Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnung über landwirtschaftliche Hilfsumsätze mit höherem als gesetzlich geschuldetem Steuerbetrag
Leitsatz (NV)
1. Im Rahmen seines nach Durchschnittsätzen besteuerten landwirtschaftlichen Betriebes kann ein Land- und Forstwirt auch fremde, zugekaufte Feldfrüchte liefern, wenn der dauernde und nachhaltige Zukauf 30 v. H. seiner gesamten Lieferungsumsätze nicht übersteigt.
2. Hilfsumsätze i. S. v. § 24 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1980 sind Umsätze, die die übrigen Umsätze im landwirtschaftlichen Betrieb unterstützen sowie abrunden und die durch die übrigen Umsätze veranlaßt sind.
3. Nachhaltig ausgeführte Lieferungen von Feldfrüchten sind keine Hilfsumsätze eines Landwirts.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 24 Abs. 1 Nrn. 2, 5, Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) sowie ihr inzwischen verstorbener Ehemann (Erblasser), dessen Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, betrieben zusammen eine Landwirtschaft. Sie bauten Getreide und Feldgemüse (Ackerbohnen) an und versteuerten im Streitjahr (1984) ihre im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes ausgeführten Umsätze nach Durchschnittsätzen (§ 24 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 29. Juni 1984, BGBl I 1984, 796, BStBl I 1984, 423 -- im folgenden: UStG 1980 --). Sie lieferten im zweiten Halbjahr 1984 Mais und Ackerbohnen an die Trocknungsgenossenschaft (T) und erhielten fremden getrockneten Mais und fremde getrocknete Ackerbohnen zurück. Die getrockneten Feldfrüchte lieferten sie an ein Lagerhaus (R). R wies in sog. "Abrechnungsbelegen" über diese Lieferungen Umsatzsteuerbeträge gesondert aus, denen ein Steuersatz von 13 v. H. zugrunde lag.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beurteilte die bezeichneten Lieferungen an R als mit 8 v. H. des Entgelts zu besteuernde Hilfsumsätze. Das FA setzte im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid 1984 vom 22. Januar 1987 eine Steuerschuld von ... DM gegen die Klägerin und den Erblasser nach § 14 Abs. 2 UStG 1980 fest. Nach Ansicht des FA waren in den Abrechnungsbelegen höhere als gesetzlich geschuldete Umsatzsteuerbeträge ausgewiesen worden.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Auffassung des FA, wonach die Lieferungen der zugekauften getrockneten Feldfrüchte als Hilfsumsätze nur mit einem Steuersatz von 8 v. H. zu besteuern seien und daß die Klägerin und der Erblasser die dafür zu hoch ausgewiesenen Steuerbeträge nach § 14 Abs. 2 UStG 1980 schuldeten. Das FG meinte, die zitierte Vorschrift sei auch anwendbar, wenn -- wie im Streitfall -- in einer ohne Widerspruch entgegengenommenen Gutschrift über einen Umsatz mit einem zu hohen Steuerbetrag abgerechnet worden sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung sachlichen Rechts. Sie ist der Auffassung, daß die bezeichneten Lieferungen nicht als Hilfsumsätze zu beurteilen, sondern zu den im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes ausgeführten "übrigen", mit 13 v. H. zu besteuernden Umsätzen gehörten, so daß die Abrechnung zutreffe. Im übrigen hält sie § 14 Abs. 2 UStG 1980 für nicht anwendbar, wenn in Gutschriften zu hohe Steuerbeträge ausgewiesen würden.
Sie beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer für 1984 auf 0 DM festzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Änderung der angefochtenen Steuerfestsetzung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Abweichend von der Vorentscheidung ist davon auszugehen, daß über die von der Klägerin und dem Erblasser ausgeführten Lieferungen fremder Feldfrüchte mit einem zutreffenden Steuerbetrag abgerechnet worden ist.
1. Für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes nach dem 30. Juni 1984 ausgeführten Umsätze wird die Steuer für die Lieferung von Gegenständen auf 8 v. H. (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980) festgesetzt, wenn diese Umsätze Hilfsumsätze sind. Für die übrigen Umsätze i. S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG 1980 wird die Umsatzsteuer auf 13 v. H. (§ 24 Abs. 1 Nr. 5 erste Alternative UStG 1980) der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Der Unternehmer ist nicht berechtigt, die Umsatzsteuer für die nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 ausgeführten Hilfsumsätze zu kürzen (§ 24 a Abs. 1 Nr. 3 UStG 1980).
Sowohl bei den bezeichneten Hilfsumsätzen (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980) als auch bei den übrigen Umsätzen (§ 24 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1980) kommt es darauf an, daß sie vom Unternehmer im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes (§ 24 Abs. 1 vor Nr. 1 UStG 1980) ausgeführt werden. Diese Voraussetzungen sind bei den streitbefangenen Lieferungen von fremden Feldfrüchten erfüllt.
Die Klägerin und der Erblasser betrieben mit dem Anbau eigener Feldfrüchte eine Landwirtschaft, die als landwirtschaftlicher Betrieb gilt (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980). Sie versteuerten ihre mit dieser Tätigkeit verbundenen Umsätze nach Durchschnittsätzen (§ 24 Abs. 1 UStG 1980). Nach den nicht mit begründeten Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des FG haben die Klägerin und der Erblasser nach dem 30. Juni 1984 getrocknete Ackerbohnen und getrockneten Mais, die nicht von ihnen selbst erzeugt worden waren, an den Lagerhausbetreiber R geliefert.
Land- und Forstwirtschaft ist die planmäßige Nutzung des Bodens und die Verwertung der gewonnenen Erzeugnisse (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. März 1992 V R 55/88, BFHE 168, 454, BStBl II 1992, 982). Die Verwertung kann durch Lieferungen erzeugter Feldfrüchte geschehen. Solche Lieferungen umfassen die Übertragung der Verfügungsmacht sowohl an selbst erzeugten als auch an den für diese (bei einer in § 3 Abs. 10 UStG 1980 bezeichneten Behandlung) eingetauschten Früchten. In beiden Fällen liegen Umsätze vor, die ein Landwirt im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebes i. S. von § 24 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 ausführt. Im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebes kann der Landwirt überdies fremde, zugekaufte Erzeugnisse absetzen, wenn der dauernde und nachhaltige Zukauf 30 v. H. seiner gesamten Lieferungsumsätze nicht übersteigt (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 1980 IV R 31/76, BFHE 131, 555, BStBl II 1981, 518; vgl. auch Schöll in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 5. Aufl. § 24 Bem. 12).
Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß die streitbefangenen Lieferungen diese Grenze nicht überschreiten. Danach haben die Klägerin und der Erblasser die fremden Feldfrüchte im Rahmen ihres landwirtschaftlichen Betriebes geliefert, ohne daß es darauf ankommt, ob sie diese aufgrund eines Umtauschvorgangs oder einer nicht Teil eines Tausches darstellenden Lieferung erhalten haben. Die Steuer für die Lieferung der bezogenen Gegenstände ist somit nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980, sondern nach Durchschnittsätzen (§ 24 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 UStG 1980) festzusetzen.
2. Die Klägerin und der Erblasser haben die nichtselbsterzeugten Feldfrüchte nicht im Rahmen von "Hilfsumsätzen" i. S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 geliefert. Das UStG 1980 enthält keine Definition des Tatbestandsmerkmales "Hilfsumsätze", das außer in § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 noch in § 19 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980 und in § 43 Abs. 2 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1980) verwendet wird. Der BFH brauchte dieses Tatbestandsmerkmal bei der Anwendung des § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 bisher nicht abschließend zu definieren (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 27. Oktober 1993 XI R 61/90, Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1994, 327).
Die jetzt vorzunehmende Interpretation ergibt folgendes: Nach dem Wortsinn und nach dem Zusammenhang mit § 24 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1980 sind als "Hilfsumsätze" solche Umsätze anzusehen, die die übrigen Umsätze im landwirtschaftlichen Betrieb unterstützen sowie abrunden und die durch die übrigen Umsätze veranlaßt sind. Aus der Entstehungsgeschichte (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Ersten Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BTDrucks 10/1483, S. 6, zu Art. 1, zu Nr. 1, 2 -- entspricht § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 --) wird durch das zur Erläuterung des Begriffs "Hilfsumsätze" in Klammern angeführte Beispiel des Verkaufs einer gebrauchten Landmaschine deutlich, daß der Gesetzgeber an den verwandten und umsatzsteuerrechtlich seinem Inhalt nach bereits feststehenden Begriff des "Hilfsgeschäfts" anknüpfen wollte (vgl. zum Hilfsumsatz i. S. von § 19 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1980: BFH-Urteil vom 24. Februar 1988 X R 67/82, BFHE 152, 564, BStBl II 1988, 622). Hilfsgeschäfte, die sich noch im Rahmen des Unternehmens (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980) halten, sind Leistungen, die von der Haupttätigkeit mit sich gebracht werden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1964 V 227/62 U, BFHE 81, 100, BStBl III 1965, 34; vgl. auch Schreiben des Bundesministers der Finanzen -- BMF -- vom 19. November 1984, BStBl I 1984, 604, UR 1984, 287, zu B I (2) 2). Damit wird insbesondere die Lieferung gebrauchter Einrichtungsgegenstände des Unternehmens erfaßt (BFH-Urteil vom 25. März 1988 V R 101/83, BFHE 153, 171, BStBl II 1988, 649).
Die für die Steuerbarkeit eines Umsatzes u. a. erforderliche Nachhaltigkeit muß im Falle von Hilfsgeschäften nicht bei diesen selbst vorliegen, sondern bei der Tätigkeit vorhanden sein, zu der die Hilfsgeschäfte aufgrund der Gesamtheit der Umstände gehören (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11. April 1957 V 46/56 U, BFHE 64, 594, BStBl III 1957, 222; Abschn. 20 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien -- UStR --). Hilfsumsätze i. S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 sind dementsprechend diejenigen Lieferungen von Gegenständen, die die nachhaltig ausgeführte landwirtschaftliche Tätigkeit mit sich bringt. Sie, die Hilfsumsätze, sind steuerbar, obwohl sie selbst nicht nachhaltig ausgeführt werden.
Nachhaltig ausgeführte Lieferungen stellen dagegen keine Hilfsgeschäfte dar und demzufolge keine Hilfsumsätze. Sind entgeltliche Lieferungen zugekaufter Erzeugnisse im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs schon für sich genommen, d. h. ohne Berücksichtigung der übrigen Umsätze, als nachhaltig zu beurteilen, kann es sich bei ihnen mithin nicht um Hilfsumsätze i. S. von § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 handeln. Schließt die Verwertung selbsterzeugter landwirtschaftlicher Produkte durch nachhaltige Lieferungen gegen Entgelt in begrenztem Umfang die Lieferung von zugekauften landwirtschaftlichen Erzeugnissen ein, so gehören auch diese Lieferungen zu der eigentlichen Tätigkeit im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes. Die dadurch entstehende originäre Nachhaltigkeit dieser Lieferungen zugekaufter landwirtschaftlicher Produkte hebt sie von den als Hilfsumsätze ausgeführten Umsätzen ab, deren Nachhaltigkeit lediglich von anderen Umsätzen abgeleitet ist. Diese Beurteilung steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung im Falle einer Gärtnerei, in der in begrenztem Umfang hinzugekaufte Erzeugnisse geliefert werden, die das Angebot von selbsterzeugten Produkten erweitern (BFH-Urteil vom 6. Juni 1991 V R 100/87, BFH/NV 1992, 207, UR 1991, 264 m. w. N.).
Die gegenteilige Rechtsansicht des BMF (im Schreiben vom 19. November 1984, BStBl I 1984, 604, UR 1984, 287, zu B I (2) 2; vgl. auch Abschn. 265 Abs. 2 Satz 5 UStR 1988), nach der die Lieferung zugekaufter fremder Erzeugnisse in Gestalt von Hilfsumsätzen erfolge, ist aus dem Gesetz nicht ableitbar. Ein geltend gemachter Normzweck, der sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Zusammenhang nicht herleiten läßt, kann bei der Auslegung nicht beachtet werden (vgl. dazu Schöll in Sölch/Ringleb/List, a. a. O., § 24 Bem. 72 ff.; vgl. auch Bauer in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, 7. Aufl., § 24 a Anm. 11).
3. Die Steuer für die streitbefangenen Lieferungen beträgt somit 13 v. H. der Bemessungsgrundlage. Die hierüber ausgestellten Abrechnungen weisen keinen höheren Steuerbetrag aus. Eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980 ist mithin nicht entstanden. Unter Aufhebung der Vorentscheidung war die Umsatzsteuer für 1984 somit antragsgemäß auf 0 DM herabzusetzen.
Fundstellen