Leitsatz (amtlich)
1. Eine nach Klageerhebung durch Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters voll beendete Personengesellschaft bleibt im Prozeß um einen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid Verfahrensbeteiligte.
2. Kein Zustellungsmangel, wenn die Ausfertigungen eines Gewinnfeststellungsbescheids unterschiedliche Abgangsdaten tragen.
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 3, § 57; VwZG § 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Gesellschafter der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer KG, waren ursprünglich die Gesellschafter A, B und C. Im Jahre 1971 veräußerten sie ihre Beteiligungen bis auf einen Restanteil von je 500 DM an eine AG; diese übertrug die erworbene Gesellschaftsbeteiligung auf eine GmbH. Einen Teil des Veräußerungserlöses überließen die Gesellschafter der Klägerin als stille Beteiligungen. Im Vertrag mit der AG war vorgesehen, daß der Wert der stillen Beteiligungen neu festgelegt werden sollte, wenn sich das Preisniveau in bestimmter Weise verändere. Zum 31. Dezember 1975 wurden daraufhin die stillen Beteiligungen erhöht. Die Klägerin sah darin einen nachträglichen Veräußerungsgewinn der Gesellschafter; der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte den Gewinn in dieser Weise fest. Nach einer Betriebsprüfung nahm das FA an, daß die Anpassungsbeträge laufender Gewinn der Gesellschafter gewesen seien, und änderte daraufhin den Gewinnfeststellungsbescheid 1975. Der Änderungsbescheid wurde im Jahre 1978 der AG als Empfangsbevollmächtigter der Klägerin bekanntgegeben. Die Gesellschafter A und B waren jedoch bereits zum 1. Januar 1976 auch hinsichtlich ihrer Restbeteiligung von 500 DM aus der Klägerin ausgeschieden; hierauf war im Betriebsprüfungsbericht hingewiesen worden.
Gegen den geänderten Feststellungsbescheid erhob die Klägerin Sprungklage. Sie machte geltend, daß die Gesellschafter nicht Mitunternehmer gewesen seien, so daß die Erhöhungsbeträge einen Zuwachs im Privatvermögen darstellten. Jedenfalls handele es sich aber um steuerbegünstigte nachträgliche Veräußerungsgewinne, die zudem erst im Jahre 1976 berücksichtigt werden könnten, weil die Anpassung erst in diesem Jahre vorgenommen worden sei. Auf einen Hinweis des Finanzgerichts (FG) stellte das FA den geänderten Feststellungsbescheid auch den Gesellschaftern A und B zu. Nach Klageerhebung veräußerte der verbliebene Gesellschafter C seinen Gesellschaftsanteil an die GmbH, auf die dadurch das Unternehmen überging.
Das FG nahm in seiner Entscheidung an, daß die Klägerin für das steuergerichtliche Verfahren auch nach diesem Zeitpunkt fortbestehe. Das Gericht hob den geänderten Feststellungsbescheid auf, weil er den Gesellschaftern A und B nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden sei. Die Zustellung an die AG sei für sie nicht wirksam gewesen, weil sie seinerzeit nicht mehr Gesellschafter gewesen seien und das FA hiervon ausweislich des Betriebsprüfungsberichts Kenntnis gehabt habe (§ 183 Abs. 1 und 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Der Mangel sei auch nicht durch die spätere Bekanntgabe im Steuerprozeß behoben worden. Der geänderte Feststellungsbescheid sei unter dem Datum vom 20. März 1978 erlassen worden. Demgegenüber hätten die den Gesellschaftern A und B nach Klageerhebung übersandten Bescheide das Datum vom 30. April 1981 getragen. Aufgrund dieser Abweichung sei der angefochtene Feststellungsbescheid den ausgeschiedenen Gesellschaftern nicht wirksam bekanntgegeben worden. Die übersandten Ausfertigungen hätten das Datum der Urschrift des Verwaltungsakts, nämlich des 20. März 1978, tragen müssen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Mit ihr wird geltend gemacht, daß die Datumsangaben vom 20. März 1978 bzw. 30. April 1981 jeweils nur den Tag des Abgangs des Feststellungsbescheids bezeichneten. Die Feststellungsverfügung sei am 8. November 1977 abgezeichnet worden und damit entstanden; für die Wirksamkeit des Verwaltungsakts sei nicht erforderlich, daß die Ausfertigungen für alle Betroffenen an demselben Tage versandt würden. Um den Bedenken des FG Rechnung zu tragen, habe das FA den Gesellschaftern A und B nach Zustellung des Urteils nochmals Ausfertigungen des Feststellungsbescheids zugestellt und hierbei das Datum vom 20. März 1978 eingetragen.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Entscheidungsgründe
1. Zu Recht hat das FG allerdings die Klägerin als fortbestehend und klagebefugt angesehen. Im anhängigen Verfahren ist streitig, ob die Gesellschafter A, B und C im Jahre 1975 noch Mitunternehmer waren und ob sie bejahendenfalls die nachträglichen Leistungen der AG als laufenden (Sonder-)Gewinn des Streitjahres zu versteuern haben. In beiden Fragen war die Klägerin nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) klagebefugt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Mai 1972 IV 251/64, BFHE 105, 449, BStBl II 1972, 672; vom 28. November 1974 I R 62/74, BFHE 114, 167, BStBl II 1975, 209).
Hieran änderte auch der Umstand nichts, daß der Gesellschafter C während des Rechtsstreits als vorletzter Gesellschafter der Klägerin ausschied, so daß das Gesellschaftsvermögen durch Anwachsung (§§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches - HGB -, § 738 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die GmbH überging und die Klägerin damit ohne Abwicklung voll beendet war (BFH-Urteile vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503; vom 18. September 1980 V R 175/74, BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293). Das hatte nicht zur Folge, daß die Prozeßführungsbefugnis nunmehr auf die GmbH als Rechtsnachfolgerin überging. Das Prozeßführungsrecht des § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO ist ein Fall der gesetzlichen Prozeßstandschaft (vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai 1977 IV R 47/76, BFHE 122, 400, BStBl II 1977, 737, 743; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 48 FGO Anm. 1), da die Gesellschaft im Interesse ihrer Gesellschafter tätig wird, die von der einheitlichen Gewinnfeststellung betroffen sind und gegen die sich der Feststellungsbescheid richtet (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1978 IV R 187/74, BFHE 126, 114, BStBl II 1979, 89). Es besteht grundsätzlich nur, solange die Gesellschaft noch vorhanden ist.
Die Vollbeendigung der Gesellschaft ohne Abwicklung hat deswegen zur Folge, daß die früheren Gesellschafter einen die Zeit ihrer Mitgliedschaft betreffenden Gewinnfeststellungsbescheid selbst angreifen müssen, da die sonst nach § 352 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977, § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO bestehende Rechtsbehelfsbefugnis der Personengesellschaft fortgefallen ist (vgl. BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503; BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293). Aus dem gleichen Grunde ist eine in dieser Weise beendete Personengesellschaft nicht mehr zu dem von einem früheren Gesellschafter angestrengten Rechtsstreit über die Gewinnfeststellung beizuladen (vgl. BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503; BFH-Urteil vom 6. November 1980 IV R 52/77, BFHE 132, 9, BStBl II 1981, 186). Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Vollbeendigung erst im Laufe eines von der Gesellschaft gegen einen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid geführten Steuerprozesses eintritt.
Im Zivilprozeß wird davon ausgegangen, daß eine nach Abschluß der Liquidation oder durch Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters voll beendete Personenhandelsgesellschaft ihre Parteistellung verliert und daß der Prozeß nur fortgesetzt werden kann, wenn ihre Gesellschafter im Wege der gewillkürten Klageänderung als neue Parteien in das Verfahren eintreten (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 13. Februar 1974 VIII ZR 147/72, BGHZ 62, 131; R. Fischer in Festschrift Hedemann, 1958 S. 75, 85 ff.; derselbe in Großkommentar zum HGB, 3. Aufl., § 124 Anm. 32 f.; Huber, Zeitschrift für Zivilprozeßrecht 1969 Bd. 82 S. 224, 240 ff.; Henckel, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1975, 232 ff.). Demgegenüber hat der erkennende Senat angenommen, daß eine Personenhandelsgesellschaft, die während des Rechtsstreits durch Beendigung der Liquidation voll beendet wurde, weiterhin Klägerin sein kann (Urteil vom 24. November 1977 IV R 113/75, BFHE 125, 107, BStBl II 1978, 467); er hat offengelassen, ob dies auch dann gelte, wenn die Personengesellschaft, wie im Streitfall, ohne Abwicklung endet. Der Senat bejaht nunmehr diese Frage.
Hält man die Gesellschaft nicht mehr für klagebefugt, so könnte der Rechtsstreit durch die zuletzt vorhanden gewesenen Gesellschafter nur fortgesetzt werden, wenn sie durch den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid selbst betroffen und selbst rechtsbehelfsbefugt wären. Das ist insbesondere bei einem Gesellschafterwechsel nicht gewährleistet. Zudem wird angenommen, daß eine den Beteiligten wechselnde Klageänderung bei fristgebundenen Klagen nur innerhalb der Klagefrist zulässig ist (BFH-Urteil vom 26. Februar 1980 VII R 60/78, BFHE 130, 12, BStBl II 1980, 331). Der Senat ist deshalb aus Gründen der Verfahrensökonomie der Auffassung, daß die zivilrechtlich voll beendete Personengesellschaft Beteiligte im Steuerprozeß bleibt, und zwar auch dann, wenn die Beendigung ohne Abwicklung eingetreten ist. Diese Auffassung ist von einer Mindermeinung auch für den Zivilprozeß vertreten worden (Jaeger in Festschrift Sohm, 1915 S. 50 ff.; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1961 S. 179; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., S. 227). Sie ist von der Rechtsprechung vor allem deswegen nicht übernommen worden, weil die Vermögenszuständigkeit der Personenhandelsgesellschaft mit der Vollbeendigung wegfällt (vgl. BGHZ 62, 131; R. Fischer, a. a. O.; vgl. auch BGH-Urteil vom 5. April 1979 II ZR 73/78, BGHZ 74, 212, für den Fall der Klage gegen einen im Rechtsstreit beendeten rechtsfähigen Verein). Diese Überlegungen treten in einem Steuerprozeß zurück, in dem ein Gewinnfeststellungsbescheid angefochten wird; diese Aufgabe kann die Gesellschaft ohne Rücksicht auf ihren Vermögensstand erfüllen (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 57 FGO Anm. 3).
2. Das angefochtene Urteil mußte jedoch aufgehoben werden, weil das FG zwar die Gesellschafter A und B, nicht aber den Gesellschafter C und die GmbH beigeladen hat. Diese waren von Anfang an neben der Klägerin gemäß § 48 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FGO klagebefugt, da die Mitunternehmerschaft bzw. die Qualifizierung der nachträglichen Zahlungen der AG Fragen darstellten, die sie persönlich angingen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1969 VI R 240/68, BFHE 96, 32, BStBl II 1969, 586; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 48 Anm. 7). Sie mußten deswegen gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beigeladen werden.
Der Beiladungsmangel mußte vom Senat auch ohne Verfahrensrüge beachtet werden.
3. In der Sache konnte das FG den angefochtenen Feststellungsbescheid nicht mit der Begründung aufheben, daß er den Gesellschaftern A und B nicht wirksam bekanntgegeben worden sei. Ein solcher Mangel war im Streitfall zwar ursprünglich gegeben, da die AG nach den Feststellungen des FG als Empfangsbevollmächtigter der Klägerin tätig geworden ist, diese ihrerseits aber nicht Empfangsbevollmächtigter für die auch nach Kenntnis des FA nicht mehr der Gesellschaft angehörenden Gesellschafter war (§ 183 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AO 1977). Der darin liegende Verfahrensmangel konnte jedoch von der Verwaltungsbehörde noch im Klageverfahren beseitigt werden (BFH-Urteile vom 6. Mai 1977 III R 19/75, BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783; BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503). Das ist seitens des FA geschehen, als es den Gesellschaftern A und B während des Klageverfahrens Ausfertigungen des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids für 1975 zustellte. Diese Ausfertigungen genügten selbst den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (vgl. BFH-Urteil vom 1. August 1975 III R 58/74, BFHE 116, 467, BStBl II 1975, 894). Sie stimmten inhaltlich mit dem der Klägerin übersandten Bescheid überein. Daß die nachträglich zugestellten Ausfertigungen ein abweichendes Datum trugen, hat keine Bedeutung. Zu Recht weist das FA darauf hin, daß damit nur der Tag des Abgangs der Bescheide bezeichnet wird, während die den Gewinn feststellende Verfügung vom zuständigen Bediensteten des FA zu einem früheren Termin unterzeichnet worden ist. Entscheidend ist, daß die Zustellungsempfänger aus der Ausfertigung den Inhalt der Urschrift und insbesondere den Umfang ihrer Beschwer erkennen konnten; unter dieser Voraussetzung hätten selbst kleine Fehler hingenommen werden können (BGH-Beschluß vom 23. April 1980 VIII ZB 6/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1981, 38).
Das FG wird nunmehr auf die zwischen den Beteiligten streitigen Rechtsfragen eingehen müssen.
Fundstellen
BStBl II 1984, 15 |
BFHE 1984, 1 |