Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur steuerrechtlichen Beurteilung von Sachverhalten, für die die Beteiligten eine bürgerlich-rechtliche Form oder Bezeichnung gewählt haben, die das von ihnen wirtschaftlich Erstrebte nicht deckt.
"Schenken" Großeltern durch einen privatschriftlichen Vertrag ihrem Enkel und Alleinerben einen großen Betrag, der gleichzeitig von dem Enkel den Großeltern als "Darlehen" wieder bereitgestellt wird, das bis zum Tode der Großeltern unkündbar und auch nicht gesichert ist, so sind die für das "Darlehen" gezahlten "Zinsen" keine Sonderausgaben der Großeltern.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 12 Nr. 2; StAnpG § 1 Abs. 3, § 6
Tatbestand
Der beschwerdeführende Ehemann (Großvater) richtete am 27. Januar 1957 an das Finanzamt ein Schreiben folgenden Inhalts:
"Im Jahre 1949 hatte ich meinem Enkel . . . . . , geboren . . . . . Mai 1948 . . . . . , 15.000 DM schenkungsweise und schenkungsteuerfrei übereignet ... Nachdem inzwischen der schenkungsteuerfreie Höchstbetrag für Schenkungen an Personen der Erbschaftsteuerklasse I . . . . . auf 30.000 erhöht ist, habe ich meinem Enkel heute weitere 15.000 DM schenkungsweise übereignet und auch diesen Betrag von ihm als Darlehen übernommen, das zu 8 % verzinslich und bis zu meinem Tode unkündbar sein soll. Gleichzeitig wurde zwischen mir und der Mutter meines minderjährigen Enkels vereinbart, daß auch der frühere Schenkungsbetrag den geänderten Verhältnissen entsprechend von mir ab heute mit 8 % zu verzinsen und bis zu meinem Ableben unkündbar sein soll. Meine Schwiegertochter, als elterliche Gewalthaberin meines Enkels, hat die Annahme der heutigen Schenkung seitens meines Enkels mit ihrer Unterschrift hierunter anerkannt, ebenso die Hergabe des Schenkungsbetrags als Darlehen an mich und die Zinssätze für das frühere und heutige Darlehen. gez. . . . . . (Großvater)
gez. . . . . . (Mutter des Enkels)." ähnlich teilte die beschwerdeführende Ehefrau (Großmutter) unter dem 28. Januar 1957 dem Finanzamt mit, sie habe ihrem Enkel 30.000 DM "schenkungsweise übereignet"; den Schenkungsbetrag habe der Großvater von dem Enkel als "ein bis zu seinem Tode unkündbares Darlehen verzinslich zu 8 %, übernommen"; die Schenkung und die Bedingungen habe die Mutter des Enkels als dessen elterliche Gewalthaberin angenommen. Das Schreiben ist von der Großmutter und der Mutter des Enkels unterzeichnet. Auf wiederholte Anfragen des Finanzamts nach weiteren Vereinbarungen antworteten die Bf., andere Darlehnsverträge bestünden nicht; in den Briefen vom 27. bzw. 28. Januar 1957 seien die Darlehnsbedingungen erschöpfend mitgeteilt. Unstreitig konnte der Enkel über die Zinsen verfügen.
Die Bf. wollen bei der Einkommensteuerveranlagung für 1957 5.767 DM Darlehnszinsen für den Enkel als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG absetzen.
Die Vorinstanzen sahen die Schenkungs- und Darlehnsvereinbarungen als einen Mißbrauch von bürgerlich-rechtlichen Formen und Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 6 StAnpG an und lehnten den Abzug der Zinsen als Sonderausgaben ab; sie betrachteten die Zinsen als freiwillige Zuwendungen an den Enkel im Sinne von § 12 Ziff. 2 EStG.
Die Bf. rügen unrichtige Anwendung von § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG und machen geltend, es handle sich um ernsthafte und rechtswirksame Abmachungen. Das Finanzamt habe auch selbst bei der Vermögensteuerveranlagung der Bf. den Abzug der 60.000 DM als Darlehnsschulden zugelassen und habe den Enkel mit den Zinsen zur Einkommensteuer herangezogen. Die Schenkungen seien die Grundlage gewesen für eine spätere Beteiligung des Enkels an einem Mühlenbetrieb, deren maßgeblicher Gesellschafter der Großvater sei. Außerdem fänden die Abmachungen ihre wirtschaftliche Rechtfertigung durch die Ausnutzung des im ErbStG vorgesehenen Freibetrags, um später Erbschaftsteuer zu sparen. Die Absicht, auch die Einkommensteuer zu ermäßigen, habe nicht bestanden. Das ergebe sich daraus, daß der Großvater die Möglichkeit die Darlehnszinsen als Sonderausgaben abzuziehen, erstmalig im Jahre 1960 für den Veranlagungszeitraum 1958 ausgenutzt habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Nach § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG können Schuldzinsen, soweit sie nicht Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind, als Sonderausgaben abgesetzt werden. Schuldzinsen sind Geldzahlungen, die ein Schuldner seinem Gläubiger dafür gewährt, daß ihm dieser die Kapitalnutzung gestattet. Das Finanzgericht hat den vom Bf. als "Zinsen" geltend gemachten Betrag nicht als echte Zinsen anerkannt, weil es annimmt, daß eine ernsthafte Forderung des Enkels an seine Großeltern nicht bestehe und die "Zinsen" nicht eine Entschädigung für ein vom Enkel dem Großvater zur Nutzung überlassenes Kapital seien.
Zu dieser rechtlichen Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts konnte das Finanzgericht ohne Rechtsverstoß kommen. Nach § 1 Abs. 3 StAnpG sind auch bei der Beurteilung von Tatbeständen ihr Zweck und ihre wirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen. Die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts darf nicht am äußeren Bild oder an der zufälligen oder willkürlichen Bezeichnung haften, die die Beteiligten bürgerlich-rechtlich wählen. Es ist vielmehr stets der wirtschaftliche Gehalt eines Vorgangs zu erfassen und festzustellen, ob die bürgerlich-rechtliche Form oder Bezeichnung das, was die Beteiligten wollten und wirtschaftliche erstrebten, zutreffend wiedergibt. Dieses Prinzip für die Erfassung und Würdigung von Sachverhalten ist ein Bestandteil der allgemeinen Rechtslehre und nicht etwa steuerliches Sonderrecht. Darum ist es auch unerheblich, ob bei der gewählten Gestaltung eine Steuerverkürzung beabsichtigt war. Um festzustellen, ob das wirtschaftlich Erstrebte und die gewählte bürgerlich-rechtliche Form zusammenfallen, bedarf es nicht eines Rückgriffs auf die Umgehungsvorschrift des § 6 StAnpG, auf die das Finanzgericht abgestellt hat.
Gerade im Verhältnis zwischen nahen Angehörigen fallen wirtschaftlicher Gehalt und bürgerlich-rechtliche Form oft nicht zusammen. Zwar sind Darlehnsverhältnisse zwischen einem Großvater und seinem Enkel oder anderen nahen Verwandten auch steuerlich grundsätzlich anzuerkennen. Sie müssen aber ernsthaft begründet und durchgeführt werden, d. h. vor allem, daß sie so begründet und abgewickelt werden müssen, wie es in der Form auch zwischen Fremden ohne Hineinspielen von verwandtschaftlichen Beziehungen geschehen könnte. Bei Beziehungen zwischen Fremden stimmen im allgemeinen die bürgerlich-rechtliche Form und der wirtschaftliche Gehalt überein (Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 8. Aufl., Tz. 35 d und 35 e vor § 1). Diese Fragen haben die Rechtsprechung wiederholt bei der Beurteilung von Gesellschaftsverhältnissen zwischen Eltern und Kindern beschäftigt, die auch grundsätzlich anerkannt werden, soweit sie bürgerlich-rechtlich ernsthaft begründet und durchgeführt werden, vor allem, wenn den Kindern eine echte Gesellschafterstellung eingeräumt wird, wie sie auch bei entsprechenden Verhältnissen zwischen Fremden als eine sinngerechte Form für das wirtschaftlich Erstrebte gewählt werden könnte (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 246/50 S vom 22. August 1951, BStBl 1951 III S. 181, Slg. Bd. 55 S. 449; I 32/58 S vom 26. Mai 1959, BStBl 1959 III S. 322, Slg. Bd. 69 S. 157). Auch bei der Beurteilung von Gesellschaftsverhältnissen zwischen Ehegatten ist dieser Rechtsgedanke betont worden (Urteil des Bundesfinanzhofs I 116/58 U vom 26. August 1958, BStBl 1958 III S. 445, Slg. Bd. 67 S. 450).
Die hier streitige Regelung braucht das Finanzgericht trotz ihrer entsprechenden bürgerlich-rechtlichen Bezeichnung nicht als "Schenkung" und "Darlehen" zu werten. Wirtschaftlich führt eine "Schenkung" dazu, daß bei dem Schenker etwas abfließt und dem Beschenkten etwas zufließt; der Schenker gibt durch die Schenkung etwas weg; die Schenkung macht ihn ärmer, während sie den Beschenkten bereichert. Die Absicht zur unentgeltlichen Bereicherung des Beschenkten müssen die Beteiligten übereinstimmend in ihren Willen aufgenommen haben (ß 518 BGB). Ein "Darlehen" (ß 607 BGB) wird durch Hingabe von Geld oder anderen vertretbaren Sachen begründet. Der Darlehnsnehmer muß das Empfangene in Sachen von gleicher Art, Güte und Menge zurückerstatten. Darlehen sind, wenngleich das nicht unabdingbar zu ihrem Wesen gehört, gewöhnlich kündbar und verzinslich und werden im allgemeinen auch gesichert, besonders geschäftliche Darlehen.
Hier wurde durch eine einheitliche Vereinbarung festgelegt, daß der Großvater dem Enkel einen Betrag "schenkte", daß der Großvater aber diesen Betrag bis zu seinem Tode unkündbar als "Darlehen" behalten sollte. Wirtschaftlich hat sich dadurch nichts Wesentliches geändert. Der beschwerdeführende Großvater hat nichts aus seinem Vermögen weggegeben; er behält die 30.000 DM auf Lebenszeit nach wie vor zur freien Verfügung. Nicht anders verhält es sich mit den 30.000 DM, die die Großmutter dem Enkel zugewendet hat. Wirtschaftlich betrachtet liegt der Fall nicht anders, als wenn die Großeltern ihrem Enkel ein Vermächtnis auf die Summe ausgesetzt hätten, das bei Tod des Großvaters zu erfüllen war. Eine gegenwärtige Bereicherung des Enkels liegt jedenfalls nicht vor. Ebensowenig kann wirtschaftlich von einem "Darlehen" des Enkels an den Großvater die Rede sein. Es steht mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Widerspruch, daß zwischen fremden Personen ein Gläubiger ein Kapital von 60.000 DM dem Schuldner auf dessen Lebenszeit ohne Sicherheit unkündbar überläßt. Daß keine ernsthafte gegenwärtige Bereicherung des Enkels gewollt war, ergibt sich daraus, daß der Enkel, selbst wenn die Vermögenslage des Großvaters sich verschlechtern oder die vereinbarten "Darlehnszinsen" nicht bezahlt werden sollten, das Kapital oder seine Sicherung nicht verlangen kann; das "Darlehen" ist bedingungslos unkündbar.
Es war darum rechtlich einwandfrei, wenn das Finanzgericht die als "Schenkung" und "Darlehen" bezeichneten Abreden nicht als "Schenkung" oder "Darlehen" im Sinn des bürgerlichen Rechts würdigte. Damit entfällt auch eine Zinszahlung des Großvaters an den Enkel. Die Zinszahlungen des Großvaters an seinen Enkel sind vielmehr Schenkungen, die nach § 12 Ziff. 2 EStG das Einkommen des Großvaters nicht mindern dürfen.
Von seinem Rechtsstandpunkt aus braucht der Senat nicht zu untersuchen, ob, wenn man Schenkungsversprechen der Großeltern an ihren Enkel annehmen wollte, der Mangel der für Schenkungsversprechen vorgesehenen gerichtlichen oder notariellen Form durch den Vollzug des Schenkungsversprechens geheilt wurde (ß 518 BGB). Jedenfalls würde der Senat gegen die Annahme des "Vollzugs" des Schenkungsversprechens auch die vorstehend dargelegten Bedenken haben. Als "geschenkt" betrachtet er nur die "Zinsen", soweit sie tatsächlich dem Enkel zur freien Verfügung zugeflossen sind.
Die Bf. tragen vor, sie hätten mit der Regelung in rechtlich zulässiger Weise nur die Möglichkeit der §§ 17 und 13 ErbStG zur Ersparung von Erbschaftsteuer ausnutzen wollen. Dieser Einwand greift nicht durch. Wenn auch den Bürgern freisteht, eine bürgerlich-rechtliche Form zu wählen, die zu einer möglichst geringen Steuerbelastung führt, so muß es sich doch um Formen handeln, die ernsthaft gewollt und geeignet sind, das erstrebte wirtschaftliche Ziel zu erreichen. Daran fehlt es aber im Streitfall. Unerheblich ist auch, wie die Darlehen bei der Vermögensteuer und die Zinsen bei der Einkommensteuer des Enkels behandelt wurden. Diese Behandlung dürfte darauf zurückzuführen sein, daß das Finanzamt die Einzelheiten des Abkommens zwischen den Beteiligten nicht berücksichtigte. Es steht den Beteiligten frei, im Rahmen des Gesetzes die aus der vorstehenden Würdigung sich für andere Steuern ergebenden Rechtsfolgen zu ihren Gunsten geltend zu machen.
Fundstellen
Haufe-Index 411039 |
BStBl III 1964, 74 |
BFHE 1964, 184 |
BFHE 78, 184 |