Leitsatz (amtlich)
Ist ein unbebautes Grundstück, das im Bereich eines verbindlichen Bebauungsplanes belegen ist, im Zeitpunkt des Erwerbes mangels Erschließung und infolge noch fehlender Umlegung nicht bebaubar, so ist die Bekanntmachung eines Umlegungsbeschlusses (vgl. § 50 BBauG) kein der Bebauung entgegenstehendes Hindernis im Sinne des § 4 Abs. 10 Satz 1 (seit 1970: Abs. 11 Satz 1) GrEStG Hessen.
Normenkette
GrEStG Hessen § 4 Abs. 10 S. 1; GrEStG Hessen § 4 Abs. 11 S. 1
Tatbestand
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 23. Dezember 1969 kaufte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ein im Bereiche eines am 2. Juli 1969 rechtsverbindlich gewordenen Bebauungsplanes gelegenes Grundstück. Nach Maßgabe des Bebauungsplanes war das noch nicht erschlossene Grundstück, das unter anderem keinen Zugang zu einer öffentlichen Straße hatte, in seinem bisherigen Zuschnitt nicht bebaubar. Zwecks Erschließung und flächenmäßiger Umgestaltung bedurfte es noch eines Umlegungsverfahrens unter Beteiligung weiterer Grundstückseigentümer.
Der Kläger erklärte dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -), er beabsichtige, ein Hochhaus mit grundsteuerbegünstigten Wohnungen zu errichten. Endgültige Angaben könne er erst machen, wenn er mit der Stadt A Übereinstimmung über die Bebauung erzielt habe, die Erschließung erfolgt sei und eine endgültige Plangestaltung vorliege.
Das FA gewährte antragsgemäß vorläufige Befreiung von der Grunderwerbsteuer und erteilte am 28. April 1970 die Unbedenklichkeitsbescheinigung.
In der Folgezeit wurde ein Umlegungsplan aufgestellt und am 8. Juni 1975 unanfechtbar. Der Zeitpunkt der Einleitung des Umlegungsverfahrens (§ 47 des Bundesbaugesetzes - BBauG -) ist nicht festgestellt worden.
Nach Ablauf von fünf Jahren ab Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung setzte das FA Grunderwerbsteuer fest, weil das erworbene Grundstück nicht fristgerecht bebaut worden sei.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides und der Einspruchsentscheidung begehrt. Er hat geltend gemacht, daß die Bebauungsfrist durch ein auf öffentlichem Recht beruhendes Hindernis unterbrochen worden sei.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat mit der Revision sein Klagebegehren weiter verfolgt: Die Bebauungsfrist möge auf zehn Jahre verlängert werden. Die Bebauung habe infolge von Umständen, die er nicht zu vertreten habe, nicht durchgeführt werden können. Das Hindernis, das zur Unterbrechung der Bebauungsfrist geführt habe, sei darin zu sehen, daß die Gemeinde das Grundstück als Bauerwartungsland qualifiziert habe, dann jedoch innerhalb der Bebauungsfrist kein Baugelände geschaffen habe.
Der Hessische Minister der Finanzen hat seinen Beitritt zum Revisionsverfahren erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Grundstückserwerb des Klägers unterliegt der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der in Hessen geltenden Fassung. Die Steuer ist mit Ablauf der Fünfjahresfrist des § 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG entstanden, da an diesem Tage auf dem erworbenen Grundstück keine grundsteuerbegünstigten Wohnungen bezugsfertig errichtet waren. Der Ablauf der Fünfjahresfrist ist nicht durch ein in die Frist fallendes Hindernis im Sinne des § 4 Abs. 10 Satz 1 (seit 1970: Abs. 11 Satz 1) GrEStG unterbrochen worden.
1. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ist der Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung von steuerbegünstigtem Wohnraum unter der Voraussetzung von der Grunderwerbsteuer freigestellt, daß binnen fünf Jahren, vom Ausstellungstag der Unbedenklichkeitsbescheinigung an gerechnet, grundsteuerbegünstigte Wohnungen bezugsfertig errichtet werden. Eine Verlängerung der Nachversteuerungsfrist für die Fälle, in denen unerschlossene Grundstücke erworben werden, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Wer ein unerschlossenes Grundstück erwirbt, mag das Grundstück auch im Bereiche eines rechtsverbindlichen Bebauungsplanes belegen sein, trägt regelmäßig wie auch der Erwerber eines bereits erschlossenen Grundstückes grunderwerbsteuerrechtlich das Bebauungsrisiko, ohne daß es im Einzelfall darauf ankäme, worauf die Nichteinhaltung der Frist zurückzuführen wäre.
Die Entscheidung darüber, ob etwa bei zunehmendem Mangel an bereits erschlossenen Grundstücken die Einführung einer längeren Nachversteuerungsfrist für unerschlossene Grundstücke nach dem Vorbild der Gesetzgebung einiger anderer Bundesländer angebracht gewesen wäre, ist eine rechtspolitische Frage, über die die Gerichte nicht zu befinden haben. Es kann deshalb nicht dem Antrag des Klägers gefolgt werden, die Bebauungsfrist durch Urteil um fünf Jahre zu verlängern.
2. Die Voraussetzungen, unter denen nach dem durch Gesetz vom 16. Dezember 1963 ( Gesetz- und Verordnungsblatt Hessen 1963 S. 192 - GVBl Hessen 1963, 192 -) in das Grunderwerbsteuergesetz eingefügten § 4 Abs. 10 Satz 1 (seit 1970: Abs. 11 Satz 1) die Nachversteuerungsfrist erneut zu laufen beginnt, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Denn ein Bebauungshindernis bestand bereits im Zeitpunkt des Erwerbes. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. das Urteil vom 2. Februar 1977 II R 4/72, BFHE 121, 531, BStBl II 1977, 484), fallen nur nachträglich auftretende Hindernisse unter die genannte Vorschrift, nicht aber für behebbar gehaltene Hindernisse, die im Ewerbszeitpunkt bereits vorgelegen haben. Hieran hält der Senat fest.
Eine Auslegung der Vorschrift dahin, daß auch für behebbar gehaltene im Erwerbszeitpunkt bereits bestehende Bebauungshindernisse in den Nachversteuerungszeitraum "fallen" und somit die Anwendung des § 4 Abs. 10 Satz 1 (seit 1970: Abs. 11 Satz 1) GrEStG auslösen, wäre mit dem Zweck der Nachversteuerungsregelung nicht zu vereinbaren. Eine derartige Auslegung würde im Ergebnis in allen Fällen, in denen im Erwerbszeitpunkt ein Bebauungshindernis besteht, den Beginn der Nachversteuerungsfrist hindern und auf diese Weise beim Erwerb nicht bebauungsfähiger Grundstücke zu einer Nachversteuerungsfrist von unabsehbarer Dauer führen. Dadurch würde die fünfjährige Regelfrist weitgehend ausgehöhlt werden. Grundstückserwerbe wären steuerfrei, obwohl die Schaffung von Wohnraum, die den gesetzgeberischen Zweck für die Einführung der Steuerfreiheit bildet, auf unabsehbare Zeit hinausgezögert worden wäre.
Gegen eine Auslegung dahin, daß auch bei bereits bestehenden Babauungshindernissen § 4 Abs. 10 Satz 1 (seit 1970: Abs. 11 Satz 1) GrEStG anwendbar wäre, spricht im übrigen auch der Wortlaut der Vorschrift. Sie sieht eine Unterbrechung der Nachversteuerungsfrist, aber keine Anlaufhemmung vor ("so beginnt die Frist ... erneut zu laufen"). Auch die Regierungsbegründung (Drucksachen des Hessischen Landtags, V. Wahlperiode, Abteilung I Bd. 1 Drucksache Nr. 309 S. 19 zu Ziff. 22) enthält keine Hinweise, wonach auch im Erwerbszeitpunkt bereits bestehende Bebauungshindernisse den Tatbestand der erwähnten Vorschrift erfüllen.
3. Ein im Erwerbszeitpunkt bestehendes Bebauungshindernis wird auch nicht dadurch zu einem nachträglichen Hindernis, daß die Maßnahmen zur Behebung des Hindernisses entgegen den Erwartungen des Erwerbers nicht den Verlauf nehmen, den er sich vorgestellt hat. Werden z. B. die Erschließungsarbeiten nicht so rasch durchgeführt, daß die Bebauung innerhalb der Nachversteuerungsfrist möglich wird, so ist dies kein nachträgliches auf öffentlichem Recht beruhendes Hindernis, das der Verwirklichung des begünstigten Zweckes entgegensteht. Die fortdauernde Nichtbebaubarkeit ist vielmehr die Folge davon, daß das Grundstück im Erwerbszeitpunkt unerschlossen und deshalb nicht bebaubar war. In diesen Fällen muß der Erwerber eines unerschlossenen Grundstücks nach der Grundregelung des § 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG das Risiko der nicht rechtzeitigen Bebaubarkeit des erworbenen Grundstücks tragen.
4. Im vorliegenden Fall könnte ein nachträglich eingetretenes Hindernis im Sinne der Vorschrift allenfalls in einem Umlegungsbeschluß (vgl. § 50 BBauG) gesehen werden, der nach dem Grundstückserwerb bekanntgemacht worden ist; denn in diesem Falle hätte die Bekanntmachung die Verfügungs- und Veränderungssperre des § 51 Abs. 1 BBauG ausgelöst. Der erkennende Senat ist jedoch nach erneuter Prüfung dieser Frage abweichend von seinem Urteil vom 23. Juni 1976 II R 180/73 (BFHE 119, 312, BStBl II 1976, 648) zu der Auffassung gelangt, daß im vorliegenden Fall die nach dem Erwerb der Grundstücke eingetretene Verfügungs- und Veränderungssperre deshalb kein Hindernis im Sinne des § 4 Abs. 10 Satz 1 (seit 1970: Abs. 11 Satz 1) GrEStG ist, weil das erworbene Grundstück vor der Anordnung des Umlegungsverfahrens ohnehin nicht bebaubar war. Die Voraussetzungen für die Erlangung einer Baugenehmigung (vgl. § 30 BBauG) lagen mangels der noch erforderlichen Umlegung und mangels Erschließung nicht vor.
Ein nach dem Erwerb des Grundstückes eingeleitetes Umlegungsverfahren bewirkt zwar unter anderem, daß genehmigungsbedürftige bauliche Anlagen nur noch mit schriftlicher Genehmigung der Umlegungsstelle errichtet oder geändert werden dürfen (§ 51 Abs. 1 Nr. 4 BBauG). Dabei darf allerdings die Genehmigung nur dann versagt werden, wenn das Vorhaben die Durchführung der Umlegung unmöglich macht oder wesentlich erschwert (§ 51 Abs. 3 BBauG). Ein Hindernis im Sinne des § 4 Abs. 10 Satz 1 (seit 1970: Abs. 11 Satz 1) GrEStG kann jedoch in einem derartigen Genehmigungsvorbehalt dann nicht gesehen werden, wenn eine Baugenehmigung mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 30 BBauG ohnehin nicht erteilt werden könnte. In diesem Fall ist die Einleitung des Umlegungsverfahrens kein der Bebauung entgegenstehendes Hindernis. Das Umlegungsverfahren verhindert nicht die Bebauung; es dient vielmehr der Herstellung der Bebaubarkeit der im Umlegungsgebiet gelegenen Grundstücke.
Ob sich aus dem vorliegenden Urteil Auswirkungen für die Landesgesetze ergeben, in denen jeweils vorgeschrieben wird, daß eine Nachversteuerungsfrist unter anderem dann erneut zu laufen beginnt, wenn eine Verfügungs- und Veränderungssperre nach § 51 Abs. 1 BBauG in die Nachversteuerungsfrist fällt (vgl. z. B. § 2 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Grunderwerb nach dem Bundesbaugesetz vom 25. Juni 1962, GVBl, 347), muß offenbleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 73409 |
BStBl II 1980, 163 |
BFHE 1980, 282 |