Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne (§ 3 Nr. 66 EStG)
Leitsatz (NV)
1. Ein Gewinn, der dadurch entsteht, daß Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden (Sanierungsgewinn), ist nur dann gemäß § 3 Nr. 66 EStG von der Einkommensteuer befreit, wenn das Unternehmen sanierungsbedürftig und der Schulderlaß zur Herbeiführung einer Sanierung auch geeignet ist.
2. Ein Unternehmen ist nur dann sanierungsbedürftig, wenn es infolge Zahlungsunfähigkeit vom Konkurs bedroht ist. Es ist sanierungsgeeignet, wenn es im Zeitpunkt des Erlasses als lebensfähig anzusehen war und der Schulderlaß allein oder zusammen mit anderen Maßnahmen sein Überleben herbeiführen konnten.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 66
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine OHG, vertreibt unter der Bezeichnung ,,X" Baubeschläge und Bauelemente. Sie übernahm die Lieferung und den Einbau von Fensteranlagen an einem Großbauprojekt. Ihr Geschäftspartner war die Y-KG. Die Fensteranlagen bezog sie von der Firma Z. Die Firma Y-KG geriet in Vermögensverfall und schließlich in Konkurs. Die Klägerin wies rund 960 000 DM Forderungen gegen die KG aus und nahm hierauf Wertberichtigungen vor. Gegenüber der Firma Z bestand noch eine Verbindlichkeit von 217 202 DM; die Klägerin hat hierauf seit 1976 keine Zahlungen mehr geleistet.
Nachdem sich die Firma Z bereits 1976 davon überzeugt hatte, daß die Klägerin die ausstehende Schuld nicht begleichen könne, erklärte sie mit Schreiben vom 21. Dezember 1979, daß sie auf ihre Forderung nebst Zinsen verzichte ,,aus Sanierungsgründen, um die Existenz Ihrer Firma nicht zu gefährden und eine weitere Zusammenarbeit mit unserem Nachfolgeunternehmen . . . zu ermöglichen".
Die Klägerin hatte zuvor schon Ansprüche, die sie als Forderungen gegenüber der Y-KG verbucht hatte, gegenüber den Bauherren geltend gemacht. Das Oberlandesgericht (OLG) . . . hatte ihre Rechtsauffassung bestätigt, daß Rechtsbeziehungen mit den Bauherren zustande gekommen seien, für die die Y-KG aufgetreten sei. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Auffassung mit Urteil vom 17. Januar 1980 bestätigt. Die Klägerin hatte Z nicht vom anhängigen Prozeß unterrichtet. In der Folge konnte die Klägerin den größten Teil ihrer als Forderung gegen die Y-KG bilanzierten Ansprüche gegenüber den Bauherren verwirklichen.
Nach einer im Jahre 1982 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß der Forderungserlaß seitens der Z nicht zu einem steuerfreien Sanierungsgewinn geführt habe, weil nicht auch die A-Bank als weiterer Großgläubiger mit 186 000 DM auf ihre Forderung verzichtet habe. Im Hinblick auf den erfolgreich beendeten Zivilprozeß sei die Klägerin auch nicht sanierungsbedürftig gewesen. Der Forderungsverzicht hätte andererseits nicht für die Sanierung ausgereicht. Schließlich habe Z nicht in Sanierungsabsicht, sondern mit dem Ziel gehandelt, sich im Inland einen Verkaufsstützpunkt zu erhalten.
Die Klage zum Finanzgericht (FG) blieb erfolglos.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den festgestellten Gewinn für 1979 um 217 202 DM zu verringern.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG; seine tatsächlichen Feststellungen genügen nicht für eine Entscheidung, ob im Streitfall ein steuerfreier Sanierungsgewinn entstanden ist.
1. Nach § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist als sog. Sanierungsgewinn eine Erhöhung des Betriebsvermögens steuerfrei, die dadurch entsteht, daß Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. Während es nach dem Gesetzeswortlaut nur darauf ankommt, daß der Gläubiger der Forderung den Erlaß mit dem Schuldner in Sanierungsabsicht vereinbart hat, macht die Rechtsprechung die Steuerbefreiung zusätzlich davon abhängig, daß das Unternehmen sanierungsbedürftig und der Erlaß zur Herbeiführung einer Sanierung auch geeignet ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. November 1983 VIII R 14/81, BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472; vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501). Dies ergibt sich aus Anlaß und Zweck der Vorschrift.
Der Erlaß einer betrieblichen Verbindlichkeit bedeutet für den Schuldner eine betrieblich veranlaßte Vermögensmehrung und damit im Vermögensvergleich einen Gewinn. Das gilt auch für ein notleidendes Unternehmen, das seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann; die Entschuldung bewirkt, daß ein zukünftiger Vermögenserwerb nicht dem Zugriff der Gläubiger unterliegt. Wie sich aus § 3 Nr. 66 EStG ergibt, soll das Steuerrecht einer derartigen Entschuldung nicht im Wege stehen. Müßte der hierbei entstandene Gewinn vom Schuldner versteuert werden, würde sich der Gläubiger vielfach von einem Erlaß abhalten lassen, oder aber der Erlaß würde sein Ziel nicht erreichen, weil mit ihm das Entstehen einer Steuerschuld verbunden ist, deren Verwirklichung nur durch einen Erlaß des FA abgewendet werden könnte. Der in § 3 Nr. 66 EStG im vorhinein vorgesehene Verzicht auf den Steueranspruch ist aber nur gerechtfertigt, wenn die geschilderte Ausnahmesituation tatsächlich besteht und der Schulderlaß die Gesundung des Unternehmens herbeiführen kann (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 1985 IV R 177/83, BFHE 143, 531, BStBl II 1985, 504).
2. Das FG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob das Unternehmen der Klägerin sanierungsbedürftig, d. h. vom Zusammenbruch bedroht war. Es hat diese Prüfung ersichtlich für überflüssig gehalten, weil Z jedenfalls nicht in Sanierungsabsicht gehandelt habe. Dies setze nämlich voraus, daß der Gläubiger sich ein zutreffendes Bild von der Vermögenslage des Schuldners gemacht habe; im Streitfall habe die Klägerin aber ihren aussichtsreichen Prozeß gegen die Bauherren verschwiegen. Dem ist nicht zu folgen. Das FG vermischt Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsabsicht. Während es für die Sanierungsabsicht allein auf die Vorstellung des Gläubigers ankommt, sind für die Sanierungsbedürftigkeit die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend; handelt der Gläubiger in Sanierungsabsicht, während das Unternehmen nach dem Urteil eines verständigen Beobachters objektiv nicht sanierungsbedürftig ist, kann die Steuerbefreiung nicht gewährt werden.
Das FG wird daher zu prüfen haben, ob die Klägerin vom Zusammenbruch, d. h. vom Konkurs infolge Zahlungsunfähigkeit, bedroht war (§ 209 Abs. 1 Satz 1, § 102 Abs. 2 der Konkursordnung - KO -). Hierfür kann sprechen, daß die Klägerin nach Feststellung des FG schon seit 1976 keine Zahlungen mehr an Z geleistet hatte; doch ist auch das Zahlungsverhalten der Klägerin gegenüber anderen Gläubigern und zusätzlich zu prüfen, ob die Klägerin ihren Verpflichtungen durch Heranziehung des Privatvermögens ihrer persönlich haftenden Gesellschafter genügen konnte (BFH-Urteile vom 25. Oktober 1963 I 359/60 S, BFHE 78, 308, BStBl III 1964, 122; in BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472). Wie im letztgenannten Urteil ausgeführt, ist diese Prüfung für den Zeitpunkt des Schulderlasses vorzunehmen. Dabei wird auch zu erwägen sein, ob bereits zu diesem Zeitpunkt in absehbarer Zeit mit Zahlungseingängen aus dem anhängigen Prozeß zu rechnen war oder ob im Hinblick auf den erwarteten Prozeßausgang einstweilen von dritter Seite Mittel zur Fortsetzung der Betriebstätigkeit zu erlangen waren.
3. Das angefochtene Urteil enthält auch keine ausreichenden Feststellungen zur Sanierungseignung. Sie bedeutet einmal, daß das Unternehmen, insbesondere nach der erwarteten Ertragsentwicklung, im Zeitpunkt des Erlasses als lebensfähig angesehen werden konnte (vgl. Urteil in BFHE 78, 308, BStBl III 1964, 122). Das FG hat hierzu nicht Stellung genommen und insbesondere keine Ausführungen darüber gemacht, wie sich das Geschäft der Klägerin in den Jahren 1977 bis 1979 nach Abbruch der Geschäftsbeziehung zur Y-KG entwickelt hat und ob darin eine Grundlage für das Fortbestehen des Unternehmens gesehen werden konnte.
Sanierungseignung bedeutet weiterhin, daß der Schulderlaß allein oder zusammen mit anderen Maßnahmen das Überleben des Betriebes herbeizuführen geeignet ist (vgl. Urteil in BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501). Das FG hat hierzu ausgeführt, daß der Schulderlaß die Liquidität der Klägerin nicht verbessert habe, dies vielmehr nur durch die späteren Zahlungen der Bauherren bewirkt worden sei. Dies ist jedoch nicht in nachprüfbarer Weise erläutert worden. Das FG hat nicht dargelegt, welche Zahlungsverpflichtungen die Klägerin im Zeitpunkt des Schulderlasses hatte, wie weit diese Verpflichtungen aus dem laufenden Geschäft erfüllt werden konnten und ob nach Fortfall der Altschuld gegenüber Z die Zahlungsfähigkeit als gesichert angesehen werden konnte. Hierbei hätte auch die Absprache der Klägerin mit ihrer Hausbank, der A-Bank, gewürdigt werden müssen. Wie aus dem angefochtenen Urteil ersichtlich, hat die Klägerin im Rechtsbehelfsverfahren vorgetragen, daß die Hausbank erst nach dem Schulderlaß zur Übernahme von Bankbürgschaften bereit gewesen sei, die wiederum die Annahme eines Großauftrags und Lieferungen seitens der Nachfolgefirma der Y-KG ermöglichten.
Aufs ganze gesehen gibt das Urteil keine Erklärung dafür, daß die Klägerin im Zeitpunkt des Schulderlasses bereits länger als drei Jahre nach Abbruch der Geschäftsbeziehungen zur Y-KG Bestand gehabt hat, daß nunmehr aber ihr Zusammenbruch ohne Zuführung neuer Mittel unvermeidlich gewesen sei, der Schulderlaß also nicht zur Konsolidierung der finanziellen Verhältnisse habe dienen können.
4. Das FG hat auch angenommen, daß Z nicht in Sanierungsabsicht gehandelt habe. Es hat hierfür angeführt, daß ihre Forderungen nur noch auf dem Papier gestanden haben, daß die Klägerin vor ihrem, durch einen Schulderlaß nicht vermeidbaren Zusammenbruch stand, daß andererseits aber Z mit Hilfe des Forderungserlasses die Geschäftsbeziehungen zur Klägerin im eigenen Interesse bzw. im Interesse von weiteren Lieferungen durch die Nachfolgefirma . . . habe aufrechterhalten wollen; solche eigenbetrieblichen Zwecke würden der Sanierungsabsicht entgegenstehen.
Diese Feststellungen sind widersprüchlich, da Z mit einer zusammengebrochenen Firma keine Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten konnte. Zudem verkennt das FG, daß für einen Schulderlaß zwischen zwei Unternehmen durchweg betriebliche Interessen bestehen, der Gläubiger dem Schuldner also keine außerbetriebliche Zuwendung macht. In der Rechtsprechung wird darum auch nur verlangt, daß die Sanierungsabsicht, an die ohnehin keine hohen Anforderungen gestellt werden, mitentscheidend für den Forderungserlaß war (vgl. Urteile in BFHE 78, 308, BStBl III 1964, 122; vom 26. November 1980 I R 52/77, BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181). Ein Schulderlaß in Sanierungsabsicht kann schließlich unter besonderen Umständen selbst dann angenommen werden, wenn er nur von einem Gläubiger gewährt wird (vgl. Urteil in BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181). Dies mag anders sein, wenn der Gläubiger nach dem Umfang seiner Forderung durch einen Erlaß keine Gesundung des Unternehmens herbeiführen kann; bei einem Großgläubiger kann aber von anderen Erwägungen auszugehen sein. Das FG wird sein Urteil auch unter diesem Gesichtspunkt überprüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 414420 |
BFH/NV 1987, 493 |