Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Eine Zwischenentscheidung ist nicht zulässig, wenn das Finanzgericht über alle Streitpunkte entschieden hat, über die ihm eine Entscheidung zusteht.
Die Bescheinigungen der Kulturämter nach § 1 Abs. 2 des niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 25. März 1959 - Strukturgesetz - (Niedersächsisches GVBl 1959 S. 57; BStBl 1959 II S. 50) binden die Finanzämter, soweit in ihnen darüber entschieden ist, ob der Grunderwerb objektiv geeignet war, den im Gesetz genannten Zwecken zu dienen (Zweckdienlichkeitsbescheinigung).
Die Steuerbefreiung nach dem Strukturgesetz hängt davon ab, ob der vom Gesetz verfolgte Zweck der Strukturverbesserung durch den Grunderwerb objektiv erreicht worden ist; subjektive Momente, z. B. der Beruf des Erwerbers, hindern die Steuerbefreiung nicht.
AO § 284 Abs. 2; niedersächsisches Gesetz über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom
Normenkette
GrEAgrarGND 1/1/3; GrEAgrarGND 1/2; AO § 284 Abs. 2; FGO § 99
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob das Finanzgericht im Streitfall ein Zwischenurteil erlassen durfte.
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) übt die Berufe eines Landwirts, eines Gastwirts, eines Kohlenhändlers und den eines Posthalters aus. Er war bis zu dem jetzt streitigen Erwerbsvorgang Eigentümer eines 12,1263 ha großen landwirtschaftlichen Betriebes, zu dem weitere 11,8030 ha Land hinzugepachtet waren. Zur Vergrößerung dieses landwirtschaftlichen Betriebes erwarb der Stpfl. durch notariellen Vertrag vom 2. August 1960 ein 87,04 a großes Grundstück. Nachdem das Finanzamt die Grunderwerbsteuer festgesetzt hatte, begehrte der Stpfl. mit dem Einspruch unter Hinweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 3 des niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 25. März 1959 (Niedersächsisches GVBl 1959 S. 57, BStBl 1959 II S. 50) erfolglos Freistellung von der Grunderwerbsteuer für diesen Erwerbsvorgang. Das Finanzamt stellte sich auf den Standpunkt, daß die Steuerbefreiung unter anderem nur gewährt werden könne, wenn der Erwerber Landwirt im Hauptberuf sei. Diese Voraussetzung sei im Streitfall nicht gegeben, denn der Hauptberuf des Stpfl. sei der eines Gewerbetreibenden.
Auf die Berufung des Stpfl. entschied mit dessen Zustimmung das Finanzgericht durch Zwischenurteil dahin, daß im Streitfall "die rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit des Vertrages vom 2. 8. 1960 ... erfüllt" seien. Das Finanzgericht sah von einer endgültigen Entscheidung ab, weil ihm die nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes erforderliche Zweckdienlichkeitsbescheinigung der zuständigen Behörde nicht vorlag.
Mit der Rb. wendet sich der Vorsteher des Finanzamts (Bf.) sachlich gegen die Auffassung des Finanzgerichts.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt, wenn auch aus anderen als den vorgebrachten Gründen, zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.
Nach § 284 Abs. 2 AO sind Zwischenentscheidungen über selbständige Streitpunkte zulässig. Die Fragen, über die das Finanzgericht entschieden hat, umfassen alle Streitpunkte, über die dem Finanzgericht eine Entscheidung zusteht. Es hätte daher, nachdem es zu der überzeugung gelangt war, daß alle rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung im Streitfall erfüllt sind, die Zweckdienlichkeitsbescheinigung des Kulturamts anfordern und entsprechend der rechtsbegründenden Entscheidung dieser Behörde im Streitfall durch Endurteil erkennen müssen. Die im Abschn. III Nr. 2 Abs. 3 des Gemeinsamen Runderlasses des Niedersächsischen Ministers der Finanzen und des Niedersächsischen Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 16. März 1960 betreffend das Gesetz über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 25. März 1959 (BStBl 1960 II S. 75) vertretene Rechtsansicht, daß die Finanzbehörden die Entscheidungen der Kulturämter zur Zweckdienlichkeit überprüfen und gegebenenfalls diese Entscheidung selbst treffen könnten, teilt der Senat angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes nicht. Aus § 1 Abs. 2 des Gesetzes folgt, daß die Zweckdienlichkeit von der zuständigen Behörde zu bescheinigen ist. Das Gesetz räumt dem Finanzamt insoweit kein Nachprüfungsrecht über eine Entscheidung der Behörde eines anderen Verwaltungszweiges ein. Ist das Finanzamt der Ansicht, daß eine Zweckdienlichkeitsbescheinigung zu Unrecht erteilt, oder der Stpfl., daß sie zu Unrecht versagt worden sei, so steht ihnen die Klage vor den Verwaltungsgerichten (vgl. § 40 der Verwaltungsgerichtsordnung und für den gleichgelagerten Fall des § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe b GrEStG Boruttau-Klein, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 6. Aufl., § 4 Tz. 87), nicht aber vor den Finanzgerichten zu.
Da hiernach das Finanzgericht über keinen weiteren selbständigen Streitpunkt befinden kann, durfte es eine Zwischenentscheidung nicht erlassen. Die Vorentscheidung ist aus diesem verfahrensrechtlichen Grunde aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Das Finanzgericht wird nunmehr entweder selbst oder durch den Stpfl. das Kulturamt um die Erteilung einer Zweckdienlichkeitsbescheinigung zu ersuchen haben. Im übrigen kann die in Abschn. III Nrn. 1 und 2 des erwähnten Runderlasses vertretene Auffassung, daß das Finanzamt das Kulturamt um eine Zweckdienlichkeitsbescheinigung zu ersuchen habe, wenn es die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes bejaht, nur dann als mit dem Gesetz vereinbar angesehen werden, wenn dadurch das Recht des die Vergünstigung begehrenden Stpfl. auf Ausstellung einer solchen Bescheinigung nicht beeinträchtigt, insbesondere nicht von der Bejahung der Voraussetzung nach Abs. 1 des Gesetzes durch das Finanzamt abhängig gemacht wird. Die Auffassung des Kulturamtes, daß erst eine Entscheidung des Finanzamts mit positivem Ergebnis (die der Stpfl. notfalls im Rechtsmittelwege herbeizuführen habe) vorliegen müsse, ehe es in der Lage sei, die Zweckdienlichkeitsbescheinigung zu erteilen, findet weder im Gesetz noch in dem erwähnten Gemeinsamen Runderlaß eine ausreichende Stütze. Es kann schon aus prozeßökonomischen Gründen nicht vertreten werden, die Frage der rechtlichen Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes in einem Steuerrechtsstreit womöglich in zwei Instanzen zu klären, um dann die Steuerbefreiung gegebenenfalls an der Zweckdienlichkeit, die das Kulturamt zu beurteilen hat, scheitern zu lassen. Sollte im Streitfall das Kulturamt die Zweckdienlichkeit des Erwerbs des Stpfl. zur Aufstückung eines landwirtschaftlichen Kleinbetriebes bis zur Größe eines Familienbetriebes bejahen, so hätte der Senat nach dem derzeitigen Akteninhalt keine Bedenken, der Vorentscheidung zuzustimmen, da das Gesetz mit der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 3 objektiv der dauernden Strukturverbesserung landwirtschaftlicher Kleinbetriebe dienen will und unstreitig die von den Finanzbehörden zu beurteilenden Voraussetzungen der Steuerbefreiung, nämlich das Vorhandensein eines Kleinbetriebes und dessen Aufstockung durch den Grunderwerb, vorliegen. Entgegen der Auffassung des Bf. werden diese objektiven Voraussetzungen nicht durch den Beruf des Erwerbers berührt. Das Finanzgericht hat es daher zu Recht abgelehnt, auf das Strukturgesetz die Grundsätze des Urteils des erkennenden Senats II 83/58 U vom 26. Juli 1961 (BStBl 1961 III S. 540, Slg. Bd. 73 S. 752) anzuwenden, die das in dem entscheidenden Punkte anders lautende baden- württembergische Gesetz über Erleichterungen bei der Grunderwerbsteuer für den Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der inneren Verkehrslage land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 6. Februar 1956 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1956 S. 8, BStBl 1956 II S. 46) betreffen.
Fundstellen
Haufe-Index 410853 |
BStBl III 1963, 406 |
BFHE 1964, 240 |
BFHE 77, 240 |