in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1963 S. 198 abgedruckt ist, die Beiträge nicht zu den Herstellungskosten des Gebäudes. Es führte aus, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, nach der die Anliegerbeiträge unter bestimmten Voraussetzungen in die Gebäudeherstellungskosten einbezogen werden könnten, sei bedenklich. Selbst wenn man aber die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zugrunde lege, seien im Streitfall die Voraussetzungen für die Einbeziehung nicht erfüllt.
Mit ihrer Rb. rügen die Bf. unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Sie sind nach wie vor der Ansicht, die Beiträge gehörten zu den Herstellungskosten des Gebäudes. Sie berufen sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VI 138/55 U vom 20. Mai 1957 (BStBl 1957 III S. 343, Slg. Bd. 65 S. 285) und halten in ihrem Fall die Voraussetzungen für gegeben, unter denen nach diesem Urteil die Beiträge rechtlich mit der Errichtung des Hauses zusammenhängen.
Der Bundesminister der Finanzen, der wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitfrage dem Verfahren gemäß § 287 Ziff. 2 AO beigetreten ist, teilt im Ergebnis die Auffassung der Vorinstanzen und rechnet die Anliegerbeiträge zu den Anschaffungskosten für Grund und Boden. Er weist insbesondere auf die Neuregelung durch das Bundesbaugesetz vom 23. Juni 1960 (BGBl 1960 I S. 341) hin. Nach § 133 Abs. 2 dieses Gesetzes sei nämlich die Entstehung der Beitragspflicht für die Erschließungsbeiträge, die den früheren Anliegerbeiträgen entsprächen, nicht von der Bebauung abhängig; ausschlaggebend sei vielmehr allein die Herstellung der Erschließungsanlagen. Wenn diese Vorschrift auch erst vom Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes an gelte (vgl. §§ 180 und 189 des Bundesbaugesetzes), so zeige sie doch, daß nach Meinung des Gesetzgebers ein so enger Zusammenhang zwischen den Anliegerbeiträgen und der Bebauung des Grundstücks, wie ihn der Bundesfinanzhof angenommen habe, nicht bestehe.
In der von den Bf. überreichten gutachtlichen Stellungnahme des Deutschen Steuerinstituts wird die Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen als nicht überzeugend bezeichnet. Der Vertreter der Bf. meint, es sei zweckmäßig, die Anliegerbeiträge ebenso zu behandeln wie die Grunderwerbsnebenkosten, also die Grunderwerbsteuer, die Notar- und Grundbuchamtskosten sowie die Maklergebühren.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Mit dem Finanzgericht und den Beteiligten ist davon auszugehen, daß die Straßenanliegerbeiträge sich auf die erhöhten AfA nur auswirken, wenn sie als Teil der Herstellungskosten des Mietwohnhauses (Gebäudes) anzusehen sind. Diese Voraussetzung ist aber zu verneinen. Wie das Finanzgericht und der Bundesminister der Finanzen zutreffend ausführen, hat der Senat in dem Urteil VI 138/55 U, a. a. O., für den Geltungsbereich des Preußischen Fluchtliniengesetzes vom 2. Juli 1875 (Preußische Gesetzessammlung 1875 S. 561) entschieden, daß zwar die Anliegerbeiträge rechtlich ausschließlich und untrennbar mit der Errichtung des Gebäudes zusammenhingen und deswegen grundsätzlich zu den Herstellungskosten des Gebäudes gehörten, daß aber die normalen AfA nach § 7 EStG und die erhöhten AfA nach § 7 b EStG durch die Anliegerbeiträge nur berührt würden, soweit ein Wertverzehr zu Lasten der Steuerpflichtigen eintrete. Das sei nur der Fall, soweit die Anliegerbeiträge für Anlagen gezahlt worden seien, deren Unterhaltung und Erneuerung dem Steuerpflichtigen obliege.
Der Senat ist nach nochmaliger Prüfung zu der überzeugung gekommen, daß an dieser Rechtsprechung nicht festzuhalten ist und die Anliegerbeiträge allgemein nicht zu den Herstellungskosten des Gebäudes gerechnet werden können. Im Urteil VI 138/55 U, a. a. O., hat der Senat den entscheidenden Gesichtspunkt für die Zurechnung der Anliegerbeiträge zu den Herstellungskosten des Gebäudes darin gesehen, daß die Entrichtung der Anliegerbeiträge rechtlich die Voraussetzung für die Errichtung des Gebäudes ist. Ein derartiger Zusammenhang ist in der Tat immer gegeben, wenn die Pflicht zur Entrichtung von Anliegerbeiträgen an die Bebauung des Grundstücks geknüpft ist. Ob eine solche Verknüpfung tatsächlich bestand, war nach Ansicht des Bundesministers der Finanzen selbst für den Geltungsbereich des Preußischen Fluchtliniengesetzes vom 2. Juli 1875 zweifelhaft. Aber auch wenn man eine solche Verknüpfung bejaht, reicht sie entgegen der früheren Rechtsprechung des Senats allein nicht aus, um die Anliegerbeiträge zu einem Teil der Gebäudeherstellungskosten werden zu lassen. Denn die Verknüpfung mit der Errichtung des Gebäudes besagt nur, daß die Errichtung den rechtlichen Anlaß für die Entrichtung der Anliegerbeiträge bildet. Das Haus darf, ohne daß die Anliegerbeiträge gezahlt werden, nicht errichtet werden. Hieraus folgt indessen nicht, daß deswegen die Anliegerbeiträge unbedingt den Gebäudeherstellungskosten zugerechnet werden müßten. Voraussetzung für die Errichtung eines Hauses ist z. B. auch, daß der Grund und Boden vorhanden ist. Diese Abhängigkeit reicht aber zweifellos nicht aus, um etwa auch die Grundstücksanschaffungskosten zu den Gebäudeherstellungskosten zu rechnen. Selbst wenn es eine Bestimmung gäbe, daß Häuser nur auf eigenen und voll bezahlten Grundstücken errichtet werden könnten, würden dadurch nicht etwa die Kosten des Grundstücks Teil der Gebäudeherstellungskosten. Der Umstand, daß § 6 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 EStG hinsichtlich der AfA zwischen Grundstücken und Gebäuden unterscheidet, schließt eine derartige Zusammenfassung aus.
Die Anliegerbeiträge werden für Anlagen entrichtet, die außerhalb des Grundstücks liegen. Diese Anlagen sind weder Teile des Grundstücks noch Teile des Gebäudes und gehören nicht dem Grundstücks- und Hauseigentümer. Wenn sie dem Grundstückseigentümer auch nützen, so sind sie doch kein selbständiges Wirtschaftsgut, weil ihre Nutzung nur in Verbindung mit dem Grundstück möglich ist. Deshalb bleibt nur die Möglichkeit, die Anliegebeiträge entweder zu den Kosten für die Anschaffung des Grund und Bodens oder zu den Kosten der Herstellung des Gebäudes zu rechnen.
Anders als bei den Beträgen, die der Hauseigentümer zur Ablösung seiner Verpflichtung zum Bau von Garagen an die Gemeinde zu entrichten hat (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 149/62 S vom 27. Mai 1964, BStBl 1964 III S. 477, und das Urteil des Senats VI 37/63 U vom 18. September 1964, BStBl 1965 III S. 10), hält der Senat die Straßenanliegerbeiträge für einen Teil der Anschaffungskosten für den Grund und Boden. Die Anlagen, für deren Errichtung die Beiträge zu zahlen sind, kommen zwar sowohl dem Grund und Boden als auch dem Gebäude zugute. Für die volle Zurechnung zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens spricht vor allem der Umstand, daß der Wert von Grund und Boden, auch wenn das aufstehende Gebäude zerstört oder abgerissen ist, durch die mit den Straßenanliegerbeiträgen geschaffenen Anlagen ein für allemal gestiegen ist. Der Erwerber eines solchen Grundstücks, für das keine Straßenanliegerbeiträge mehr zu entrichten sind, wird bereit sein, diesen Umstand bei der Bemessung des Kaufpreises entsprechend zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 411368 |
BStBl III 1965, 85 |
BFHE 1965, 233 |
BFHE 81, 233 |
BB 1965, 277 |
DB 1965, 167 |
DStR 1965, 114 |