Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 10 d EStG ist verfassungskonform; zur Reihenfolge des Verlustabzugs
Leitsatz (NV)
1. § 10 d EStG verstößt nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes.
2. Abschnitt 115 Abs. 3 EStR, wonach der Verlustabzug ,,in der Reihenfolge vorzunehmen ist, die für den Steuerpflichtigen am günstigsten ist", ist nicht dahingehend zu verstehen, daß der Abzug schlechthin an jeder beliebigen Stufe der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens vorgenommen werden kann. Bei gesetzeskonformem Verständnis der Wortfassung der EStR muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß nur im Bereich des § 2 Abs. 4 EStG (Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen) ein Abzug an günstigster Stelle vorzunehmen ist (Anschluß an Urteil des BFH vom 17. Februar 1961 VI 243/60 U, BFHE 72, 634; BStBl III 1961, 232).
Normenkette
EStG § 2 Abs. 4, § 10 d
Verfahrensgang
Tatbestand
Bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für den Veranlagungszeitraum 1981 ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) das zu versteuernde Einkommen wie folgt:
Gesamtbetrag der Einkünfte ...DM
- Sonderausgaben pauschbetrag ...DM
Zwischensumme ...DM
abzugsfähige Versicherungsbeträge ...DM
- Freibetrag nach § 33 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ...DM
- Verlustabzug aus den Jahren 1976 bis 1980 (Höhe des
vortragsfähigen Verlustes ist unstreitig) ...DM
zu versteuerndes Einkommen ...DM
Der auf null DM lautende Einkommensteuerbescheid für 1981 ist bestandskräftig geworden.
Mit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1982 (Streitjahr), in dem das FA von einem zu versteuernden Einkommen von . . . DM ausgegangen ist, begehrten die Kläger, einen nicht ausgenutzten Verlust aus dem Vorjahr in Höhe von . . . DM zu berücksichtigen. Nach ihrer Auffassung hätte bei der Einkommensteuerveranlagung für 1981 der Verlustabzug nicht in Höhe von . . . DM, sondern nur in Höhe von . . . DM vorgenommen werden dürfen. Denn bereits bei einem Ansatz nur dieses Teils des Verlusts ergebe sich unter Berücksichtigung des Grundfreibetrags eine Steuer von null DM.
Gestützt auf § 10 d Satz 2 EStG erließ das FA am 14. Mai 1985 (während des Klageverfahrens) einen Änderungsbescheid, in dem es die Einkommensteuer nach Durchführung eines Verlustrücktrags aus dem Jahre 1983 auf . . . DM festsetzte. Der Bescheid wurde antragsgemäß Gegenstand des Verfahrens (§ 68 der Finanzgrichtsordnung - FGO -).
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seines Urteils im wesentlichen aus, § 10 d Satz 4 EStG bestimme, daß die nicht ausgeglichenen Verluste ,,wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen seien". Sie seien also insoweit den Sonderausgaben gleichgestellt. Diese minderten gemäß § 2 Abs. 4 EStG zusammen mit den außergewöhnlichen Belastungen den Gesamtbetrag der Einkünfte. Der Unterschiedsbetrag sei das Einkommen. Erst von diesem seien dann alle weiteren Abzugsbeträge abzusetzen (§ 2 Abs. 5 EStG). Zu ihnen zähle neben den Sonderfreibeträgen auch der Grundfreibetrag nach § 32 a EStG. Die vorherige Berücksichtigung dieser Positionen sei nicht möglich. Entstehe bereits durch den Verlustabzug ein zu versteuerndes Einkommen von null DM, könnten sich daher die Sonderfreibeträge und insbesondere auch der Grundfreibetrag steuerlich nicht mehr auswirken.
Mit der Revision wird geltend gemacht, das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Februar 1961 VI 243/60 U (BFHE 72, 634, BStBl III 1961, 232), auf welches sich das FG berufen habe, sei nicht mehr zeitgemäß, weil dieses Urteil im Rahmen des § 10 d EStG 1955 ergangen sei und damals einen bilanzierenden Gewerbetreibenden betroffen habe. § 10 d EStG sei zu jenem Zeitpunkt nur für Steuerpflichtige bestimmt gewesen, die die ersten drei Einkunftsarten nach einer ordnungsmäßigen Buchführung im Rahmen des § 4 Abs. 1 und § 5 EStG ermittelt hätten. Die Vorschrift habe in der Zwischenzeit mehrfach erhebliche Änderungen erfahren. Den Begriff des Grundfreibetrages habe es 1955 noch nicht gegeben. Er sei erstmals im EStG 1981 erwähnt. Da in § 10 d EStG und nach Abschn. 115 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) für den Verlustabzug die günstigste Reihenfolge zu wählen sei und der Verlustabzug nunmehr insgesamt über acht Jahre vorzunehmen sei, seien auch die Tarifvergünstigungen so einzubeziehen, daß sie sich steuerlich auswirken könnten.
Das FA beruft sich insbesondere auf die herrschende Meinung in der Literatur und hebt hervor, daß der Verlustabzug rechtlich eine Sonderausgabe sei. Er gehöre zu den Beträgen, die nach § 2 Abs. 4 EStG die Brücke zwischen den einzelnen Einkunftsarten und dem Einkommen im Sinne des EStG bildeten. Diese Stellung des § 10 d EStG trenne den Verlustabzug von der Gewinnermittlung bei den begünstigten Einkunftsarten. Daneben sei durch § 2 Abs. 4 EStG für den § 10 d EStG eine Trennwand gegenüber den in Abschn. IV des Gesetzes enthaltenen Tarifbestimmungen (§§ 32 bis 34 b EStG) errichtet. Hieraus folge, daß der Verlustabzug nichts zu tun habe mit den in Teil IV des EStG enthaltenen Vorschriften (Urteil des BFH vom 28. Juni 1968 VI R 214/66, BFHE 93, 278, BStBl II 1968, 774).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG ist, dem FA folgend, ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, daß der der Höhe nach unstreitige Verlust aus den Jahren 1976 bis 1980 in vollem Umfang durch Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahres 1981 verbraucht wurde, so daß für das Streitjahr ein gemäß § 10 d EStG abziehbarer Verlustanteil aus den Vorjahren nicht mehr zur Verfügung stand.
§ 10 d EStG in der in den Jahren 1976 bis 1981 und im Streitjahr geltenden Fassung besagt - soweit einschlägig -, daß ,,Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht ausgeglichen werden" . . . , ,,wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte" des vorangegangenen bzw. der folgenden fünf Veranlagungszeiträume abzuziehen sind. Dieser Gesetzeswortlaut läßt einen Verlustabzug in der von den Klägern begehrten Weise nicht zu. Durch die Formulierung ,,wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte . . . abzuziehen" ist der Rahmen, innerhalb dessen sich der Vorjahresverlust auswirken kann, jedenfalls dahingehend abgesteckt, daß ein Abzug erst nach der Stufe der Ermittlung des Einkommens nicht in Betracht kommen kann. Denn ausweislich der in § 2 EStG festgelegten Begriffsbestimmungen und der dort vorgegebenen Stufen zur Ermittlung der Einkommensteuer ist erst der Gesamtbetrag der Einkünfte i. S. von § 2 Abs. 3 EStG zu errechnen, aus dem sich durch Verminderung um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen das Einkommen ergibt. Spätestens im Zuge der Festlegung des Einkommens i. S. von § 2 Abs. 4 EStG muß der Verlustabzug vorgenommen werden. Denn nur dann ist dem Postulat, daß ,,wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte" abgezogen werden muß, entsprochen. Eine spätere Berücksichtigung des Vorjahresverlustes in einer der nachfolgenden Steuerermittlungsstufen wäre mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbaren.
Der Senat folgt damit den Urteilen des BFH in BFHE 72, 634, BStBl III 1961, 232 sowie in BFHE 93, 278, BStBl II 1968, 774.
Dementsprechend besteht auch im Schrifttum allenfalls darüber Uneinigkeit, welche Rangfolge der Verlustabzug innerhalb der Sonderausgaben und der außergewöhnlichen Belastungen haben soll (vgl. einerseits Borggreve in Littmann / Bitz / Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 10 d EStG Rdnr. 51; Kirchhof / Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10 d Rdnrn. 336 bis 341 m. w. N.; andererseits Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 10 d EStG Rdnr. 187 m. w. N.). Keiner der genannten Kommentatoren vertritt dagegen die Auffassung, daß auch noch nach vollendeter Ermittlung des Einkommens oder gar des zu versteuernden Einkommens ein Vorjahresverlust (ggfs. anteilig, soweit steuerwirksam) abzuziehen sei, wie dies die Kläger erstreben.
Zu Unrecht berufen sich die Kläger auf Abschn. 115 Abs. 3 EStR. Zum einen ist für die Entscheidung des Senats nur der Gesetzeswortlaut maßgebend. Die EStR stellen nur allgemeine Verwaltungsanweisungen dar, die eine möglichst gleichmäßige Gesetzesanwendung durch die FÄ sicherstellen sollen, die Gerichte dagegen nicht binden können. Zum anderen ist durch diese Verwaltungsanweisung die von den Klägern erstrebte Verlustverrechnungsweise nicht zwingend abgedeckt. Die Formulierung: ,,übersteigt die Summe der abzugsfähigen Sonderausgaben und der sonstigen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehenden Beträge den Gesamtbetrag der Einkünfte, so ist der Abzug in der Reihenfolge vorzunehmen, die für den Steuerpflichtigen am günstigsten ist" ist nicht dahingehend zu verstehen, daß unter den genannten Voraussetzungen der Abzug schlechthin an jeder beliebigen Stufe der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens vorgenommen werden kann. Bei gesetzeskonformem Verständnis der zitierten Wortfassung der EStR muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß nur im Bereich des § 2 Abs. 4 EStG (Sonderausgaben und außergwöhnliche Belastungen) ein Abzug an günstigster Stelle vorzunehmen ist.
§ 10 d EStG verstößt auch nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes. Die Kläger sehen einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darin, daß sich der Abzug je nach Konstellation (Höhe des Verlusts, Höhe der Gewinne der Nachjahre usw.) bei verschiedenen Steuerpflichtigen unterschiedlich auswirken kann. Diese Überlegungen greifen nicht durch. Durch § 10 d EStG werden nicht bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen schlechter als andere gestellt. Lediglich durch zufällige Schwankungen in der Gewinn- bzw. Verlustentwicklung sowie bei der Höhe der vom Einkommen abziehbaren Beträge kann es dazu kommen, daß in einem Extremfall der Verlustabzug volle steuerliche Wirkung entfaltet und in einem anderen Extremfall sich als wirkungslos erweist. Ein von der Regelung des § 10 d EStG betroffener Steuerpflichtiger kann in einem Jahr ein Begünstigter, in einem Folgejahr ein Benachteiligter sein.
Fundstellen
Haufe-Index 417527 |
BFH/NV 1991, 520 |